Ein subjektiver Blick |
22.07.2002 00:00 Uhr |
von Christoph Friedrich, Marburg
Ihren Tagebüchern und Lebenserinnerungen vertrauen die Schreiber bis heute Berichte über private Erlebnisse, Erfolge und Niederlagen sowie persönliche Ansichten an. Dies gilt auch für diejenigen Apotheker, die Autobiographien verfasst haben. Die subjektiv geprägte Sicht ist gerade bei brisanten Fragen und Themen interessant. Was verraten Apotheker in ihrer Selbstdarstellung über ihr Verhältnis zu den Ärzten?
Die Autobiographie als literarische Darstellung des eigenen Lebens oder einzelner Lebensphasen gehört zu den ältesten Literaturgattungen (1). Sie reicht von den 397/98 entstandenen "Confessiones" des Augustinus über Jean-Jaques Rousseaus "Confessions" oder Johann Wolfgang von Goethes "Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit" bis zu Max Frischs "Montauk". Als historische Quelle ist die Autobiographie dem Brief oder dem Tagebuch verwandt. Wenn sie auch nur einen relativen empirischen Wahrheitswert besitzt, so ist es doch gerade die subjektive Sicht und der Einblick in die Privatsphäre, die sie zu einer besonders authentischen Quelle werden lassen (2).
So erscheint es nahe liegend, dass auch die Wissenschaftsgeschichte dieser Gattung Aufmerksamkeit schenkte. Zahlreiche Autobiographien von Ärzten liegen nicht nur gedruckt vor (3), sondern wurden vielfach als medizinhistorische Quelle herangezogen. Auch Autobiographien von Apothekern fanden in der Pharmaziehistoriographie Beachtung (4), jedoch sind es hier nur einige wenige – etwa die Lebenserinnerungen des 90-jährigen Ernst Wilhelm Martius (5) –, die immer wieder zitiert werden, während andere in Apothekerkreisen kaum bekannt wurden. Für die nachfolgende Untersuchung sollen auch einige zu Unrecht vergessene Werke herangezogen werden.
Das Verhältnis Arzt – Apotheker gestaltete sich im Lauf der Geschichte unterschiedlich und zum Teil sehr spannungsreich. Darüber hinaus war die Beziehung zum Arzt für den Apotheker eine zentrale Frage. Es bestimmte seine gesellschaftliche Stellung, aber auch seine subjektive Befindlichkeit. Eine literarische Gattung, die insbesondere seit dem 18. Jahrhundert der "Entwicklung des eigenen Ichs in seiner Beziehung zur Umwelt" große Aufmerksamkeit schenkt (6), erscheint deshalb besonders geeignet, Einblick in dieses diffizile Verhältnis zu gewinnen.
Ein wissbegieriger Lehrling
Eines der ältesten überlieferten autobiographischen Zeugnisse, die "Geschichte eines Apothekers", erschien 1796/97 in Trommsdorffs Journal der Pharmazie (7). Von dem 1745 geborenen Verfasser ist nur der Vorname Wilhelm bekannt. Der Text beschreibt im ersten Teil die Lehrzeit, die Wilhelm 1760 – nach dem frühen Tode seiner Eltern – in der Apotheke seines Vetters begann. Wie damals üblich, war diese rein handwerklich ausgerichtet, und das Verlangen des wissbegierigen Lehrlings nach Büchern erregte gar das Missfallen des Provisors, der de facto die Apotheke leitete.
Wilhelm hatte manche Demütigung zu erdulden; Rettung nahte erst, als sich der neue Stadtphysikus zur Apothekenvisitation ankündigte. Da es bei solchen Anlässen üblich war, das Apothekenpersonal zu examinieren, gerieten nun der Provisor und dessen Kollege in Panik, da beide, wie Wilhelm berichtet, "der römischen Sprache so unkundig, daß sie nicht einmal das elende Latein im Dispensatorio übersetzen konnten" (8). Wilhelm vermochte seine Lage beträchtlich zu verbessern, indem er den beiden Apothekengehilfen Passagen aus dem Dispensatorium übersetzte, die diese dann auswendig lernten.
Schließlich kam der Tag der Visitation. Nach der Begehung der Apothekenräume wurde der Arzt an eine "gut besetzte Tafel" geladen, wo man bestens speiste und dem "Franzwein" zusprach. Auch solche Visitationsgelage reflektieren wohl recht typisch das Verhältnis der beiden Berufsgruppen, denn der Apotheker wollte sich das Wohlwollen des Mediziners erhalten.
