Nanopartikel als Wirkstoffträger |
17.11.2003 00:00 Uhr |
Die kontrollierte Freisetzung von Arzneistoffen und ihr gerichteter Transport zum Wirkort spielen in der pharmazeutisch-technologischen Forschung eine bedeutende Rolle. Biogene Arzneistoffe wie Peptide, Proteine, Plasmide, DNA-Fragmente oder Immunmodulatoren können nur in speziellen Trägersystemen therapeutisch eingesetzt werden. Die Nanobiotechnologie eröffnet hier neue Perspektiven.
Gegenwärtig erscheinen Wirkstoffträger, die auf Mikro- oder Nanoemulsionen, Liposomen und anorganischen oder polymeren Nanosphären basieren, als sehr aussichtsreich. Diese Systeme müssen den Arzneistoff effektiv gegenüber metabolischen Einflüssen des Körpers abschirmen, zugleich aber eine kontrollierte, genau definierte Wirkstofffreisetzung im Organismus über einen möglichst definierten Zeitraum gewährleisten. Um diese Ziele zu erreichen, versucht man, die physikochemischen und biophysikalischen Eigenschaften der Trägermaterialien mit einfachen chemischen und physikalischen Methoden gezielt zu optimieren. Dabei spielen Größe, Oberflächenladung, Hydrophilie und Hydrophobie der Grenzfläche sowie die Morphologie der Oberfläche eine bedeutende Rolle.
Was haben diese Arzneistoffträger mit Nanobiotechnologie zu tun? Es handelt sich um die Interaktion von technologisch hergestellten Materialien in Nanometerdimensionen, das heißt in Größen zwischen 10 und 500 nm, mit biologischen Komponenten oder Systemen in einer komplexen natürlichen Umgebung.
Neue Drug-Delivery-Systeme im Nano-Maßstab bieten etliche Vorteile: Sie lassen sich als selektive, auf biomolekularer Erkennung aufbauende Arzneistoffträger gestalten. Die oberflächliche Modifizierung des Vehikels mit biologisch aktiven Funktionsmolekülen wie Antikörpern, Lektinen oder Peptiden verbessert beispielsweise die Adhäsion und Interaktion mit biologischen Barrieren wie der Blut-Hirn-Schranke oder der Darm- oder Lungenschleimhaut und ermöglicht schließlich deren Überwindung. Auf diese Weise kann man biotechnologische Arzneistoffe an Wirkorte schleusen, die bisher kaum erreichbar waren.
Zudem ermöglicht es die Nanobiotechnologie, angenehmere Anwendungsformen zu entwickeln. Wirkstoffe, die bislang nur parenteral verabreicht werden konnten, können möglicherweise schon bald geschluckt, inhaliert oder nasal appliziert werden. Nebenwirkungen sollen minimiert werden, indem das Arzneistoffmolekül vorwiegend und gezielt an seinem eigentlichen Wirkort ankommt und den Gesamtorganismus weniger belastet.
Neben den Transportsystemen beschäftigt sich die pharmazeutische Nanobiotechnologie auch mit dem “Tissue Enginering”. Hochaktuell sind die Bemühungen, Oberflächeneigenschaften von dauerhaften oder temporären Implantatmaterialien gezielt zu verändern.
In diesem Beitrag werden Fortschritte auf dem Gebiet der Nanobiotechnologie in der Pharmazie vorgestellt. Dabei wird klar, dass gebräuchliche Arzneiformen wie Tabletten nicht “ausgedient” haben oder abgelöst werden sollen, sondern dass die neuen Systeme wichtige Ergänzungen bieten. Ein Folgebeitrag behandelt den Einsatz der Nanobiotechnologie beim Tissue Engineering und stellt Methoden vor, wie nanometerkleine Strukturen sichtbar und messbar werden.
Die Bandbreite der in der Medizintechnik verwendeten Materialien reicht von Metallen und Keramiken bis zu Polymeren wie Silikonen oder Polytetrafluorethylenen. Mit physikalischen Methoden wie Plasma- oder Laserverfahren sowie chemischen und biochemischen Verfahren kann man deren Oberflächen verändern. Hiermit lassen sich physikalische Strukturen im Nanometerbereich, aber auch dünne, lateral strukturierte Lipid- oder Proteinfilme mit Schichtdicken kleiner 50 nm erzeugen. Diese bestimmen dann die biogenen Eigenschaften des Werkstoffs, ohne dessen mechanische Eigenschaften zu beeinflussen. So ist es möglich, durch kovalente Anbindung von Adhäsionsmolekülen auf kardiovaskulären Implantaten das Anwachsen körpereigener Zellen zu erleichtern, oder andererseits durch die Beschichtung von Kathetermaterialien mit speziellen Tetraetherlipiden das Anwachsen von Bakterien und dadurch bedingte Infektionen zu vermeiden.
