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Heilwasser und Peloide streng geprüft

26.07.2004  00:00 Uhr
.Qualitätssicherung

Heilwasser und Peloide streng geprüft

von Christiane Berg, Hamburg

Kaum ein Kurgast kann sich vorstellen, welch großen Qualitätsansprüchen ortsgebundene Heilmittel wie Meerwasser und Peloide standhalten müssen. Obwohl Heilberufler, wissen auch nur wenige Apotheker, wie viele Rohre das salzige Nass passieren, welche hohen Qualitätshürden es nehmen muss, bevor es zur Anwendung gelangen kann.

„Es erscheint zunächst in keiner Weise einsichtig, warum die Füllung einer Wanne mit Meerwasser für ein an der See gelegenes Kurmittelhaus mit irgendeinem nennenswerten Aufwand verbunden sein soll“, sagt Dr. Eva-Maria Brunschweiger, Fachapothekerin für pharmazeutische Analytik, Herstellungs- und Kontrollleiterin nach AMG und Sicherheitsbeauftragte nach MPG.

Das Problem beginnt allerdings bereits mit der Gewinnung des Meerwassers, führt sie aus. Die Entnahmekonstruktionen müssen so beschaffen sein, dass sie den rauen Witterungsverhältnissen an der Nordseeküste mit Sturmfluten, Bodenverwerfungen und Gezeiten widerstehen können und gleichzeitig nicht versanden. Daher wird Nordseewasser entweder über einen Tiefenbrunnen oder mittels horizontaler Filterrohre an der Wasserlinie des Meeres gewonnen, während Ostseewasser sich durch direkte Ansaugung über einen Saugkopf im offenen Tiefenwasser oder als ufernahes Bodenfiltrat fördern lässt.

„Weiterhin nachteilig sind die sehr korrosiven Eigenschaften des Salzwassers, die zur Folge haben, dass in weiten Bereichen der Installationen nur hochwertige, meerwasserresistente Materialien verwendet werden können, die zudem ständiger fachgerechter Wartung und Pflege bedürfen“, so die Pharmazeutin. Die Schwierigkeit besteht letztlich darin, dass Meerwasser zum Baden keimarm sein, also Trinkwasserqualität besitzen muss, was von vornherein nicht der Fall ist.

Eine Keimreduktion mit aggressiven Methoden wie Chlorung verbietet sich auf Grund der Forderung nach Naturbelassenheit des Heilmittels. In diesem Fall kann die anspruchsvolle Zielvorgabe Keimarmut lediglich durch eine Kombination von Schnellfilterung, UV-Desinfektion und Konstantzirkulation durch Ringleitungen erreicht werden. Das wiederum gelingt nur, wenn die Anlage kontinuierlich betrieben wird. Brunschweiger: „In der Summe heißt dies, dass bereits die reine Füllung einer Badewanne mit Meerwasser ungleich höhere Kosten als die Nutzung von Trinkwasser aus dem öffentlichen Leitungsnetz verursacht.“

Eine ähnliche Situation besteht auch bei der Gewinnung anderer ortsgebundener Heilmittel wie Schlick und Moor. Die grundsätzliche Forderung, ein natürlich vorkommendes Heilmittel möglichst unverfälscht in technisch und hygienisch sicherer Weise einem behandlungsbedürftigen Menschen zugänglich zu machen, ist daher mit hohen finanziellen Ausgaben verbunden.

Status eines Arzneimittels

In der Absicht angewandt, Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern oder zu verhüten, hat Meerwasser zum Baden, Inhalieren und Trinken den Status eines Arzneimittels. Peloide wie Schlick und Moor gelten als Medizinprodukte. Dies hat weitreichende Konsequenzen: Im Sinne des Verbraucherschutzes stuft der Gesetzgeber Kurmittelhäuser als pharmazeutische Hersteller beziehungsweise als Hersteller von Medizinprodukten ein.

