Schaltstellen im Apoptose-Programm |
26.08.2002 00:00 Uhr |
von Marcus Schuchmann, Mainz
Apoptose, die Bereitschaft und Fähigkeit einer Zelle, auf Befehl streng geordnet zu sterben, ist eine Grundvoraussetzung für das Überleben eines vielzelligen Organismus. Ein sorgfältig kontrollierter Prozess leitet den programmierten Zelltod ein. Zu den Schlüsselenzymen in dieser Signalkaskade gehören die Caspasen.
Die Fähigkeit beinahe jeder Körperzelle, sich selbst zu töten, steht seit einigen Jahren zunehmend im Interesse der biologischen Grundlagenforschung. Was ursprünglich für ein seltenes Ereignis gehalten wurde, ist ein Grund legendes Prinzip der Organisation multizellulärer Organismen. Milliarden von Zellen entstehen während der Embryonalentwicklung und sind bei der Geburt bereits wieder abgestorben.
Der programmierte Zelltod, die Apoptose, ist bei Säugern Grundlage der Gewebe- und Organplastizität nicht nur während der Embryogenese, sondern auch bei Anpassungsprozessen im späteren Leben. Besonders bei der Elimination autoreaktiver Immunzellen ist er von entscheidender Bedeutung.
Die Apoptose, ursprünglich morphologisch definiert, gehorcht starren Regieanweisungen, die man im Mikroskop verfolgen kann. Die Zelle schrumpft unter Erhalt der Membranintegrität, das nukleäre Chromatin kondensiert, und schließlich schnüren sich Membranblasen ab, bevor der Zellkadaver durch spezialisierte Fresszellen entsorgt wird. Vermutlich ist es gerade die hohe Effizienz dieser Fresszellen, warum man in histologischen Schnitten oft nur wenige apoptotische Zellen nachweisen kann, obwohl es sich um ein häufiges und ständig auftretendes Ereignis handelt (1).
Seit der Erstbeschreibung ist eine Flut von kaum noch überschaubaren Details der intrazellulären Vorgänge während des programmierten Zelltods erforscht worden. Neben der ungeheuren Faszination, die das perfekt organisierte biologische Räderwerk auf Forscher ausübt, beflügelt diese vor allem die Einsicht, dass eine Fehlsteuerung des apoptotischen Programms vielen Erkrankungen zugrunde liegt. Somit eröffnet die Modulation des Apoptose-Programms durch Arzneistoffe ein neues attraktives Therapiekonzept.
Vom Wurm zum Mensch
Zentrale Bestandteile des apoptotischen Programms wurden im Fadenwurm Caenorrhabditis elegans entdeckt und sind bis hin zum Menschen äußerst konserviert (2). Genforscher identifizierten drei zentrale Gene, die für die Zerstörung von genau 131 der insgesamt 1090 Zellen während der Entwicklung des Wurms notwendig sind: die Gene ced3, ced4 und ced9 (ced: cell death gene).
Durch das Gen ced3 wird ein Effektorprotein kodiert, dessen Aktivierung am Ende der intrazellulär ablaufenden Zelltod-Kaskade steht und dessen Homolog in den Säugerzellen die Caspasen darstellen (3). Das Kunstwort leitet sich ab vom englischen Begriff „cysteinyl aspartate specific proteases“. Caspasen sind Proteasen mit einem Cystein im aktiven Zentrum, die ihre Substrate stets an einer Aminosäurensequenz mit einem Aspartat erkennen. Vereinfacht zusammengefasst: Die grundlegenden Werkzeuge des programmierten Zelltods sind bereits auf der Entwicklungsstufe des Fadenwurms angelegt und in Säugerzellen lediglich in ihrer Ausführung verfeinert.
Zelltod-Signalwege in der Zelle
Wie beginnt das Ende einer Zelle? Eine Fülle von Stimuli kann den apoptotischen Zelltod auslösen, ohne dass ein bestimmter Auslöser unabhängig von der Zielzelle als per se tödlich eingestuft werden darf. Die fatale Reaktion entsteht immer erst beim zeitlich und örtlich passenden Aufeinandertreffen eines Zelltodauslösers auf eine Zielzelle, die eben für diesen Auslöser zur gegebenen Zeit empfänglich ist.
