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Abenteuer Genomsequenz und Naturstoffforschung

18.10.2004  00:00 Uhr
.Pharmazeutische Biologie

Abenteuer Genomsequenz und Naturstoffforschung

von Shu-Ming Li, Tübingen

Seit Veröffentlichung der ersten vollständigen Genomsequenz von Haemophilus influenzae 1995 wurden bis September 2004 insgesamt 218 Genome von Bakterien, Pflanzen, Tieren und Pilzen vollständig entschlüsselt. Eigene Arbeiten am Lehrstuhl für Pharmazeutische Biologie der Eberhard-Karls-Universität sind der funktionellen Genomik spezieller Pilze und Streptomyzeten gewidmet.

Weltweit wird zurzeit an Genomsequenzierungen von über 960 Bakterien, Pflanzen, Tieren und Pilzen gearbeitet, die Zahl der Sequenzierungsprojekte steigt von Tag zu Tag. Aus den Sequenzen der bearbeiteten Genome lässt sich auf die kompletten für die Biosynthese zuständigen Gene eines spezifischen Naturstoffs des jeweiligen (Mikro-) Organismus schließen. Mit Hilfe der Molekularbiologie können Gencluster nicht nur bekannten Naturstoffen zugeordnet, es können zudem auch neue Wirkstoffe und somit neue potenzielle Leitstrukturen abgeleitet werden. Diese genetischen Informationen werden unter anderem für die Produktion neuer Pharmaka mit Hilfe der kombinatorischen Biosynthese, der Mutasynthese oder der chemoenzymatischen Synthese genutzt.

Lange Geschichte

Die Geschichte der DNA-Sequenzierung (Entschlüsselung der Erbinformationen), letztlich auch des Humangenoms, nahm ihren Anfang 1977. Zwei unabhängige Arbeitsgruppen um Alan Maxam und Walter Gilbert an der Harvard University beziehungsweise um Frederick Sanger an der Cambridge University entwickelten zwei unterschiedliche Sequenzierungsmethoden, mit denen die Reihenfolge der Basenpaare bestimmt werden konnte. 1983 stellte Kary B. Mullis in Boston die Polymerasekettenreaktion (PCR = Polymerase chain reaction) vor - ein Verfahren, mit dem sich die DNA beliebig vermehren und für Experimente nutzen lässt.

 

GlossarAminocoumarin-Antibiotika sind Hemmstoffe der bakteriellen Gyrase und Topoisomerase IV und enthalten den für diese Gruppe typischen 3-Amino-4,7-dihydroxycou-marin-Ring in ihren Strukturen.

Chemoenzymatische Synthese ist ein In-vitro-Verfahren, bei dem eine Substanz mit Hilfe eines Enzyms hergestellt wird.

Eukaryonten: Organismen, in denen das genetische Material in einem Kern zusammengefasst ist, dieser wird durch eine Kernmembran als subzelluläre Substanz vom Zytoplasma getrennt.

Gencluster bezeichnet einen durchgehenden DNA-Abschnitt, der die genetischen Informationen zur Biosynthese einer Substanz enthält.

Geninaktivierungsexperiment ist ein Verfahren, bei dem die Funktion eines zu untersuchenden Gens durch Insertion, Deletion oder Leserrasterverschiebung ausgeschaltet wird.

Genomsequenz ist die Reihenfolge der Nukleotide auf den Chromosomen eines Organismus.

kbp: Kilo-Basenpaare (Anzahl der Nukleotide).

Kombinatorische Biosynthese ist ein Verfahren, bei dem nicht-„natürliche“ Substanzen durch Rekombinationen der genetischen Informationen gewonnen werden können.

Nicht-ribosomale Peptidsynthetase (= NRPS) ist als multifunktionelles Enzym für die Biosynthese von Peptidantibiotika verantwortlich.

Polyketidsynthase (= PKS) ist für die Biosynthese von Acetatabkömmlingen zuständig.

