Alltagsdrogen oder Allheilmittel |
10.12.2001 00:00 Uhr |
Coffeinfreie Menschen sind selten. Zum Frühstück eine Tasse Kaffee, während der Arbeit am Vormittag ein, zwei weitere, zum Mittagessen ein Glas Cola und abends noch ein oder zwei Tassen Tee - das ist der "Drogenalltag" der meisten Zeitgenossen.
Eine Untersuchung zeigte, dass der Coffeinspiegel bis spät am Abend hoch bleibt, wenn am Nachmittag noch einmal "nachgelegt" wurde (2). Coffein verschwindet nämlich nur zu einem Prozent unverändert aus dem Körper, der Rest durch metabolischen Abbau, und der wird durch Coffein und Methylxanthine gehemmt, salopp gesagt: "Je mehr, desto langsamer." Aber eins nach dem anderen.
Coffein ist offensichtlich von zentraler und täglicher Bedeutung. Wie viel ist in einer normalen Tasse Kaffee oder Tee oder einem Glas Cola enthalten?
Der Gehalt schwankt sehr stark, wie oft analytisch festgestellt wurde. Bei Cola setzen die verschiedenen Hersteller unterschiedlich viel Coffein zu; bei Kaffee und Tee hängt der Gehalt unter anderem vom Anbaugebiet, der Auswahl des Pflanzenmaterials, der Verarbeitung und nicht zuletzt von der Zubereitung ab. Durchschnittlich finden sich etwa folgende Werte: Cola je nach Marke zwischen 9 und 18 mg Coffein pro 100 ml Getränk, bei Instantkaffee circa 44 mg pro 100 ml. Bereitet man seinen Kaffee mit der Kaffeemaschine zu, können bis zu 97 mg Coffein in 100 ml enthalten sein. Coffeinfreier Kaffee-Extrakt darf, bezogen auf die Trockensubstanz, höchstens 0,3 Massenprozent Coffein enthalten. Eine gängige Faustregel besagt, dass Tee etwa halb so viel Coffein wie Kaffee enthält. In erster Linie kommt es auf die Ziehzeit an. Schwarzer Tee enthält nach einer Minute etwa 20 mg/100 ml und nach fünf Minuten etwa 33 mg/100 ml. Grüner und schwarzer Tee unterscheiden sich kaum im Coffeingehalt. Eltern sollten sich bewusst sein, dass auch Kakao Coffein enthält. Dessen Konzentration im fertigen Getränk beträgt allerdings nur etwa 6 mg pro 100 ml (3, 4).
Das Ganze in anschaulichen Tassen- und Glasgrößen: Cola, üblicherweise aus 0,33-l-Gläsern getrunken, enthält pro Glas zwischen 30 und 60 mg Coffein. Eine durchschnittliche Tasse Kaffee von 0,15 l enthält bereits doppelt bis dreimal so viel, nämlich 66 bis 146 mg. Bei Tee kann man mit 30 bis 49 mg Coffein pro 0,15-l-Tasse rechnen. Mit Kakao können auf Grund der häufig etwas größeren Tassen (0,33 l) bis zu 20 mg Coffein zugeführt werden.
Bei dem in der Einleitung vorgestellten, durchschnittlichen Coffein-"User" beträgt die tägliche Aufnahme etwa 400 mg. Da Coffein auch in einigen Kombinationspräparaten, vor allem in Analgetika, Anorektika und Analeptika, enthalten ist, kann sich diese Dosis noch beträchtlich erhöhen.
Epidemiologische Untersuchungen ergaben Coffeinaufnahmen von 49 bis 1022 mg pro Tag. Diese immense Variationsbreite zeigt, dass generalisierende Aussagen über eine tägliche Coffeinzufuhr nicht möglich sind. Die Konzentration in selbst bereiteten Getränken hängt zu sehr von persönlichen Gewohnheiten und anderen Einflüssen wie Marke und Zubereitungsart ab (5, 6). Absolute Coffeinabstinenzler gibt es jedenfalls kaum.
Wie geht's weiter, nachdem das Alkaloid unseren Körper betreten hat?
Von Resorption bis Ausscheidung
Der erste psychodynamische Effekt wird natürlich durch den guten Geschmack der Getränke ausgelöst. Damit das gute Gefühl bleibt, muss Coffein resorbiert werden. Im Plasma wird die Spitzenkonzentration nach 30 bis 60 Minuten erreicht (1, 7). Etwa 99 Prozent des Coffeins werden innerhalb von 45 Minuten resorbiert (8). Dies erklärt das schnelle Einsetzen der belebenden Wirkung nach der morgendlichen Tasse Kaffee. Auf Grund seiner Lipophilie passiert Coffein nahezu ungehindert die Blut-Hirn- und die Placenta-Schranke. Ebenso ungehindert tritt es in die Muttermilch über. Es wird in alle Gewebe, ihrem Wassergehalt entsprechend, gleichmäßig verteilt (1).