Typisches Beispiel für die unterschiedliche Wirkung eines Stimulus ist die Beobachtung, dass Steroide in Thymozyten den apoptotischen Zelltod auslösen, bei anderen Zellen jedoch verhindern können (4). Ein umgekehrtes Prinzip – Auslösen von Apoptose durch einen Mangel an Stimuli – wurde für Neuronen beschrieben, die ständig durch Signale von extrazellulären Wachstumsfaktoren daran gehindert werden müssen, sich selbst zu zerstören (5).
Am besten erforscht ist der durch membranständige Rezeptoren ausgelöste Zelltod. Hier beginnt das Todesprogramm durch Bindung eines extrazellulären Liganden an einen membranständigen Rezeptor, dessen sterische Veränderung auf der zytosolischen Seite das Anlagern von Signalmolekülen ermöglicht und damit das Signal in die Zelle überträgt (6).
Todesrezeptoren und Adaptermoleküle
Die Interaktion von membranständigen Rezeptoren und ihren Liganden ist ein extrem gut kontrollierter Mechanismus, um rasch und selektiv über Leben und Tod einer einzelnen Zelle entscheiden zu können. Eine ganze Reihe von Rezeptoren ist in der Lage, ein Zelltodsignal in die Zelle zu übermitteln.
Am besten sind bisher Todesrezeptoren der Tumornekrose-Faktor-(TNF)-Rezeptorfamilie untersucht, eine große Gruppe von membranständigen Rezeptoren, die Homologien in ihrem Liganden bindenden extrazellulären Abschnitt aufweisen. Mitglieder dieser Familie, die apoptotischen Zelltod auslösen können, verfügen darüber hinaus in ihrem intrazellulären Abschnitt über eine sehr hoch konservierte Andockstelle („Todesdomäne“) für Adaptermoleküle, die das Todessignal in die Zelle tragen. Unter dem Einfluss dieser Adaptermoleküle werden Caspasen aktiviert: Die Zelltodmaschinerie startet (7).
Überraschenderweise sind die Todesrezeptoren jedoch auch in der Lage, je nach Status der betroffenen Zelle andere Antworten zu induzieren, zum Beispiel die Aktivierung der Zielzelle, deren Differenzierung oder aber Proliferation. Das ist insbesondere für den TNF-Rezeptor 1 (CD 120 a) beschrieben, der neben Zelltod auch Zellproliferation auslösen kann (8).
Regulatoren aus der bcl2-Familie
Die Proteine der bcl2-Familie spielen neben den Rezeptor bindenden Adaptermolekülen eine zentrale Rolle bei der Regulation der Apoptose. Alle Mitglieder besitzen mindestens eine der vier hoch konservierten Proteindomänen, die im prototypischen Familienmitglied bcl2 vorhanden sind. Daher werden diese Sequenzen auch bcl2-Homologiedomänen (BH-Domänen) genannt.
Die bcl2-Familie kann in zwei Gruppen unterteilt werden: pro- und antiapoptotische Proteine. Die antiapoptotischen Mitglieder bcl2 und bcl-XL verfügen über alle vier BH-Domänen. Im Gegensatz dazu fehlt den proapoptotischen Familienmitgliedern Bax, Bak und Bok die BH4-Domäne, während die Proteine Bid, Bad, Bik, HRK, Noxa und Bim lediglich eine BH3-Domäne aufweisen. Eine Sonderstellung nimmt das Protein Bid ein, das – als wichtiges Substrat von Caspase-8 – nach seiner Spaltung die Mitochondrien in den apoptotischen Signalweg mit einbezieht.