Prokaryonten: Organismen, in welchen das genetische Material der Zellen in Form eines Pronukleus organisiert ist. Dieser ist nicht durch eine Kernmembran vom Zytoplasma getrennt. Zu den Prokaryonten zählen alle Bakterien, Blaualgen, Mykoplasmen, im weiteren Sinne Mitochondrien und Chloroplasten.

Sequenzierung ist die Bezeichnung für die Entschlüsselung der Nukleotid-Reihenfolge der DNA.

Typ I der Polyketidsynthase (= PKS I) ist als multifunktionelles Enzym an der Synthese nicht-aromatischer Polyketide beteiligt.

Typ II der Polyketidsynthase (= PKS II) ist für die Synthese der aromatischen Polyketide zuständig.

Typ III der Polyketidsynthase (= PKS III, auch bakterielle Chalconsynthase genannt) ist für die Synthese der aromatischen Polyketide zuständig.

 

1993 wurde eine Methode zur automatisierten Sequenzierung entwickelt, mit der das Verfahren stark beschleunigt wurde. Nach der bereits erwähnten Publikation der Genomsequenz des pathogenen Bakteriums Haemophilus influenzae 1995 wurden bis 1999 25 Genome von Pflanzen, Bakterien, Pilzen und Tieren entschlüsselt. Im Jahr 2000 schließlich wurde offiziell die Entschlüsselung des menschlichen Genoms bekannt gegeben. Seitdem ist die Zahl sequenzierter Genome drastisch gestiegen.

Bis September 2004 wurden insgesamt 218 komplette Genome sequenziert und publiziert. Zu 85 Prozent handelt es sich um Genome von Prokaryonten, sprich: von pathogenen Bakterien wie zum Beispiel Bacillus anthracis (Milzbranderreger), Clostridium tetani (Tetanus-Erreger), Helicobacter pylori (Gastritis-Erreger), Mycobacterium tuberculosis (Erreger der Tuberkulose), Mycobacterium leprae (Erreger der Lepra), Pseudomonas aeruginosa (Erreger der Meningitis), Salmonelle typhimurium (Enteritidis-Erreger), Shigella flexneri (Erreger der Bakterienruhr), Staphylococcus aureus (Eitererreger), Streptococcus pneumoniae (Erreger der Pneumonie), Vibrio cholerae (Cholera-Erreger) und Yersinia pestis (Erreger der Pest). Bei manchen Bakterien wurden Genome mehrerer Isolate sequenziert.

Außerdem wurden Genome von Naturstoffproduzenten wie Bacillus subtilis (Peptid-Antibiotika-Produzent), Streptomyces coelicolor (Calcium-dependent antibiotics-Produzent), Streptomyces avermitilis (Avermectin-Produzent) und Streptomyces peucetius (Produzent von Daunorubicin und Doxorubicin) sequenziert. Zum Stichtag 14. September 2004 liefen Projekte zur Genomsequenzierung von 523 Prokaryonten und 441 Eukaryonten, wobei sich die Gruppe der Eukaryonten aus Pilzen, Pflanzen, Einzellern und Tieren zusammensetzt. Dies zeigt, dass das Interesse an Eukaryonten-Genomen deutlich steigt.

Suche nach neuen Targets

Durch die Sequenzierung der Genome von Bakterien, Pflanzen, Tieren und letztlich auch vom Menschen können unter anderem Kenntnisse über neue Targets sowohl für die Pharmakotherapie als auch für die Impfstoffentwicklung gewonnen werden. So dienen Inhaltsstoffe von Pflanzen und Pilzen zum Beispiel als Abwehrstoffe, deren Fähigkeiten man sich zunutze machen kann. Andere Metaboliten haben wichtige Funktionen im Stoffwechsel, wieder andere sind Virulenzfaktoren, die an der Pathogenitätsentwicklung beteiligt sein können.

