Vorhang auf für musizierende Apotheker |
20.11.2000 00:00 Uhr |
Während musizierende Ärzte wie Albert Schweitzer (1875 bis 1965), der als ein bedeutender Organist galt, und Naturwissenschaftler - man denke an den Violine spielenden Physiker Albert Einstein (1879 bis 1955) oder den komponierenden Chemiker Alexander Borodin (1833 bis 1887) - vielen Menschen bekannt sind, gilt dies kaum für musizierende Apotheker. Auf den ersten Blick erscheint die Musik, die in besonderer Weise Gefühl und Temperament verlangt, mit der für Außenstehende etwas trocken anmutenden "Ars pharmaceutica" kaum zu harmonieren. Die eingehende Beschäftigung mit dem Thema "Apotheker und Musik" zeigte indessen, dass es eine bemerkenswerte Zahl von Musik ausübenden Pharmazeuten gibt.
Der Berliner Apotheker Caspar Neumann (1683 bis 1737) gilt als einer der ersten wissenschaftlich gebildeten deutschen Apotheker. 1719 übernahm er die Leitung der Hofapotheke in Berlin und baute diese in kurzer Zeit zu einem "mustergültigen pharmazeutischen Betrieb" aus. Die vorbildlich ausgestatteten Laboratorien ermöglichten nicht nur den Beginn eines wissenschaftlichen Unterrichts für angehende Apotheker, sondern auch eine intensive Forschungsarbeit Neumanns. In Anerkennung seiner Leistungen avancierte er 1723 zum Professor der praktischen Chemie am Collegium medico-chirurgicum, nahm als Assessor Prüfungen für Apotheker 1. Klasse ab und erhielt zugleich die Chemikerstelle der Königlichen Akademie der Wissenschaften. Diesen kometenhaften Aufstieg verdankt Neumann nicht zuletzt der Förderung durch den preußischen König Friedrich I. (1657 bis 1713).
1705 war Neumann als Apothekengehilfe nach Berlin gekommen, wo er bald eine Stelle als Königlicher Reiseapotheker erhielt. Wenn der König und der Hof in Berlin weilten, war er in der Hofapotheke und vornehmlich im Laboratorium tätig. Hier wurde der König auf ihn aufmerksam (1, 2).
Weniger bekannt dürfte allerdings sein, dass sich die Aufmerksamkeit des preußischen Königs nicht nur auf Neumanns pharmazeutisch-chemische Kenntnisse erstreckte, sondern auch auf sein musikalisches Talent. Obwohl Neumann von seinem Biographen Kessel als Kaufmannssohn bezeichnet wurde (2), war seine Familie väterlicherseits eng mit der Musik verbunden. Der Trauschein seiner Eltern gibt als Beruf des Vaters nämlich Kunstpfeifer-Geselle an, und erwähnt außerdem, dass der Vater Georg Neumann Sohn des gleichnamigen "verstorbenen Musici Instrumentalis Georg Neuman" war. Demnach stammt Caspar Neumann aus einer Musikerfamilie, und die Musik wurde ihm sozusagen in die Wiege gelegt. Während der Vater im Taufregister als Kaufherr bezeichnet wurde, gibt das Sterberegister sowohl beim Tode der Mutter am 3. November 1693 als auch bei dem des Vaters am 21. August 1695 als Beruf des Vaters wiederum "Musicus Instrumentalis" an (1). Dies stützt die Angabe, dass Caspar Neumann den ersten Musikunterricht bei seinem Vater erhalten habe (1):
"Nach geendigten Schulstunden trieb er zu Hause die Music, und sein Vater selbst war hierinnen der Anführer. Man kann leicht erachten, welch inniges Vergnügen beydes Vater und Sohn bey diesem genauern Umgange empfunden haben, jener welcher einen Hofnungs=vollen Sohn, dieser aber, welcher einen sorgfältigen Vater um sich hatte."
Nach dem frühen Tod der Eltern studierte Neumann unter der Obhut eines Conrektor Joseph, der seine musikalische Begabung förderte. Dies ist anzunehmen, da Neumann auch während seiner Tätigkeit als Königlicher Reiseapotheker zwischen 1705 und 1711, während der er in der Berliner Hofapotheke tätig war, Musik ausübte. So heißt es: "und da er in seiner Jugend zur Music war angeführet worden, so dient ihm diese zur angenehmen Gemüths-Ergötzung." Kessel schreibt, dass er sich "in Charlottenburg (allwo sich zur Sommers-Zeit der Hof meistens aufzuhalten pflegte) sein Clavier vor sich [hatte]: dieses ward ihm bald von einem Königl. Bediensteten weggenommen, und in eine der Königl. Kammern gebracht, er aber vor dem König selbst zu spielen, befehliget" (1, 2).
KönigFriedrich I. war nicht nur ein Pracht liebender Herrscher, sondern zugleich den Künsten zugetan. Seit 1665 betrieb er das Flötenspiel (3) - wie später auch sein Enkel Friedrich II. - und soll Duette mit seinem älteren Bruder, dem Kurprinz Karl Emil (1655 bis 1674), musiziert haben (3, 4). Friedrich I. hatte auch Unterricht im Clavicordspiel erhalten. Später soll er jedoch kein Instrument mehr gespielt haben (5). Caspar Neumann kam nur mit Bangen dem königlichen Wunsche nach, da "Sr. Majestät eine auserlesene Bande von Virtuosen zu Dero ordinairen Cammer-Musique hatten, gegen welche er keine Vergleichung zu bringen" in der Lage sich fühlte. Allerdings heißt es (2):
"Diesem Befehl zu gehorsamen, konnte er keinen Umgang nehmen, und als einige Verse des 86. Psalms und andere geistliche Sachen gespielet worden, schöpfte der König darüber ein solch Vergnügen, daß S. Majestät beym Weggehen mit gnädiger Mine den Befehl ertheilten, daß alle Abend ehe sie sich auskleiden lassen wollten, Neumannin der Vorkammer spielen solte, zu welchem Ende S. Majestät jenem einen kostbaren Flügel geben ließen."