Die Biotransformation läuft zunächst in der Leber am mikrosomalen Cytochrom P450 ab. Es wird oxidativ an N-3 demethyliert und anschließend hydrolysiert. Die entstehenden Abbauprodukte werden renal ausgeschieden. Bei der initialen Demethylierung entsteht zu etwa 80 Prozent Paraxanthin (1,7-Dimethyl-xanthin) und in geringerem Umfang Theobromin und Theophyllin (9, 10). Bei regelmäßigem Kaffeekonsum erreicht der Plasmaspiegel von Paraxanthin etwa zwei Drittel des Coffeinspiegels (2, 11). Paraxanthin zeigte in Studien sowohl hinsichtlich des sympathomimetischen Effektes als auch in Bezug auf die Blutparameter coffeinähnliche Wirkungen. Ein Gutteil der Coffeinwirkung wird also durch den viel weniger bekannten Metaboliten verursacht (12).
Etwa 0,5 bis 1,5 Prozent des Coffeins werden unverändert im Urin ausgeschieden (1). Aus diesem Grund - und wegen "direkt" weggeschütteter Kaffee- und Teereste - kommt in vom Menschen erzeugten Abwässern meist Coffein vor. Mindestens auf der Nordhalbkugel, wo Coffein-führende Pflanzen nicht wachsen, kann dieses nur aus menschlichen Quellen stammen. In der Umweltanalytik misst man zum Beispiel den Coffeingehalt von Grundwasser, um festzustellen, ob Verunreinigungen durch Abwässer vorliegen.
Die normale Halbwertszeit (HWZ) von Coffein beträgt etwa fünf Stunden, mit großen interindividuellen Schwankungen. Die Metabolisierung unterliegt verschiedenen Einflüssen. Rauchen regt die Aktivität von Cytochrom P450 an, so dass sich die HWZ bei Rauchern auf etwa 3,5 Stunden verkürzt (17). Leberschäden, zum Beispiel bei Alkoholabusus, verlängern die HWZ (18, 19).
Bei Schwangeren verlängert sich die HWZ auf etwa acht Stunden und sinkt innerhalb eines Monats nach der Entbindung wieder auf den Normwert (13). Feten und Neugeborene verstoffwechseln Coffein wesentlich langsamer als Erwachsene, da bei ihnen die Aktivität des Cytochrom P450 noch nicht voll ausgeprägt ist. Die HWZ beträgt etwa 100 Stunden (14). Auf Grund der verlängerten HWZ von Coffein bei Schwangeren, der ungehinderten Passage durch die Placenta-Schranke und der extrem langen HWZ im Fetus darf angenommen werden, dass die Effekte auf das ungeborene Kind weitaus größer sind als auf die Kaffee trinkende Mutter. Veränderungen in der fetalen Herzrate sind zum Beispiel bereits messbar, wenn bei der Mutter noch keine Effekte auftreten (15). Daher sollten Schwangere, einer Empfehlung der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) zufolge, die Coffeinaufnahme möglichst ganz vermeiden oder nur geringe Mengen zu sich nehmen (16).
Coffein im Körper
Zunächst ist natürlich die zentral erregende Wirkung zu nennen, der wichtigste Grund für die Beliebtheit coffeinhaltiger Heiß- und Kaltgetränke. Sie macht sich subjektiv durch erhöhte Wachheit und gesteigerte psychomotorische Leistungsfähigkeit bemerkbar. Die übliche Dosis von einer bis zwei Tassen Kaffee (85 bis 250 mg) zeigt bereits diese Effekte, die - bei abendlicher oder postprandialer, also prä-mittagsschläflicher Verabreichung - die Schlafphasen verändern und die Gesamtschlafdauer verkürzen. Subjektiv scheint sich die Schlafqualität zu verschlechtern (20). Auch die Stimmungslage kann durch Coffein modifiziert werden. In Untersuchungen fühlte sich ein Teil der Probanden angenehm angeregt und gelöst, andere fühlten sich eher zusätzlich gestresst (21, 22).
Alle diese Effekte werden mit dem kompetitiven Antagonismus von Coffein an Adenosinrezeptoren in Verbindung gebracht (23). Adenosin hemmt die Ausschüttung vieler zentraler und peripherer Neurotransmitter. Coffein ist ein Struktur-Mimetikum des Nukleosids, "passt" dadurch in Adenosin-Bindetaschen, antagonisiert dessen Wirkung und trägt somit zur verstärkten Ausschüttung von Neurotransmittern bei (24).