Die meisten der antibiotisch wirkenden Sekundärstoffe sind Naturstoffe von sehr komplexer Struktur. Derartige Substanzen sind einer wirtschaftlichen synthetischen Herstellung nicht zugänglich. Sie werden daher mit Hilfe lebender Organismen produziert und gegebenenfalls partialsynthetisch abgewandelt. Als Produzenten von Antibiotika, Antimykotika und Zytostatika sind etliche Bakterien- und Pilzarten insbesondere der Gattungen Streptomyces, Penicillium, Bacillus und Amycolatopsis in den Focus der modernen Pharmaforschung gerückt (Tabelle 1).

 

Tabelle 1: Auswahl von Produzenten natürlicher Antibiotika, Antimykotika und Zytostatika

SubstanzProduzentChemische KlasseTarget Actinomycin D Actinomyces antibioticus Actinomycin DNA-Interaktion Bacitracin Bacillus subtilis Peptid Zellwand Bleomycin Streptomyces verticillus Glykopeptid DNA-Stränge Cephamycin C Streptomyces clavuligerus, Cephalosporium acremonium b-Lactam Zellwand Chloramphenicol Streptomyces venezuelae Phenylpropan Ribosomen Chlorotetracyclin Streptomyces aureofaciens Tetracyclin Ribosomen Clavulansäure Streptomyces clavuligerus b-Lactam b-Lactamase Daunorubincin Streptomyces peucetius Antracyclin DNA-Interaktion Erythromycin Saccharopolyspora erythrea Macrolid Ribosomen Gentamicin Micromonospora purpurea Aminoglykosid Ribosomen Gramicidin Bacillus brevis Peptid Plasmamembran Griseofulvin Penicillium griseofulvum chloriertes Polyketid Mikrotubuli Kanamycin Streptomyces kanamycetius Aminoglykosid Ribosomen Lincomycin Streptomyces lincolnensis Lincosamid Ribosomen Mitomycin C Streptomyces caespitosus Benzochinon DNA-Kreuzlinking Novobiocin Streptomyces spheroides Aminocoumarin DNA-Gyrase Nystatin Streptomyces noursei Polyen Plasmamembran Penicilline Penicillium-Arten b-Lactam Zellwand Rifamycin Amycolatopsis mediterranei Ansamycin RNA-Polymerase Vancomycin Streptomyces orientalis, Amycolatopsis orientalis Glykopeptid Zellwand

 

Gencluster für Biosynthese

Bakterien haben wesentlich kleinere Genome als Pflanzen oder Tiere. Alle bisher sequenzierten bakteriellen Genome setzen sich aus weniger als zehn Millionen Basenpaaren (Mbp) zusammen (Tabelle 2). Mit acht bis neun Mbp gelten Gram-positive Bodenbakterien der Gattung Streptomyces als größte bakterielle Genome. Genome von Hefen und Pilzen liegen zwischen 10 und 40 Mbp.

 

Tabelle 2: Vergleich pro- und eukaryontischer Genome

ProkaryontenGröße (Mbp)EukaryontenGröße (Mbp) Helicobacter pylori 1,7 Saccharomyces cerevisiae (Bäckerhefe mit 16 Chromosomen) 12,0 Streptococcus pneumoniae 2,2 Aspergillus fumigatus (pathogener Pilz mit acht Chromosomen) 35 Staphylococcus aureus 2,8 Oryza sativa (Reis) 420 Mycobacterium tuberculosis 4,4 Plasmodium falciparum (Einzeller, Erreger der Malaria) 22,8 Escherichia coli 4,6 Takifugu rubripes (Fisch) 400 Bacillus anthracis 5,3 Drosophila melanogaster (Fliege mit sechs Chromosomen) 137 Pseudomonas aeruginosa 6,3 Mus musculus (Maus mit 21 Chromosomen) 2360 Streptomyces coelicolor 8,7 Homo sapiens (Mensch mit 24 Chromosomen) 3061

