Pharmazeutische Zeitung online

PZ Titel

23.09.1996  00:00 Uhr

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Titel

Govi-Verlag

Künstliche Paradiese:
Die Scheinwelt der Drogen und Suchtmittel


Zu allen Zeiten gab es Menschen, die Gifte mißbraucht haben, um high zu werden oder in ein künstliches Paradies aufzusteigen oder abzutauchen. Im PZ-Titel werden Rauschgifte vom Standpunkt des Pharmazeuten betrachtet. Jedoch nicht in der gewohnten Einteilung nach chemischen Verbindungsklassen, sondern eingeteilt nach vier Paradiesen, die sie vorgaukeln:
- Träume: Ich bin total entspannt und denke an etwas Schönes.
- Ich-Sucht: Mir geht´s super! Ich bin der Größte!
- Flucht: Ich will abschalten und vergessen können.
- Neue Erlebnisse: Raus aus dem Alltagsgrau, aus der materialistischen Verkümmerung.

Haschisch, Morphin und Heroin führen in das Paradies der Träume. Die Haschischwirkung wird vor allem dem Tetrahydrocannabinol (THC) zugeschrieben. Vor wenigen Jahren wurde eine physiologische Substanz als "Originalschlüssel" am THC-Rezeptor gefunden: Anandamid, das Ethanolamid der Arachidonsäure. Aus dem eingetrockneten Milchsaft der Schlafmohnkapsel werden Opium und das Alkaloid Morphin gewonnen. Ende des vorigen Jahrhunderts wurde sein Diacetylester, das Heroin, synthetisiert. Ursprünglich geschah dies in dem Glauben, damit eine viel weniger suchterzeugende Substanz gefunden zu haben. Das Gegenteil war jedoch richtig. Heroin flutet nach der Injektion schneller im Gehirn an als Morphin und gibt den gewünschten Kick. Auch diese Stoffe imitieren körpereigene Agonisten an den Opiatrezeptoren, die Endorphine.

Ins Paradies der Ich-Sucht entführen Cocain, Amphetamine und Designer-Drogen. Cocainhydrochlorid wird geschnupft, die Base (Crack) wird geraucht. Die Wirkung entsteht vermutlich über die Hemmung eines Dopamintransporters. Ähnlich stimulierend wirken Amphetamine und ihre Derivate. Die häufige, unnatürlich starke Stimulierung des Organismus kann nach heutiger Kenntnis Geisteskrankheiten bis hin zur Schizophrenie nach sich ziehen.

Bei der Flucht aus der realen Welt helfen Alkohol, aber auch Arzneistoffe wie Barbiturate und Benzodiazepine. Bei kontrollierter Gabe haben diese Medikamente durchaus ihren Nutzen als Schlaf- und Beruhigungsmittel. Benzodiazepine können als "Bremskraftverstärker" der Gamma-Amino-Buttersäure bezeichnet werden. Sie ist der wichtigste inhibitorische Neurotransmitter. Auf subtile Art machen auch diese Stoffe abhängig; beim plötzlichen Absetzen gewinnen exzitatorische Transmitter die Oberhand. Obwohl in den sechziger Jahren rein synthetisch hergestellt, hat man inzwischen vergleichbare Strukturen in der Natur gefunden, zum Beispiel Desmethyldiazepam.

Neue Erlebnisse und eine schönere Welt gaukeln Stoffe wie Mescalin oder Lysergsäurediethylamid (LSD) vor. Auch sie greifen in die Signalübertragung im Gehirn ein. LSD soll die Freisetzung des Neurotransmitters Serotonin hemmen. Die dauerhafte Einnahme kann die Persönlichkeit zerstören und zu Psychosen führen.

Trotz einer Karriere als Suchtmittel darf man nicht übersehen, daß etliche Verbindungen, etwa Morphin, als Arzneistoff eingesetzt werden oder als Leitsubstanzen für die Arzneistoffentwicklung dienen.

PZ-Titel von Dr. Peter Imming, Marburg

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