Da auch Zellen ohne Mitochondrien durch Apoptose sterben können, wurde die Bedeutung dieser Zellorganellen lange unterschätzt. Heutzutage ist es jedoch unbestritten, dass die Mitochondrien ein wesentlicher Bestandteil im Apoptose-Prozess sind (9). Es konnte gezeigt werden, dass in zellfreien Extrakten die Caspase-Initiierung nur in Anwesenheit von Cytochrom C und dATP (deoxy-Adenosintriphosphat) möglich ist. Die Freisetzung von Cytochrom C während der Apoptose ist Folge einer Veränderung der mitochondrialen Membranpermeabilität (10).
Mitochondrien tragen damit bei oxidativem Stress, Hitzeschock oder DNA-Schädigung entscheidend zur Einleitung des Zelltodprogramms bei. Dieses startet mit einem Multi-Proteinkomplex, dem „Apoptosom“, der unter Einbeziehung von freigesetztem mitochondrialen Cytochrom C und dem Adapterprotein Apaf-1 zur Aktivierung von Caspase-9 führt (11).
Aktivierung von Caspasen
Im Zentrum des apoptotischen Programms in Säugerzellen steht die Aktivierung der Caspasen; diese Proteasen sind sowohl an der Regulation als auch an der Ausführung des Zelltods entscheidend beteiligt (12). Im Zytoplasma liegen sie fertig synthetisiert in einer inaktiven Form vor.
Das inaktive Protein kann in drei Abschnitte unterteilt werden: eine regulatorische Prodomäne, der eine lange und eine kurze Untereinheit folgen. Die Aktivierung erfolgt durch proteolytische Spaltung zwischen den Untereinheiten und der nachfolgenden Abspaltung der Prodomäne (13). Im Regelfall erfolgen Spaltung und Aktivierung durch Caspasen selbst. Zur Bildung der aktiven Form einer Caspase lagern sich schließlich je zwei kurze und zwei lange Untereinheiten zu einem Tetramer zusammen. Nachdem die erste Caspase noch als Zytokin prozessierendes Enzym identifiziert und deshalb Interleukin-beta-konvertierendes Enzym (ICE) genannt wurde, konnten in den vergangenen Jahren 14 strukturhomologe Caspasen identifiziert werden.
Diese können in zwei große Gruppen eingeteilt werden: Caspasen, die an der Regulation und Ausführung des programmierten Zelltods beteiligt sind, und solche, deren Hauptaufgabe nicht in der Apoptose-Regulation, sondern in der Prozessierung von entzündungsfördernden Zellbotenstoffen wie Interleukin-1 beta liegt (Caspase-1, -4, -5, -11, -13 und -14). Die Gruppe der Zelltod-Caspasen kann wiederum in zwei Untergruppen eingeteilt werden. Initiator-Caspasen lösen das Zelltodprogramm nach einem geeigneten Stimulus aus und haben eine lange Prodomäne gemeinsam (Caspase-2, -8, -9 und -10). Proteasen mit kurzer Prodomäne verrichten als Effektor-Caspasen die eigentliche Arbeit und zerschneiden ihre Substrate wie Struktur-Steuerproteine ; damit besiegeln sie das geordnete irreversible Absterben einer Zelle.
Die Aktivierung von Caspasen kann im Wesentlichen auf dreierlei Weise eingeleitet werden: über membranständige Todesrezeptoren, durch Granula zytotoxischer T-Zellen und natürlicher Killerzellen sowie durch allgemeinen Zellstress wie Hitze, Bestrahlung oder Zytostatika, die DNA-Schäden, oxidativen Stress und Schädigung der Mitochondrien auslösen.
Substrate für Caspasen
Mehr als 60 Proteine werden als Substrate für aktivierte Caspasen beschrieben. Diese Gruppe von Proteinen ist noch immer am Wachsen und bisher nur unzureichend charakterisiert (14, 15). Das vermutlich am besten beschriebene Substrat ist PARP (poly Adenosin-diphosphat-Ribose-Polymerase), das sehr früh in zwei Fragmente zerschnitten wird. PARP ist ein ATP-abhängiges DNA-Reparaturenzym, dessen Zerstörung notwendige Reparaturmechanismen unterbindet. Vor allem Caspase 3 und 7 scheinen für die Zerstörung von PARP verantwortlich zu sein (16).