Als Betriebe, die ortsgebundene Heilmittel für therapeutische Zwecke gewinnen, aufbereiten und abgeben, müssen die Kurmittelhäuser unter anderem nach dem Arzneimittelgesetz (AMG), der Betriebsverordnung für pharmazeutische Unternehmer (PharmBetrV) sowie dem Medizinproduktegesetz (MPG) und der Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV) arbeiten. Somit sind die Gewinnung und Bearbeitung der Heilmittel nur mit einer Herstellungserlaubnis nach § 13 AMG, erteilt durch die zuständige Behörde, beziehungsweise nach einer Anzeige gemäß § 25 MPG, möglich. Zudem müssen ein Herstellungs-, Kontroll- und Vertriebsleiter beziehungsweise ein Sicherheitsbeauftragter nach MPG benannt werden.

Inspektion und Dokumentation

Die Position des Herstellungs- und Kontrolleiters kann in Kurmittelhäusern, die ausschließlich natürliche Heilmittel, Schlick oder andere Peloide gewinnen, in Personalunion wahrgenommen werden. Dieser doppelten Aufgabe kommt Brunschweiger in den norddeutschen Heilbädern Büsum, Burg, Dahme, Grömitz, Helgoland, Hohwacht, Nordstrand, St. Peter-Ording, Timmendorfer Strand, Westerland, Wittdün/Amrum, Wyk auf Föhr, Bad Segeberg und Damp nach. Unter anderem für die Betriebe Friedrichskoog und Pellworm ist sie in der Eigenschaft als Sicherheitsbeauftragte für Medizinprodukte tätig. Ein Großteil ihrer Zeit ist den regelmäßigen Betriebsbegehungen gewidmet.

Die Pharmazeutin erläutert, dass die Visitation der Kurbetriebe nicht nur die Inspektion von Entnahmestellen, sondern auch die des Technik- und Therapiebereichs mit Inhalationsgeräten, medizinischen Wannen, Inhalationsgeräten, Inhalationsräumen oder Balneotherapiegeräten umfasst. Ihre apothekerliche Tätigkeit beinhaltet zudem die Erstellung von Herstellungs- oder Prüfanweisungen und -protokollen sowie die Schlusszeichnung dieser Dokumente gemäß § 5 (4) und § 6 (3) PharmBetrV. Damit steht Brunschweiger die Entscheidung über Freigabe und Sperrung der Heilmittel nach § 7 (1) sowie die Einleitung von Maßnahmen bei Überschreitung von Grenzwerten zu.

„Sperrung ist die absolute Ausnahme und bislang sehr selten vorgekommen“, unterstreicht die Kieler Unternehmerin, die sich nach dreijähriger freier Mitarbeit beim Heilbäderverband Schleswig-Holstein 1996 als Herstellungs- und Kontrollleiterin selbstständig gemacht hat. Mit Stolz verweist sie auf das „Qualitätsgütesiegel für Kuren mit Heilmitteln aus Schleswig-Holstein“, das als „sichtbares Zeichen für Spitzenqualität“ seit 1997 vergeben wird.

Anspruchsvolles Gütesiegel

Dem Gütesiegel liegen Qualitätsstandards zu Grunde, die 1990 von der damals noch zentral beim Heilbäderverband Schleswig-Holstein angesiedelten Herstellungs- und Kontrollleitung in Zusammenarbeit mit der Arzneimittelüberwachungsstelle des Landes Schleswig-Holstein und dem Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Christian-Albrechts-Universität in Kiel ins Leben gerufen wurden. Bereits zu dieser Zeit, so Brunschweiger, hätten sich negative Auswirkungen anstehender Gesundheitsreformgesetze auf das Kurwesen abgezeichnet. Der damalige Minister für Soziales, Gesundheit und Energie des Landes Schleswig-Holstein, Günther Jansen, wollte den negativen Entwicklungen durch eine verstärkte Qualifizierung der schleswig-holsteinischen Kurbäder und Kurorte entgegensteuern.