Ob Neumann tatsächlich etliche "Jahr lang solche allerunterthänigste Aufwartung wieder Willen" machen musste und "zu beständigen Contentement des Königs verrichtete", bleibt ungesichert. Jedoch erscheint die Angabe, dass er "wenig andere Sachen als Buß- und Sterbe-Lieder spielte, dabey S. Majestät und die Aufwartung in der Cammer hatten, öfters recht andächtig sungen" glaubhaft. Sie deutet auf ein bescheidenes Repertoire, wie es von einem viel beschäftigten Mann, der die Musik als Liebhaberei betreibt, nicht anders erwartet werden kann (2).
Doch der König fand Gefallen gerade an diesem musikalischen Dilettanten dieser Begriff hatte im 18. und 19. Jahrhundert noch nichts Abwertendes, sondern bezeichnete den Liebhaber einer Kunst im besten Sinne. Vielleicht erinnerte Neumann ihn an seine eigene unvollkommene musikalische Betätigung. Möglicherweise gefiel ihm dessen Spiel aber auch, weil Neumann mit der für Dilettanten im Vergleich zum routinierten Berufsmusiker typischen Begeisterung musizierte.
So dürfte die 1711 vom König bewilligte Bildungsreise zu verschiedenen Hofapotheken, aber auch zu Hermann Boerhaave (1668 bis 1738) nach Leiden sowie nach Utrecht, Amsterdam und London nicht nur Neumanns pharmazeutischen Kenntnissen (1), sondern auch seinen musikalischen Fähigkeiten geschuldet gewesen sein, durch die er sich "bey dem König selbst... beliebt machte" (2).
Auch der Erlanger Hofapotheker Ernst Wilhelm Martius (1756 bis 1849) berichtet in seiner 1847 erschienenen Autobiographie "Erinnerungen aus meinem neunzigjährigen Leben", dass er von Jugend an ein Freund der Musik gewesen sei, weshalb er seinen Kindern Musikunterricht erteilen ließ. Ausdrücklich vermerkt er: "und es war für mich eine angenehme Stunde nach dem Essen, wenn diese mit ihrem Lehrer oder einem oder einigen ihrer Freunde ein Quartett oder ein kleines Conzert aufführten." Da er sogar eine "Hauscapelle" erwähnt, während deren Spielen er "ein Pfeifchen rauchte und Kaffee trank" (6), können wir wohl annehmen, dass zu diesen Musizierenden auch seine beiden Söhne gehörten. Daher darf auch Theodor Wilhelm Christian Martius (1796 bis 1863) zu den musizierenden Apothekern gezählt werden.
Zu den musikalisch geprägten Apothekerhäusern zählt ferner das des "Vaters der Pharmaziegeschichtsschreibung" Hermann Schelenz (1848 bis 1922). Sein Sohn Curt bemerkt in seinen "Erinnerungen an meinen Vater" (7):
"Neben der täglichen Arbeit blieb immer noch Zeit für die Kunst, vor allem die Musik. Sie hatte meine Eltern zusammengeführt, in ihr ergänzten sie sich, durch sie fanden sie Entspannung. Es verging kein Tag, an dem nicht meine Mutter sang oder an dem nicht vierhändig gespielt wurde. Im häuslichen Trio spielte mein Vater Cello."
Schließlich spielte auch im Haus des Magdeburger Apothekers Gustav Hartmann (1835 bis 1917), der sich vor allem als Standespolitiker einen Namen machte, die Musik eine wichtige Rolle. In seinen zweibändigen Lebens-Erinnerungen, die 1909/10 erschienen, schildert er ausführlich das Musikleben seiner Heimatstadt Magdeburg und berichtet er von der musischen Atmosphäre seines Hauses (8). Die Solosänger der Oratorienaufführungen versammelten sich "hinterher zum fröhlichen Abendbrot in der gastfreien Hofapotheke; und nach Tische ....gab es dann sicher noch einen Privatohrenschmaus." Hartmann selbst erhielt Klavierunterricht und bedauerte, dass ihm in den Lehr- und Wanderjahrenkein Instrument mehr zur Verfügung stand. Sein Sohn Hans machte große Fortschritte im Violinspiel, jedoch durfte er nicht Musik studieren, denn Gustav Hartmann hielt die Musik "als freie Begleiterin eines anderen Berufs, für einen köstlichen Schmuck des Lebens ... als Selbstzweck und Brotstudium aber für ein Unglück."
1929 wurde in Hamburg und 1930 in Berlin Joseph Haydns (1732 bis 1809) Oper "Der Apotheker" mit vorwiegend dem Apothekerberuf angehörenden Sängern und Orchestermusikern aufgeführt. In Berlin konstituierte sich 1931 sogar ein Apotheker-Orchester, das gleichfalls das Leistungsvermögen musikalischer Apotheker widerspiegelt. Das Orchester wurde von dem jüdischen Apotheker Alexander Fraenkel (1891 bis 1956) geleitet, der neben dem Pharmaziestudium auch eine Dirigentenausbildung absolviert hatte. Bei Konzerten wirkte ferner Apothekerin Editha Schmitd-Heygster als Altistin und Apotheker Dr. Richard Blaß (1904 bis 1993) als Pianist mit. Blaß wuchs als Apothekersohn in Berlin auf und studierte hier bei Hermann Thoms (1859 bis 1931) und Carl Mannich (1877 bis 1947). 1930 wurde er mit einer botanischen Arbeit promoviert und übernahm anschließend als Pächter die väterliche Schloßgarten-Apotheke in Berlin-Charlottenburg. Nachdem ihm als Jude 1936 die Arbeitsmöglichkeit entzogen worden war, emigrierte er nach Italien und schließlich nach England (9, 10).
