Diabetikern den Rücken stärken |
17.07.2000 00:00 Uhr |
QUALITÄTSMANAGEMENT
Der Diabetes mellitus ist für Millionen von Mitbürgern mit schlechter Lebensqualität verbunden. Für das Gesundheitssystem stellt er auf Grund seiner Akut- und Spätkomplikationen eine große Belastung dar. Ziel ist es, die Diabetiker effektiv und effizient bei bestmöglicher Lebensqualität vor diesen Komplikationen zu bewahren. Dazu ist die Kooperation aller an der Diabetikerbetreuung Beteiligten erforderlich.
Wer Patienten oder Kunden verantwortungsvoll und zufriedenstellend versorgen will, muss mehr tun als fehlerfreie Produkte abgeben. Qualitätssicherung als defensive Maßnahme zur Vermeidung von Produktmängeln genügt heute nicht mehr. Mit Hilfe eines Apotheken-QMS können Apotheker ihre Leistungen kontinuierlich verbessern. Es bietet ihnen die Chance, reproduzierbare Produkt- und Dienstleistungsqualität zu gewährleisten und diese im Laufe der Zeit immer weiter zu verbessern.
Die Gesamtqualität der Apotheke ist mehr als die Summe der Teilqualitäten. Von diesen spürt der Kunde die Qualität der pharmazeutischen Beratung und Betreuung unmittelbar. Mit einem indikationsbezogenen QMS haben Apotheker die Chance, die Beratung und Betreuung effektiver und effizienter zu gestalten. Was gute Qualität ist, entscheidet der Kunde.
"Ihr Insulin haben wir leider im Moment nicht da. Gerne besorgen wir es für Sie bis heute Nachmittag. Dann können Sie es abholen. Doch zu unserem Seminar 'Blutzucker messen aber richtig' in zwei Wochen möchte ich Sie heute schon einladen."
Das ist die Apothekenqualität, die Frau Diabolo gerade wahrnimmt. Nur zufrieden ist sie nicht. Erwartet hat sie, dass die Vita-Apotheke ihr Insulin inzwischen vorrätig hat. Sie ärgert sich. Nicht erwartet hat sie, dass die Apotheke nun auch ein Seminar über Blutzuckermessungen anbietet. Das überrascht sie. Gefreut hätte sie sich über die Einladung, wenn sie sich nicht gerade wegen des fehlenden Insulins ärgern würde.
Qualität ist die realisierte Beschaffenheit bezüglich Forderungen. Diese Definition gilt für materielle (Waren) und immaterielle Güter, also Dienstleistungen. Der Begriff an sich ist wertneutral. Gute Qualität ist die Erfüllung von Anforderungen des Kunden. Er vergleicht die Beschaffenheit der Produkte mit seinen Erwartungen und bildet sich ein Urteil über deren Qualität. Ausschlaggebend ist der Nutzen, den er davon hat. Wird eine Qualitätsforderung nicht erfüllt, ist das ein Fehler. In der Regel kann ein Fehler nicht durch Übererfüllung einer anderen Forderung oder durch unerwartet gute Qualität in einem anderen Bereich kompensiert werden.
Jeder Kunde erwartet zu Recht, dass sein Arzneimittel aus Frankfurt die gleiche Qualität hat wie das aus München. Qualitätsmanagement ist für materielle Produkte selbstverständlich. Folgerichtig ist es, auch für immaterielle Güter wie pharmazeutische Dienstleistungen ein Qualitätsmanagement zu fordern. Dies zu garantieren, ist Aufgabe des Apothekers.
Prozess- und Strukturqualität beeinflussen die Ergebnisqualität
Ausgangspunkt für den Aufbau eines indikationsbezogenen Qualitätsmanagements ist die Definition von Qualität. In der Medizin ist das der unter Anwendung des derzeitigen Wissens vom medizinischen Versorgungssystem erreichte Grad der Wahrscheinlichkeit, für den Patienten erwünschte Therapieresultate zu erzielen und unerwünschte Behandlungsergebnisse zu vermeiden. In der Diabetologie hat die Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG) Leitlinien für Diagnose und Therapie als Qualitätsindikatoren erarbeitet, die die Grundlage für eine strukturierte Qualitätsbeurteilung und -verbesserung bilden.
