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Bundesregierung verschreibt gravierende Nebenwirkungen

02.12.2002  00:00 Uhr

Beitragssatzsicherungsgesetz

Bundesregierung verschreibt gravierende Nebenwirkungen

von Eckard Bauer, Ralf Denda und Stephanie Kern, Berlin

Nicht nur die politische Landschaft zeichnet in diesen bewegten Tagen ein arg zerwühltes Bild. Auch innerhalb der deutschen Apothekerschaft schlagen die Wellen hoch. Das Beitragssatzsicherungsgesetz der rot-grünen Bundesregierung bringt Apotheken um große Teile ihres Verdienstes. Wie kam es zu diesem Gesetz und welche Folgen wird es haben?

Wenige Wochen nach der Bundestagswahl tauchten in der Presse die ersten Meldungen auf, die alte und neue Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt arbeite an einem so genannten Vorschaltgesetz zur Entlastung der GKV, das unter dem Arbeitstitel 2. Arzneimittelausgabenbegrenzungsgesetz firmiere. Inhalte waren damals allerdings nicht bekannt. Ihren Scheitelpunkt erreichte die Medien-Gerüchtewelle mit dem Beginn des Deutschen Apothekertages am 10. Oktober. Erste Hinweise auf ein Gesetzesvorhaben fanden sich dann im Koalitionsvertrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, der am 16. Oktober der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Fortan ging alles im Eiltempo: Das Gesetz wurde in Windeseile durch das Parlament getrieben, so dass erkennbar wurde, welche Priorität die Regierung bei ihrem Vorhaben gesetzt hatte: Opposition und Leistungserbringer sollte möglichst wenig Gelegenheit gegeben werden, auf das Gesetzesvorhaben zu reagieren.

So wurde aus dem anfänglichen Vorschaltgesetz das so genannte Beitragssatzsicherungsgesetz (BSSichG). Den Fraktionen im Deutschen Bundestag wurde es am 4. und 5. November vorgelegt und am 7. November in erster Lesung im Bundestag eingebracht. Es folgten am 8. November eine Sondersitzung des Bundestagsausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung und am 12. November eine als öffentliche Anhörung der betroffenen Verbände und Sachverständigen deklarierte weitere Sondersitzung dieses Ausschusses. Nach abschließender Ausschussberatung am 13. November wurde das Gesetz in zweiter und dritter Lesung am 15. November im Deutschen Bundestag diskutiert. Am selben Tag fand die namentliche Abstimmung statt. 78 rot-grüne Abgeordnete sahen sich veranlasst, schriftliche Stellungnahmen zu den Beschlüssen abzugeben. Trotzdem wurde dem Gesetzentwurf dank Fraktionsregie mit 302 Ja-Stimmen, also punktgenau mit der erforderlichen Mehrheit, zugestimmt.

Der bittere Beigeschmack aber bleibt. Das Beitragssatzsicherungsgesetz wurde im Eiltempo durch die parlamentarischen Gremien gepeitscht, so dass der Eindruck entstehen musste, der Parlamentarismus an sich und der Dialog mit den Beteiligten werde eher als hinderlich und als Last empfunden. Seitdem geht der Kampf verstärkt auf juristischer Ebene weiter. Das Gesetzesvorhaben wurde am 29. November im Deutschen Bundesrat über das Verfahren der Fristverkürzung kurzfristig auf die Tagesordnung gesetzt. Der Bundesrat hat in dieser Sitzung mit den Stimmen der unionsgeführten Länder den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat angerufen. Die weitere Entwicklung ist noch nicht abzusehen.

Obwohl die Leistungserbringer im Gesundheitswesen durch den Zeitplan der Bundesregierung überrumpelt werden sollten, gelang es kurzfristig, am 12. November eine Großdemonstration des „Bündnis für Gesundheit“ mit über 15.000 Teilnehmern vor dem Brandenburger Tor in Berlin zu organisieren. An dieser Veranstaltung waren die deutschen Apothekerinnen und Apotheker maßgeblich beteiligt. Die Demonstration wurde bundesweit von der Aktion „Licht aus in Apotheken“ begleitet, bei der um 11.55 Uhr ein symbolisches Warnzeichen gesetzt wurde und als Zeichen des Protestes das Licht in den Apotheken ausging.