 

Häufig sind im bakteriellen Genom die gesamten genetischen Informationen für die Biosynthese eines bestimmten Naturstoffs auf einem DNA-Abschnitt gespeichert. Können aus den Sequenzinformationen nicht nur die Biosynthesewege bekannter Naturstoffe abgeleitet, sondern auch neue Strukturen vorhergesagt werden, so wissen wir heute, dass wesentlich mehr Gencluster in bakteriellen Genomen als für den jeweiligen (Mikro-) Organismus typische Inhaltsstoffe bekannt sind. Das heißt, dass im jeweiligen Fall noch nicht alle Naturstoffe identifiziert sind. So wurden von Streptomyces avermitilis zum Beispiel drei Naturstoffe identifiziert, im Genom wurden jedoch insgesamt 32 Gencluster für Sekundärstoffe gefunden. Diese Gencluster machen zum Teil mehr als sechs Prozent des gesamten Genoms aus.

Zum Gencluster und zurück

Zwei große Substanzgruppen der Inhaltsstoffe von Bakterien und Pilzen sind Peptide und Polyketide. Zur ersten Gruppe zählen Aktinomycin, Bacitracin, Bleomycin, Gramicidin und Vancomycin (Tabelle 1), zur zweiten Ansamycine, Antracycline, Makrolide, Polyene oder Tetracycline. Peptid-Antibiotika in Pilzen und Bakterien werden mit Hilfe nicht-ribosomaler Peptidsynthetasen (NRPS), Polyketide mit Hilfe der Polyketidsynthasen (PKS) gebildet. Andere Naturstoffe wiederum zählen zur Gruppe der Saccharide, wie zum Beispiel die Aminoglykoside Neomycin, Kanamycin und Streptomycin, oder sie haben einen oder mehrere Zuckerreste wie die Aminocoumarine, die Glykopeptide, Erythromycin und Lincomycin.

In den letzten 20 Jahren sind große Forschritte auf dem Gebiet der Molekularbiologie erzielt worden. Die Biosynthese von Peptiden, Polyketiden, Zuckern und Terpenoiden wurde intensiv erforscht. So kennt man in vielen Fällen nicht nur den Aufbau der Gene oder Enzyme, sondern auch den genauen Ablauf der Biosynthesereaktionen.

Streptomyces coelicolor A3 (2) ist der am besten erforschte Streptomyces-Stamm. Seine Genomsequenz wurde 2002 publiziert. Vor der Sequenzierung dieses Genoms waren mit Actinorhodin, TW95a, Calcium-dependent antibiotic (CDA) und Prodiginin (Tabelle 3) vier Naturstoffe bekannt. Nach der Genomsequenzierung wurden die Gencluster der vier bekannten Stoffe im Genom erwartungsgemäß wieder erkannt. Durch Sequenzanalyse und Sequenzvergleich konnten Strukturen für neun weitere Cluster vorgeschlagen werden (Tabelle 3, Gruppe 2). Sieben dieser Substanzen wurden auch in anderen Organismen identifiziert. Die Strukturen zweier Inhaltsstoffe (Coelichelin, Coelibactin) waren vorher nicht bekannt. Einige der vorhergesagten Strukturen wurden durch Expression des jeweiligen Genclusters bestätigt. Aus neun weiteren Clustern (Tabelle 3, Gruppe 3) konnten noch keine Strukturen abgeleitet werden.