Nachdem der Provisor und dessen Kollege ihr Examen erfolgreich bestanden hatten, bat Wilhelm, auch seine Kenntnisse unter Beweis stellen zu dürfen. Die Äußerung des Arztes, es beim Dispensatorium nicht so genau zu nehmen, denn "das Latein ist wohl noch zu schwer für ihn", verdross ihn derart, dass er seinen "Horaz“ holte und daraus übersetzte. Der Apothekenprinzipal erhielt ein Lob für seine "trefflichen Leute". Wilhelm fasste sich ein Herz und bat den Arzt, ihm gelegentlich einmal ein lateinisches Buch zu verschaffen. Nach acht Tagen trafen drei lateinische Werke, Vogels "Institutiones chemiae" (9), Boerhaaves "Elementa Chemieae" (10) und Junckers "Conspect. chem. theoret. practic." (11), ein.
Solche Bücher waren in der Apotheke also nicht vorhanden, wohl auch deshalb, weil sie tiefere Kenntnisse der lateinischen Sprache voraussetzten, über die die meisten Apotheker nicht verfügten (12). Obwohl der Apotheker im Laboratorium Präparata chymiae bereitete, führte er dies häufig rein mechanisch durch, während nur der Arzt als "Vorgesetzter" des Apothekers mit den wissenschaftlichen Grundlagen der Chemie vertraut sein musste.
Das Verhältnis des Arztes zum Apotheker war das eines Gelehrten zu einem nach seiner Anweisung arbeitenden Handwerker, wenn man von wenigen Ausnahmen – wie den chemisch überaus versierten Apothekern Caspar Neumann (1683 bis 1737) oder Carl Wilhelm Scheele (1742 bis 1786) – absieht. Die Abhängigkeit gegenüber dem Arzt offenbarte sich also nicht nur in ökonomischer Hinsicht, sondern auch in einem beträchtlichen Wissensunterschied des Pharmazeuten (13).
Freunde der Botanik
Jedoch gab es seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert Apotheker, die gerade diesen zu überwinden suchten. Zu ihnen gehörte David Heinrich Hoppe (1760 bis 1846), dessen Selbstbiographie posthum 1849 erschien (14).
Hoppe nimmt insofern eine Sonderstellung ein, da er 1792 noch zusätzlich Medizin studiert hatte und sich 1795 als praktischer Arzt in Regensburg niederließ (15). Somit stellt seine Sicht auf den Mediziner zugleich ein "Selbstbild" dar. Den Apothekerberuf hatte Hoppe nur ergriffen, "um desto sicherer zur Botanik zu gelangen". Nähere Beziehungen zu den Ärzten reduzieren sich in Hoppes Bericht deshalb auf eine Zusammenarbeit in der Botanik.
So erwähnt er die Mediziner Dr. Johann Friedrich Pott (16) und Johann Philipp du Roi (17) als Examinatoren beim Collegium medicum zu Braunschweig, die ihn als Botaniker kennen gelernt "und zum bevorstehenden Sommer mit botanischen Aufträgen beehrt" hatten (18). Schließlich nennt er noch den Regensburger Arzt Johann Jacob Kohlhaas (1747 bis 1811) (19), der 1790 zum Präses der von Hoppe mitbegründeten Regensburgischen Botanischen Gesellschaft avancierte. Wie sich indes das Verhältnis zwischen Arzt und Offizinapotheker gestaltete, darüber macht Hoppe keine Angaben.
Auch Friedrich Traugott Kützing (1807 bis 1893) gab 1834 den Apothekerberuf auf, um sich ganz der Botanik zu widmen. In seiner Autobiographie, die erst 1960 gedruckt wurde (20), erwähnt er Kontakte zu Ärzten, die seine botanischen Interessen teilten, wie den Kreisphysikus Dr. Christoph August Hoffmann, Dr. Johann Christian Mietsch (1796 bis 1856) aus Suhl und den Geheimrat Adolph Freiherr von Roepert (gest. 1844) aus Meiningen. Bei Kützing fehlen gleichfalls Ausführungen über Begegnungen zwischen Arzt und Apotheker im Rahmen des normalen Arzneimittel- und Rezeptverkehrs, was zugleich zeigt, dass diese in der Sicht des späteren Naturforschers verblassten.
Ausführlicher betrachtet er hingegen seine Studienzeit an der Hallenser Alma mater 1832/33, wo er insbesondere Kontakte zu Medizinprofessoren hatte, so zum Beispiel zu dem Arzt und Apotheker Franz Wilhelm Schweigger-Seidel (1795 bis 1838) (21) und zu dem Mediziner Kurt Sprengel (1766 bis 1833). Sein Bericht über Intrigen und Nepotismus unter der Professorenschaft erlaubt zugleich einen Einblick in den damaligen Wissenschaftsbetrieb, den die vorwiegend hagiographische Universitätsgeschichtsschreibung häufig ausspart.