Coffein wirkt jedoch nicht nur auf das zentrale Nervensystem, sondern beeinflusst auch das Herz-Kreislauf-System. Als kardiale Effekte sind vor allem positive Inotropie, Dromotropie und Bathmotropie sowie Tachykardie beschrieben. Bei hohen Konzentrationen oder empfindlichen Individuen kann es zu Arrhythmien kommen (25). Die häufig befürchtete Blutdruckerhöhung tritt nur bei sonst coffeinabstinenten Personen ein. Bei einer Dosis von 250 mg Coffein steigt der systolische Blutdruck um 10 bis 14 mm Hg und der diastolische Blutdruck um 7 bis 10 mm Hg (12, 26). Durch chronische Zufuhr entwickelt sich sehr schnell eine Toleranz bezüglich der Blutdruckwirkung (27). Auf das Gefäßsystem wirkt Coffein gegensätzlich: In zerebralen Gefäßen nimmt der Widerstand zu (28), in peripheren hingegen ab (29).
Lange erklärte man derartige Wirkungen der Methylxanthine mit der Hemmung der Phosphodiesterase (PDE) (28). Neuere Untersuchungen zeigen jedoch, dass Coffein und Theophyllin wenig potente PDE-Hemmer sind (Tabelle). Dass sie mindestens am Subtyp V der PDEs wenig ausrichten, konnte Mann schon aus dem Ausbleiben einer Sildenafil-typischen Wirkung erraten. Vermutlich sind alle Wirkungen auf das Adenosin-Mimikry und den Adenosin-Antagonismus zurückzuführen (30).
Tabelle: IC50 von Coffein und Theophyllin gegen PDE-Isoenzyme und Adenosin-Rezeptoren (30)
IC50 Coffein Theophyllin an PDE-Isoenzymen I bis V (µM) 100-700 150-650 an A1- und A2-Rezeptoren (µM) 40-50 13-14
Die diuretische Wirkung von Coffein bringt so manche(n) Kaffeetrinker(in) zu Unzeiten auf Trab. Molekularer Grund: Die vasokonstriktorische Wirkung des Adenosins wird gemindert. Dadurch nimmt die Durchblutung zu, die glomeruläre Filtrationsrate und damit die Ausscheidung von Wasser und Elektrolyten steigen an.
Coffein relaxiert neben der glatten Muskulatur der Gefäße in besonderem Maß auch die Muskulatur der Bronchien (31). Diese Wirkung wird bei Theophyllin, dem 1,3-Dimethyl-xanthin, therapeutisch genutzt. Auch dieser Effekt wird auf den Adenosin-Antagonismus zurückgeführt (32). Coffein kann außerdem die Magensäure- und Pepsinsekretion ankurbeln (33), die Konzentration von freien Fettsäuren erhöhen (34) sowie die Aktivität von Renin, Adrenalin und Noradrenalin im Plasma (35) steigern.
Wegen der hohen und chronischen Coffeinaufnahme durch Kaffee und ähnliche Getränke wurde immer wieder eine mögliche mutagene oder teratogene Wirkung diskutiert. In sehr hoher Dosis, die weit über der letalen Dosis des Menschen liegt, konnten zwar in Zellkulturen mutagene Effekte beobachtet werden, bei normalem Kaffeekonsum sind diese jedoch nicht zu erwarten (36). Eine direkte teratogene Wirkung ist ebenfalls nicht zu erwarten. Da Coffein jedoch die teratogene Wirkung von Alkohol, Tabak, Propranolol und Ergotamin potenziert, sollte eine schwangere Frau auch aus diesem Grund auf Kaffee oder Tee möglichst verzichten (37).
Unerwünschte Wirkungen von Coffein treten relativ selten bei normaler Zufuhr (3 bis 4 mg/kg Körpergewicht; entsprechend zwei bis drei Tassen Kaffee) ein. Bei höheren Dosen (> 15 mg/kg) werden unerwünschte zentrale Wirkungen beobachtet: Übelkeit, Erbrechen, Ruhelosigkeit, motorische Unruhe, Reflexübererregbarkeit, Schlafstörungen, Kopfschmerzen und schnelle Atmung (38), seltener auch Angstzustände und Panikattacken (39), zerebrale Krampfanfälle und Koma (22). Peripher können neben Tachykardie, gesteigerter Diurese und Steigerung der Magensäure- und Pepsinproduktion vor allem gastrointestinale Beschwerden und seltener Herzrhythmusstörungen auftreten (38).