Gesetzesbegründung

Bevor das BSSichG genauer betrachtet wird, zuerst noch ein kurzer Blick auf die Gesetzesbegründung: Warum erscheint es den verantwortlichen Politikern so dringend, das Gesetz mit all seinen komplizierten Einzelvorschriften und seinen schwer überschaubaren Folgen in der geschilderten Eile zu verabschieden?

Im Gesetzentwurf wird bemängelt, dass in der Gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 2001 und im ersten Halbjahr 2002 die Ausgaben wesentlich stärker als die Einnahmen gestiegen sind. Dies ist sicherlich richtig. Doch in der Begründung des Gesetzes wird, wenn auch zurückhaltend, darauf hingewiesen, dass eine wesentliche Ursache für die Finanzprobleme der GKV die Erosion ihrer Finanzbasis infolge der deutlichen konjunkturellen Abschwächung ist. Hinzu kommen die Auswirkungen von Manövern auf so genannten Verschiebebahnhöfen in der Sozialversicherung, die die GKV derzeit mit etwa 3 Milliarden Euro pro Jahr belasten. Die GKV hat zurzeit kein Ausgaben-, sondern vor allem ein Einnahmenproblem. Insbesondere gibt es nahezu keine Belastung durch steigende Distributionskosten für Arzneimittel!

Die von SPD und Grünen vorgeschlagene Lösung der Finanzprobleme der GKV besteht aus einem breiten Maßnahmenpaket: Dieses dient einerseits der Verbreiterung der Finanzbasis der GKV, andererseits der Erzielung von Einsparungen durch Kürzungen bei der Vergütung der Leistungserbringer. Die Leistungen der GKV gegenüber dem Versicherten werden unmittelbar nur minimal eingeschränkt: durch eine Halbierung des Sterbegeldes. Dies erschwert eine medienwirksame Darstellung und die Sensibilisierung der Versicherten für die Folgen des Gesetzes.

Ziel des BSSichG ist es, die GKV im Jahr 2003 um rund 3 Milliarden Euro zu entlasten. Hiervon sollen etwa 200 bis 300 Millionen Euro dadurch erzielt werden, dass es gut verdienenden Arbeitnehmern erschwert wird, von der GKV in eine private Krankenversicherung zu wechseln. Selbst Personen mit hohem Einkommen können sich in Zukunft ihren Beitragszahlungen in die GKV kaum entziehen. Dieser Entzug junger Neuzugänge führt zu einer Vergreisung des PKV-Versicherungsbestandes und damit dort zu Beitragsproblemen.

Durch eine gesetzlich angeordnete Nullrunde für Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäuser sowie eine Absenkung der Preise für zahntechnische Leistungen um 5 Prozent sollen zusammen rund 860 Millionen Euro eingespart werden. Infolge aktueller Entwicklungen ist dieses Einsparziel allerdings in zweifacher Hinsicht kaum mehr realistisch: Einerseits gilt für Krankenhäuser inzwischen eine großzügige Ausnahmeregelung. Krankenhäuser, die im Jahr 2003 auf das „pauschalierte Entgeltsystem“ (DRG) umsteigen, werden von der Verpflichtung zu einer Nullrunde befreit. Nach Bekanntwerden dieser Ausnahmereglung ist die Zahl der teilnehmenden Krankenhäuser auf ein Vielfaches angestiegen. Andererseits ist der Entlastung der GKV durch eine geringere Vergütung zahntechnischer Leistungen gegen zu rechnen, dass ab 2003 genau diese Leistungen neu mit dem vollen Mehrwertsteuersatz belastet werden, und dementsprechend im Preis für die GKV steigen. Ferner soll die GKV durch Einsparungen bei den Verwaltungskosten 300 Millionen Euro freisetzen.