Wie gut oder schlecht die medizinische Behandlung und die pharmazeutische Betreuung eines Diabetikers sind, lässt sich am Ergebnis ablesen. Die Ergebnisqualität beschreibt Veränderungen des gegenwärtigen oder zukünftigen Gesundheitszustandes eines Patienten, die durch medizinische Versorgung und pharmazeutische Betreuung verursacht werden. Neben rein medizinischen Parametern gehören in die Ergebnisqualität auch gesundheitsbezogene Bewusstseins-, Wissens- und Verhaltensänderungen und die Kunden-/Patientenzufriedenheit. Alle Qualitätskriterien müssen messbar sein. Zu den quantitativen Kriterien zählen zum Beispiel HbA1c, Blutglucose, Blutdruck und Gewicht. Die Lebensqualität der Kunden/Patienten oder ihre Zufriedenheit mit der Therapie oder pharmazeutischen Betreuung werden qualitativ beurteilt.
Für die Therapie ist der Arzt verantwortlich. Er definiert für und mit jedem Diabetiker die Ergebnisqualität in Form individueller Therapieziele. So soll ein Typ 2-Diabetiker in der Regel zu Beginn einer Therapie mit oralen Antidiabetika einen HbA1c über 6,5 Prozent erreichen. Das entspricht einer venösen Nüchternplasmaglucose über 6,0 mmol/l (> 110 mg/dl). Bei schlanken Typ 2-Diabetikern, die keine anderen arteriellen Risikofaktoren haben, werden gelegentlich folgende Therapieziele definiert: HbA1c über 7,5 Prozent und venöse Nüchternplasmaglucose größer/gleich 7,0 mmol/l (> 125 mg/dl).
Der Apotheker muss die angestrebte Ergebnisqualität, das heißt die Therapieziele, kennen. Ob sie erreicht werden, hängt von der Prozessqualität ab. Diese beschreibt die Qualität der Tätigkeiten und Prozesse im Rahmen der medizinischen Versorgung beziehungsweise der pharmazeutischen Betreuung. In der Prozessqualität drückt sich die Qualität der Behandlung und Betreuung am deutlichsten aus. Auch die Qualität der Tätigkeiten, die der Diabetiker im Rahmen des Selbstmanagements seiner Erkrankung durchführt, schlagen sich ganz entscheidend in der Ergebnisqualität nieder. Sie werden durch die Tätigkeiten von Arzt und Apotheker beeinflusst.
Die Prozessqualität hängt von der Strukturqualität ab. Dazu zählen in der Apotheke vor allem die personelle Ausstattung an Apothekern, PTAs und PKAs sowie deren fachliche und kommunikative Qualifikationen. Die bauliche und räumliche Ausstattung, zum Beispiel ein geeigneter Beratungsraum und ein Laborplatz inklusive Ausstattung, gehören ebenfalls dazu. Auch Organisationsgrundsätze und -regeln sowie Dienstleistungskonzepte zählen zur Strukturqualität.
Diabetesmanagement: gemeinsam geht es besser
Die fachlichen Qualifikationen von Ärzten, Apothekern und Diabetikern reichen für eine optimale Ergebnisqualität nicht aus. Sie müssen auch zum Wohle der Diabetiker umgesetzt werden. Somit beeinflusst die Motivation der Beteiligten die Ergebnisqualität sehr stark. Optimiert wird sie durch gute Kommunikation und Kooperation.
Je mehr die Betreuung als gemeinschaftlicher Prozess zwischen Arzt, Diabetiker und Apotheker verstanden wird, desto besser ist die Ergebnisqualität und damit die Lebensqualität der Diabetiker. Dieses Dreiecksverhältnis liegt dem indikationsbezogenen Qualitätsmanagement zu Grunde. Dabei werden Arzt, Diabetiker und Apotheker durch die Grundsätze der modernen Diabetestherapie verbunden. So lautet das Diabetesmanagement 2000:
Hieraus ergeben sich für alle Beteiligten Aufgaben im Diabetesmanagement. Die ärztlichen Handlungsempfehlungen leiten sich aus den evidenzbasierten Diabetes-Leitlinien DDG ab. Der Apotheker setzt die Inhalte des Fortbildungskonzeptes "Pharmazeutische Betreuung diabetischer Patienten und Gesundheitsberatung von Risikopersonen" um, das von Bundesapothekerkammer (BAK) und DDG im November 1999 verabschiedet wurde. Voraussetzung für einen langfristigen Therapieerfolg ist das Selbstmanagement. Deshalb muss der Diabetiker im Alltag die entscheidenden Schritte selbst tun, um seine Therapieziele zu erreichen. Arzt und Apotheker übernehmen im Sinne des Diabetiker-Empowerments die Rolle der Förderer und kritischen Partner. Gemeinsam stärken sie die Eigenverantwortung des Patienten, damit dieser seine Erkrankung selbst managen kann.