"Jetzt brauch ich erst mal einen Kaffee"
Man gewöhnt sich bekanntlich an vieles. Leider auch an Coffein. Toleranz und Abhängigkeit entwickeln sich bei hohen Dosen schon innerhalb von sechs bis 15 Tagen. Das Abhängigkeitspotenzial ist geringer als bei Amphetaminen und vergleichbaren psychomotorischen Stimulantien (40). Als Entzugserscheinungen treten Kopfschmerzen, Müdigkeit, reduzierte psychomotorische Leistungsfähigkeit, Schlaflosigkeit, Lethargie, Angst, Übelkeit und Erbrechen auf (41). Mit solchen Symptomen ist etwa 12 bis 24 Stunden nach der letzten Zufuhr zu rechnen, der Höhepunkt wird nach weiteren 20 bis 24 Stunden erreicht. Etwa nach einer Woche ist der Entzug beendet (42, 43). Will man Entzugserscheinungen vermeiden, empfiehlt es sich, die tägliche Coffeindosis langsam zu reduzieren (oder nie). Eine halbe Tasse Kaffee weniger pro Tag scheint ein vernünftiges Maß zu sein.
Was der englische Arzt Thomas Sydenham (1624 bis 1689) für Opium gesagt haben soll, gilt offenbar auch für die coffeinhaltigen Drogen: "Den hervorragenden Heilcharakter erkennt man schon aus der Tatsache, dass, wer es nicht mehr nimmt, alsbald ernstlich erkrankt."
Vor dem Hintergrund von Nebenwirkungen und Abhängigkeitspotenzial wurde vor allem in den USA diskutiert, ob bei Erfrischungsgetränken Coffein für den Geschmack essenziell ist. Untersuchungen konnten zeigen, dass bei den üblichen Mengen kein Unterschied zur coffeinfreien Variante festzustellen ist. Der häufig gerade bei Jugendlichen beobachtete hohe Konsum von Cola und Co. ist wohl eher auf Coffein als Psychostimulans als auf dessen geschmackliche Qualitäten zurückzuführen (44). Reines Coffein schmeckt sehr bitter. Übrigens plant die EU, Coffein rechtlich als Aromastoff einzuordnen. Derzeit ist sein Rechtsstatus im Lebensmittelbereich eher unklar. Als Aromastoff würde es eventuell noch mehr Getränken zugesetzt als bisher schon. Vielleicht bald auch der Milch? "Flying CowTM" und "Red MareTM"- Milch macht müde Menschen morgens munter?
Die wichtigsten Interaktionen mit Medikamenten
Tee oder Cola werden häufig dazu benutzt, Medikamente "herunterzuspülen". Kann das Probleme hervorrufen? Ein bekanntes Beispiel ist die Kombination von Acetylsalicylsäure mit Coffein. Hier liegt eine positive Wechselwirkung vor. Durch Coffein wird die Absorption von ASS verbessert, während seine Elimination unbeeinflusst bleibt. Hieraus resultiert eine größere "area under the curve" (AUC), also Gesamtmenge ASS im Plasma über die Zeit (45).
Laut Aufbereitungsmonographie des BGA kommt es weiterhin zu folgenden Wechselwirkungen: Sympathomimetika und Schilddrüsenhormone werden in ihrer tachykarden Wirkung verstärkt; orale Kontrazeptiva, Cimetidin und Disulfiram vermindern den Coffein-Abbau; Barbiturate hingegen beschleunigen ihn; Gyrasehemmer verzögern die Elimination von Coffein; bei gleichzeitiger Gabe von zentralwirksamen Sympathomimetika besteht erhöhtes Abhängigkeitspotenzial. Coffein reduziert den Leberplasmafluss (46), wodurch sich die Halbwertszeit hepatisch eliminierter Medikamente verlängert und die Plasmakonzentrationen ansteigen. So wird die HWZ von Theophyllin zum Beispiel bei gleichzeitiger Gabe von Coffein um 44 Prozent verlängert, was wegen der relativ geringen therapeutischen Breite von Theophyllin wichtig ist (47). Unter Coffeineinfluss sinkt die Plasmakonzentration von Diazepam (48), was zum Teil die pharmakodynamische Wirkung aufheben kann (49).
Mit Phenothiazin und Butyrophenon wurde in vitro eine Präzipitatbildung mit Kaffee oder Schwarztee beobachtet; dies könnte die Serumkonzentrationen verringern (50). Komplexbildungen treten auch zwischen Antidepressiva (Trazodon, Lofepramin, Imipramin und andere) und Schwarztee auf. Dadurch kann es zu Wirkstoffverlusten von bis zu 80 Prozent kommen. Dabei soll die Fällung mit den im Tee enthaltenen Gerbstoffen erfolgen (51). Bei gleichzeitiger Einnahme von Coffein und Alkohol nimmt die HWZ von Coffein zu (52), und es kommt zur überadditiven Verstärkung der diuretischen Wirkung (53).