Rechnet man die Halbierung des Sterbegeldes hinzu, so entfallen auf die gerade genannten Bereiche insgesamt Einsparungen beziehungsweise Mehreinnahmen von rund 1,6 Milliarden Euro. Die restlichen 1,4 Milliarden Euro des geplanten Entlastungsvolumens sollen im pharmazeutischen Bereich erbracht werden. Hier ist vorgesehen – zu den Einzelheiten später mehr –, durch Einführung eines gestaffelten Apothekenrabattes 350 Millionen Euro, durch Einführung eines Rabattes der pharmazeutischen Unternehmen 420 Millionen Euro und Einführung eines Rabattes des pharmazeutischen Großhandels weitere 600 Millionen Euro einzusparen.

Obwohl die Arzneimittelversorgung im Jahre 2001 einen Anteil von nur 15,5 Prozent an den Gesamtausgaben der GKV hatte, ist geplant, in diesem Bereich mehr als die Hälfte der gesamten geplanten Einsparungen zu realisieren. Und innerhalb der Arzneimittelversorgung sollen die Vertriebspartner Großhandel und öffentliche Apotheke über 70 Prozent des Einsparbeitrags erbringen, obwohl sie zusammen nur etwa 27 Prozent Kostenanteil haben. Ferner ist durch die – auf 2002 und 2003 befristete – Erhöhung des Apotheken-GKV-Zwangsrabattes von 5 auf 6 Prozent der Anteil der Apotheken an den GKV-Arzneimittelausgaben von 19,4 Prozent im Jahre 2001 auf 18,5 Prozent im ersten Halbjahr 2002 gesunken. An dem Wachstum der GKV-Arzneimittelausgaben in diesem Jahr waren die Apotheken mithin fast nicht beteiligt.

Geht man davon aus, dass die Apotheken über verschlechterte Lieferbedingungen des pharmazeutischen Großhandels Teile von dessen Belastung mittragen müssen, so bedeutet dies: Öffentliche Apotheken mit einem Anteil an den gesamten GKV-Ausgaben von nur etwa 3,3 Prozent sollen den Großteil des im BSSichG vorgesehenen Einsparvolumens aufbringen. Und während bei den anderen Leistungserbringern der Einsparbeitrag darin besteht, dass sie auf sonst fällige Erhöhungen infolge einer Nullrunde verzichten müssen, wird das Einkommen von Großhandel und Apotheken sehr deutlich verringert. In Anbetracht dieser Fakten kann von einer ausgewogenen Lastenverteilung nicht gesprochen werden.

Herstellerebene

Die Pharmahersteller haben eine für sie geplante Rabattverpflichtung erst zu Beginn dieses Jahres durch eine Einmalzahlung in Höhe von seinerzeit 400 Millionen DM abwenden können. Im Zuge dieser Einmalzahlung wurde mit der Bundesregierung vereinbart, den Herstellern keine weiteren Abschläge bis zum Jahresende 2003 aufzuerlegen. Das Abkommen wurde allerdings von der Politik mit dem BSSichG „ad acta“ gelegt.

Nach BSSichG erhalten die Krankenkassen von Apotheken für zu ihren Lasten abgegebene Arzneimittel, die weder der Festbetragsregelung noch der Aut-idem-Regelung unterliegen, einen Rabatt in Höhe von 6 Prozent des Herstellerabgabepreises. Die Hersteller sind verpflichtet, den Apotheken diesen Abschlag zu erstatten. Weitere Rabatte zwischen den Krankenkassen und Herstellern können zusätzlich vereinbart werden, sind dann jedoch direkt vom pharmazeutischen Unternehmen an die Krankenkasse zu entrichten.

Schon in den ersten Gesetzentwürfen war für die Rabattregelungen der Herstellerseite ein neuer § 130 a im SGB V vorgesehen, wobei es auch geblieben ist. Ursprünglich war geplant, den Rabatt bis Ende 2004 zu befristen. Inzwischen gilt die Rabattregelung zeitlich unbegrenzt. Bis Ende 2004 werden Hersteller-Preiserhöhungen bei Arzneimitteln voll von der GKV abgeschöpft. Ab 2005 trifft dies nicht mehr zu. Was dann auf Dauer bleibt, ist die komplizierte Abwicklung des Inkasso.