Zu den musizierenden Apothekern zählt auch der in Hannover geborene Henry Grebe (1900 bis 1970). Dieser studierte von 1924 bis 1926 in Marburg und Frankfurt Pharmazie und war danach unter anderem in Hannover, Berlin, Soltau, Schleswig, Stade und schließlich ab 1955 in Bremervörde in der Alten Apotheke tätig. 1960 übernahm er die Elch-Apoheke in Hannover als Pächter. Grebe, der bereits mit sechs Jahren Klavierunterricht, später auch Orgel- und Gesangsunterricht auf dem Konservatorium in Hannover erhalten hatte, wirkte in Hannover nebenher als Korrepetitor an der Städtischen Opernschule (11).
Zu den Musik ausübenden Apothekern gehörte schließlich Robert Barnbeck (geboren 1910), der 1940 die väterliche, 1763 gegründete Friedrich-Apotheke im altmärkischen Diesdorf übernahm und bis 1979 als einer der wenigen Privatapotheker der DDR leitete. 1948 nannte er die Apotheke nach dem befreundeten Komponisten Walter Niemann (1876 bis 1953) um; sie führte im Firmenzeichen neben Mörser und Pistill einen Violinschlüssel. Bereits 1942 gründete er in seinem Apothekerhaus die "Diesdorfer Hausmusik", die sich bis 1980 großen Zulaufs erfreute. 1957 anlässlich des 15. Jubiläums wurden sechs Hauskonzerte veranstaltet mit Barnbeck am Flügel und Mitgliedern eines Ärztequartetts. Dabei erklang unter anderem Schuberts Forellenquintett, das sogar vom Deutschlandsender übertragen wurde. Barnbeck musizierte auch als Solist in Beethovens 1. Klavierkonzert sowie dessen Tripelkonzert, gab Klavierabende und veranstaltete innerhalb des Kulturbundes der DDR Musikgespräche, in denen er sich besonders für zeitgenössische Musik einsetzte (12, 13).
Schließlich traten auch etliche Apotheker als Komponisten hervor. Zu ihnen gehört der in Klagenfurt als Sohn eines Gerichtsrates und einer Pianistin geborene Eduard Lucerna (1869 bis 1944). Er studierte an der Universität Graz Pharmazie. Nach seiner Tätigkeit in verschiedenen Apotheken erwarb er 1900 die Apotheke am Hauptplatz in Gries. Nebenher begann Lucerna mit beachtlichem Erfolg zu komponieren: Außer der Oper "Zlatorog", die er nach dem Textbuch seiner Schwester Camilla komponierte, schrieb er zehn Sinfonien, zahlreiche Kammermusikwerke und Lieder. Sein Konzert für Streicher in H-Dur wurde auf Schallplatte aufgenommen. Die meisten seiner Werke sind bis heute ungedruckt; die Handschriften befinden sich in der Bibliothek des Benediktinerstiftes Muri in Gries, seine Memoiren hingegen liegen in der Albertina in Wien. 1944 erhielt Lucerna den Mozart-Preis. In den letzten Lebensjahren widmete er sich ausschließlich der Musik (14, 15).
Dagegen blieb Max Böttger (1869 bis 1961) bis zu seinem 88. Geburtstag der Pharmazie verbunden. Der in Neumarkt in Schlesien geborene Böttger begann nach dem Besuch des Gymnasiums in Liegnitz 1888 seine Lehrzeit in der Apotheke "Zum fliegenden Roß" in Breslau. Anschließend konditionierte er in Plauen, Osthofen, Breslau, in seinem Geburtsort Neumarkt sowie im schlesischen Reichenbach. Neben dem Studium der Pharmazie in Breslau bei Theodor Poleck (1821 bis 1906) besuchte er das dortige Konservatorium und das kirchenmusikalische Institut. Nach der Approbation 1896 war er in verschiedenen schlesischen Apotheken tätig. 1902 erwarb Böttger die Stern-Apotheke in Bunzlau, die er jedoch 1910 wieder verkaufte, um die Verwaltung der Reichsapotheke in Görlitz zu übernehmen. Nach dem Ersten Weltkrieg wirkte Böttger zunächst als Chemiker bei der Firma Schuster & Wilhelmy in Reichenbach in der Oberlausitz. 1922 übernahm er die Verwaltung der Engel-Apotheke in Görlitz, die er 1936 pachtete und 1940 schließlich kaufte. Diese Apotheke leitete er bis zu seinem 88. Geburtstag.
Böttger begann schon während seiner Schulzeit zu komponieren. 1913 entstand seine erste Oper "Ein Volk steht auf", die mit großem Erfolg in Bunzlau und Bautzen aufgeführt wurde. Seine zweite Oper "Loki", die später den Titel "Helden der Arbeit" erhielt, und zu der er ebenfalls selbst das Libretto verfasste, erlebte nur eine konzertante Aufführung im Stadttheater Görlitz. Böttger, der auch Musik zu Hör- und Singspielen komponierte, darunter "Der Apotheker-Alchemist", schrieb über 100 Lieder, zum Teil nach eigenen Texten (16, 17).
Der Apotheker Heinz Höhne (1892 bis 1968) erlangte mit dem 1922 komponierten Lied "Hoch auf dem gelben Wagen", das zu einem Volkslied wurde, beachtliche Popularität (18). Höhne wurde in Pasewalk als Sohn eines Lazarett-Inspektors geboren und begann 1912 seine pharmazeutische Lehre in Graudenz, die er in Putbus auf Rügen und Magdeburg fortsetzte. Der Erste Weltkrieg unterbrach seine Ausbildung; erst 1920 konnte er seine Lehrzeit in Berlin beenden. Anschließend studierte er an der dortigen Universität Pharmazie. Nach dem pharmazeutischen Staatsexamen 1923 war er in der Adler-Apotheke in Berlin-Pankow tätig, die er 1936 kaufte. 1946 wurde die Apotheke verstaatlicht. Höhne arbeitete nun in der Apotheke Zepernick, ein Jahr leitete er auch die Arkona-Apotheke in Berlin. 1965 zog er sich aus dem Berufsleben zurück. Höhne stammte aus einem musischen Elternhaus und erhielt schon früh Geigenunterricht. Mit zwölf Jahren komponierte er erste Lieder und erhielt von nun an Kompositionsunterricht. Vor allem als Komponist von Liedern und Chören fand er Anerkennung: Im Auftrag der Busch-Gesellschaft schrieb er einige Lieder nach Versen von Wilhelm Busch. Er komponierte aber auch Streichquartette und Orchesterwerke, die zum Teil im Musikverlag Richard Birnbach erschienen (19).