Fazit: Bei einigen Medikamenten ist eine gezielte Empfehlung oder Warnung seitens des Apothekers anzuraten.
Macht Tee auch gesund?
Neben Wasser ist Tee weltweit das am häufigsten genossene Getränk. In Asien, insbesondere in China und Japan, werden dem Tee nicht nur belebende, sondern auch in hohem Grade gesundheitsfördernde Eigenschaften zugesprochen. In den letzten Jahren ist das wissenschaftliche Interesse an Tee allgemein und besonders an grünem Tee enorm gestiegen. Dabei wurden ihm unter anderem antikarzinogene, antioxidative, antivirale und antimikrobielle Eigenschaften zugesprochen, für die in erster Linie die enthaltenen Catechine verantwortlich sein sollen. Grüner Tee als modernes Allheilmittel, als Panaceum? Die in Deutschland verfügbare Menge von grünem Tee stieg von 1998 auf 1999 um 153 Prozent (absolut von 1685 auf 4270 t), der von schwarzem Tee um 9 Prozent auf insgesamt 18 060 t (54).
Die Teeproduktion bringt drei Sorten hervor: grünen Tee (unfermentiert; circa 20 Prozent der Weltproduktion), schwarzen Tee (fermentiert; circa 77 Prozent) und Oolong-Tee (teilfermentiert; etwa 3 Prozent). Menge und Art der Inhaltsstoffe, vor allem der Catechine, variieren auf Grund der unterschiedlichen Herstellung sehr stark. Stammpflanze aller drei Sorten ist Camellia sinensis (L.) O. Kuntze, wobei zwei Varietäten unterschieden werden: sinensis und assamica. Die Varietät sinensis zeichnet sich durch kleinere Blätter und größere Widerstandsfähigkeit gegen Frost aus, während die Varietät assamica größere Blätter besitzt und kaum frostresistent ist.
Die Herstellung von grünem Tee zielt darauf ab, die Oxidation der im Blatt enthaltenen Polyphenole vollständig zu vermeiden. Die Blätter müssen deshalb schnell und ohne Verletzung gepflückt werden. Um die pflanzeneigenen Enzyme zu inaktivieren, wird das Blatt sofort hitzebehandelt. In Japan geschieht dies vor allem durch Wasserdampf, während man in China die Teeblätter in eisernen Pfannen erhitzt. Anschließend werden die Blätter gerollt und an der Sonne getrocknet.
Schwarzer Tee erhält sein Aroma erst durch die Oxidation der Polyphenole. Hier wird das Blatt zunächst angewelkt und anschließend zerrissen oder geschnitten und gleichzeitig gerollt. Die damit verbundene Zerstörung leitet den enzymatischen Prozess der Fermentation ein. Dabei findet keine eigentliche (mikrobielle) Fermentation statt, sondern eine enzymatische Oxidation, katalysiert durch das in den Blättern enthaltene Enzym Polyphenoloxidase. Meist wird zwischen 45 Minuten und drei Stunden bei etwa 30 °C und 100 Prozent Luftfeuchte fermentiert. Die Oxidation wird durch Erhitzen auf 80 bis 100 °C abgebrochen (55).
Bei der Herstellung von Oolong-Tee werden die Blätter nur für sehr kurze Zeit fermentiert. Oolong-Tees sind deshalb nur teilfermentiert und stellen eine Zwischenstufe zwischen grünem und schwarzem Tee dar.
Tee ist das fluoridreichste pflanzliche Nahrungsmittel (56). Deshalb kann er einerseits zur Karies-, Osteoporose- und Arterioskleroseprophylaxe verwendet werden. Andererseits könnte sehr hoher Teekonsum bei gleichzeitiger Gabe von Kariesprophylaktika zu Ernährungsstörungen oder Fluorose führen, was jedoch bisher noch nie beschrieben wurde (57, 58).
Inhaltsstoff von Tee mit fünf Buchstaben
Alle Teesorten enthalten zwei bis drei Prozent Coffein. Die Bezeichnung "Thein" für das Coffein geht auf Oudry zurück, der 1827 erstmals eine "organische Salzbase" aus Teeblättern isolierte, die er jedoch chemisch nicht näher beschrieb. Schon 1838 konnten Mulder und Jobst gleichzeitig nachweisen, dass die Molekülstruktur des Theins mit der des Coffeins identisch ist (59). Das Wissen um die Identität von Coffein und "Thein" scheint nicht bis zu den Kreuzworträtsel-Machern durchdringen zu wollen.