Enge Kontakte zu den Ärzten
Die Autobiographie von Ernst Wilhelm Martius (1756 bis 1849) stellt eine der interessantesten pharmaziehistorischen Quellen dar (22). Aus der Sicht eines auf viele Jahrzehnte zurückschauenden alten Mannes führt sie den Leser in eine der bemerkenswertesten Epochen der Pharmazie, in der sich die Apotheker von ihren handwerklichen Fesseln zu befreien suchten und nach wissenschaftlicher Anerkennung strebten. Da die Entwicklung der Pharmazie in jener Zeit kaum von der der Naturwissenschaften zu trennen ist, vermag sie auch deren Geschichte zu beleuchten. Weil Martius, im Unterschied zu Hoppe und Kützing, praktischer Apotheker blieb, besitzt seine Beschreibung des Verhältnisses von Arzt und Apotheker besonderen Wert.
Martius erwähnt zahlreiche Ärzte, denen er wissenschaftliche Einsichten, so über "Gegenstände der Physik und Medizin", verdankte (23). Hofrat Held aus Wetzlar regte ihn zur Verbesserung seiner Pflanzenabdrucke an. Engere Kontakte pflegte er zu den Professoren der Medizinischen Fakultät Erlangen. Martius liefert ausführliche Lebensbeschreibungen der Medizinprofessoren Heinrich Friedrich von Delius (1720 bis 1791), Jacob Friedrich Isenflamm (1724 bis 1793) und Johann Christian Daniel Edler von Schreber (1739 bis 1810) sowie Friedrich Hildebrandt (1764 bis 1816), der ihn "seines Vertrauens und seiner Freundschaft“ würdigte (24).
Da schon der früh verstorbene Delius Martius als Amanuensis (wissenschaftliche Hilfskraft) vorgesehen hatte und er dann 1793 bei den Chemievorlesungen von Schreber assistierte, können wir auf engere Kontakte des Hofapothekers Martius zu diesen Medizinprofessoren schließen.
Den "Geheimenhofrath" von Wendt, dessen elegantes Latein und grenzenlose Menschenliebe Martius hervorhebt, musste er beim jährlichen allgemeinen Aderlass in das Benediktinerkloster zu Weißenohe begleiten (25). Er erwähnt ferner die Professoren Bernhard Schreger und Heinrich Friedrich Loschge (1755 bis 1840).
Nachdem Martius 1817 den Ehrendoktorgrad von der Philosophischen Fakultät Erlangen erhalten hatte (26) und ein Jahr später als Privatdozent pharmazeutische Vorlesungen hielt (27), gestaltete sich der Kontakt zu den Medizinprofessoren noch enger. Martius selbst betrachtete rückblickend seine Ehrenpromotion als ein Zeichen für das veränderte Verhältnis zwischen Apotheker und Arzt (28):
"In früheren Zeiten hätte ich freilich eine solche Ehrenerweisung nicht erwarten können, weil damals Kenntnisse des Apothekers nicht sonderlich gewürdigt wurden, sein Stand dem des Doctor Medicinae geradezu untergeordnet war, und er zum Arzte etwa so stand, wie der Schulmeister zum Pfarrer."
Auch über die Stellung des Offizinapothekers zum Arzt gibt die Autobiographie Auskunft. Als Martius 1787 den Arzt Dr. Wendt zu einer erkrankten Nonne nach Baiersdorf rief, reagierte dieser ungehalten, da er bei seinem Streichquartettspiel gestört wurde, und erteilte ihm den Auftrag, der Kranken den "Julep mit Phosphorsäure und Veilchensaft" zu geben (29). Weil in dem Städtchen Baiersdorf, in dem Martius als Apotheker wirkte, kein Arzt lebte, übertrugen ihm die Mediziner der Nachbarschaft häufig ihre Verpflichtungen, die er, wie er bemerkt, "immer mit größter Discretion" erfüllte.
... und einige Querelen
Martius setzte sich wie viele andere Apotheker seiner Zeit für ein kollegiales Verhältnis zwischen den Heilberuflern ein. Dies zeigt auch sein Kampf gegen die Neujahrsgeschenke an die Ärzte 1796. So beschreibt er die Unsitte, den Ärzten zum neuen Jahr einen Korb "voll Kaffee, Thee, Zucker, feinen Gewürzen, edlem Rauchwerk, Magenmorsellen und bisweilen noch werthvolleren Dingen" zu überreichen, die die Gewogenheit der Ärzte gegenüber dem Apotheker erhalten sollten (30). Jedoch ist die Behauptung, deren Abschaffung gehe auf ihn zurück, nicht haltbar.
