Merck-Produkte bleiben apothekenexklusiv |
22.05.2000 00:00 Uhr |
Wirtschaft & Handel
PZ-INTERVIEW
Einige Märkte, wie zum Beispiel der Vitaminmarkt, entwickeln sich außerhalb der Apotheke besser als über die Apotheken. Das wirft insbesondere Fragen bei den Firmen auf, die solche Produkte exklusiv über die Apotheke vertreiben. Eines dieser Unternehmen ist die Merck Produkte-Vertriebsgesellschaft & Co Deutschland. Die Pharmazeutische Zeitung sprach mit Geschäftsführer Peter-Michael Thom und der Marketingleiterin für die Kytta-Produkte, Sabine Rücker, über die Zukunftsstrategien des Darmstädter OTC-Herstellers.
PZ: Herr Thom, Ihre Firma vertreibt Nahrungsergänzungsprodukte und freiverkäufliche Arzneimittel ausschließlich über die Apotheken. Müssen Sie bei den unterschiedlichen Marktentwicklungen außerhalb und innerhalb der Apotheken jetzt an neue Strategien denken?
Thom: Tatsache ist, dass der Vitamin- und Mineralstoffmarkt sich außerhalb der Apotheke sehr gut entwickelt, allerdings wächst er auch im Bereich der Apotheke. Diese Entwicklung ist nicht weiter verwunderlich, denn er folgt einem seit Jahren zu beobachtenden Trend.
Die Antwort auf die Frage, wie Merck als ein Unternehmen, welches ausschließlich seine Marken über die Apotheke vertreibt, darauf reagiert, haben wir mit der Einführung von Bion 3 gegeben. Ich bin davon überzeugt, dass mit Innovationen, die eine entsprechende Beratung für den Verbraucher voraussetzen, die Apotheke weiterhin einen wesentlichen Anteil an diesem Segment behalten wird. In allen Reaktionen, die wir aus der Apothekerschaft bekommen haben, wurde uns gespiegelt, dass die Apotheke genau solcher neuen Produkte bedarf, die auf Grund einer besonderen Galenik und eines überlegenen Produktnutzens eine deutliche Abgrenzung der Apotheke gegenüber dem Massenmarkt ermöglicht. Für unser Haus ist es die Zukunftsstrategie mit Innovationen in allen von uns belegten Indikationen in der Selbstmedikation erfolgreich zu bestehen.
PZ:
Interpretiere ich Ihre Antwort richtig, dass Sie durchaus bereit sind, Ihren Schwerpunkt von den traditionellen Markten Cebion, Mulitibionta oder auch Bionorm auf neue innovative Marken zu verlegen?Thom: Nein, in dieser Schärfe möchte ich das nicht verstanden wissen. Gleichbedeutend neben der Entwicklung von neuen Produkten, die wir als eigenständige Marken entwickeln wollen, ist eine der herausforderndsten Aufgaben für uns die Pflege und Aktualisierung unserer großen Marken wie Nasivin, Multibionta, Cebion und Bionorm. Wie wir dies angehen, wird an dem Beispiel Nasivin deutlich. Vor vier Jahren haben wir als erste eine Konservierungsmittel freie Variante eingeführt und vor eineinhalb Jahren den nach wie vor einzigartigen Dosiertropfer für Babys.
PZ: Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie sehr deutlich gemacht haben, auch mit Ihren Traditionsmarken apothekenexklusiv bleiben zu wollen. Sie haben bisher die Unterstützung der MGDA gesucht, allerdings die Verträge zum Ende des Jahres gekündigt. Waren Sie mit der Zusammenarbeit nicht zufrieden oder welche Gründe haben Sie dazu bewegt?
Thom: Nein, mit Unzufriedenheit bezüglich der Zusammenarbeit mit der MGDA hat das nichts zu tun. Mit den uns zur Verfügung stehenden Etatmitteln müssen wir uns in dem Gesamtwerbemarkt bemerkbar machen. Wie Sie wissen, nimmt einerseits der Werbedruck Jahr um Jahr zu, andererseits ist eine Inflation der insgesamt eingesetzten Werbegelder durch steigende Mediakosten und zusätzliche Medienangebote zu beobachten. Wir haben deshalb die Entscheidung getroffen, unseren flächendeckenden kaufmännischen Außendienst mit entsprechenden Mitteln zu versehen, um die Präsenz in der Apotheke weiter zu verstärken.