Neben dem rein namentlichen Unterschied wird häufig auch ein Unterschied in der Wirkung proklamiert. Das Coffein aus Kaffee soll nach weit verbreiteter Auffassung schneller aufgenommen werden als das aus Tee. "Tee regt an, aber nicht auf," wird gerne betont. Die These der verlangsamten Aufnahme des "Theins" gründet auf der Annahme, dass das Coffein im Tee zu großen Teilen an Gerbstoffe gebunden sei und erst im Darm freigesetzt werde. Außerdem würden die Schleimhäute durch die Gerbstoffe adstringiert, was die Aufnahme zusätzlich verlangsame (60). Die Absorption des Coffeins aus Cola soll, so wird häufig vermutet, sogar noch schneller erfolgen als aus Kaffee und Tee.
Untersuchungen zum Absorptionsverhalten des Coffeins aus verschiedenen Getränken sind relativ selten. Eine 1973 veröffentlichte Studie mit nur drei Versuchspersonen kam zu dem Ergebnis, dass Coffein aus Tee und Kaffee gleich schnell absorbiert wird, während die Aufnahme aus Cola verlangsamt war (61, 62). Letzteres könnte durch den hohen Zuckergehalt der Cola und der dadurch verlängerten Magenpassage erklärt werden. Die anregende Wirkung von Cola-Getränken beruht wohl auch zum großen Teil auf der hohen Zuckerzufuhr. Eine ausführlichere spätere Studie zeigte dagegen, dass die Absorption von Coffein aus Cola und Kaffee gleich schnell verläuft (63).
"Nach zwei bis drei Minuten Ziehzeit anregend, nach fünf Minuten beruhigend" - diese Aussage findet sich häufig auf Teepackungen. Die Begründung: Nach kurzer Ziehzeit soll die Konzentration an Coffein bereits nahezu maximal sein, nach längerer Zeit mache sich hingegen der beruhigende Effekt der Gerbstoffe bemerkbar. Diese Werbeaussage dürfte reine Erfindung sein, um das Getränk Tee interessant zu machen; sie wird durch keinerlei Daten oder Studien gestützt. Da die polymeren Catechine (Gerbstoffe) gar nicht resorbiert werden, können sie allenfalls eine lokale "beruhigende" Wirkung im Verdauungstrakt haben. "Beruhigend" kann sich also höchstens auf die Wirkung der Gerbstoffe auf den Magen-Darm-Trakt beziehen. Die verlangsamte oder verringerte Aufnahme von Coffein wäre lediglich nicht anregend, keineswegs jedoch beruhigend. Wegen der - im Vergleich zu Kaffee - geringen Coffein-Zufuhr liegt vermutlich ein durch die Erwartungshaltung gesteuerter Placebo-Effekt vor. Tatsächlich nimmt die Extraktmenge an Coffein kontinuierlich mit der Zeit zu, wobei kein größerer Unterschied zwischen der Extraktionsrate von Coffein und der der Gerbstoffe festzustellen ist (64).
Die heilsamen Catechine
Grüner Tee enthält neben Coffein vor allem Catechine. Allgemein sind Catechine kristalline farblose Verbindungen, die als hydrierte Flavone oder Anthocyanidine aufzufassen sind. Sie bilden die Grundsubstanz einer Reihe natürlicher Gerbstoffe, die durch oxidative Polymerisation aus ihnen entstehen und zu den nicht-hydrolysierbaren Gerbstoffen zählen. Bei grünem Tee können die Catechine bis zu 42 Prozent (M/M) der Extraktfeststoffe ausmachen. Einen besonders hohen Gehalt kann man an einer sehr hellen, gelblich-grünen Tassenfarbe erkennen, denn der braunrote Farbton von Tee wird von polymerisierten Catechinen hervorgerufen.
Bei schwarzem Tee entstehen während der Oxidation und den sich anschließenden Reaktionen aus einem großen Teil der Catechine höhermolekulare Stoffe wie Theaflavine, Theaflavinsäuren, Theaflagalline und vor allem Thearubigine. Theaflavine sind orange-rote Verbindungen, die entscheidend zu Farbe und Geschmack des schwarzen Tees beitragen und deren Gehalt positiv mit der Qualität des Tees korreliert. Den größten Teil der Oxidationsprodukte machen die Thearubigine aus. Dabei handelt es sich um ein chemisch schlecht charakterisierbares Gemisch orange- bis rotbrauner Verbindungen, deren Molekülmassen zwischen 700 und 40.000 liegen. Für den adstringierenden Geschmack sind vor allem die Theaflavine, in geringerem Umfang auch die Thearubigine verantwortlich (65).
Oolong-Tee liegt hinsichtlich dieser Inhaltsstoffe zwischen grünem und schwarzem Tee.