Die Erarbeitung der Grenzwerte gestaltete sich schwierig, denn eine Produktbeschreibung oder Spezifikation für ortsgebundene Heilmittel, zum Beispiel in Form einer Arzneibuchmonographie, gab es zu jener Zeit noch nicht. Dennoch konnte man sich auf grundlegende Werte einigen. Auf Rat des damaligen Leiters des Instituts für Hygiene und Umweltschutz der Universität Kiel, Professor Dr. Harald Gundermann, wurden die mikrobiologischen Grenzwerte aus Patientenschutzgründen so streng gefasst, dass sie über die Anforderungen des zu jener Zeit gültigen deutschen Arzneibuchs hinausgingen. Dies ließ eine fünffach höhere Keimkonzentration für Arzneimittel zur topischen Anwendung zu.

Die kontinuierliche statistische Auswertung aller Prüfprotokolle ab 1990 führte bei Einbezug neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Ägide der Ministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales, Heide Moser, am 28. Mai 1997 zur Herausgabe des spezifizierten, heute gültigen qualitätssichernden Regelwerkes. „Auf Grund der Erfahrungen der zurückliegenden Jahre konnten die Qualitätskontrollen optimiert und die Anforderungen an die Heilmittel aktualisiert, erweitert, also exakter definiert werden. Neu aufgenommene, chemisch-physikalische Grenzwerte sicherten die therapeutische Wirksamkeit der natürlichen Heilmittel noch zusätzlich“, betont Brunschweiger.

Orientierung am Risikopotenzial

Sie unterstreicht, dass die Heilbäder im Land zwischen Nord- und Ostsee mit den Qualitätsstandards über ein wichtiges Wettbewerbsinstrument verfügen. „Unser Bundesland ist das Einzige in Deutschland, in dem derartige Vorgaben existieren. Diese Vorgaben gibt es auf der ganzen Welt kein zweites Mal. Entsprechende Spezifikationen haben auch die meisten anderen Bundesländer nicht zu bieten.“ Lediglich Mecklenburg-Vorpommern übernahm die Qualitätsstandards und überführte sie am 12. August 1998 in Landesrecht.

Bei der physikalischen, chemischen und mikrobiologischen Untersuchung der in Schleswig-Holstein hergestellten Heilmittel Meerwasser, Heilwasser und Peloide werden drei Stufen unterschieden. Stufe 1 sieht die arbeitstägliche Prüfung der Heilmittel auf Temperatur, Färbung, Klarheit, Geruch, pH-Wert, elektrische Leitfähigkeit, Ammonium und Nitrit durch ortsansässiges, entsprechend geschultes und unterwiesenes Personal vor. Stufe 2 beinhaltet die vierwöchige oder halbjährliche chemisch-physikalische Routineanalytik sowie die mikrobiologische Überprüfung auf coliforme Keime, Escherichia coli, Pseudomonas aeruginosa, Staphylococcus aureus oder Legionellen in einem Auftragslabor.

Stufe 3 schließlich umfasst die Schadstoffanalyse des Rohproduktes gemäß Trinkwasserverordnung durch beauftragte Laboratorien nach lokaler Risikoanalyse alle vier bis zehn Jahre; dabei orientieren sich die Prüfintervalle am Risikopotenzial der jeweiligen Gewinnungsstätte. So ist der Schlick der Wattengebiete der Nordsee durch Ebbe und Flut ständig dem Seewasser ausgesetzt und darum kritischer zu beurteilen als der fossile, weiter landeinwärts gelegene, an organischen Stoffen reiche Schlamm, der durch Eindeichung ehemaliger Wattengebiete mehr oder weniger frei von anthropogenen Schadstoffen des industriellen Zeitalters ist.

Den Auftraglabors obliegt auch die Prüfung der Heilmittel auf Eisen und Mangan. Zwar sind diese Metalle aus brunnengeförderten Wässern in vorliegenden Konzentrationen gesundheitlich unbedenklich. Sie bewirken jedoch Ablagerungen von Oxiden an den Rohrinnenwänden der Leitungssysteme, die wiederum nicht nur zur weitgehenden Verlegung des Rohrquerschnitts, sondern durch Anhaften von Mikroorganismen auch zu erheblichen mikrobiologischen Problemen führen können. Der stetigen Enteisenung und Entmanganung während des Aufbereitungsprozesses wird daher besondere Bedeutung zugemessen.