Für die Untersuchung und Charakterisierung der nanobiotechnologischen Systeme sind moderne, physikalisch-chemische Analyseverfahren unerlässlich. Als Beispiele seien die Konfokale-Laserscanning-Mikroskopie, die Surface-Plasmon-Resonanz, die Elektronenmikroskopie und die Rasterkraftmikroskopie genannt. Gerade die Rasterkraftmikroskopie ermöglicht die Abbildung von Objekten und Strukturen mit Größen von wenigen Nanometern. Im Gegensatz zur Elektonenmikroskopie können die Proben in ihrer natürlichen Umgebung (physiologisches Milieu, insbesondere in Gegenwart von Wasser) untersucht werden. Zudem kann man mit dieser Technik molekulare Wechselwirkungen, das heißt Kräfte auf molekularem Niveau zwischen einzelnen Ligand-Rezeptor-Paaren im Bereich einiger Pikonewton (10-12 N) messen.
Zielgerichteter Transport möglich
Die kontrollierte Verabreichung von Arzneistoffen erfordert eine Vielzahl von Trägersystemen. Diese müssen für den jeweiligen Wirkstoff technologisch optimal formuliert werden, um ein maximales therapeutisches Ergebnis zu erzielen. Derzeit sind verschiedene Trägersysteme gebräuchlich. Die wichtigsten sind Emulsionen, Mikroemulsionen, Polymere, solide Mikropartikel, Antikörper-Wirkstoff-Konjugate, makromolekulare Wirkstoffkonjugate, liposomale oder polymere Nanosphären (Widder und Green, 1985; Marty und Oppenheim, 1977; Gregoriades et al., 1982). Die Wahl des geeigneten Trägersystems hängt stark vom Applikationsort ab.
Gerade für die perorale oder rektale Verabreichung werden nanopartikuläre Systeme neuerdings stärker beachtet. Sie bieten weiten Spielraum für die Modifizierung ihrer Eigenschaften bis hin zum Design neuartiger, selektiv am Wirkort bindender Arzneiformen (Gabor et al., 1998; Lehr, 2000).
Nanopartikel als Trägersysteme für Arzneistoffe sind seit den 70er-Jahren in den pharmazeutischen Wissenschaften etabliert (Marty et al.; 1978). Prinzipiell können sie aus vielen synthetischen und biologischen Makromolekülen hergestellt werden. Zu den synthetischen, pharmazeutisch relevanten Makromolekülen, die zur Herstellung sphärischer Nanopartikel geeignet sind, zählen Polyacrylate, Polyamide, Polystyrene, Cyanoacrylate, Polyester der Milchsäure und deren Co-Polymerisate mit Glycolsäure (PLA/GA) und Polyethylene (Illum et al., 1986; Heller et al., 1985; Kreuter et al., 1979; Laakso et al., 1986). Als natürliche Trägermaterialien eignen sich Fibronektin, Cellulose, verschiedene Polysaccharide oder Dextrane, Albumin und Kollagen (Duncan et al., 1987).
Mit etablierten, pharmazeutisch-technologischen Verfahren kann man die Partikelgröße zwischen 50 und 1000 nm gezielt variieren und dadurch den speziellen Erfordernissen anpassen. Eine definiert eingestellte Größe der Nanopartikel ist in einigen Fällen die Voraussetzung für einen selektiven Transport an den potenziellen Wirkort.
Lamprecht und Mitarbeiter (2000) zeigten, dass besonders kleine Partikel (unter 200 nm) selektiv in colitischem Darmgewebe aufgenommen, aber nicht in die gesunde Schleimhaut transportiert werden. Beladen mit einem entzündungshemmenden Wirkstoff bessern diese Nanopartikel die Krankheitssymptome bei Versuchstieren (Ratten) deutlich länger; zudem werden Nebenwirkungen um die Hälfte reduziert (Lamprecht et al., 2001).
