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Riesige Chancen für eine junge Branche

09.04.2001  00:00 Uhr

BIOTECHNOLOGIE

Riesige Chancen für eine junge Branche

von Brigitte M. Gensthaler, München

Die Biotech-Branche in Deutschland boomt seit etwa fünf Jahren. 1999 und 2000 wuchs der Umsatz der kleinen und mittleren Biotechnologieunternehmen um rund 30 Prozent, die Zahl der Beschäftigten sogar um 40 Prozent. Der Umsatz der Start-ups überschritt 1999 erstmals 1 Milliarde DM.

Diese optimistischen Zahlen nannte Dr. Dieter Wißler, Vorsitzender der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie, beim Forum Life Science 2001 Anfang April in Garching bei München. Der Anteil gentechnisch produzierter Medikamente wird weiter stark steigen. Derzeit entfielen etwa 6 Prozent des Umsatzes im Arzneimittelmarkt auf diese Präparate, bis 2015 soll der Anteil auf 15 Prozent und langfristig auf 20 bis 25 Prozent steigen. Diagnostika aus der Biotech-Pipeline decken derzeit mit einem Umsatz von über 800 Millionen DM etwa 30 Prozent des Marktes ab.

Auch Professor Dr. Dr. Ernst-Günter Afting, Geschäftsführer des GSF-Forschungszentrums für Umwelt und Gesundheit in Neuherberg, sieht "riesige Chancen für die junge Branche". Bis 2015 soll der Anteil der mit genomisch basiertem Forschungsansatz entwickelten Arzneistoffe von 6 auf 42 Prozent steigen. Proteomics, also die Erforschung aller Proteine in einer Zelle (Proteom), wird eines der wichtigsten Arbeitsgebiete werden.

Qualifizierte Mitarbeiter fehlen

Engpässe erwarten die Experten vor allem bei den Mitarbeitern und den nötigen Flächen. Derzeit arbeiten etwa 10.000 Menschen in den mittleren und kleinen Biotech-Unternehmen. Allein im Großraum München, in dem sich seit 1997 mehr als 110 Firmen angesiedelt haben, werden in den nächsten zwei Jahren etwa 1000 Wissenschaftler und 700 technische Kräfte benötigt, schätzt Professor Dr. Horst Domdey vom Vorstand der Bio M AG in Martinsried. Rund 60.000 Quadratmeter Büro- und Laborflächen müssen zusätzlich ausgewiesen werden.

Ein weiteres Problem sprach Dr. Peter Heinrich von der Medigene AG an. Bei der Medikamentenentwicklung liege die deutsche Biotech-Industrie etwa zehn Jahre hinter den USA. Fast alle jungen Firmen seien als so genannte Plattformtechnologie-Anbieter oder -Dienstleister tätig und damit typische Zulieferer für die Pharma- und Biotechnologieindustrie. Die meisten arbeiten im präklinischen Bereich. Nur sehr wenige fokussieren auf ein bestimmtes Produkt oder hätten Medikamente in der klinischen Prüfung, sagte der Biochemiker. Bislang habe noch keine mittlere oder kleine Firma ein Medikament aus eigener Entwicklung auf den Markt gebracht. Doch genau hier sieht Heinrich die Zukunft der Branche. Er erwartet in den nächsten Jahren eine deutliche Marktbereinigung.

Aminosäuren von E. coli

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat die Biotechnologie auch in der klassischen chemischen Industrie Einzug gehalten. Dr. Günter Wich, Leiter des Forschungsbereichs Biotechnologie der Wacker Chemie, München, bezeichnete sie gar als "Schlüsseltechnologie". Sein Unternehmen habe beispielsweise ein Verfahren zur Herstellung von Cyclodextrinen aus Maisstärke entwickelt. Die Aminosäure Cystein, bislang großtechnisch aus menschlichen Haaren extrahiert, wird bei Wacker jetzt von E. coli produziert.

Wich nannte weitere Beispiele: Organische Säuren, wie Zitronen- und Äpfelsäure, sowie Vitamine, wie B12, werden seit längerem fermentativ gewonnen. Hoffmann-La Roche habe kürzlich eine Anlage für Vitamin B2 in Betrieb genommen. Auch Vitamin C, Provitamin A und mehrere Aminosäuren sollen künftig von den Winzlingen im Fermenter synthetisiert werden.

Die Vorstufen für halbsynthetische Penicilline und Cephalosporine (Aminopenicillan- und Aminocephalosporansäure) werden heute nur noch enzymatisch gewonnen. Ebenso lassen sich enantiomerenreine Verbindungen und unnatürliche Aminosäuren biotechnologisch leichter herstellen als klassisch-chemisch.

Selbst vor den Grundchemikalien mit einem Bedarf von mehr als 100.000 Tonnen pro Jahr macht die neue Technologie nicht Halt. Die enzymatische Herstellung von Acrylamid soll wirtschaftlicher und umweltfreundlicher sein als das synthetische Verfahren. Beides ist für Wich entscheidend: Die Biotech-Methoden müssen die Umwelt- und die Unternehmensbilanz verbessern.Top

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