Dass Martius Verhältnis zu den Ärzten seiner Heimatstadt durchaus nicht immer nur von freundschaftlicher Kollegialität geprägt war, belegen Quellen im Staatsarchiv Nürnberg. Der Erlanger Stadtphysikus Johann Georg Fleischmann (1743 bis nach 1803) beschuldigte nämlich Martius und zwei weitere Apotheker, schädliche Rezepte von Chirurgen und dilettierenden Landbadern angefertigt zu haben. Als Anmaßung bezeichnete das Collegium medicum die Entgegnung der Apotheker, selbst beurteilen zu können, "ob das Recept schädlich sey oder nicht". Dazu heißt es im Gutachten (31):
"Diese ganze Stelle enthält die unstatthaftesten Anmaßungen, da die Apotheker von rechtswegen nichts von der Wirkung und Anwendung der Arzneyen und von Heilkunst verstehen, nichts davon gelernt haben, noch darüber geprüft sind."
Jedoch berichtete Martius in der zwischen 1824 und 1830 entstandenen "Skizze einer populaeren Lebensbeschreibung des Dr. E. W. Martius senior nur allein für seine Familie", die als Vorstufe für seine gedruckte Autobiographie bezeichnet werden kann, auch über private Querelen und Auseinandersetzungen. Offenbar beschwerten sich auch die Apotheker über Fleischmann, der selbst dispensierte und nur arme, zahlungsunfähige Patienten in die Apotheke schickte (32).
Dass in der für die Öffentlichkeit bestimmten Autobiographie des Neunzigjährigen diese Auseinandersetzungen ausgespart blieben, dokumentiert zugleich die Grenzen der Autobiographie als historische Quelle.
Was "Aussteiger" berichten
Interessant ist zweifellos, dass gerade einige "Aussteiger" aus der Pharmazie, die den Apothekerberuf frühzeitig verließen, ihre Lebenserinnerungen schrieben. Während Hoppe und Kützing diesen Beruf aufgaben, um sich einer verwandten Wissenschaft, der Botanik, zuzuwenden, gab es auch Künstler und Schriftsteller, die sich nur kurzzeitig der Ars pharmaceutica gewidmet hatten. Sie erwähnen ihre Zeit in der Apotheke meist nur nebenher.
Berend Goos (1815 bis 1885) beendete auf Grund eines Gehörleidens 1854 seine Apothekertätigkeit und widmete sich ganz der Malerei (33). Seine "Erinnerungen aus meiner Jugend", die 1896/97 in drei Bänden herauskamen, stellen eine interessante Quelle zur Geschichte Hamburgs dar. Erwähnt wird ein Dr. Tüngel, der in das nach dem großen Hamburger Brand erbaute Apothekerhaus zog, und dessen "liebenswürdiges Benehmen, gepaart mit einem ungewöhnlichen Wissen und wissenschaftlichem Scharfblick" Goos hervorhebt (34).
Ob die Liebenswürdigkeit typisch für Tüngels Umgang mit Apothekern oder nur dem Hausbesitzer Goos geschuldet war, erfahren wir jedoch nicht.
Der Apotheker und Schriftsteller Heinrich Zeise (1822 bis 1914) beschreibt in seinen Erinnerungen nur Ärzte, die sich als Literaten betätigten, so Dr. Woldemar Nürnberger (35) und Dr. Magnusson. Wie er den Arzt in der Apotheke erlebte, wird nicht berichtet.
Hermann Sudermann (1857 bis 1928) widmet in seinem "Bilderbuch meiner Jugend" seiner Apothekerlehrzeit ein spezielles Kapitel (36). Er erwähnt hier einen Arzt Dr. Kittel, dem man in der Apotheke mit viel Ehrerbietung entgegentrat (37):
"Täglich schritt er an meinem Standplatz vorüber, um in des Alten Zimmer, das für die höchsten Honoratioren eine halbheimliche Weinkneipe war, ein paar Rezepte zu schreiben und zugleich eine Flasche des berühmten Settgastschen Rotweins zu kippen. Dann streifte mich sein großes rollendes Auge mit einem anteillosen Blick, sein Brüllbaß grollte‚ Morjn‘, und wie eine wehende Flamme verschwand sein brandroter Wotansbart hinter der Tür."
Da dieser Arzt bei Sudermann ein orthopädisches Leiden diagnostizierte, das seine als Fron empfundene pharmazeutische Tätigkeit vorschnell beendete, bewahrte ihm der Dichter ein besonderes Andenken.