Oberflächenmodifizierte Partikel
Die an der Oberfläche vorhandenen, funktionellen Gruppen bestimmen die Ladung des Partikels und seine Hydrophilie. Es können sowohl positiv geladene (wie bei Aminen) als auch negativ geladene Oberflächen (wie bei Carboxylgruppen) sowie nicht ionische Polymere verwendet werden. Die Stärke der Ladung hängt von der Anzahl der Gruppen sowie vom pH-Wert des Umgebungsmediums ab.
Besonders interessant sind geladene und erodierbare, das heißt sich im Körper auflösende Nanopartikel. Kumar und Mitarbeitern gelang es erstmals, Partikel aus einer Mischung von Polymilch-/Polyglykolsäure (PLGA) und Chitosan herzustellen, die kleiner als 200 nm sind. Die Benetzbarkeit polymerer Nanopartikel und deren Hydrophilie/Hydrophobie kann in Abhängigkeit vom Polymer stark variieren. So sind Polyethylen oder Polystyren stark hydrophob, während Poly (HEMA) und Cellophan hydrophile Eigenschaften besitzen.
Verändert man die Oberflächen der Nanopartikel, können deren Eigenschaften von biologisch inert bis hin zu bioaktiv variieren. Möglich sind Physisorption oder chemische Anbindung von Substanzen, die die physikalischen und biologischen Eigenschaften der Trägeroberfläche verändern. Zur chemischen Kopplung werden die leicht aktivierbaren Oberflächengruppen der Polymere verwendet (Law und Kayes, 1983). Bei Ankopplung biologisch aktiver Funktionsmoleküle wie Proteine, Antikörper, Peptide oder Kohlenhydrate können insbesondere die Erkennung (“targeting“) und die Aufnahme in bestimmte Zellen, zum Beispiel in Tumoren, Darm- oder Lungenschleimhaut, oder die Überwindung der Blut-Hirn-Schranke entscheidend verbessert werden (Gabius et al., 1987; Russell-Jones et al., 1999).
Besonders effiziente Bindungsmoleküle für ein zielgerichtetes Targeting stellen Lektine, eine spezielle Kohlenhydrat bindende Proteinfamilie dar. Das Weizenkeimagglutinin (WGA) und das wesentlich kleinere und dadurch potenziell weniger immunogene Hevein aus dem Milchsaft des Gummibaumes Hevea brasiliensis binden spezifisch an Lipide und Glycoproteine mit N-Acetyl-Glucosaminen und seinen Oligomeren sowie an N-Acetyl-Neuraminsäure als endständige Kohlenhydratstrukturen. Diese Zuckerstrukturen befinden sich in großer Zahl auf der Oberfläche von Zellen, die zum Beispiel bei chronischen Entzündungen oder Tumoren degenerieren. Neben dem WGA ist das Peanut Agglutinin (PNA) als spezifisch bindend für colitisches und malignes Epithel bekannt (Rhodes et al., 1988).
Durch unterschiedliche Lektine mit verschiedenen Bindungsstärken (zwischen 104 Mol-1 und 108 Mol-1) kann die Stärke der molekularen Wechselwirkung gesteuert und die Anbindungsstelle am potenziellen Wirkort selektiert werden.
Das Konzept der Bioinvasion wurde an dem Invasionsmechanismus des Bakteriums Yersinia pseudotuberculosis untersucht, dessen Oberflächenprotein Invasin für eine spezifische, rezeptorvermittelte Endocytose verantwortlich ist. Bei Zugabe von Invasin-funktionalisierten Nanopartikeln wurden diese in vitro signifikant besser in MDCK-Zellen aufgenommen, während Caco-2-Zellen offensichtlich keinen Rezeptor aufwiesen. Der Einfluss der Partikelgröße wie auch die Ligandendichte auf ihrer Oberfläche wurden als wichtige Faktoren der Internalisierung eingehend charakterisiert (Lehr, 2000; Haas et al., 2002).
Moderne Gen-Transfektionssysteme
Das therapeutische Potenzial des In-vivo-Gentransfers ist nach wie vor unbestritten. Dazu benötigt man jedoch deutlich bessere Genvektoren. Vornehmliches Ziel der Forschung ist es, genetisch bedingte Krankheiten dauerhaft zu heilen und nicht nur Symptome zu bekämpfen. Dabei werden zwei grundsätzliche Richtungen verfolgt.