PZ: Ich möchte noch einmal auf den Vitaminmarkt zurückkommen. Sehen Sie überhaupt eine Chance für die Apotheken mit Blick auf die Konkurrenz, in diesem Markt wieder stärker Fuß zu fassen?
Thom: Ich sehe sehr wohl eine gute Chance, sowohl für den Apotheker wie auch für Anbieter innovativer, apothekenexklusiver Produkte in diesem Segment. Wie ich schon erwähnte, sehen wir Bion 3 als genau solch ein Produkt, welches dem Apotheker eine gute Möglichkeit gibt, ein einzigartiges Produkt dazu zu nutzen, verloren gegangene Kunden wieder in die Apotheke zurückzuführen. Wichtig ist hierbei, dass der Apotheker seine Fachkompetenz und den besonderen Einkaufsort Apotheke nicht zum Marktplatz für Billigprodukte macht. Eine Apotheke muss anders kalkulieren als ein Supermarkt und hat somit auch das Recht, sich über Beratungsleistung und entsprechende Produktangebote im mittleren und oberen Preissegment zu bewegen. Darüber hinaus kann es meines Erachtens nicht sinnvoll sein, wenn sich Bemühungen der Marktteilnehmer ausschließlich darauf richten, die Preisspirale mit Standardprodukten nach unten anzuheizen.
PZ: In diesem Zusammenhang muss auch das Stichwort E-Commerce erwähnt werden. Sehen Sie darin eine neue Konkurrenz für Ihr Haus und wie stellt sich Merck Produkte auf diese Herausforderung strategisch ein?
Thom: Das Stichwort E-Commerce, also die Aufnahme des direkten Verkaufskontakt mit dem Endverbraucher, ist und kann für unser Selbstmedikationsgeschäft nicht die Antwort sein. Wir werden die elektronischen Medien dahingehend nutzen, dass wir allen interessierten Kreisen die Möglichkeit geben, mehr über uns wie auch unsere Produkte zu erfahren. Zur Zeit sind wir schon recht gut mit einigen unserer großen Marken im Internet vertreten, und im Monatsabstand werden die vorhandenen Lücken gefüllt.
PZ: Herr Thom, Sie haben mehrmals die Notwendigkeit von Innovationen betont, wollen aber zugleich auch andere Felder besetzen. Ist der Kauf der Kytta-Produkte vor rund zwei Jahren ein Zeichen für diese Strategie?
Thom: Mit dem Erwerb von Kytta hat Merck sein erstes Engagement im Phytopharmaka-Markt belegt. Als Kytta Ende 1997 erworben wurde, war die Tendenz absehbar, dass verordnete apothekenpflichtige Phytopharmaka in die Selbstmedikation wandern würden. Die Geschwindigkeit, mit der dies in den letzten zwei Jahren passiert ist, hat sicherlich alle Marktteilnehmer überrascht. Wir stellen uns dieser Herausforderung und positionieren unsere Kytta-Marken verstärkt im Bereich der Apotheke. Näheres hierzu kann Ihnen Frau Rücker, die Leiterin unseres Phytopharmaka-Bereiches, detaillierter erläutern.
PZ: Frau Rücker, die Strategie des Hauses Merck Produkte bedeutet doch auch für die Kyttaprodukte, eine auf Innovationen setzende Weiterentwicklung der Produktlinie. Wie sieht diese aus?
Rücker: Ein Schwerpunkt wird sicherlich sein, dass wir die Kernprodukte von Kytta, die Beinwell-Produkte, innovativer gestalten werden, zum Beispiel durch Untermauerung der Wirksamkeit mit Klinischen Studien. Das ist gerade geschehen mit einer Studie, an denen Sportler beteiligt waren. Es ist eine Studie mit Rheumatikern geplant. Wir werden in diesem Zusammenhang auch über innovative Darreichungsformen nachdenken und sicher nicht kurzlebigen Trends folgen, Produkte in den Markt zu bringen, weil andere dies vormachen. Es ist für mich keine Innovation, mit austauschbaren Präparaten in vielen Gebieten präsent zu sein. Innovationen sind für Kytta, neue Produkte in den Segmenten zu entwickeln, wo wir schon Kernkompetenz besitzen.