Ob Wasser oder Peloide: Brunschweiger hebt hervor, dass nach längerem Stillstand einer Aufbereitungsanlage, zum Beispiel nach Umbau, Reparaturmaßnahmen oder saisonaler Stilllegung, ortsgebundene Heilmittel erst dann wieder abgegeben werden dürfen, wenn die ordnungsgemäße Freigabe durch den Herstellungs- und Kontrollleiter erfolgt ist.

 

Sinkende Zahl an Sozialkuren Die stark rückläufige Zahl wohnortferner Vorsorge- und Reha-Maßnahmen und damit eine massive wirtschaftliche Gefährdung der Kurorte und Heilbäder infolge der restriktiven Gesundheitspolitik beklagt der Deutsche Heilbäderverband e.V. in einer Pressemitteilung vom 10. März 2004. Gemessen an der Gesamtzahl der Kurpatienten sowie der Erholungs- und Urlaubsgäste hätten die Heilbäder und Kurorte ihre Attraktivität als Reiseziel im Jahr 2003 zwar weiter ausbauen können. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts haben mit 17,13 Millionen Personen 2,24 Prozent mehr als im Vorjahr einen der rund 330 unter dem Dach des Deutschen Heilbäderverbandes vereinten Kurorte besucht. Der Anstieg der Gästeentwicklung sei jedoch im wesentlichen auf Privatgäste zurückzuführen, die den Supersommer an der See genossen.

Dem erfreulich wachsenden Interesse privat zahlender Gäste an Angeboten der Seebäder habe 2003 jedoch ein Rückgang der durchschnittlichen Aufenthaltsdauer durch starke Zurückhaltung bei der Gewährung drei- bis vierwöchiger Kuren gegenüber gestanden, schreibt der Verband. In den Mineral- und Moorheilbädern seien mit 39,78 Millionen Aufenthaltstagen 1,6 Millionen Übernachtungen weniger als im Vorjahr gezählt worden (-3,89 Prozent). Auch die heilklimatischen Kurorte (-2,09 Prozent) sowie die Kneippheilbäder und Kneippkurorte (-2,50 Prozent) hätten Abstriche hinnehmen müssen.

Allein in den See- und Heilbädern sei mit der Wiederentdeckung der „Sommerfrische“ und Inanspruchnahme der Thalasso-Therapie durch den privat zahlenden Kunden ein Plus von 3,58 Prozent (35,74 Millionen Euro) erzielt worden. Damit habe man statistisch die Einbußen im Sozialkurbereich kompensieren können. Mit kurortspezifischen Heilmitteln, die anspruchsvollen Qualitätsauflagen und -kontrollen entsprechen, werden die Heilbäder und Kurorte weiterhin um den Privatgast werben müssen, lautet ein wesentliches Resümee.

 

Rekonvaleszenz und Heilung

Seit Tausenden von Jahren werden Meerwasser und Meeresschlick als Therapeutika und Mittel zur Rekonvaleszenz bei verschiedenen Erkrankungen genutzt. Hauptindikationen sind chronische Erkrankungen der Atemwege (Bronchitis, Asthma bronchiale, Mucoviszidose), der Haut (Neurodermitis, Psoriasis, Ichthyosis vulgaris) und der Gelenke (Arthrose) sowie Hypertonie, Hypotonie und vegetative Dystonie. Vor allem die heilsame Wirkung von Meerwasser auf wunde Haut war schon im Altertum bekannt und wurde unter anderem von Galen und dem römischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus beschrieben.