 

Tabelle 3: Biosynthetische Gencluster und Naturstoffe aus Streptomyces coelicolor

Gencluster Identifizierter InhaltsstoffClustergröße (kbp) Gruppe 1: Vor Genomsequenzierung bekannte Strukturen und Gencluster PKS II Actinorhodin 22 PKS II TW95a 8 NRPS Calcium-dependent antibiotic (CDA) 33 NRPS und PKS I Prodiginin 80 Gruppe 2: Strukturen aus Genomsequenz abgeleitet PKS I polyungesättigte Fettsäure 19 PKS III Tetrahydroxynaphthalen 1 NRPS Coelichelin (neue Struktur) 20 NRPS Coelibactin (neue Struktur) 26 Squalen-Hopen-Cyclase Hopanoid 15 Sesquiterpensynthase Geosmin 2 Phytoensynthase Isorenieraten   Siderophorsynthetase Desferrioxamin 5 Butyrolactonsynthase Butyrolacton 1 Gruppe 3: Zurzeit keine Strukturvorhersage möglich PKS I unbekannt 70 PKS I unbekannt 10 PKS III unbekannt 3,5 PKS III unbekannt 1 NRPS unbekannt 14 Sesquiterpensynthase unbekannt 2,5 Siderophorsynthetase unbekannt 4 Typ II Fettsäuresynthase unbekannt 10 Desoxyzucker unbekannt 20

 

Eigene Forschungen

Am Lehrstuhl Pharmazeutische Biologie der Universität Tübingen wird unter der Leitung von Professor Dr. Lutz Heide an der Biosynthese der Sekundärstoffe aus Pilzen und Streptomyzeten sowie an der Herstellung neuer Derivate durch Kombination chemischer, biochemischer und molekularbiologischer Methoden geforscht.

Hauptuntersuchungsobjekte sind die Aminocoumarin-Antibiotika Novobiocin, Clorobiocin und Coumermycin A1 (Abbildung 5, A), die von den Bodenbakterien Streptomyces spheroides, St. roseochromogenes und St. rishiriensis produziert werden. Diese Antibiotika sind hochpotente Hemmstoffe der bakteriellen Gyrase und der Topoisomerase IV, was sie zu interessanten Ausgangsverbindungen für die Entwicklung neuer Antibiotika macht. Der Arbeitsgruppe Heide gelang es, weltweit erstmals die Biosynthesegencluster von Novobiocin und Coumermycin A1 zu identifizieren.

Eigene Untersuchungen waren der Sequenzierung und Analyse des dritten biosynthetischen Genclusters von Aminocoumarin-Antibiotika zur Produktion von Clorobiocin gewidmet. Damit wurde die Basis für Hypothesen zur Zuordnung der einzelnen Gene zur Biosynthese verschiedener Struktureinheiten der Aminocoumarin-Antibiotika geschafft. Die eigenen Arbeiten beschäftigen sich auch mit den modifizierenden Reaktionen in der Biosynthese der Aminocoumarin-Antibiotika sowie Versuchen zur Herstellung neuer Aminocoumarinderivate.

Aminocoumarin-Antibiotika

Betrachtet man die drei Aminocoumarin-Antibiotika Novobiocin (nov), Clorobiocin (clo) und Coumermycin A1, so sind auffallende Ähnlichkeiten sowohl in den Genclustern als auch in den Strukturen erkennbar. Zum Beispiel enthalten alle drei Substanzen den gleichen Desoxyzucker-Rest und Aminocoumarin-Ring. Für die Biosynthese dieser beiden Struktur-Komponenten wurden dem gemäß jeweils fünf (nov/clo/couSTUVW) beziehungsweise vier Gene (nov/clo/couHIJK) an den entsprechenden Cluster-Positionen gefunden.

Die Produktion des Chloratoms in Position 8 am Aminocoumarin-Ring von Clorobiocin ist auf das Halogenase-Gen clo-hal hinter cloN7 zurückzuführen. An den entsprechenden Positionen von Novobiocin und Coumermycin A1 fehlt dieses Chloratom, stattdessen ist eine Methylgruppe zu finden. Dieser Unterschied ist auch der genetischen Information zu entnehmen. In den Clustern von Novobiocin und Coumermycin A1 fehlt ein clo-hal ähnliches Gen, an der entsprechenden Position ist jeweils ein Methyltransferasegen (novO beziehungsweise couO) lokalisiert, das die Methylierung der Aminocoumarin-Ringe veranlasst.