Das Gesetz erlaubt im Prinzip hierfür drei Möglichkeiten. Erstens: Die von den Apotheken beauftragten Apothekenrechenzentren führen das Inkasso direkt mit dem Hersteller durch. Zweitens: Die von den Apotheken beauftragten Rechenzentren führen das Inkasso des Hersteller-Rabattes mit dem jeweiligen Hauptgroßhändler durch, der wiederum dann den Rabatt mit dem Hersteller verrechnet. Drittens: Der Großhändler versieht die Arzneimittel mit einem maschinenlesbaren Kennzeichen, das die Apotheke elektronisch erfasst, und anhand dessen dann mit den Herstellern abrechnet. Auf Grund des hohen technischen Aufwands des letzt genannten Verfahrens erscheinen nur die beiden ersten Möglichkeiten praktikabel. Bei Inanspruchnahme der Rechenzentren ändert sich der Arbeitsablauf in der Apotheke nicht.

Die Apotheken sollen für den Herstellerabschlag das Rabattinkasso kreditorisch übernehmen. Ein solcher kumulierender Liquiditätsentzug ist von den Apotheken nur schwer zu verkraften. Zwar wurde im Gesetzgebungsverfahren versucht, auf die genannten Probleme einzugehen. Doch sind die enthaltenen Regelungen hierdurch nicht einfacher, sondern extrem komplex geworden und chaotisieren die Arzneimittelabrechnung. Da die Apotheke verpflichtet wird, ihre Bezugsquellen detailliert offen zulegen, müssten dem Datenschutz unterliegende Geschäftsinterna zwangsweise dem Hersteller und/oder dem Großhandel offenbart werden. Es gibt hier jedoch eine recht simple Lösung: Das Inkasso des Herstellerrabattes wird dort übernommen, wo der Abschlag zufließt, also von der GKV und nicht von den Apotheken.

Großhandelsebene

Vorweg: Bislang existieren keine gesetzlich vorgeschriebenen Abschläge des pharmazeutischen Großhandels an die GKV oder an andere Marktpartner im Gesundheitswesen. Der Wertschöpfungsanteil des pharmazeutischen Großhandels in dem System der GKV-Ausgaben für Arzneimittel lag im Jahr 2001 bei 8,5 Prozent. Somit lag der gesamte Vertriebsanteil, also inklusive des Wertschöpfungsanteils der Apotheken, bei nur 27,9 Prozent. In 2002 ist dieser Anteil auf 27,0 Prozent gesunken.

In den zuerst bekannt gewordenen Maßnahmen war technisch vorgesehen, einen neuen § 130 b in das SGB V aufzunehmen. Nach diesem Paragrafen sollten die Krankenkassen einen Rabatt in Höhe von 2,8 Prozent für zu ihren Lasten abgegebene Arzneimittel auf den für den Versicherten maßgeblichen Arzneimittelpreis von den Apothekern erhalten. Weiterhin sollten dann die Apotheken für diese Arzneimittel vom pharmazeutischen Großhandel einen Rabatt von 2,8 Prozent auf den Arzneimittelabgabepreis bekommen.

Die im Bundestag am 15. November verabschiedete Gesetzesfassung hat seit dem Erstentwurf einige, auch für die Apotheken nicht unerhebliche Änderungen erfahren: So wird nunmehr nicht ein neuer Paragraf in das SGB V eingefügt. Vielmehr findet die Rabattregelung für den Großhandel in einem eigenen Gesetz statt. Demnach gewähren die pharmazeutischen Großhändler den Apotheken einen 3-prozentigen Rabatt, und die Krankenkassen erhalten von den Apotheken einen 3-prozentigen Rabatt nach derselben Regelung.