Vor allem grüner Tee hat sich in den letzten Jahren als "functional beverage" etabliert, basierend auf Forschungsarbeiten zu den Catechinen. Die wichtigsten Einzelverbindungen sind: (-)-Epicatechin (EC), (-)-Epicatechingallat (ECG), (-)-Epigallocatechin (EGC) und (-)-Epigallocatechingallat (EGCG). Sie machen beim Grüntee etwa 17 bis 30 Prozent des Trockengewichts aus, bei schwarzem Tee nur etwa 10 Prozent. Gelegentlich wird behauptet, schwarzer (fermentierter) Tee habe dieselben gesundheitsförderlichen Wirkungen dank antioxidativer Inhaltsstoffe wie grüner (unfermentierter) Tee. Dies stimmt nur sehr bedingt. In vitro sind die antioxidativen Eigenschaften der polymeren Polyphenole des Schwarztees sicher gegeben (66); da diese Stoffe jedoch nicht resorbiert werden dürften, kommt ihnen in vivo sicher keine Wirkung zu außer einer äußerlich-lokalen, wie beispielsweise der antiviralen und antibakteriellen, die man sich bei Schleimhautentzündungen zu Nutze macht. Die eventuelle Resorption nach reduktivem Abbau im Darm zu monomeren Catechinen ist rein spekulativ und chemisch unwahrscheinlich; außerdem werden auch die Monomere schlecht intestinal resorbiert.
Antikarzinogene Effekte von Grüntee-Extrakten oder EGCG wurden bereits in einigen Studien belegt (65). Allerdings ist die Absorption der Catechine bei oraler Aufnahme sehr gering, so dass bei normalem Teegenuss vermutlich nur minimale Serumkonzentrationen erreicht werden. In der genannten Studie wurden 5 g Catechinextrakt pro kg Körpergewicht an Ratten verabreicht. Die maximale Plasmakonzentration wurde nach etwa zwei Stunden erreicht, wobei sich Konzentrationen von etwa 15 µg/ml für EC und ECG (5 und 13 Prozent der Extraktmasse) sowie etwa 110 µg/ml für EGCG (zu 50 Prozent im Extrakt enthalten) einstellten. Die bei normalem Teekonsum aufgenommenen Mengen an Catechinen sind äquivalent zu etwa 1 g des verwendeten Extrakts (67). Extrapoliert man die bei der Ratte erhaltenen Werte auf den Menschen, ergeben sich bei normalem Teekonsum etwa 350-fach geringere Plasmakonzentrationen für die Catechine. Nach neueren Untersuchungen scheinen allerdings bereits solch geringe Konzentrationen die Angioneogenese, also das Heranwachsen von Blutgefäßen an den Tumor, zu hemmen (68).
Für die Catechine werden chemopräventive Eigenschaften diskutiert: antioxidative Wirkung, die Hemmung von karzinogen-aktivierenden Enzymen und der Nitrosierung, das Abfangen reaktiver Zwischenstufen karzinogener Stoffe sowie die Beeinflussung der Signaltransduktion, der Zellkommunikation und der Proliferation. Ob daraus eine klinisch relevante Krebsprävention resultiert, ist nicht bewiesen.
Neben der antikarzinogenen besitzen die Catechine auch antivirale und antimikrobielle Wirkungen. EGCG verringerte in einer Untersuchung die Infektiosität von Influenza A- und B-Viren in Kaninchennierenzellen (69). Weiterhin hemmen ECG und EGCG (in vitro) offenbar die reverse Transkriptase des HI-Virus (70). Für diese Wirkung scheint jedoch die Veresterung mit Gallussäure Voraussetzung zu sein, denn EGC und EC zeigen keine hemmenden Eigenschaften. Schwarztee-Extrakt wirkt auf verschiedene Durchfallerreger bakterizid und inaktiviert das Choleratoxin (71). Die kariesprophylaktische Wirkung wird nicht nur durch das Fluorid, sondern auch durch Theaflavin und EGCG hervorgerufen. Diese Stoffe hemmen die Glucosyltransferase von Streptococcus mutans, die zum Aufbau der Glucane und damit zu vermehrter Plaque und zu Karies führt (72). Grüner Tee kann auch zur Senkung des Cholesterinspiegels beitragen, wie in einer Untersuchung an 1300 Männern in Japan deutlich wurde (73).
Eine weitere interessante Wirkung von ECG und EGCG ist die Resensibilisierung von Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus gegen b-Lactamantibiotika. In Versuchen sank die minimale Hemmkonzentration von Oxacillin und anderen b-Lactam-Antiinfektiva um das 250- bis 500-fache, wenn man diese mit ECG oder EGCG kombiniert verabreichte. Methicillin, ECG und EGCG allein zeigten hingegen nur geringe bis keine Wirkung (74). Tee, insbesondere grüner Tee mit seinem hohen Catechingehalt, kann also der Gesundheit ausgesprochen zuträglich sein.