Ähnlichkeiten und Unterschiede

Modifizierende Reaktionen wie Methylierung, Oxidation oder Reduktion, Veresterung oder Glykosidierung spielen eine große Rolle für die Synthese biologisch aktiver Substanzen aus nicht aktiven Vorstufen. Vorrangige Reaktionen in der Biosynthese von Aminocoumarin-Antibiotika sind die Methylierung an 4-OH sowie die Acylierung an 3-OH des Desoxyzuckers. Im Novobiocin ist die Acylkomponente ein Carbamoylrest, im Clorobiocin und Coumermycin A1 eine 5-Methylpyrrol-2-carboxyl-Einheit. Mit 3-Methylpyrrol-2,4-dicarbonsäure, die als Acylkomponente amidartig mit den zwei Aminocoumarin-Ringen verbunden ist, enthält Coumermycin A1 eine weitere Pyrrolcarbonsäure.

Unsere eigenen Studien zeigten, dass nov/clo/couP eine O-Methyltransferase codiert, die die Übertragung einer Methylgruppe auf 4-OH des Desoxyzuckers katalysiert. NovN aus dem Novobiocincluster ist für die Carbamoylierung vom 3-OH des Desoxyzuckers verantwortlich. Bei Untersuchung der Biosynthese des 5-Methylpyrrol-2-Carboxyl-Restes, der nur in Clorobiocin und Coumermycin A1, nicht aber in Novobiocin vorkommt, haben wir festgestellt, dass demgemäß sieben Gene clo/couN1-N7 nur in den Clustern von Clorobiocin und Coumermycin A1, nicht aber in dem von Novobiocin zu finden sind.

Geninaktivierungen von couN3 und couN4 im Coumermycin A1-Produzenten Streptomyces rishiriensis sowie von cloN2 und cloN6 im Clorobiocin-Produzenten Streptomyces roseochromogenes zeigten, dass die Gene cou/cloN3 und cou/cloN4 an der Biosynthese der Pyrrol-Einheiten von den Desoxyzuckern beteiligt sind. Es konnte auch bewiesen werden, dass die zentrale 3-Methylpyrrol-2,4-dicarbonsäure-Einheit in Coumermycin A1 aus einem anderen Biosyntheseweg stammt. Clo/CouN2 ist in die Veresterung vom aktivierten Pyrrol-2-Carboxyl-Rest mit dem Zucker involviert. Die Methylgruppe am Pyrrolring wird erst nach der Veresterung übertragen, und zwar durch das Enzym Clo/CouN6.

Dass sich die gewonnenen Erkenntnisse auch für die Laborarbeit nutzen lassen, sei nur am Rande erwähnt. So ist ein Nachteil der Aminocoumarin-Antibiotika, insbesondere der Coumermycinderivate, ihre schlechte Löslichkeit in Wasser. Durch Inaktivierung der Gene couO und couP im Coumermycin A1-Produzenten Streptomyces rishiriensis lässt sich diese Löslichkeit verbessern, indem die Bildung der Methylgruppen verhindert wird.

Genetisches Engineering

Komplizierter hingegen ist der Versuch, die genetischen Informationen mehrerer Mikro-Organismen für die Produktion einer neuen Substanz zu kombinieren. Mit Hilfe der kombinatorischen Biosynthese ist es uns gelungen, Biscarbamoylcoumermycin D, ein Coumermycinderivat mit einer Carbamoylgruppe statt eines 5-Methylpyrrol-2-carboxyl-Restes am 3-OH der Desoxyzucker, herzustellen. Durch Inaktivierung des essenziellen Gens couN3 wurde die Biosynthese des 5-Methylpyrrol-2-carboxyl-Restes blockiert. Die couN3-negative Mutante produziert nicht Coumermycin A1 wie im Wildtyp, sondern Coumermycin D ohne 5-Methylpyrrol-2-carboxyl-Reste an den Zuckern. In einem zweiten Schritt wird NovN, ein Carbamoyltransferasegen aus dem Novobioicin-Produzenten, in die couN3-negative Mutante eingebracht. NovN katalysiert die Übertragung einer Carbamoylgruppe auf den Zucker. Der so entstandene Bakterienstamm enthält zusätzliche genetische Informationen aus dem Novobiocin-Produzenten und produziert das gewünschte hybride Antibiotikum Biscarbamoylcoumermycin D.