Die proteolytische Zerstörung von Zellstrukturproteinen wird vermutlich vor allem durch Aktivierung von Caspase-6 erreicht. Dabei kommt es zur Zerstörung von Lamin-Lamin-Interaktionen (Lamin ist ein Filament der Zellkernhülle) und in der Folge zu typischen Veränderungen der Kernmorphologie (17). Darüber hinaus wurden viele weitere Caspase-Substrate identifiziert, die häufig Bestandteil des DNA-Reparaturapparats oder der Zellstruktur sind.
Der elegante Mechanismus der für die Apoptose typischen DNA-Zerschneidung wurde erstmals von der Arbeitsgruppe um Nagata beschrieben. Die DNAse CAD ist in der vitalen Zelle im Zytosol an einen Inhibitor ICAD gebunden. Nach Aktivierung der apoptotischen Kaskade wird der Inhibitor – ein Substrat für die aktivierte Caspase-3 – proteolytisch gespalten, und die nun aktivierte DNAse CAD kann in den Zellkern transloziert werden und dort genomische DNA zerschneiden (18).
Potenzielle Pharmaka
Bei der Entwicklung neuer pharmakologischer Strategien lohnt es sich, natürliche Mechanismen gut zu analysieren. Beispielsweise sind Caspasen ein häufiges Ziel viraler Proteine, die Caspasen in ihrer Aktivität inhibieren. Das durch zytotoxische T-Zellen eingeleitete Abtöten der infizierten Zellen kann somit verhindert und die Virusreplikation ungestört vollendet werden.
Unter diesem evolutionsbiologischem Druck entwickelten Viren eine Reihe von Poteinen, die hocheffizient die Caspase-Aktivität inhibieren. Diese bieten nicht nur interessante Einblicke in den Zelltodprozess und mögliche Eingriffsorte, sondern sind möglicherweise auch wertvolle Werkzeuge zur Behandlung von Erkrankungen, bei denen eine überschießende Apoptose-Aktivität ursächlich ist. Laugwitz und Mitarbeiter konnten in einem Rattenmodell der Herzinsuffizienz zeigen, dass die Krankheitssymptomatik durch den Caspase-Inhibitor p35 aus Baculoviren deutlich gebessert wurde (19).
Auch die natürliche Regulation von Zelltod und Zellwachstum bedient sich inhibitorischer Proteine, die an Caspasen binden und deren Aktivität blockieren. Große Bedeutung bei der Steuerung der Expression antiapoptotischer Proteine, die auch in Tumorzellen ein Lysieren durch zytotoxische T-Zellen verhindern, hat der Transkriptionsfaktor NF-kB. Auch wenn die Zielgene und exakten Mechanismen der NF-kB vermittelten Blockade des programmierten Zelltods nicht im Detail geklärt sind, so sind doch etliche NF-kB abhängige Faktoren identifiziert, die unter anderem die Aktivierung von Caspase-8 verhindern und damit den wichtigsten rezeptorvermittelten Zelltodweg blockieren (20, 21).
Proteine sind jedoch keine idealen Pharmaka. Sie sind teuer in der Herstellung; Resorption und Aufnahme in die Zielzelle sind nur schwer zu erreichen. Mehr Erfolg versprechen Ansätze mit antiapoptotischen Proteinen, die außerhalb der Zelle wirken und das Auslösen der Apoptose bereits an der Zellmembran unterbinden. Tierversuche mit löslichen Zelltodrezeptoren, die kompetitiv die Zelltod auslösenden Liganden blockieren, waren bereits erfolgreich (22), so dass man auf erste klinische Resultate sehr gespannt sein darf.
Einfacher als große Proteine lassen sich kleine Peptide oder synthetische nicht-peptidische Moleküle an einen intrazellulären Wirkort bringen. Peptide mit Sequenzen von Caspase-Substraten, die sich an das aktive Zentrum der Proteasen lagern und damit deren proteolytische Aktivität blockieren, sind deshalb besonders interessant. In Tierversuchen konnten Mäuse damit bereits vor akutem Leberversagen geschützt werden (23).