Coffeinfrei? Wenn's sein muss...
Trinkt man Tee in größeren Mengen und vor allem am Abend, kann das Coffein zum Problem werden. Eine Alternative wäre die Einnahme der Catechine als Nahrungsergänzung ohne den "Umweg" über den Tee. Erst kürzlich wurde eine enantioselektive Synthese für EGCG veröffentlicht, das bisher nur durch Extraktion von Grüntee erhalten werden konnte (75). Um den Teegenuss auch zu später Stunde und in größeren Mengen attraktiv zu machen, könnte man andererseits auch coffeinfreien Tee herstellen. Für Kaffee konnten zufriedenstellende Techniken zur Entcoffeinierung entwickelt werden, sodass sogar ein hochkarätiges Testpanel aus den Chefs großer Röstereien kürzlich coffeinhaltige Kaffees nicht von coffeinfreien unterscheiden konnte. Bei Tee ist das Problem, dass man mit dem Coffein auch den Geschmack extrahiert. Kaffee extrahiert man nämlich vor dem geschmackgebenden Prozess der Röstung, Tee erst nach der Fermentierung.
Im vergangenen Jahr gelang es japanischen Forschern, das Coffein-Synthase-Gen in Teeblättern zu identifizieren (76). Damit eröffnet sich theoretisch die Möglichkeit, Camellia- und auch Coffea-Arten gentechnisch so zu manipulieren, dass die Pflanzen kein Coffein mehr produzieren können. Somit wäre "voller Geschmack ohne Coffein" selbst für Tee möglich. Sicherlich könnte man auch Coffein-arme Camellia-Varietäten züchten und zu Tee verarbeiten; bisher scheint dafür aber (noch) kein Markt zu existieren.
Ob genmanipulierter Tee noch dem Image eines gesundheitsfördernden Naturprodukts und damit den Wünschen des Verbrauchers entspräche, ist sehr fraglich. Andererseits hat die Tee-Industrie kein Interesse, das Image eines anregenden und erfrischenden Getränks in das eines Kräuter- und Gesundheitstees zu verwandeln. Die Kaffee-Industrie hat es vernünftigerweise noch nie versucht, ihrem braunen belebenden Nass ein gesundes Image zu verpassen - eher im Gegenteil: "Stark und schwarz". So werden die Catechine das Coffein nicht ausstechen können. Coffein und sein wenig bekannter Metabolit Paraxanthin werden die "in homini" verbreitetsten Wirkstoffe bleiben. Pro Jahr führen sich die Bundesbürger aus Kaffee und Tee etwa 11.000 Tonnen Coffein zu oder 140 g pro Person oder knapp 400 mg pro Person und Tag (77). Ein munteres Völkchen, solange man ihm seine Alltagsdroge lässt.
Literatur
Die Autoren
Oliver Germershaus studiert im 7. Semester Pharmazie in Marburg. Sein besonderes Interesse gilt der chemischen und biochemischen Analytik sowie der Pharmaziegeschichte. Nach dem Abschluss des Studiums möchte er sein Wissen auf einem dieser Gebiete durch eine Promotion vertiefen.
Peter Imming hat ebenfalls in Marburg Pharmazie und Chemie studiert (Approbation 1982, Diplom in Chemie 1985, Promotion bei Professor Dr. Gunter Seitz 1987). Nach einem Forschungsaufenthalt in der "Hochburg" der b-Lactam-Forschung an der Universität Oxford habilitierte er sich 1995 für pharmazeutische Chemie. Seine Forschungsinteressen umfassen b-Lactam-Antibiotika mit einem anderen als dem b-Lactam-Ring, Mimetika von Arachidonsäure mit großem Ring sowie eine neue entzündungshemmende Substanz aus Kamille und Schafgarbe. Er lehrt und forscht derzeit in Marburg. Von 1999 bis 2001 nahm er in Münster eine Lehrstuhlvertretung seines Faches wahr; von August bis Oktober 2001 war er Gastprofessor an der Yanbian University of Science and Technology, Yanji, China. Einen Alltag ohne (schwarzen) Tee kann er sich nur schlecht vorstellen; daher rührt sein Interesse für alle Aspekte der coffeinhaltigen Drogen und Getränke.
Für die Verfasser:
Privatdozent Dr. Peter Imming
Fachbereich Pharmazie der Philipps-Universität
Marbacher Weg 6
35032 Marburg
E-Mail: Imming@mailer.uni-marburg.de
© 2001 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de