Als Beleg dafür, dass auch wissenschaftlich ausgewiesene Apotheker sich erfolgreich der Musik widmeten, kann Günther Baumgarten (1906 bis 1989) gelten. Als Sohn eines Oberlehrers, der auch zwei Gedichtbände veröffentlicht hatte, wuchs er in Magdeburg auf und besuchte das dortige Gymnasium. 1917 erhielt er eine Freistelle in der Staatlichen Waisenhaus- und Schulanstalt in Bunzlau, wo er 1925 das Abitur ablegte. Anschließend begann er eine pharmazeutische Ausbildung in der Stadt-Apotheke in Coswig. 1928 folgte das Studium der Pharmazie an der Universität Berlin, das er 1930 mit dem Pharmazeutischen Staatsexamen beendete. Danach studierte Baumgarten Chemie, legte 1931 das Verbandsexamen als Chemiker und 1935 das Lebensmittelchemikerexamen ab. 1933 wurde er mit einer organisch-chemischen Arbeit promoviert. Anschließend wirkte er als Assistent bei Peter Walter Danckwortt (1876 bis 1962) an der Tierärztlichen Hochschule in Hannover und ab 1934 am Pharmazeutischen Institut in Berlin bei Carl Mannich (1877 bis 1947), mit dem er gemeinsam eine Morphin-Bestimmungsmethode entwickelte. Ab 1935 arbeitete er bei der Firma Dr. Rudolf Reiss in Berlin-Moabit und war somit im Krieg unabkömmlich (u.k.).
1944 begann Baumgarten eine Tätigkeit bei der in Wernigerode ansässigen Ysatfabrik Johannes Bürger. Nach der Verstaatlichung übernahm er 1953 die Leitung der wissenschaftlichen Abteilung und wirkte hier bis 1971 und danach noch zwei Jahre im Teilzeitarbeitsverhältnis (20). Intensiv beschäftigte er sich mit Digitalisglykosiden, 1963 erschien dazu eine Monographie. Baumgarten arbeitete am 1944 erschienenen "Hager" mit, verfasste über vierzig wissenschaftliche Publikationen, war an elf Patenten beteiligt und hielt zahlreiche Vorträge. In Berlin wirkte er bei der Entwicklung von Cormed® mit; in Wernigerode waren es dann 23 Arzneimittel, darunter Digitoxin-Tabletten (1951), Pentagit® (1963), Divalol® (1965) und Cystium® (1968), die unter seiner Leitung in den Arzneischatz gelangten. Er gehörte 1954 zu den Mitbegründern der Gruppe Magdeburg der Pharmazeutischen Gesellschaft und war deren 1. Vorsitzender. 1956 avancierte er zum Vizepräsidenten der Pharmazeutischen Gesellschaft in der DDR (21).
Baumgarten, der bereits während seines Studiums in Berlin im Ärzteorchester als Geiger mitgewirkt hatte, komponierte Lieder, Kammermusikwerke, darunter ein Streichquartett, Orchesterwerke und schuf die Musik zu der Komödie "Der Weinberg von Venturia". 1961 vertonte er auch das Gedicht "Kritik" von Ernst Urban (1874 bis 1958), das 1933 zu dessen Entlassung als Hauptschriftleiter der Pharmazeutischen Zeitung geführt hatte (22). Als Rentner beschäftigte sich Baumgarten, der schon in den sechziger Jahren historische Arbeiten verfasst hatte, besonders mit Lavoisier und der französischen Revolution (21, 23, 24).
Schließlich sei noch der in Bremerhaven-Geestemünde als Sohn eines Apothekers geborene Edzard Foken (1919 bis 1991) erwähnt. Nach dem Abitur 1938 und dem Arbeitsdienst begann er seine pharmazeutische Ausbildung in der Hof-Apotheke Wernigerode. Durch den Wehrdienst unterbrochen, konnte er erst 1943 nach dem Vorexamen in Braunschweig das Studium der Pharmazie beginnen. Kritische Äußerungen gegen die Nationalsozialisten führten dazu, dass er an die Front geschickt wurde. Nach dem Krieg setzte er das Studium fort und beendete es 1947 mit dem Staatsexamen. 1951 begann er eine Tätigkeit in der Anker-Apotheke in Hamburg-Harburg, 1955 wechselte er in die Phönix-Apotheke in Hamburg-Stellingen, die er 1964 pachtete. 1974 übernahm er die Langenfelder Apotheke in Hamburg-Stellingen, die er bis 1982 leitete. Foken erhielt mit zwölf Jahren Cellounterricht und begann bereits mit ersten Kompositionsversuchen. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm er Kompositionsunterricht. Zum Tode seines Vaters komponierte er eine Motette. Foken schrieb außerdem zahlreiche Lieder, von denen das Lied "Tränen" Aufnahme in das "Notenheft für das deutsche Apothekerhaus" fand, das 1956 in Hamburg-Harburg erschien (25, 26).
Zu den dem Apothekerberuf entstammenden Musikern gehört Gustav August Christian Kastropp (1844 bis 1925), der als Sohn eines Apothekers in Salmünster in Kurhessen geboren wurde. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Göttingen ergriff Kastropp auf Wunsch seines Vaters den Apothekerberuf. Nach der Lehrzeit in Göttingen konditionierte er in Hanau, Mannheim und Bremen (26). Indessen wuchs seine Abneigung, "welche er gegen diesen Beruf hatte", von "Tag zu Tag" (27), so dass er sich entschloss, den Apothekerberuf aufzugeben und sich statt dessen ganz der Musik zu widmen.