Mithilfe der chemoenzymatischen Synthese wurde Enzym NovN exprimiert und nahezu homogen gereinigt. Fünf unterschiedliche Derivate von Clorobiocin ohne Substituenten an 3-OH des Desoxyzuckers wurden aus verschiedenen Mutanten der Clorobiocin-Produzenten S. roseochromogenes isoliert und mit NovN zu carbamoylierten Derivaten umgewandelt. Die Ausbeuten der Reaktionen lagen zwischen 54 und 87 Prozent.

Die durch die beschriebenen Methoden erhaltenen Substanzen wurden im präparativen Maßstab hergestellt. Ihre Strukturen wurden mit Hilfe der Kernresonanz- (NMR) und Massen-Spektroskopie (MS) abgesichert. Der Test der biologischen Aktivitäten der erhaltenen Substanzen gab weitere wichtige Informationen zu ihren Struktur-Aktivität-Beziehungen. Dieses kann für das spätere Design neuer Aminocoumarin-Antibiotika von großer Bedeutung sein.

 

Weiterführende Literatur

  1. Genomes OnLine Database (GOLD) (www.genomesonline.org)
  2. Bentley et al., (2002) Nature 417, 141 - 147.
  3. Pojer et al., (2002) Microbiology 148, 3901 - 3911.
  4. Li et al., (2002) Microbiology 148, 3317 - 3326.
  5. Xu et al., (2002) Mol. Gen. Gen. 268, 387 - 396.
  6. Xu et al., (2003) Microbiology 149, 2183 - 2191.
  7. Xu et al., (2004) Chemistry and Biology 11, 655-662.
  8. Li and Heide (2004) Curr. Med. Chem. Anti-infective Agents 3 (4)

 

Der Autor

Privat-Dozent Dr. Shu-Ming Li studierte Pharmazie und Medizin an der Peking Universität, China, und erhielt seinen Bachelor of Science 1983, seinen Master of Medicine 1986. Seine Dissertation zur Isolierung und Strukturaufklärung von Phlorotaninen aus Algen fertigte er 1992 am Institut für Pharmazeutische Biologie der Universität Bonn unter der Leitung von Professor Dr. Karl-Werner Glombitza an. Als Post-Doktorand arbeitete Li von 1992 bis 1995 an der Reinigung und Charakterisierung von biosynthetischen Enzymen aus Pflanzenzellkulturen im Arbeitskreis von Professor Dr. L. Heide an den Universitäten Freiburg und Tübingen. Von Mai 1995 bis Juli 2004 war er als wissenschaftlicher Angestellter am Pharmazeutischen Institut, Tübingen, tätig. Li hat sich im Januar 2004 für das Fach Pharmazeutische Biologie habilitiert. Im Juli 2004 wurde er zum Akademischen Rat ernannt. Seine jetzigen Forschungsschwerpunkte sind biochemischen und molekularbiologischen Untersuchungen zur Biosynthese von Sekundärstoffen nicht nur in Bakterien, sondern auch in Pilzen gewidmet.

 

Anschrift des Verfassers:
PD Dr. Shu-Ming Li
Pharmazeutische Biologie, Eberhard-Karls-Universität
Auf der Morgenstelle 8
72076 Tübingen
shuming.li@uni-tuebingen.de

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