Ein viel versprechendes Molekül ist der Caspase-Inhibitor IDN6556, ein peptidomimetisches Fluoromethylketon, das mehrere Initiator- und Effektor-Caspasen blockieren kann. In Tierversuchen konnte damit die Wirksamkeit einer Caspase-Blockade bei der alkoholischen Hepatitis und einem akuten Leberversagen gezeigt werden. Die Substanz wurde bereits erfolgreich in einer Phase-I-Studie an Menschen getestet, ohne dass bei einer viermal täglichen Gabe über immerhin eine Woche signifikante Nebenwirkungen auffielen. Erste Phase-II-Studien sollen bald bei Patienten mit alkoholischer Hepatitis beginnen.
Blockade der Apoptose
Bei allem Enthusiasmus, der dem klinischen Einsatz von Caspase-Inhibitoren entgegengebracht wird, muss bedacht werden, dass dem Konzept, Erkrankungen durch Hemmung von Caspasen günstig zu beeinflussen, eine Reihe von Gefahren gegenübersteht. Diese sind in der überraschenden Vielzahl von Aufgaben begründet, die Caspasen im gesunden Zellstoffwechsel übernehmen.
Experimente mit Mäusen, denen ein Caspase-Gen fehlt, zeigten, dass die Zelltod-Caspasen offensichtlich weitere Aufgaben in der Embryogenese und der Steuerung des Zellzyklus haben. So sterben Tiere ohne funktionelles Caspase-8-Gen noch in utero an Herzversagen, ohne dass ein Mangel an Apoptose im Embryo nachweisbar wäre (24). Überraschenderweise konnte auch eine Bedeutung der Zelltodenzyme bei der Regulation von Zellproliferation, also einer diametral dem Tod entgegengesetzten Zellreaktion, auf einen äußeren Stimulus gezeigt werden (25, 26).
Die derzeit verfolgten Strategien bei der Entwicklung neuer antiapoptotischer Pharmaka konzentrieren sich deshalb auf Krankheiten, bei denen man bereits durch eine kurzfristige Blockierung des Apoptose-Wegs einen günstigeren Verlauf erreichen kann. Im Vordergrund stehen akute Geschehen. So konnte gut nachgewiesen werden, dass beim fulminanten Leberversagen - unabhängig ob ein viraler, metabolischer oder toxischer Auslöser zu Grunde liegt - ein überschießendes Aktivieren des Zelltodprogramms in den Hepatozyten maßgeblich beteiligt ist. Eine Hemmung der Caspase-Aktivität ist hier besonders viel versprechend.
Ein weiteres potenzielles Einsatzfeld sind akute Ischämien beim Herzinfarkt und beim Schlaganfall. Bei der Behandlung von akuten Myokardinfarkten könnten Caspase-Inhibitoren helfen, das Ausmaß der Zellschädigung und damit einen möglichen letalen Ausgang zu verringern. Huang und Mitarbeitern gelang es zu zeigen, dass ein synthetischer Hemmstoff die Infarktgröße auch nach Einsetzen der Ischämiephase signifikant verkleinern konnte (27). Auch beim Schlaganfall, der durch plötzlichen Sauerstoffmangel von Neuronen gekennzeichnet ist (28), kann der hypoxische Schaden zumindest im Tierexperiment durch Expression des Caspase-Inhibitors p35 deutlich reduziert werden (29).
Schließlich ist der septische Schock noch immer eine der häufigsten Todesursachen auf Intensivstationen. Vor allem Endothelschäden, insbesondere in der Lungenstrombahn, durch programmierten Zelltod mit Aktivierung von Caspase-3 sowie die durch TNF vermittelte Leberschädigung lassen eine antiapoptotische Therapie mit Caspase-Inhibitoren oder löslichen Todesrezeptoren viel versprechend erscheinen.