Interessant ist die veränderte Gewichtung durch die neue Anordnung im Paragrafen. Zunächst wird festgestellt, dass der Großhandel den Apotheken, dann die Apotheken der GKV einen Rabatt gewähren müssen. Weiterhin sind die Arzneimittel, auf die rabattiert werden muss, konkretisiert worden. So gilt die Regelung nunmehr für Fertigarzneimittel, die der Verschreibungspflicht unterliegen und gleichzeitig verordnungsfähig in der GKV sind. Wenn Apotheken diese Arzneimittel direkt von pharmazeutischen Unternehmen beziehen, so müssen auch die Unternehmen diesen Abschlag gewähren. Der Rabattsatz ist dabei von den ursprünglich angedachten 2,8 auf 3 Prozent erhöht worden.

Die Apotheken erhalten vom Großhandel diesen Rabatt für die genannten Arzneimittel unabhängig davon, ob die Medikamente später an gesetzlich oder privat Versicherte abgegeben werden. Die Apotheken führen den Abschlag jedoch nur für GKV-Arzneimittel ab. Das vereinfacht das Inkasso.

Die zunächst vorgesehene Regelung enthielt deutliche Probleme und warf grundsätzliche Fragen auf: So war die Basis für die Berechnung des Abschlages unklar . Allerdings hat das beharrliche Nachhaken der ABDA in diesem Punkt zu ersten Erfolgen geführt. Während nun weitgehend unstrittig ist, dass der für die Abschlagsberechnung heranzuziehende Arzneimittelpreis auf beiden Stufen identisch ist, ist weiterhin strittig, um welchen Preis es sich handelt: Großhandels- oder Apothekenabgabepreis. Weiterhin muss jedoch befürchtet werden, dass dieser Rabatt nicht nur einen Rückgang des Rohhandelsertrages beim Großhandel nach sich zieht, sondern ganz oder teilweise in Form verschlechterter Einkaufsbedingungen an die Apotheken weitergegeben wird.

Auch das Inkasso der Apotheken für die Großhandelsrabatte ist schwierig. Den Apotheken werden hier Verwaltungsprobleme Dritter als Frondienste auferlegt. Sie müssen nicht nur die heutige Arzneimittelabrechnung nach § 300 SGB V umstrukturieren, sondern zugleich völlig neue Rabattinkassosysteme etablieren.

Apothekenstufe

Die bisherige Regelung in § 130 SGB V sieht vor, dass Apotheken für zu Lasten der GKV abgegebene Arzneimittel einen Rabatt in Höhe von 5 Prozent des Abgabepreises einräumen müssen. Der Abschlagssatz ist Anfang diesen Jahres von 5 auf 6 Prozent bis Ende 2003 erhöht worden. Damals war die Rabatterhöhung als der Beitrag der Apotheken zur Stabilisierung der Arzneimittelausgaben der GKV für 2002 und 2003 dargestellt worden.

Diese Maßnahme, aber auch die daraus folgende Nicht-Beteiligung der Apotheken an dem GKV-Arzneimittelausgabenanstieg in diesem Jahr, hinderte die Regierungsfraktionen nicht daran, vor Ablauf der vereinbarten zweijährigen Ruhephase wieder in die Apothekenspannen einzugreifen. Eingeführt wurde nun ein preisabhängiger, das heißt gestaffelter Apotheken-GKV-Zwangsrabatt. Die genaue Ausgestaltung lässt sich folgender Tabelle entnehmen.

 

AVP brutto (von)(bis)Rabatt laut BSSichGmit GKV abzurechnender Arzneimittelabgabepreise

0 Euro 52,46 Euro

6 Prozent AVP brutto x 0,94 52,47 Euro 54,80 Euro 6 bis 10 Prozent 49,32 Euro 54,81 Euro 820,22 Euro

10 Prozent AVP brutto x 0,90

820,23 Euro  

6 bis 10 Prozent

AVP brutto - 82,02 - 0,06 x (AVP brutto - 820,22)

 

Wichtig ist, dass diese Rabattstaffelung den bisherigen Rabatt von 6 Prozent ersetzt. Sie tritt also nicht zu dem bisherigen Rabatt hinzu. In den beiden höheren Rabattstufen werden somit etwa 45 Prozent der Marge nach AMPreisV durch den Krankenkassenrabatt abgeschöpft. Am Beispiel einzelner Arzneimittelpreise lässt sich erkennen, wie sich der geplante Abschlag auswirken wird.