Bei der Gentherapie im engeren Sinne („Genreparatur“) wird der Ersatz defekter Gene, aber auch das Hinzufügen nicht vorhandener Gene im lebenden Organismus angestrebt. Bei der Antisense-Therapie werden defekte Bereiche der natürlichen DNA (Desoxyribonucleinsäure) blockiert, um so die Produktion fremder oder defekter Proteine, die schädliche Auswirkungen auf den Organismus des Patienten haben, zu unterbinden.
Bei beiden Ansätzen ist es, unabhängig vom Applikationsort, notwendig, neue DNA oder DNA-Fragmente in das betroffene Gewebe und letztendlich in die Zelle und den Zellkern zu transportieren. Hierfür sind technologisch hoch entwickelte Transportsysteme erforderlich. In der Natur sind solche Transportverfahren sowie Additions- oder Austauschprozesse von Genen bei Viren bekannt. Deshalb wurden zur Herstellung erster genetischer Transfektionssysteme abgeschwächte Viren, deren Hülle oder Bestandteile aus Viren, vor allem Retroviren, Adenoviren und Adeno-assoziierte Viren verwendet (Tabin et al.,1982). Diese Vektoren bergen jedoch etliche Probleme: hohe Komplexität der Verfahren, geringe Verfügbarkeit in medizinisch relevanten Mengen, begrenzte Fremdgen-Kapazität, Sicherheitsbedenken, antigene Eigenschaften, relativ hohe Produktionskosten und nicht zuletzt patientenbedingte, immunologische Probleme.
Daher hat man alternativ hierzu die Entwicklung nicht viraler Transportsysteme vorangetrieben (Merdan et al., 2002; Lee et al., 1997; Kneuer et al., 2000; Wagner et al., 1990; Oberle et al., 2000). Untersucht werden physikalische Methoden wie der biolistische Gentransfer (Partikel-Bombardement) oder die direkte intramuskuläre Injektion genauso wie der Gentransfer mittels Elektro- und Sonoporation, liposomale Systeme (Lipoplexe), kationische Polymere (Polyplexe) und zunehmend auch nanopartikuläre Systeme (Nanoplexe).
Poly-, Lipo- und Nanoplexe
Alle Vehikelsysteme zum Transport von DNA in lebende Systeme besitzen eine gewisse Schutzfunktion. Die Trägermaterialien müssen die DNA effektiv gegen äußere Einflüsse abschirmen. Dazu zählt etwa die natürliche DNase-Aktivität im Serum, die die Sekundärstruktur der Erbsubstanz und damit ihre eigentliche Wirkung zerstört.
Zum Transport muss die DNA komprimiert oder auch kondensiert werden, da sie im “Normalzustand” zwischen 800 nm und 10 µm groß ist. Dies wird im Regelfall durch die Ladungswechselwirkung zwischen dem positiv geladenen Träger und der negativ geladenen DNA erreicht. Diese Wechselwirkung stabilisiert neben verschiedenen sterischen Faktoren auch die DNA-Vehikel-Komplexe. Der DNA-Komplex muss kleiner als 1000 nm sein, um durch die Zellmembran zu gelangen. Zudem dürfen die Komplexe nicht zu stabil sein, da sonst ein Transport in den Kern - hier haben die Kernporen einen Durchmesser von nur 50 nm - und das Übergehen der DNA in die aktive Form verhindert werden.
Polyplexe: Als erste synthetische Substanzen zur Verkapselung von DNA wurden kationische Polymere wie Poly-L-Lysin (PLL), Chitosan oder Polyethylenimine (PEI) hergestellt und in vesikulärer Form verwendet (Wagner et al., 1990). Auf Grund der Wechselwirkung zwischen den kationischen Polymeren und der negativ geladenen DNA wird diese in Form und Gestalt stark kondensiert. Durch Variation der Nettoladung am Polymer, der Länge des Polymers und dessen Verzweigungsgrad kann man die Bindungstärke zur DNA und die relative Größe der entstehenden Komplexe steuern.
Die überaus kompakten Polyplexe sind kleiner als 200 nm und zeichnen sich durch gute Transfektionsraten aus. Nachteilig sind die hohe Zelltoxizität und geringe Selektivität; nach der Applikation sterben auch gesunde Gewebe ab.
