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Heiße Luft aus Ulm

21.06.2004  00:00 Uhr

Arzneimittelmarkt

Heiße Luft aus Ulm

von Thomas Bellartz, Berlin

Der stellvertretende Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Leonhard Hansen, sah am Montag dunkelrot. Er kritisierte vor Journalisten in Berlin vehement die Generikahersteller Ratiopharm und Stada. Insbesondere bei der Nummer eins im Markt beobachten Experten einen Politikwechsel – auch zu Lasten der Apotheken.

Der Ärztefunktionär Hansen stört sich an Preisverhalten und Strategie der Hersteller. Das geht manchen Apothekern nicht anders. Man wundert sich allerorten nach den jüngsten Aktionen.

Gleich zweimal beschäftigte sich das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ in jüngster Zeit mit den deutschen Apotheken. Nicht zu erwarten, dass die Beiträge allzu positiv ausgefallen wären. Doch spätestens nach dem zweiten Artikel des Redakteurs Heiko Martens halten sich in der Branche hartnäckig die Gerüchte, dass ein Hersteller mit geballter Nachfragemacht im Nacken mit Rat und Tat und allerhand Informationen zu den zuweilen arg dünnen Geschichtchen beigetragen haben soll.

Kurz vor dem Beitrag hatte Ratiopharm Apotheken durchaus attraktive Angebote unterbreitet, als Marktführer eine neue Runde im Kampf um die Herrschaft in den Apothekenregalen eingeläutet. Das zur Merckle-Gruppe zählende Unternehmen wirbt im Fernsehen offensiv für seine Produkte, mit seinen kreativen strategischen Platzierungen und der Zwillings-Werbung erzeugt Ratiopharm enormen und unwiderstehlichen Nachfragedruck.

Der Spiegel-Bericht war die Basis für eine neuerliche Kampagne gegen die Apotheken. Ratiopharm geriet selbst nicht ins Visier, denn nur Konkurrenten wurden in dem Beitrag vorgeführt. Die Politik reagierte prompt, ebenso die Kassen und auch die anderen Medien zogen nach.

Zwei Tage nach dem Bericht veranstaltete Ratiopharm einen Parlamentarischen Abend in der Landesvertretung Baden-Württemberg in Berlin. Journalisten und auch die Fachpresse waren explizit nicht eingeladen. Zu diesem Zeitpunkt war bereits spruchreif: Ratiopharm will einen eigenen Generikaverband gründen, sein Polit-Lobbying massiv ausbauen. Bis heute ist lediglich Stada an die Seite der Ulmer getreten. Doch schon jetzt zeichnet sich ab, wohin die Reise geht.

Denn mit Peter Schmidt, einem sozial- und gesundheitspolitischen Spezialisten der SPD-Fraktion in Berlin, hat Ratiopharm ausgerechnet einen regierungsnahen Politprofi ersten Ranges für die eigenen Interessen geworben. Ihm zur Seite steht ein bislang in BPI-Diensten stehender Öffentlichkeitsarbeiter.

Vor den Kopf gestoßen

Der Spiegel-Bericht über vermeintliche Betrügereien von Apothekern soll dem Vernehmen nach ebenso auf Informationen zurückgehen, die Ratiopharm zur Verfügung gestellt haben soll. Vor diesem Hintergrund ist es geradezu abenteuerlich, dass das Unternehmen seinen Apothekenkunden am 14. Juni 2004 per Fax zum 16. Juni 2004 eine großflächige Konditionskürzung ankündigte. Begründet wird dies mit der aktuellen politischen Diskussion über Rabatte. Aus „pharma-ökonomischer und solidarischer Sicht“ dürfe man die Belange der Patienten und der Krankenkassen nicht vernachlässigen, heißt es unter anderem.

Der Brief, den Dagmer Siebert als Geschäftsführerin Marketing und Vertrieb mit unterzeichnete, begründet die Rabattsenkung ausgerechnet mit der Veröffentlichung im Spiegel und der daraus resultierenden Diskussion um Rabatte.

Kein Wort dazu, ob Ratiopharm seine Fernsehwerbung reduziert. Sparen wird man in Ulm wohl nicht: Das Unternehmen wird nicht wenig Geld in die Hand nehmen, um einen eigenen Verband aufzubauen, eine schlagkräftige Berliner Dependance einzurichten, um den angeheuerten SPD-Meinungsmacher zu finanzieren und einen früheren Verbands-Vizegeschäftsführer zu bezahlen.

Siebert berichtet im Brief von „Gesprächen mit politischen Entscheidungsträgern“, die einen heftigen „Rabattwettbewerb ohne unmittelbare Vorteile für die Krankenkassen“ und Versicherten negativ bewerten und stark kritisieren. Siebert war übrigens Mitglied der Task Force zur Förderung des Pharmastandortes Deutschland. Die mit Managern und hochrangigen Politikern und Beamten besetzte Truppe tagte im Verborgenen. Deren Bericht wurde vor wenigen Tagen dem Kanzler persönlich übergeben.

Sogar mancher Mitbewerber hat sich die Augen gerieben, als er den Brief sah. Und Apotheken wissen nicht mehr, was sie davon halten sollen. Das verraten jedenfalls die Reaktionen, die die PZ-Redaktion erreichten. Profiliert sich Ratiopharm auf Kosten der Apotheken? Keine Zwillings-Show mehr zur besten Sendezeit bei RTL? Welches Signal will Ratiopharm aussenden? Geht es den Apotheken nach Ratiopharm-Ansicht etwa derzeit zu gut? Fließen die eingesparten Konditionen in die Kassen der GKV, als Spenden zur SPD oder in die Schatulle der Merckle-Familie?

KBV-Vize Hansen sieht noch ganz andere Probleme – wenn nicht für Apotheker, dann für Ärzte. Denn der Nachfragedruck, der trotz schwindender Einkaufsvorteile den Apotheken in schwieriger Zeit zu schaffen macht, ist auch für Ärzte ein heikles Thema, weil PC-gesteuert. Und so prangerte Hansen am Montag in Berlin an, dass manche Hersteller von Praxissoftware für Ärzte direkt an Generikahersteller gekoppelt seien. Konkret ging Hansen auf die Unternehmen Ratiopharm und Stada ein. Die Programme DocExpert und Alvis werfen Hansen zufolge zunächst immer ein Präparat der Firmen Ratiopharm beziehungsweise Stada aus. Für den Arzt sei es umständlich und mit Aufwand verbunden, diese Verordnungen dann nicht auszuführen. Dabei seien die vom Programm vorgegebenen Präparate nicht die günstigsten. Überhaupt kritisierte der Kassenarzt in diesem Zusammenhang auch die Preispolitik der Generikahersteller.

Über die jüngsten Lobbyaktivitäten des Ulmer Konzerns schwieg sich der Spiegel indes aus. Ebenso wenig war von der Kopplung der Praxissoftware die Rede. Die Stada kündigte auf der jüngsten Hauptversammlung übrigens an, ihre Konditionspolitik ebenfalls zu überdenken. Der neue Generikaverband der Nummer eins und der Nummer drei im Markt funktioniert anscheinend bestens.

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