Zweieinhalb Jahre studierte er bei dem Bremer Konzertmeister Jakobsohn. 1871 bis 1874 setzte er sein Studium am Konservatorium in Stuttgart unter anderem bei dem Klavierpädagogen Sigismund Levy Lebert (1823 bis 1884) fort. Von 1874 bis 1877 unterrichtete er selbst an der Großherzoglichen Orchesterschule in Weimar. Im Herbst 1877 unternahm Kastropp gemeinsam mit dem Maler Carl Gehrts (1853 bis 1898) eine Studienreise nach Oberitalien. Nach 1878 war er dann in Gotha, Leipzig, Graz, Düsseldorf, Hannover, Stuttgart, Hirsau (in der Schweiz), Wien, Salmünster und seit 1883 in Darmstadt und Weimar tätig. 1884 lebte er in Sondershausen und Gohlis, 1886 siedelte er nach Hannover und 1897 schließlich nach Hildesheim über, wo er als Violinvirtuose und -pädagoge wirkte. Daneben war Kastropp auch schriftstellerisch tätig und verfasste Gedichte, Epen, Erzählungen und Märchen, vor allem aber Dramen, wie das 1875 erschienene Trauerspiel "Helene", das dramatische Gedicht "Suleika" (1876) oder das dramatische Märchen "Dornröschen" (1877) (26, 27).
Eng mit der Violine verbunden war Gustav Edel (1860 bis 1952), der seine pharmazeutische Lehrzeit in Weingarten begann und 1884 in Würzburg bei Ludwig Medicus (1847 bis 1915) Pharmazie studiert hatte. 1888 erwarb er die Apotheke in seiner Geburtsstadt Saulgau, die er 1904 wieder verkaufte, um sich ganz seinen künstlerischen Interessen zu widmen. Hierzu gehörte neben der Malerei auch das Violinspiel und -unterricht. Besonderen Erfolg errang er indessen als Geigenbauer. Die von ihm nach dem Vorbild Stradivaris gefertigten Instrumente, die "Edel-Geigen", wurden von vielen Geigern sehr geschätzt (29, 30).
Auch Ignaz Heim (1818 bis 1880) gab bereits frühzeitig den Apothekerberuf zugunsten der Musik auf. In Renchen geboren, besuchte er das Gymnasium in Donaueschingen, wo seine musikalische Begabung durch den Komponisten und Kapellmeister des Fürsten Karl Egon von Fürstenberg, Jan Vaclav Kalivoda (1801 bis 1866), gefördert wurde. Bei seinem Vater begann er anschließend die Apothekerlehre. Da in Bayern seit 1808 ein obligatorisches Pharmaziestudium vorgeschrieben war, begann Heim nach dem Gehilfenexamen 1836 an der Universität München das Studium bei dem Trommsdorff-Schüler Johann Andreas Buchner (1783 bis 1851). Daneben studierte er Medizin und Musik. Der Tod seines Vaters veranlasste ihn, seine Ausbildung zu beenden und 1838 die väterliche Apotheke zu übernehmen. Schon ein Jahr später jedoch verkaufte Heim die Apotheke und widmete sich in Freiburg i. Br. ganz der Musik. Hier gründete er gemeinsam mit dem späteren Münchner Bibliothekar Julius Maier die Freiburger Liedertafel, deren Leitung er übernahm. 1850 wurde er wegen seiner Beteiligung an der Badischen Revolution ausgewiesen.
Nach einer kurzen Zwischenstation in Karlsruhe übertrug man Heim 1852 die Leitung der "Züricher Harmonie". Heim galt weit über die Grenzen der Schweiz hinaus als hervorragender Chorleiter, der zahlreiche Liedersammlungen herausgab und selbst über 300 Lieder, darunter Gedichte seines Vetters Joseph Viktor von Scheffel (1826 bis 1886) vertonte (31, 32).
Auch für Paul Homeyer (1853 bis 1908) blieb die pharmazeutische Laufbahn nur eine kurze Episode. Homeyer, Sohn eines Organisten in Osterode, begann zunächst eine pharmazeutische Ausbildung und studierte in Göttingen und Leipzig Pharmazie. In Leipzig besuchte er daneben das dortige Konservatorium. Nach dem pharmazeutischen Staatsexamen gab er den Apothekerberuf auf und setzte den Orgelunterricht bei seinem Onkel Joseph Maria Homeyer (1814 bis 1894) in Duderstadt fort. 1881 wurde er Organist des Bach-Vereins und wirkte ab 1884 in Leipzig bei Gewandhauskonzerten mit. Am dortigen Konservatorium avancierte er ein Jahr später zum Lehrer für Orgel und Theorie, 1903 erhielt er den Professoren-Titel. Gemeinsam mit Robert Schwalm (1845 bis 1912) gab er eine Orgelschule heraus. Homeyer, der als einer der größten Orgelvirtuosen galt, machte auf seinen Konzertreisen auch die Bekanntschaft von Franz Liszt (1811 bis 1886) (33, 34).
In seiner Autobiographie berichtet der italienische Tenor Benjamino Gigli (1890 bis 1957) über seine Tätigkeit in der Apotheke seiner Heimatstadt Recanati, die er mit zwölf Jahren begann: "Herr Verdecchia, der Apotheker, brauchte einen Ladengehilfen. Ich bekam die Stellung und behielt sie die letzten fünf Jahre, die ich in Recanati blieb." Für Gigli waren es zwar "farblose, unbewegte Jahre in der Provinz, erfüllt vom Herauf- und Herablassen der Markisen vor der Farmacia an sonnendurchglühten Nachmittagen, von matt herumschwirrenden Fliegen und von dem Beschriften der Flaschenetiketten".
Rückblickend erschienen ihm gleichwohl die Zeit, die er in der "Farmacia Verdecchia bei Hustensirup und Magnesiapulver verbrachte", keinesfalls als vergeudet. 1897 ging Gigli nach Rom, um hier seine Stimme ausbilden zu lassen und verdiente seinen Unterhalt in der Apotheke in der Via Cavour. Über seine pharmazeutische Tätigkeit schrieb er:
"Meine Arbeit in der farmacia Felleroni war langweilig und unpersönlich, es ging dort ganz anders zu als in der gemütlichen, geschwätzigen Atmosphäre der farmacia Verdecchia."