Lipoplexe: In Anlehnung an häufig verwendete Liposomentransportsysteme wurde eine Vielzahl positiv geladener Lipide synthetisiert. Als Beispiele seien n-[1(2,3-Dioleoyloxy)propyl]-N,N,N-Trimethylammonium Chlorid (DOTAP) oder die „Saints“ (ein lipidanaloges kationisches Dialkylpyridinium-Amphiphil) genannt (Zuhorn et al., 2002). Durch Mischung mit natürlichen Lipiden sind leicht herstellbare, in Form, Gestalt und Bindungsstärke stark variierende DNA-Lipid-Komplexe realisierbar (Felgner et al., 1991; Miller, 1998).
Die Größe der Lipoplexe variiert zwischen 50 und 800 nm. Im allgemeinen sind sie weniger stabil als Polyplexe, aber oft sehr effektiv bei der DNA-Übertragung. Gerade durch den Einsatz so genannter Helferlipide wie dem 1,2-Dioleoyl-sn-glycero-3-phosphoethanolamin (DOPE) werden überaus hohe Transfektionsraten erhalten. Die Toxizität der Verbindungen variiert sehr stark.
Nanoplexe: Als neueste Form zur Komplexierung von DNA werden derzeit Nanopartikel oder Nanosphären untersucht (Fattal et al., 1998; Kneuer et al., 2000). Wichtigste Vertreter sind Formulierungen von Solid Lipid Nanoparticles (SLN; Olbrich et al., 2001), Nanopartikel aus PLGA/Chitosan-Mischungen (Kumar et al., 2002), aber auch oberflächenmodifizierte Silika-Nanopartikel (Kneuer et al., 2000). Die Größe der Nanoplexe schwankt zwischen 100 und 600 nm. Durch die ergänzende sterische Abschirmung der DNA sind solche Trägersysteme oft sehr stabil gegenüber äußeren Einflüssen. Hervorzuheben ist ihre geringe Toxizität im Vergleich zu den meisten lipid- oder polymerbasierten Systemen.
Wie läuft der DNA-Transfer ab?
In einer Reihe von neuen Studien wurden Zusammenhänge zwischen Strukturmerkmalen von Polyplexen oder Lipoplexen und deren Transfektionsaktivität gezeigt. Eine eindeutige Interpretation der Ergebnisse ist jedoch schwierig, da als Endpunkt meist nur eine Enzymaktivität oder Proteinfluoreszenz erfasst wurde.
Auf Grund der starken Zytotoxizität der Polyplexe (über 50 Prozent) war es bislang nicht möglich, im therapeutisch interessanten Konzentrationsbereich Korrelationen anzustellen, da wichtige Parameter wie Zellbindung, Internalisierung und intrazellulärer Verbleib nicht erfasst werden konnten. Ähnliche Probleme ergeben sich für Lipoplexe und Nanoplexe.
Derzeit werden viele Studien unternommen, um Mechanismus und Wirkweise von DNA-Transportsystemen näher aufzuklären und zu verbessern. Bei der Internalisation werden drei Hauptschritte unterschieden:
Die Bindung des Transfektionskomplexes an die Zelloberfläche stellt den ersten Schritt des Gentransfers dar. Jedoch wird diese nicht allein von der Funktionalisierung und der Oberflächenladung des Transfektionskomplexes beeinflusst.
Man geht derzeit davon aus, dass es nach der Zellbindung im zweiten Schritt zur Internalisierung der Polyplexe und Nanoplexe in endosomale Vesikel kommt. Unklar ist, in welchem Ausmaß dies erfolgt und inwiefern die Internalisierungsrate von Struktureigenschaften abhängt. Es gibt einige Anhaltspunkte dafür, dass zumindest eine kritische Komplexgröße von etwa 800 nm nicht überschritten werden darf. In der Vergangenheit wurden Zusammenhänge zwischen der Polyplex-Größe und der Internalisierung postuliert, die aber nicht für jeden Zelltyp nachvollziehbar waren. Danach sollen größere Komplexe eine höhere Pufferkapazität haben, die die geringere Internalisierung durch eine Verzögerung des lysosomalen Abbaus ausgleichen kann (Ogris et al., 1998). Andere Studien weisen auf den an die Endozytose anschließenden Abbau hin und zeigen Möglichkeiten auf, diese Inaktivierung zu vermeiden (Plank, 1994).