Um das Meer ranken sich viele Mythen und Sagen. „Es ist an der Zeit, sich von nostalgischen Gedanken zu trennen und sich auf aktuelle Untersuchungen zu konzentrieren, die belegen, dass Meerwasser, Schlick und Moor als moderne Pharmaka einzuordnen sind“, so Brunschweiger. In den letzten Jahren sei es gelungen, Teilaspekte der pharmakologischen Wirkmechanismen aufzuklären.

Auf Basis einer computergesteuerten Recherche des wissenschaftlichen Schrifttums hat die Herstellungs- und Kontrollleiterin die Erkenntnisse in einem Arbeitspapier „Pharmakologische Wirksamkeit ortsgebundener Heilmittel“ zusammengefasst. Die Studien besagen unter anderem, dass ein Magnesiummangel mit dem chronischen Krankheitsgeschehen der psoriatischen Haut in ursächlichen Zusammenhang gebracht werden kann. Sie belegen, dass die Magnesiumkonzentrationen in der Epidermis nach einem Meerwasserbad bis um das 22fache ansteigen können.

Festgestellt wurde, dass die Mitoserate der Basalzellschicht in Abhängigkeit von der Salzkonzentration abnimmt und es so zu einem antiproliferativen Effekt kommt. Zudem wurde bereits 1992 beschrieben, dass hohe Magnesiumkonzentrationen in den Keratinozyten zur kompetitiven Hemmung von Enzymen beitragen, indem sie zum Beispiel Calciumionen aus Phospholipase-A2 oder 5-Lipoxygenase verdrängen - zwei Enzyme, die bei der Bildung entzündungsfördernder Prostaglandine eine bedeutende Rolle spielen. In weiteren Untersuchungen wurde die Freisetzung erheblicher Mengen an humaner Leukozytenelastase durch hypertone Salzbäder bei Psoriasis bewiesen.

Kieler Modell bestätigt Effekte

US-amerikanische Studien bestätigten die Extraktion inflammatorischer und Gewebe schädigender Enzyme durch Meerwasser und -sole aus psoriatischen Effloreszenzen. In anderen amerikanischen Arbeiten wurde nachgewiesen, dass Meerwasser die Zytokine Interleukin-1a (IL-1a), IL-6 und Tumor-Nekrose-Faktor-a (TNF-a) signifikant hemmt. Diese Wirkung wird den Strontium- und Selensalzen zugeschrieben. Allerdings sollen weitere Studien zeigen, ob die viel versprechende Heilwirkung von Meerwasser auf seine Ionen oder seine Osmolarität oder auf das Zusammenspiel von beidem zurückzuführen ist.

Brunschweiger hebt die Rolle der Balneo-Phototherapie in der Behandlung von Neurodermitis und Psoriasis hervor. Bekannt ist, dass Meerwasser den Effekt von UV-Strahlung stark erhöht, so dass diese bei der Photo-Sole-Therapie entsprechend reduziert werden kann. Im Rahmen des so genannten Kieler Modells wurde die signifikante Besserung der beiden Krankheitsbilder durch die ambulante Balneo-Phototherapie belegt. Auch wenn gemäß der Entscheidung des Bundesausschusses Ärzte/Krankenkassen dieses Behandlungsverfahren von den Kassen seit 1999 nicht mehr erstattet wird: „Es gilt als die preiswerteste und nebenwirkungsärmste Methode“, unterstreicht die Pharmazeutin.

Gegen Atemwegserkrankungen

Meerwasserinhalationen sind bei chronischen Atemwegserkrankungen wie Bronchitis, Tracheitis, Laryngitis, Rhinitis oder Pharyngitis indiziert. Sie werden als Einzel- oder Rauminhalationen verabreicht. Mit Hilfe von ultraschall- oder druckluftbetriebenen Verneblern wird die Wirkung der heilenden Brandungszone des Meeres imitiert. Meerwasser und Sole zur Inhalation werden unmittelbar vor Beschickung der Inhalationsgeräte auf der reinen Seite des Vorbereitungsraums sterilfiltriert. Der Sterilfilter wird täglich auf Integrität geprüft und autoklaviert.