So war er schließlich froh, die schlecht bezahlte Stelle aufgeben und statt dessen in den Dienst einer Gräfin Spannocchi treten zu können, bei der er nicht nur beste Verpflegung erhielt, sondern auch seinen Gesangsunterricht fortsetzen konnte, der die Grundlagen für seine Weltkarriere legte (35).
Zu den bedeutenden deutschen Sängerpersönlichkeiten des 19. Jahrhunderts gehört der auch von dem Komponisten Richard Wagner (1813 bis 1883) sehr geschätzte Georg Lederer (1843 bis 1910). Der in Marienburg in Westpreußen geborene Lederer arbeitete nach dem pharmazeutischen Staatsexamen als Apotheker in Görlitz. Hier riet man ihm, seine schöne Stimme ausbilden zu lassen, weshalb er den Beruf des Apothekers aufgab. Nach nur kurzer Vorbereitung debütierte er bereits 1868 erfolgreich als "Max" in Carl Maria von Webers (1786 bis 1826) "Freischütz" in Magdeburg. Nach einer kurzen Zeit im Berlin wechselte er 1871 als lyrischer Tenor an das Stadttheater Hamburg. 1873 folgten Engagements an der Deutschen Oper in Rotterdam, am Schweriner Hoftheater sowie am Stadttheater Bremen. Von 1878 bis 1889 wirkte er am Leipziger Stadttheater, von 1891 bis 1899 am Stadttheater Zürich. Lederer, der 105 Partien in 95 Opern sowohl im Heldentenor-, im lyrischen und Charaktertenorfach sang und auch als Konzertsänger erfolgreich war, zog sich 1899 von der Bühne zurück und wirkte als Gesangslehrer in Berlin (36, 37).
Als einen aus dem Apothekerberuf hervorgegangenen Sänger erwähnen Adlung und Urdang (38) den in Steyr geborenen Apothekersohn Wilhelm Stigler (1846 bis 1919) die Deutsche Apotheker-Biographie (1997) gibt fälschlich 1918 als Todesjahr an (39) -, der sich später den Künstlernamen Staeven zulegte. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Kremsmünster begann Stigler seine pharmazeutische Ausbildung bei seinem Vater. 1865 immatrikulierte er sich für Pharmazie an der Universität Wien und schloss das Studium mit dem Magisterexamen ab. In dieser Zeit fiel bereits seine schöne Stimme auf; im akademischen Gesangsverein übernahm er erste Solotenorpartien. Dennoch setzte er seine Studien fort und wurde an der Wiener Universität 1869 zum Dr. chem. promoviert. Nach dem Tod des Vaters im gleichen Jahr übernahm Stigler die väterliche Apotheke und arbeitete außerdem als Gerichtschemiker und als Fabrikant.
Da er sich jedoch ganz der Sängerlaufbahn widmen wollte, verpachtete er 1883 seine Apotheke und ging nach Wien. 1885 erhielt er in Jena und ein Jahr später am Hoftheater Weimar ein Engagement. Von 1891 bis 1893 sang er am Opernhaus Brünn als Heldentenor und danach als Gast an verschiedenen Opernhäusern. Stigler-Staeven verfügte über ein breites Repertoire, zu dem mit Ausnahme des "Parsivals" sämtliche Heldentenorpartien der Wagner-Opern sowie alle Verdischen und Meyerberschen Partien gehörten. In den letzten Lebensjahren wandte er sich verstärkt dem Oratorium zu und wurde Mitglied des "Udelquartetts", mit dem er halb Europa bereiste (40).
Gleichfalls bei Adlung und Urdang (41) erwähnt wird der Tenor Hans Siewert (1872 bis 1941). Als Sohn eines Chemieprofessors in Cordova in Argentinien geboren, kam Siewert in jungen Jahren nach Deutschland. Hier begann er eine pharmazeutische Ausbildung und erhielt nach dem Studium der Pharmazie eine Stelle in einer Breslauer Apotheke. In Breslau nahm er Gesangsunterricht und debütierte 1899 an der Kölner Oper. 1906 erhielt er ein Engagement an der Oper Breslau. Siewert erregte vor allem Aufsehen wegen seiner mühelosen Höhe. 1908 entstanden G&T-Schallplatten, die einen Eindruck von seiner Stimme vermitteln, die ihn zu einem geschätzten Gast und Konzertsänger in vielen Städten werden ließ (42).
Ein anderes Stimmfach vertrat der Bariton Karl Scheidemantel, der an der Dresdener Hofoper wirkte (43, 44). Der in Weimar als Sohn eines Tischlermeisters geborene Scheidemantel (1859 bis 1923) war ab 1878 in Weimar tätig. 1883 wirkte er hier bei der Uraufführung von Franz Liszts (1811 bis 1886) "Legende der heiligen Elisabeth" mit. 1886 wechselte er an die Hofoper Dresden, wo er 25 Jahre zum Ensemble gehörte und 1911 bei der Uraufführung von Richard Strauss (1864 bis 1949) "Rosenkavalier" mitwirkte. Im gleichen Jahr zog er sich von der Bühne zurück, war aber noch als Regisseur und als Direktor der Landesbühne Dresden-Radebeul tätig (45, 46).
Als ein weiterer zeitweise den Apothekerberuf ausübender Bariton muss Ludwig Johann Leichner (1836 bis 1912) genannt werden. Leichner, der 1836 (nicht 1834) geboren wurde, hatte zunächst Chemie studiert, brach jedoch wegen des frühen Todes der Eltern sein Studium ab. Da er über eine sehr schöne Stimme verfügte, ging er zum Gesangsstudium nach Wien, wo er bei Hofkapellmeister Proch von 1859 bis 1863 kostenlos Unterricht erhielt. Nebenher studierte Leichner Pharmazie an der Universität Wien und praktizierte in der dortigen Mohren-Apotheke unter den Tuchlauben. Anschließend war er dreizehn Jahre als Bariton unter dem Künstlernamen Rafael Carlo an verschiedenen Bühnen tätig. Mit der Gestaltung einiger Heldenbaritonpartien fand er die Anerkennung Richard Wagners (1813 bis 1883).