 

AVP brutto Zuschlag gemäß AMPreisV

Rohertrag 2002 (nach GKV-Abschlag von 6 Prozent)

Rohertrag 2003 (nach Abschlag gemäß BSSichG) 52,47 Euro

10,78 Euro 8,07 Euro 8,06 Euro

820,22 Euro 163,17 Euro 120,75 Euro 92,46 Euro

 

Durch die Gestaltung der Staffelung liegt der höchste Abschlagsanteil bei Arzneimitteln im Preissegment zwischen 54,81 Euro und 820,22 Euro, danach verringert er sich wieder. Bei Arzneimitteln mit einem Abgabepreis bis einschließlich 52,46 Euro bleibt der Abschlag gegenüber 2002 unverändert und damit der Rohertrag in diesem Bereich gleich. Durch die erhöhten Abschläge bei höherpreisigen Arzneimitteln entstehen allerdings 2003 für die Apotheken Abzüge genau in dem Segment, das seit Jahren an Bedeutung für die betriebswirtschaftliche Entwicklung der Apotheken gewinnt. Zum Vergleich: 1978 – also im Startjahr der AMPreisV– machten Arzneimittel mit einem Bruttoverkaufspreis von über 54,20 Euro nur rund 2 Prozent des Apothekenumsatzes aus, 2000 hingegen über 40 Prozent. Das macht deutlich, wie stark sich die Erhöhung des Kassenabschlags in diesem Bereich auf die Ertragslage der Apotheke auswirken wird.

Die vorgesehene Rabattregelung ist eindeutig unbefriedigend und verschlechtert die wirtschaftliche Situation der öffentlichen Apotheken deutlich. Doch im ursprünglichen Gesetzentwurf war eine aus Sicht der Apotheken noch drastischere Ausgestaltung vorgesehen: So sollte laut dem ersten Referentenentwurf im Bereich zwischen 32,22 und 54,21 Euro der Rabattsatz in mehreren Stufen von 6 Prozent über 8,5 und 9 auf 10 Prozent angehoben werden. Damit wäre dieser Bereich der Arzneimittelabgabe, der für Apotheken von der größten wirtschaftlichen Bedeutung ist, insbesondere die Chronikerversorgung, weit stärker belastet worden, als jetzt durchgesetzt. Gegenüber dem ursprünglichen Entwurf ist dies eine Minderbelastung der Apotheken in Höhe von fast 100 Millionen Euro.

Außerdem war im ersten Gesetzentwurf vorgesehen, dass zwischen einzelnen Apotheken und Krankenkassen beziehungsweise Spitzenverbänden der Krankenkassen (!) Einzelverträge abgeschlossen werden können. In diesen Einzelverträgen hätten die Apotheken den Krankenkassen zusätzliche Rabatte einräumen sollen – zum Beispiel in Abhängigkeit vom Umsatz der Apotheke. Ferner war vorgesehen, dass die jeweilige Krankenkasse es Apotheken, mit denen sie Einzelverträge über zusätzliche Rabatte geschlossen hat, erlauben (!) darf, auf die Eintreibung der Patientenzuzahlung zu verzichten. Anders gesagt: Als Gegenleistung für zusätzliche Sonderrabatte gegenüber der GKV hätte die Apotheke das Recht erhalten, die Zuzahlung der Patienten aus dem eigenen Einkommen zu tragen.