Hypoton, isoton oder hyperton: Die Salzkonzentration richtet sich nach Indikation und Verträglichkeit. Den Inhalationen werden regulierende Langzeiteffekte auf das mukoziliäre System und die bronchiale Reagibilität zugeschrieben. Entzündliche Vorgänge werden gelindert, bakterielle Prozesse gehemmt. Der Schleim wird gelöst und verflüssigt, sein Auswurf gefördert. Die optimale Funktion eines gestörten Flimmerepithels wird wiederhergestellt. Nachgewiesen wurde, dass Meerwasserinhalationen vorbeugend, zum Beispiel bei Pollenallergien, wirken.

Cortisol-Ausschüttung verringert

Meerwasser-, Schlick- und Fangopackungen werden auch bei Patienten mit Rheuma, Gelenk- oder anderen Erkrankungen des Bewegungsapparates eingesetzt. Man weiß heute, dass es zu einer Beeinflussung biochemischer Reaktionen und Modulatoren kommt. Nachgewiesen wurden die Erhöhung und Stärkung der Chondrozytenaktivität und Zytokinkonzentration. Die Serumkonzentration von Stickstoffmonoxid (NO), Myelo- und Glutathionperoxidase, die zum Entzündungsgeschehen beitragen, nimmt ab. Bekannt ist, dass die entzündliche Arthritis mit erhöhten NO-Konzentrationen einhergeht. Festgestellt wurde zudem eine signifikante Abnahme von TNF-a nach 12-tägiger Fangotherapie.

Zu therapeutischen Effekten kommt es außerdem durch Wärme. Temperaturen zwischen 38 und 42 Grad Celsius entspannen die Muskulatur und aktivieren Stoffwechsel und endokrine Regulation. Gemäß zahlreicher Studien ist die Wirkung warmer Schlick- und Fangopackungen auf die Psyche nicht zu unterschätzen. Untersuchungen belegen, dass die Ausschüttung von Cortisol als Stresshormon und somit das Schmerzgeschehen durch Wärme haltende Peloide signifikant verringert wird.

Wellness statt Kur

Es ist gleichermaßen die Psyche des Badegastes, die den Leiter des Kur und Tourismus Service Büsum, Dirk Schumaier, marketingstrategisch nicht länger auf Kuren („ein ohnehin obsoleter Begriff“), sondern auf Wellness setzen lässt. „Mögen die Krankenkassen auch behaupten, dass ihre Ausgaben für Vorsorge und Rehabilitation gestiegen sind, die Realität sieht anders aus. Kuren sind im Sinkflug begriffen“, sagt Schumaier und verweist auf einen Rückgang des Umsatzes an Bädern, Inhalationen und Schlickpackungen im Büsumer Kurmittelhaus „Vitamaris“ um 50 Prozent. „Verschreibungen und Genehmigungen werden mehr und mehr zurück geschraubt, die Patienten haben weder Mut noch Kraft, gegebenenfalls auch ihr Recht auf Widerspruch wahrzunehmen.“

Der „stille Abschied der Kassen vom medizinisch Notwendigen“ werde sich als Trugschluss erweisen, da die Einsparung an Kuren letztlich zu mehr Verordnungen von teureren Medikamenten sowie zur Zunahme von Krankenhausaufenthalten und Ausfalltagen führen wird. Um zu überleben, seien die Seeheilbäder so oder so gezwungen, neue Wege zu gehen. „Wir wollen und müssen Geld verdienen. Das ist nichts ehrenrühriges, sondern normal. Wir wollen nicht mehr von den Krankenkassen abhängig sein, sondern uns dem Patienten zuwenden, der sein eigenes Portemonnaie öffnet und sagt, das gönne ich mir“, konstatiert der Diplom-Kaufmann, der stellvertretender Vorsitzender im Vorstand des Heilbäderverbandes Schleswig-Holstein e.V. ist.

 

Land zwischen den Meeren Mit Brückenfunktion nach Skandinavien, zu den baltischen Staaten und Russland und einer Fläche von 15.772 Quadratkilometern nimmt Schleswig-Holstein als nördlichstes Bundesland eine zentrale Lage zwischen Nord- und Ostsee ein. 355 km Deiche schützen die West-, 68 km Deiche die Ostküste.