"Ich soll Diabetes haben. Dabei bin ich doch nur etwas erschöpft. Der Arzt hat gesagt, der sei unheilbar. Das kann ich nicht ertragen."
Mit diesen Worten legt Frau Melitta ihr Rezept über ein orales Antidiabetikum bei Apotheker Hagedorn in der Sonnen-Apotheke auf den Handverkaufstisch. Sie ist überrascht über die Diagnose des Arztes, lehnt die Erkrankung innerlich ab und hat gleichzeitig Angst, damit nicht fertig zu werden.
Nach der Diagnose "Diabetes Typ 2" hat ihr Arzt, Dr. Süssmuth, sie über die Erkrankung kurz aufgeklärt und mit ihr die Therapieziele besprochen. Frau Melitta ist leicht übergewichtig und sechzig Jahre alt. Ihre Lebenserwartung ist mit großer Wahrscheinlichkeit lang genug, um bei unzureichender Stoffwechseleinstellung Hyperglykämie-bedingte Folgeschäden zu erleben. Das Ziel der Behandlung muss deshalb sein, den Blutglucosespiegel nahezu zu normalisieren, um diese Folgeschäden zu verhindern beziehungsweise zu verzögern. Dr. Süssmuth legt mit ihr die Therapieziele fest, die für Typ-2-Diabetiker empfohlen werden, die bei Manifestation der Erkrankung jünger als siebzig Jahre sind. Somit lauten Frau Melittas Therapieziele: Vermeidung von Spätkomplikationen und Hyperglykämien. Das ist durch Nahezu-Normoglykämie möglich. Dazu muss der HbA1c auf < 7,0 Prozent, die kapilläre Blutglucose auf 100 mg/dl (akzeptabel 60 bis 140 mg/dl) und vor dem Schlafengehen auf 120 mg/dl eingestellt werden. Das soll Frau Melitta durch die tägliche Einnahme eines oralen Antidiabetikums erreichen. Die Grundpfeiler des Diabetesmanagements - gesunde Ernährung und körperliche Aktivität - gelten für sie selbstverständlich auch. Abnehmen muss sie nicht, da sie nur leicht übergewichtig ist. Sie soll ihr Gewicht halten. Das freut sie.
Die Therapieziele sind so gesteckt, dass die Diabetikerin sie auch erreichen kann. Das ist eine Voraussetzung für ihre langfristige Mitarbeit. Um Spätkomplikationen zu vermeiden, muss sie langfristig sowohl die medikamentösen als auch die nichtmedikamentösen Empfehlungen einhalten. Um die metabolische Grauzone zwischen den Stoffwechselkontrollen beim Arzt zu minimieren, muss die Diabetikerin dreimal wöchentlich selbst ihre Blutglucose messen und die Messwerte sowie besondere Situationen dokumentieren. So kann ein Therapieerfolg gesichert werden. Langfristig ist er nur auf einer vertrauensvollen Arzt-Diabetiker-Apotheker-Beziehung aufrecht zu erhalten.
Der Apotheker steht als Arzneimittelfachmann in allen Fragen der Arzneimitteltherapie zur Verfügung. Er berät zu den verordneten Arzneimitteln sowie zu denen aus der Selbstmedikation. Gemeinsam mit der Diabetikerin und dem Arzt versucht er, arzneimittelbezogene Probleme zu lösen.
Reicht die Behandlung mit oralen Antidiabetika zur guten Stoffwechseleinstellung nicht mehr aus, muss Frau Melitta Insulin spritzen. Auch die fachgerechte Anwendung der Applikationshilfen erklärt ihr Apotheker Hagedorn. Er bringt ihr auch bei, fehlerfrei ihre Blutglucose zu messen. Weiterhin klärt er sie über Diabetes, seine Begleit- und Folgeerkrankungen sowie Akutkomplikationen auf. Ebenso gehört die Beratung zur adäquaten Ernährung, zur körperlichen Aktivität und zur Lebensführung zur pharmazeutischen Betreuung. Anhand des Gesundheitspasses Diabetes erinnert der Apotheker sie an ihre Arztbesuche. Mit Hilfe der in der Apotheke erhobenen Befunde (Gewicht, Blutglucose, Blutfette, Blutdruck) kann er mit der Diabetikerin deren Therapieziele besprechen. Bei Problemen empfiehlt er ihr einen Arztbesuch. Welche Dienstleistungen wann für einen individuellen Kunden aus dem Angebot in Frage kommen, hängt von dessen individuellen Bedürfnissen ab. Vorrang hat immer das aktuelle Problem.