Es ist ein Erfolg, dass diese Regelung in der vorgesehenen Form nicht Eingang in den endgültigen Gesetzentwurf gefunden hat. Sie hätte zu einem ruinösen Wettbewerb der öffentlichen Apotheken geführt: Den Krankenkassen wäre die Möglichkeit gegeben worden, über die faktische Versteigerung der Möglichkeit, auf die Zuzahlung der Versicherten zu verzichten, die Patientenströme zu einigen ausgesuchten Apotheken zu lenken. Es hätte dann die von der ABDA strikt abgelehnte Tendenz einer Bildung von Hoflieferanten gegeben. Zuerst wären viele Apotheken durch das Wettbieten darum, ein solcher Hoflieferant zu werden, in den Ruin getrieben worden. Den verbleibenden Apotheken hätten die Krankenkassen dann in der nächsten Verhandlungsrunde noch höhere Rabatte abverlangen können. Die Struktur der Arzneimittelversorgung in Deutschland wäre dabei unwiderruflich zerstört worden.

In dem Gesetzentwurf waren ursprünglich Rabattverhandlungen zwischen den Apotheken und den Spitzenverbänden der Krankenkassen zulässig – jedoch keine Vertretung der Apotheken durch den Deutschen Apothekerverband (DAV) beziehungsweise die Landesapothekerverbände. Die Krankenkassen hätten also ihre wirtschaftliche Übermacht voll ausspielen und die kleinen mittelständischen Apotheken erdrücken können. Ferner bedeutet eine solche Abrechnung der Arzneimittel ein kaum mehr zu lösendes Durcheinander: Die Apothekenrechenzentren müssten dann neben dem Grund-Zwangsrabatt, der noch dazu nach den Preisen der Arzneimittel gestaffelt ist, zusätzlich die individuellen Rabatte der einzelnen Apotheken berücksichtigen. Hinzu kämen noch eventuelle Regelungen über die Arzneimittelzuzahlung –und zwar individuell gegenüber jeder einzelnen Krankenkasse.

Die letztlich vom Gesetzgeber durchgesetzte Rabattregelung ist, verglichen mit dem ursprünglichen Horrorszenario, als deutlich geringeres Übel anzusehen – wenn sie auch ein großes Übel bleibt. Die Abrechnung stellt die Apothekenrechenzentren zwar – wegen der kurzen Frist, binnen derer das Gesetz wirksam wird – vor eine große Herausforderung bei der Rechnungslegung gegenüber der GKV. Verglichen mit der ursprünglichen Regelung ist sie jedoch handhabbar.

Auswirkungen

Das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMG) erwartet von den Maßnahmen im Arzneimittelsektor ein Einsparvolumen von insgesamt etwa 1,4 Milliarden Euro. ABDA und Phagro gehen jedoch alleine für die Vertriebsstufen von einer Belastung von 1,1 Milliarden Euro aus und liegen damit 150 Millionen Euro über den Schätzungen des BMG. NDCHealth schätzt das Abschlagsvolumen der pharmazeutischen Hersteller auf 550 Millionen Euro und nicht auf 420 Millionen Euro, wie von der Regierung angegeben. Es ist offensichtlich, dass angesichts derartiger Einschnitte im Pharmabereich die Maßnahmen des BSSichG volkswirtschaftlich nicht ohne Folgen bleiben werden. Zu den auf betrieblicher Ebene zu erwartenden unmittelbaren Auswirkungen kommen Ausfälle bei der Umsatz-, Einkommen-, Gewerbe- und Körperschaftssteuer.

Die Belastungen zwingen die Apotheken, nach Einsparmöglichkeiten bei ihren Betriebskosten zu suchen. Viele dieser Kosten kann die Apotheke kurzfristig nicht beeinflussen: Die Herstellerabgabepreise der Arzneimittel sind vorgegeben, Mietverträge in der Regel langfristig ausgelegt et cetera. Neben der Rückstellung geplanter Investitionen sind dann Einsparungen im Personalbereich, auch durch Verzicht auf etwaige Einstellungen, häufig unumgänglich. Hiervon werden insbesondere Frauen betroffen sein, denn rund 65 Prozent der Approbierten in öffentlichen Apotheken sind Frauen, und ihr Anteil unter den pharmazeutisch-technischen Assistent/innen und den pharmazeutisch-kaufmännischen Mitarbeitern liegt sogar bei über 90 Prozent.