Der Schriftsteller Erwin Rosen, eigentlich Erwin Carle (1876 bis 1923), beschreibt in seinen Erinnerungen "Der Deutsche Lausbub in Amerika" auch eine kurze Episode, die ihn als Lehrling in die Apotheke einer texanischen Kleinstadt führte. Mit Verwunderung werden deutsche Apotheker zur Kenntnis nehmen, dass die drei Ärzte des Texasstädtchens "ihre Rezepte hübsch deutlich und leserlich" schrieben, "wie es Sitte ist in Amerika" (38). Auch dass die Ärzte dem Lehrjungen Hunderte amerikanische Romane borgten, dürfte für deutsche Verhältnisse eher ungewöhnlich erscheinen.
Conrad Stich (1864 bis 1953), Leiter der Apotheke des Städtischen Krankenhauses St. Jacob in Leipzig, berichtet mit großer Hochachtung von Medizinprofessoren, mit denen er in fachlichem Kontakt stand (39). Obwohl Stich große Verdienste um die praktische und wissenschaftliche Pharmazie besaß, dürfte doch die akademische Stellung dieser Ärzte einem völlig gleichberechtigten Verhältnis zwischen Arzt und Apotheker entgegengestanden haben.
Der Professor der Pharmazie und Pharmakognosie in Bern, Alexander Tschirch (1856 bis 1939), schildert in seiner Autobiographie "Erlebtes und Erstrebtes" auch seine Tätigkeit in verschiedenen Apotheken (40). Seine Ausführungen über Ärzte beschränken sich jedoch auf die Beschreibung ihres Äußeren, ihrer Verordnungsweisen sowie eine Einteilung der Mediziner nach ihrer Kalligraphie. Tschirch bemerkt dazu (41), "je berühmter ein Arzt ist, um so schlechter schreibt er. Doch will ich nicht behaupten, daß alle Ärzte, die eine schlechte Handschrift haben, auch große Ärzte sind."
Was Autobiographien verraten
Apothekerautobiographien geben – freilich in Abhängigkeit vom apothekarischen Selbstverständnis des Autors – Einblicke in das Verhältnis von Arzt und Apotheker. Während diejenigen, die den Apothekerberuf bloß als "Zwischenstation" durchliefen, nur über Ärzte berichten, mit denen sie gemeinsame Interessen außerhalb der Pharmazie verbanden oder denen sie die Befreiung von der "Apothekenfron" verdankten, vermitteln andere durchaus Typisches über das Verhältnis der beiden Heilberufe. Dazu zählt die administrative, wirtschaftliche und wissenschaftlich-fachliche Abhängigkeit des Apothekers.
Mit der zunehmenden wissenschaftlichen Emanzipation der Pharmazie gab sich der Apotheker selbstbewusster. Einige Ärzte tolerierten dies wohlwollend; wir erleben sogar Ärzte als Förderer wissenschaftlicher Interessen der Apotheker oder solche, die die praktischen Fertigkeiten des Pharmazeuten für ihre Lehrtätigkeit nutzten. Andere bemühten sich jedoch weiterhin, das hierarchische Verhältnis zu bewahren.
Berichte über die Gleichberechtigung zwischen Apotheker und Arzt sucht man vergebens, ist sie doch selbst heute noch nicht immer Realität. So können die Pharmaziehistoriker nur hoffen, dass es auch in der Gegenwart Apotheker gibt, die ihre Autobiographie schreiben und dann über das Verhältnis von Arzt und Apotheker nur Erfreuliches zu berichten wissen.
Anmerkungen und Literatur
Dem Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie, Dr. Klaus Meyer, zum runden Geburtstag gewidmet.
Der Autor
Christoph Friedrich hat nach dem Pharmaziestudium und der Diplomarbeit Geschichtswissenschaften studiert und wurde 1983 mit einer pharmaziehistorischen Arbeit promoviert. 1987 habilitierte er sich für das Fach Geschichte der Pharmazie. 1990 erhielt er einen Lehrauftrag mit Promotionsrecht für Geschichte der Medizin an der Universität Greifswald und leitete dort die Abteilung Geschichte der Pharmazie/Sozialpharmazie. Seit Oktober 2000 ist er geschäftsführender Direktor des Instituts für Geschichte der Pharmazie Marburg. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Entwicklung der Pharmazie im 18., 19. und 20. Jahrhundert, Apothekerbriefwechsel, Arzneimittelgeschichte und pharmazeutische Kulturgeschichte.
Anschrift des Verfassers:
Professor Dr. Christoph Friedrich
Institut für Geschichte der
Pharmazie
Roter Graben 10
35032 Marburg
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