Bereits während seines Engagements in Würzburg setzte er seine chemischen Studien fort. 1876 gab er seine Sängerkarriere auf und beendete sein Chemiestudium in Berlin bei August Wilhelm Hofmann (1818 bis 1892). Mit umfangreichen chemischen Kenntnissen ausgerüstet, suchte er die Schminken zu verbessern, die damals noch toxische Stoffe enthielten. Leichner gründete in Berlin eine Puder- und Schminkenfabrik und wurde damit zum Initiator der Fettschminkenindustrie. Sein mit dieser Fabrik erworbenes Vermögen stellte er auch in den Dienst der Kunst, so stiftete er in Berlin ein Richard-Wagner-Denkmal aus Marmor (47, 48).
Während die Beschäftigung von Apothekern mit unterschiedlichen Naturwissenschaften - man denke an Chemie, Biologie, Mineralogie oder auch Physik - naheliegend erscheint, ist ein Bezug zwischen Pharmazie und Musik kaum zu erkennen. Die eher prosaisch wirkende Beschäftigung mit der Herstellung und Abgabe von Arzneimitteln setzt musikalische Neigungen keinesfalls voraus. Um so erstaunlicher ist es, dass bereits ein Apotheker der Aufklärungszeit, Caspar Neumann, der am Beginn der Entwicklung des Apothekerberufes von einem Handwerk zu einer Wissenschaft steht, die Musik pflegte. Für andere Vertreter der Pharmazie dieser Zeit ist dies nicht belegt. Man kann sich wohl auch kaum vorstellen, dass ein sich ganz der Chemie widmender Apotheker wie Carl Wilhelm Scheele (1742 bis 1786) für das Erlernen eines Instrumentes die erforderliche Zeit und Muße aufgebracht hätte.
Gleichwohl entwickelte sich die Musikpflege im 19. Jahrhundert zu einem Kontinuum des Bildungsbürgertums. Mit dem Aufstieg des Apothekers und seiner Integration in die städtische Oberschicht wurde dieser zum Musizierfreund des Arztes, Pfarrers oder Kantors. Aber auch im Kreise der Familien widmete man sich der Musik, wie die Beispiele Martius und Schelenz zeigen. Musik als "luxuriöse Beschäftigung" setzt einen gewissen Wohlstand voraus. Einem Apothekengehilfen fehlen dazu die Mittel, wie die Autobiographie Gustav Hartmanns belegt. So widerspiegelt das Musizieren häufig zugleich Wohlstand, Tradition, Bildung und Kultur gut situierter Apothekenbesitzer. Wenn eine musikalische Begabung vorhanden war, so gilt, was Urdang schon 1921 feststellte (49),
"dann wird sie gepflegt mit der ganzen Gründlichkeit, die der Apothekerberuf mit sich bringt, da entwickelt sich eine Musikliebe, die häufig zum alles beherrschenden Steckenpferd wird."
Dass manchem Apothekersohn die Musik verlockender erschien als Rezeptur, Defektur und Arzneimittelabgabe, verdeutlichen die aus dem Apothekerberuf ausbrechenden Musiker. Dies ist aber wohl kein spezifisch pharmazeutisches Phänomen; Thomas Mann (1875 bis 1955) hat es am Beispiel seines Hanno Buddenbrook eindrucksvoll für den Kaufmannsstand geschildert. Die negative Äußerung Hartmanns über die Musik als "Brotstudium" verdeutlicht den Konflikt, der solchen Entscheidungen voranging. Und so sind in der Pharmaziegeschichte auch nur die Lebenswege einiger besonders erfolgreicher "Aussteiger", wie der des Chorleiters Heim oder der des Orgelprofessors Homeyer und die einiger bedeutender Sänger überliefert. Die komponierenden Apotheker blieben ihrer pharmazeutischen Tätigkeit weitgehend treu.
Der Apotheker als Musikliebhaber blieb somit die Regel. Im Unterschied zu Urdang, der den Apothekern nur mäßige Erfolge auf musikalischem Gebiet attestierte, verdienen die Leistungen einzelner, insbesondere auch der Apothekerkomponisten, größere Aufmerksamkeit und sollten von den musizierenden Apothekern unserer Zeit wieder entdeckt werden. Diese Werke zeugen nicht zuletzt von der Sehnsucht der Apotheker nach Anerkennung in einer Zeit des sich wandelnden Berufsbildes.
Quellen und Literatur:(1) Exner, A., Der Hofapothker Caspar Neumann (1683-1737). Ein Beitrag zur Geschichte des ersten pharmazeutischen Lehrers am Collegium medico-chirurgicum in Berlin. Dissertation Berlin 1938, S.7.
(2) Kessel, H., Lebens-Beschreibung D. Caspar Neumanns. In: Neumann, Caspar, Chymiae medicae dogmatico experimentalis. Tomi Primi. Pars Prima, Züllichau 1749; Vorrede, S. 2 f.
(3) Grossmann, J., Jugendgeschichte Friedrich I. Erster König in Preußen. In: Hohenzollern-Jahrbuch 4 (1900) 30.
(4) Hirsch, F., Die Erziehung der ältesten Söhne des Großen Kurfürsten. In: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte. Bd. 7, Leipzig 1894, S. 141 - 149.
(5)Thouret, G., Einzug der Musen und Grazien in die Mark. In: Hohenzollern-Jahrbuch 4 (1900) 192 - 222.
(6) Martius, E. W., Erinnerungen aus meinem neunzigjährigen Leben. Leipzig 1847, S. 188.
(7) Schelenz, C., Erinnerungen an meinen Vater. In: Die Schelenz-Stiftung. Festschrift zum 80. Geburtstage von Josef Anton Häfliger am 29. Mai 1953 (Veröffentlichungen der Internationalen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie N.F. Bd. 1) Eutin 1953, S. 15.