Das Land ist von Flüssen wie der Eider mit 180 km Länge (schiffbar 110 km), der Trave mit 112 km Länge (schiffbar 37 km) und der Stör mit 83 km Länge (schiffbar 50 km) sowie dem Nord-Ostsee-Kanal (Kiel-Kanal) mit 99 km Länge und 9,5 m Tiefgang sowie dem Elbe-Lübeck-Kanal mit 59 km und 2 m Tiefgang durchzogen. Nicht zuletzt die Holsteinische Schweiz mit dem Großen Plöner See (29 km2), dem Selenter See (22 km2) und dem Großen Ratzeburger See (14 km2) sowie mehrere Halligen wie Hallig Hooge oder Langeneß sowie die Nordseeinseln Amrum, Föhr, Helgoland, Nordstrand, Pellworm und Sylt und die Ostseeinsel Fehmarn spielen für den Tourismus eine bedeutende Rolle.

 

Auch und gerade von der „Silver age generation 50 plus“ als Gesellschaftsgruppe, „die noch über Vermögen verfügt“, verspricht sich Schumaier Gewinne. Nicht zuletzt zur Erschließung dieses Marktes habe Büsum unter anderem 1,5 Millionen Euro in eine neue, 1000 Quadratmeter große Wellness-Oase mit Serail- und Dampfbad, Whirlpool, Sauna, Erlebnisdusche und Hafenblick investiert. „Die Kur ist tot, es lebe die Wellness“: Meeresbäder, -inhalationen und -schlickanwendungen werden nunmehr als Teilmodule eines individuell zusammenstellbaren „Wohlfühlurlaubs“ angeboten.

Kur hin, Wellness her – an Nord- und Ostsee haben Meerwasser und Meeresschlick nach wie vor ihren festen Platz in Pflege und Therapie. Die besonderen Qualitätsstandards und einmaligen Möglichkeiten, Thalasso-Therapie in ihrer ursprünglichsten Form anzuwenden, berechtigen die Heilbäder im Land zwischen den Meeren zu Selbstbewusstsein, so Brunschweiger. Die Apothekerin plädiert für „Wahrung von Substanz“, also Fokussierung auf pharmakologische Effekte bei stärkerer Abgrenzung von dem dehnbaren Begriff Wellness und dem „zwar flauschigen“, aber wenig aussagekräftigen Marketing-Gemenge „Seelenzauber, Beauty, gute Laune und Spaß“. Als akademische Heilberuflerin wünscht sie sich naturgemäß Konzentration auf das Wesentliche, sprich: Betonung von Gesundheit durch die Kraft des Meeres bei Sicherung des Verbraucherschutzes und Wahrung von Spitzenqualität.

 

Weiterführende Literatur

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Die Autorin

Christiane Berg studierte Pharmazie an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel und wurde 1984 in der Abteilung Toxikologie des Zentrums Klinisch-Theoretische Medizin II (Leitung: Professor Dr. Otmar Wassermann) promoviert. Im selben Jahr begann sie ihre Tätigkeit als Redakteurin der Pharmazeutischen Zeitung in Frankfurt am Main. Sie kommt dieser Aufgabe seit Gründung eines norddeutschen Büros 1989 von Hamburg aus nach. Christiane Berg ist Mitautorin des „Lehrbuches für pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte - Die PKA“ sowie Autorin der Patientenratgeber „Umwelt und Gesundheit von A - Z“ und „Gut durch die Wechseljahre“, die im Govi-Verlag erschienen sind. Sie berichtet regelmäßig für die Neue Apotheken Illustrierte und ist seit über 15 Jahren Mitglied der Redaktion Videopharm, Videomagazin zur Apothekerfortbildung.

 

Anschrift der Verfasserin:
Dr. Christiane Berg
Alte Rabenstraße 8
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chris-berg@t-online.de

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