
Titel
Künstliche Paradiese:
Die Scheinwelt der Drogen und Suchtmittel
Zu allen Zeiten gab es Menschen, die Gifte mißbraucht haben, um high zu
werden oder in ein künstliches Paradies aufzusteigen oder abzutauchen. Im
PZ-Titel werden Rauschgifte vom Standpunkt des Pharmazeuten betrachtet.
Jedoch nicht in der gewohnten Einteilung nach chemischen
Verbindungsklassen, sondern eingeteilt nach vier Paradiesen, die sie
vorgaukeln:
- Träume: Ich bin total entspannt und denke an etwas Schönes.
- Ich-Sucht: Mir geht´s super! Ich bin der Größte!
- Flucht: Ich will abschalten und vergessen können.
- Neue Erlebnisse: Raus aus dem Alltagsgrau, aus der materialistischen
Verkümmerung.
Haschisch, Morphin und Heroin führen in das Paradies der Träume. Die
Haschischwirkung wird vor allem dem Tetrahydrocannabinol (THC) zugeschrieben.
Vor wenigen Jahren wurde eine physiologische Substanz als "Originalschlüssel" am
THC-Rezeptor gefunden: Anandamid, das Ethanolamid der Arachidonsäure. Aus
dem eingetrockneten Milchsaft der Schlafmohnkapsel werden Opium und das
Alkaloid Morphin gewonnen. Ende des vorigen Jahrhunderts wurde sein
Diacetylester, das Heroin, synthetisiert. Ursprünglich geschah dies in dem Glauben,
damit eine viel weniger suchterzeugende Substanz gefunden zu haben. Das Gegenteil
war jedoch richtig. Heroin flutet nach der Injektion schneller im Gehirn an als
Morphin und gibt den gewünschten Kick. Auch diese Stoffe imitieren körpereigene
Agonisten an den Opiatrezeptoren, die Endorphine.
Ins Paradies der Ich-Sucht entführen Cocain, Amphetamine und Designer-Drogen.
Cocainhydrochlorid wird geschnupft, die Base (Crack) wird geraucht. Die Wirkung
entsteht vermutlich über die Hemmung eines Dopamintransporters. Ähnlich
stimulierend wirken Amphetamine und ihre Derivate. Die häufige, unnatürlich starke
Stimulierung des Organismus kann nach heutiger Kenntnis Geisteskrankheiten bis hin
zur Schizophrenie nach sich ziehen.
Bei der Flucht aus der realen Welt helfen Alkohol, aber auch Arzneistoffe wie
Barbiturate und Benzodiazepine. Bei kontrollierter Gabe haben diese Medikamente
durchaus ihren Nutzen als Schlaf- und Beruhigungsmittel. Benzodiazepine können als
"Bremskraftverstärker" der Gamma-Amino-Buttersäure bezeichnet werden. Sie ist
der wichtigste inhibitorische Neurotransmitter. Auf subtile Art machen auch diese
Stoffe abhängig; beim plötzlichen Absetzen gewinnen exzitatorische Transmitter die
Oberhand. Obwohl in den sechziger Jahren rein synthetisch hergestellt, hat man
inzwischen vergleichbare Strukturen in der Natur gefunden, zum Beispiel
Desmethyldiazepam.
Neue Erlebnisse und eine schönere Welt gaukeln Stoffe wie Mescalin oder
Lysergsäurediethylamid (LSD) vor. Auch sie greifen in die Signalübertragung im
Gehirn ein. LSD soll die Freisetzung des Neurotransmitters Serotonin hemmen. Die
dauerhafte Einnahme kann die Persönlichkeit zerstören und zu Psychosen führen.
Trotz einer Karriere als Suchtmittel darf man nicht übersehen, daß etliche
Verbindungen, etwa Morphin, als Arzneistoff eingesetzt werden oder als
Leitsubstanzen für die Arzneistoffentwicklung dienen.
PZ-Titel von Dr. Peter Imming, Marburg
© 1996 GOVI-Verlag
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