Im dritten Schritt werden die Transfektionskomplexe aus den Endo-/Lysosomen in das Zytoplasma freigesetzt. Untersuchungen, in denen nach Ankopplung eines Kernlokalisations-Peptids eine bis zu 1000fach stärkere Genexpression gemessen wurde, legen die Vermutung nahe, dass der Übergang von Zytoplasma in den Zellkern einen limitierenden Schritt darstellt (Zanta et al., 1999). Dowty und Mitarbeitern (1995) ist es gelungen, durch Inhibition der Kernporen mit WGA die Expression eines zytoplasmatisch injizierten Reportergenplasmids zu blockieren.
Noch ungeklärt ist die Freisetzung der DNA aus dem Transfektionskomplex. In verschiedenen Studien konnte mittels vergleichender intranukleärer Injektion von freier DNA und Polylysin- oder Polyethylenimin-komplexierter DNA gezeigt werden, dass die Stärke der Genexpression nur gering oder gar nicht beeinflusst wird (zum Beispiel Pollard et al., 1998). /
Danksagung: Ein Großteil der dargestellten eigenen Arbeiten wurde von Förderern finanziell unterstützt. Die Autoren danken der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Fonds der Deutschen Industrie, dem BMBF+T, der Stiftung Deutscher Naturforscher “Leopoldina”, der Across Barries GmbH, Saarbrücken, der Aesculap AG, Tuttlingen, JPK Instruments, Berlin, und der Surface and Interface Technologies SIT Rosenhof GmbH, Heiligenstadt.
Literatur bei den Verfassern
Die Autoren
Udo Bakowsky studierte Chemie an der Martin-Luther-Universität in Halle/Wittenberg und war nach seiner Promotion als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Pharmazeutische Chemie in Halle tätig. Als Förderstipendiat der Stiftung Deutscher Naturforscher „Leopoldina“ arbeitete er von 1999 bis 2001 an der Universität Groningen, anschließend am Institut für Biopharmazie und Pharmazeutische Technologie der Universität des Saarlandes. Seit Oktober 2003 ist er als C3-Professor am Institut für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie in Marburg tätig. Dr. Bakowsky ist Mitgründer der Surface and Interface Technologies (SIT) Rosenhof GmbH in Heiligenstadt. Im Vordergrund seiner Forschungen stehen Arbeiten zur Charakterisierung der Wechselwirkung zwischen Lektinen/Selektinen und ihren Karbohydratantagonisten. Weitere zentrale Projekte sind die Ausnutzung energetischer, spezifischer Wechselwirkungen für die Strukturierung von Oberflächen im Mikro- und Nanometerbereich sowie Untersuchungen zur Bildung und Stabilität von nicht viralen Gentransfektionskomplexen.
Claus-Michael Lehr studierte Pharmazie in Mainz und Hamburg und wurde 1991 an der Universität Leiden, Niederlande, promoviert. Nach jeweils einjährigen Forschungsaufenthalten in den USA (Los Angeles) und den Niederlanden (Leiden) erhielt er 1993 den Ruf auf eine C3-Professur für Pharmazeutische Technologie an die Universität Marburg und 1995 auf eine C4-Professur nach Saarbrücken. Seitdem leitet er die Fachrichtung Biopharmazie und Pharmazeutische Technologie an der Universität des Saarlandes. Seit 1998 ist Professor Lehr wissenschaftlicher Berater der von ihm mitgegründeten Firma Across Barriers GmbH im SciencePark Saar. Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen Arbeiten sind Zellkulturmodelle biologischer Barrieren, Nanopartikel als Gentransfersysteme sowie die Modifizierung von Polymeroberflächen zur Verbesserung des Zellwachstums für das Tissue Engineering.
Anschrift der Verfasser:
Professor Dr. Udo Bakowsky
Philipps-Universität Marburg
Institut für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie
Ketzerbach 63
35037 Marburg
ubakowsky@aol.com
Professor Dr. Claus-Michael Lehr
Universität des Saarlandes
Institut für Biopharmazie und Pharmazeutische Technologie, Fachrichtung 8.6
Im Stadtwald
66123 Saarbrücken
lehr@rz.uni-sb.de
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