Die Apotheken werden je nach Umsatzstruktur und Ertragslage in unterschiedlichem Ausmaß von den geplanten Regelungen des BSSichG betroffen sein. Die Staffelung des Apothekenabschlags führt zu Einkommensverlusten vor allem bei den Apotheken, die einen großen Teil ihres GKV-Umsatzes im höherpreisigen Segment machen und einen überdurchschnittlich hohen Umsatz im GKV-Bereich aufweisen. Demgegenüber können diejenigen Apotheken mit unterdurchschnittlichen Einbußen rechnen, die einen hohen Umsatz im Bereich der Selbstmedikation beziehungsweise sehr viele Privatversicherte unter ihren Kunden haben. Denn wie bisher bleibt der Nicht-GKV-Bereich von einer Absenkung der Apothekenspanne unberührt.

Rechnerisch ergibt sich durch die Erhöhung des Apothekenrabatts ein durchschnittlicher Abschlagssatz von etwas mehr als 8 Prozent des GKV-Umsatzes (ohne Mehrwertsteuer). Das entspricht gegenüber dem Abschlag in 2002 einer zusätzlichen Belastung in Höhe von 2 Prozent. Im Schnitt bedeutet das für eine Apotheke eine Minderung des Gewinns vor Steuern von etwa 19.000 Euro. Dieser Betrag könnte sich bei vollständiger Überwälzung des Großhandelsabschlags auf die Apotheken auf bis zu 50.000 Euro Gesamtbelastung erhöhen. Die meisten Apotheken haben jedoch einen geringeren Umsatz als die Durchschnittsapotheke und eine andere Umsatzstruktur und sind entsprechend weniger betroffen.

Sollte das Gesetz zu Jahresbeginn 2003 in der vorliegenden Form in Kraft treten, hätte das gravierende Auswirkungen auf die Apotheken. Im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens konnten zwar bisher mehrere Abmilderungen der ursprünglich geplanten Einschnitte erreicht werden. Die verbleibenden Maßnahmen belasten die Apotheken aber immer noch übermäßig.

Als kleines Trostpflaster mag da noch erscheinen, dass auch dem Versandhandel Wasser abgegraben wird, weil im für den Versandhandel finanziell und mengenmäßig interessanten Preissegment, das bisher Anreiz zur Rosinenpickerei bietet, durch die hohen Kassenabschläge geringere Margen übrig bleiben. Es wird für Versandapotheken deutlich schwerer, bei diesen Margen ihre hohen Logistikkosten zu amortisieren.

Insbesondere wegen der unverhältnismäßigen Belastung der Apotheken mehren sich jedoch mittlerweile die Stimmen auf politischer Ebene, die anzweifeln, ob das BSSichG der richtige Weg zur Erzielung des gewünschten Einsparvolumens ist. Es bleibt die Frage, ob nicht doch noch von den Apothekern eingebrachte, sinnvolle Alternativvorschläge greifen.

 

Die Autoren

Eckart Bauer studierte an der Universität Kiel Volkswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Außenwirtschaft, Statistik und Ökonometrie. Nach dem Diplom war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Finanzwissenschaft an der Universität der Bundeswehr Hamburg tätig. Dort wurde er mit einer Arbeit über umlagefinanzierte Rentenversicherungen promoviert. Seit April 2000 ist er im Geschäftsbereich Wirtschaft und Soziales der ABDA beschäftigt.

Ralf Denda, Diplom-Volkswirt ist 1966 in Berlin geboren. Auf seine wissenschaftliche Ausbildung in Bonn folgte eine mehrjährige Referententätigkeit beim Deutschen Bundestag. Seit Mai 2002 ist er bei der ABDA für den Bereich der Gesundheitsökonomie zuständig.

Stephanie Kern studierte Soziologie und war nach dem Diplom wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Soziologie an der Universität Trier. Seit Juli 2002 ist sie im Geschäftsbereich Wirtschaft und Soziales der ABDA beschäftigt.

 

Für die Verfasser:
ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände
Abteilung Wirtschaft und Soziales
Deutsches Apothekerhaus
Jägerstraße 49/50
10117 Berlin
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