(8) Hartmann, G., Lebens=Erinnerungen. Teil 1. Magdeburg 1909, S. 29 - 30, und Teil 2, Magdeburg 1910, S. 87.
(9) Leimkugel, F., Wege jüdischer Apotheker. Die Geschichte deutscher und österreichisch-ungarischer Pharmazeuten. Eschborn 1991, S. 30 f.
(10) Leimkugel, F., Müller-Jahncke, W.-D., Vertriebene Pharmazie. Wissenschaftstransfer durch deutsche und österreichisch-ungarische Apotheker nach 1933. Stuttgart 1999, S.97 f.
(11) Persönliche Mitteilung zu Grebe von Frau Tiedt, Hannover, und Carl Ferdinand Kotthaus, Bremervörde vom 28. Februar 2000.
12) Barnbeck, R., 15 Jahre Diesdorfer Hausmusik. In: Chemidropha Post (VEB Chemidropha-Werk Karl-Marx-Stadt) 4 (1958), Nr. 2 vom 1. Februar 1958.
(13) Persönliche Mitteilung Robert Barnbecks, Oldenburg, vom 3. März 2000.
(14) Schreiben von Pater Urban Stillhard aus dem Kloster Muri-Gries vom 19. April 2000, dem der Verfasser ganz herzlich für die Übersendung von Kopien dankt.
(15) Mitteilung der Österreichischen Nationalbibliothek, Schreiben von Frau Dorothea Hunger vom 20. März 2000.
(16) Wiesenberg, E., Apotheker Max Böttger, Görlitz, zum 80. Geburtstag. Pharmazie 4 (1949) 246.
(17) O. A., Zum 90. Geburtstag. Apoth.-Ztg. 99 (1959) 345.
(18) E. P., Heinz Höhne 70 Jahre. Pharm. Praxis 17 (1962) 172.
(19) Persönliche Mitteilung von Rosemarie Höhne, Offenbach, vom 1. Mai 2000, der der Verfasser ganz herzlich für die zahlreichen Kopien und Bilder sowie für ihre ausführlichen Angaben dankt.
(20) Lebenslauf von Dr. phil. Günther Baumgarten, zusammengestellt nach persönlichen Unterlagen von seinem Sohn Dr. Ludwig Baumgarten, dem ich für seine Unterstützung ganz herzlich danke.
(21) Wissenschaftliche, literarische und gesellschaftliche Tätigkeit des Dr. G. Baumgarten, Wernigerode vom 29. November 1971, Familienarchiv Dr. Baumgarten.
(22) Zusammenstellung der Kompositionen von Günther Baumgarten, Familienarchiv Dr. Baumgarten.
(23) Baumgarten, G., Obscurillo. Medicamentum, H. 6 (1960) 198 - 200.
(24) Baumgarten, G., Lavoisier und der Aufbruch der Chemie vor 200 Jahren. Dtsch. Apoth.-Ztg. 119 (1979) 939 - 944.
(25) o. A., Apotheker als Komponist. Pharm. Ztg. 88 (1952) 901.
(26) Schwarz, H.-D., Foken, Edzard. In: Deutsche Apotheker-Biographie. Ergänzungsband II, Stuttgart 1997, S. 89 f.
(27) Eckart, R., Lexikon der Niedersächsischen Schriftsteller von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. Osterwieck 1891, S. 101.
(28) Brümmer, F., Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten des neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1, Leipzig [1896], S. 260 f.
(29) o. A., Nekrolog. Dtsch. Apoth.-Ztg. 92 (1952) 846 - 847.
(30) Vgl. dazu zusammengefasste Urteile über Edel-Geigen vom Oktober 1925, die mir freundlicherweise Stadtarchivar Hans Willbold aus Saulgau zur Verfügung stellte, dem ich dafür ganz herzlich danke.
(31) Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 50, S. 133 - 135.
(32) Schönenberger, E., Ignaz Heim, Biographische Skizze. Zürich 1881.
(33) o. A., Nekrolog. Pharm. Ztg. 52 (1908) 606.
(34) Gurlitt, W. (Hrsg.), Riemanns Musik Lexikon. Personenteil A - K. Mainz 1959, S. 821.
(35) Benjamino, G., Und es blitzten die Sterne. Die Geschichte meines Lebens. Hamburg 1957, S. 26 - 53.
(36) Kutsch, K. J., Riemens, L., Großes Sängerlexikon. 3. erw. Aufl., Bd. 3, München 1997, S. 2022.
(37) Eisenberg, L., Großes Biographisches Lexikon der Deutschen Bühne im XIX. Jahrhundert. Leipzig 1903, S. 583.
(38) Adlung, A., Urdang, G., Grundriß der Geschichte der deutschen Pharmazie. Berlin 1935, S. 410.
(39) Hein, W.-H., Schwarz, H.-D., Deutsche Apotheker-Biographie. Ergänzungsband, Stuttgart 1986, S. 424.
(40) Kutsch, K. J., Riemens, L., (wie Anm. 36) Bd. 5, 1997, S. 3349.
(41) Adlung, A., Urdang, G. (wie Anm. 38).
(42) Kutsch, K. J., Riemens, L., (wie Anm. 36) Bd. 5, 1997, S. 340.
(43) Schelenz, H., Geschichte der Pharmazie, Berlin 1904, S. 800.
(44) Adlung, A., Urdang, G., (wie Anm. 38).
(45) Kutsch, K. J., Riemens, L., (wie Anm. 36) Bd. 5, 1997, S. 3087 f.
(46) Trede, P., Karl Scheidemantel. Dresden 1911.
(47) Kutsch, K. J., Riemens, L., (wie Anm. 36) Bd. 3, 1997, S. 2034.
(48) Eisenberg, L., Großes Biographisches Lexikon der Deutschen Bühne im XIX. Jahrhundert. Leipzig 1903, S. 589.
(49) Urdang, G., Der Apotheker im Spiegel der Literatur. Berlin 1921, S. 95 f.
Anschrift des Verfassers:
Professor Dr. Christoph Friedrich
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