PZ: Ihre Beinwell-Produkte sind, wenn ich richtig unterrichtet bin, fiktiv zugelassene Arzneimittel, die noch keine Nachzulassung haben. Wie sehen Sie die Chance, das Nachzulassungsverfahren positiv abzuschließen?
Rücker: Sehr gut, weil unter anderem gerade die eben erwähnte Studie mit doppelblindem Vergleichstudiendesign die Wirksamkeit bezüglich Schmerzlinderung und Abschwellung eindruckvoll belegt hat.
PZ: Ist das ein Indikationsgebiet, auf das Kytta sich konzentrieren wird?
Rücker: Beinwell-Produkte sind - historisch gesehen - die Wurzel von Kytta und werden mit Sicherheit ein Schwerpunkt bleiben. Neben dem Rheuma-Trauma-Bereich ist ein anderer Indikationsbereich, Erkrankungen des ZNS, ein wichtiger Schwerpunkt - basierend auf Kytta-Sedativum, einem Hypericum- und einem Kava-Präparat. Die dritte Säule ist der Bereich Herz mit Weißdorn-Präparaten.
PZ: Bei dieser Palette drängt sich die Frage auf: Beschränken Sie sich mit Ihren Marketingaktivitäten nur auf die Selbstmedikation beziehungsweise die Apotheke? Ist da nicht auch der Arzt Ansprechpartner?
Rücker: Sicher sind Ärzte mit naturheilkundlicher Ausrichtung und Heilpraktiker für uns auch interessante Zielgruppen. Da ergänzen wir unsere Mutter Merck. Daneben werden wir unsere Kompetenz in Richtung Apotheke weiter stärken und den Apotheker bei der Vermarktung unserer Produkte unterstützen.
PZ: Weiterentwicklungen, klinische Studien kosten Geld. Wie hoch sind bei Kytta ungefähr die Forschungs- und Entwicklungskosten?
Rücker: Wir trennen die Etats nicht zwischen Kytta und Merck Produkte. Ingesamt werden bei Merck Produkte rund 8 Prozent vom Umsatz in die Forschung und Entwicklung investiert.
PZ: Sie sprachen davon, in Richtung Apotheke aktiv zu werden. Welche Konzepte bieten Sie den Apotheken für Ihre Produkte an?
Rücker: Der Apotheker ist in den letzten Jahren für uns immer wichtiger als Ansprechpartner geworden. Bei unseren Aktivitäten wollen wir den ganzheitlichen Ansatz unserer Produkte betonen. Ein qualitativ hochwertiges Arzneimittel ist ein wichtiges Element einer Therapie, die richtige Ernährung und Bewegung sowie die Berücksichtigung von Umfeldbedingungen sind gleichfalls bedeutsam. Gerade dabei kann der Apotheker beratend tätig werden. Wir bieten deshalb Veranstaltungen zur Pflanzenheilkunde an mit praktischem Bezug in unserem Heilpflanzengarten in Alpirsbach. Diese Veranstaltungen sind sehr gefragt. Dabei erreichen wir einen emotionalen Bezug zu unseren Produkten und können unsere Kunden "vor Ort" von der guten Kytta-Qualität überzeugen. Außerdem steht den Apotheken Informationsmaterial zur Verfügung. Über Internet kann man sich ausführlich unterrichten. Daneben haben wir Schulungsbroschüren für das Beinwellprodukt und unser Sedativum entwickelt, die über den Außendienst verteilt werden und auch für PTA gut verständlich sind. Dann haben wir Patientenbroschüren zu allen unseren Präparaten, die der Apotheker bei Bedarf an Kunden abgeben kann.
Thom: Lassen Sie mich das noch ergänzen. Gemeinsam muss es dem Apotheker und
Hersteller gelingen, mit Nutzen bringenden Innovationen den Verbraucher zu überzeugen,
die Fachberatung in der Apotheke anzunehmen. Das gilt nicht nur für den Vitaminmarkt,
sondern für den gesamten OTC-Bereich. Dabei sollte sich die Apotheke immer mehr auch als
Gesundheitshaus fühlen. Ein Anliegen, das die Industrie seit langem vorträgt. Wir wollen
dabei helfen, denn unser Focus ist auf die Apotheke gerichtet.
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