Zelltod als Therapiekonzept
Neben einer überschießenden lebensbedrohlichen apoptotischen Aktivität kann auch ein Mangel an Zellzerstörung ursächlich zur Krankheitsentstehung beitragen. Eine Resistenz gegenüber Apoptose auslösenden Reizen ist die biochemische Grundlage einer Reihe von Tumoren. Dabei können Todesrezeptoren ebenso wie intrazelluläre Signalmoleküle in ihrem Expressionsprofil verändert sein.
Bei Kolonkarzinomzellen wurde eine vermehrte Expression von Decoy- (engl. Lockvogel-) Rezeptoren beschrieben, die zwar den Fas-Liganden binden können, aber das Todessignal nicht in die Zelle weitergeben. Damit wird der membranständige Fas-Ligand unwirksam, der jedoch das effektivste Todeswerkzeug auf aktivierten zytotoxischen T-Zellen bei der Eliminierung entarteter Zellen ist. In einer Reihe von Tumorzelllinien konnte die Resistenz gegen apoptotische Stimuli an einer Hypermethylierung des Caspase-8-Gens und damit einer gedrosselten Expression der entscheidenden Protease festgemacht werden (30).
Eine spezifische Tumortherapie durch Caspase-Aktivierung ist noch nicht möglich. Jedoch wurde in den letzten Jahren deutlich, dass viele klassische Chemotherapeutika wie Etoposid über eine Aktivierung des Fas-Signalwegs und Caspase-8 ihre Wirkung entfalten.
Die großen Hoffnungen, mit Tumornekrose-Faktor, dem Prototyp eines Zelltod auslösenden Botenstoffs, direkt Tumoren behandeln zu können, wurden enttäuscht. Zu groß waren die systemischen Nebenwirkungen. Ein verwandtes Molekül aus dieser Familie, TNF related apoptosis inducing ligand oder kurz TRAIL, konnte in Tiermodellen äußerst selektiv den programmierten Zelltod bei Tumorzellen auszulösen, ohne eine nennenswerte Zytotoxizität aufzuweisen. Die Hoffnungen, dass der Einsatz von TRAIL auch beim Menschen sinnvoll ist, müssen sich erst noch in Studien bestätigen.
Das Konzept, mit zytotoxischen Antikörpern Tumorzellen zu zerstören, hat leider bisher keine überzeugenden Ergebnisse gebracht. Dagegen ist die Therapie mit anti-TNF-Antikörpern (Infliximab, Remicade®) bei schweren Verläufen chronisch entzündlicher Darmerkrankungen fester Bestandteil der Behandlungsstrategie. Die Antikörper können Makrophagen mit membranständigem TNF in die Apoptose treiben und leiten damit eine klinische Remission ein.
Chancen für die Therapie Eine gestörte Regulation der Apoptose liegt vielen Erkrankungen zu Grunde. Die pharmakologische Korrektur dieser Fehlsteuerung wird zu den Eckpunkten künftiger Behandlungsstrategien gehören. Im Vordergrund stehen zunächst akute Krankheitsbilder, da ein langfristiges Eingreifen in die natürliche Zelltod-Zellwachstum-Balance noch nicht überschaubare Gefahren birgt. Man darf gespannt sein, ob und wie die Verfügbarkeit der neuen Substanzgruppen die Erklärungsmodelle von Krankheiten verändern und Behandlungskonzepte erfolgreicher machen wird.
Literatur
Der Autor
Marcus Schuchmann hat in Freiburg und München Medizin studiert und wurde 1997 am Immunologischen Institut der LMU München promoviert. Nach ärztlicher Tätigkeit am Klinikum Großhadern in München arbeitete er zwei Jahre als DFG-Stipendiat am Weizmann Institut in Rehovot/Israel. Seit 1999 ist Dr. Schuchmann Assistenzarzt an der 1. Medizinischen Klinik der Universität Mainz. Sein wissenschaftliches Interesse gilt den Signalwegen des Zelltods in der Leber.
Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Marcus Schuchmann
1. Medizinische Klinik und Poliklinik der Universität Mainz
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