Auf die Beratung kommt es an
Frau Melitta versteht nicht, warum es notwendig ist, Tabletten einzunehmen. Sie macht ihrer Sorge Luft:
"Ich habe doch gar keine Schmerzen. Warum soll ich Tabletten für meinen Diabetes einnehmen? Tabletten nimmt man doch nur, wenn man Schmerzen hat."
Die Beratung bei der Abgabe der verordneten Arzneimittel gehört zu den elementaren Dienstleistungen jeder Apotheke. Apotheker Hagedorn erklärt ihr den Zusammenhang zwischen Insulin und zu hohem Blutzucker. Er sagt ihr auch, dass zu hoher Zucker zwar nicht weh tut, dieser aber längerfristig die Blutgefäße am Herzen, am Gehirn, Augen, Nieren und an den Beinen und die Nervenbahnen schädigt. Der Apotheker erklärt weiter, wie die Tabletten den Blutzucker senken. Er weist sie auch darauf hin, warum eine gesunde Ernährung in der Diabetestherapie so wichtig ist.
Der Apotheker soll sicherstellen, dass das verordnete Arzneimittel entsprechend der ärztlichen Verordnung richtig angewendet und dosiert wird. Deshalb fragt er die Kundin: "Hat Ihr Arzt Ihnen gesagt, wie sie diese Tabletten einnehmen sollen?" "Ja, das weiß ich," meint sie. Der Apotheker will sich vergewissern und hakt nach. "Wie sollen Sie die Tabletten denn einnehmen?" Nachdem Frau Melitta die Dosierung und Anwendung ihrer Tabletten klar sind, meint sie verständnislos:
"Mein Arzt hat gesagt, ich kann von den Tabletten auch Kopfschmerzen und Herzklopfen bekommen. Dann soll ich Traubenzucker essen. Das verstehe ich nicht. Erst soll ich Tabletten einnehmen, um den Zucker im Blut zu senken. Dann soll ich wieder Traubenzucker essen. Dann kann ich die Tabletten doch auch gleich weglassen."
Damit hat sie die wichtigste Nebenwirkung ihrer Medikamente angesprochen, die Hypoglykämie. Ihr Arzt hat sie schon darauf aufmerksam gemacht. Wie sich zeigt, ist es wichtig, mit ihr noch einmal über die Hypoglykämie, ihre Anzeichen und Gegenmaßnahmen zu reden. Als nächstes fragt Apotheker Hagedorn die Diabetikerin, welche Arzneimittel sie sonst noch einnimmt und ob ihr Arzt davon weiß.
Er spricht mit ihr darüber, dass auch andere Arzneimittel außer ihren Zuckertabletten den Blutzucker beeinflussen können. Wenn sie solche Tabletten bekäme, müsse ihr Blutzucker besonders gut überprüft werden. Eventuell müsse die Dosis ihrer Zuckertabletten verändert werden. Dann führt er mit den von der Kundin genannten und den in der Kundendatei gespeicherten Arzneimitteln einen Interaktions-Check durch. Auch das Thema Kontraindikationen spricht der Apotheker an: Hat Ihr Arzt Ihnen erklärt, dass besondere Situationen eine ganz besonders gute Stoffwechseleinstellung erfordern? Bei der Erklärung fragt er beiläufig: "Sind ihre Nieren und Leber noch in Ordnung?" Zum Schluss händigt er seiner Kundin das Antidiabetikum zusammen mit Informationsmaterial zu ihrem Arzneimittel und zum Diabetes aus.
Nicht immer sind Apotheker und Kunden so gesprächig. Gute Kommunikation öffnet den Gesprächspartner. Wie etwas gesagt wird und was gesagt wird, ist deshalb gleichermaßen wichtig. Als Einstieg in ein Thema empfehlen sich geschlossene Fragen, zum Beispiel: "Hat Ihnen Ihr Arzt gesagt, wie Sie diese Tabletten einnehmen sollen?" Bejaht der Kunde, wird die geschlossene in eine offene Frage umgewandelt: "Wie sollen Sie die Tabletten denn nehmen?" Wenn nötig, korrigiert und ergänzt der Apotheker die Aussagen der Kundin.
Empfangen kann er die Information nur, wenn sich der Apotheker als Sender auf die Wellenlänge des Kunden einstellt und dessen Sprache spricht. Dabei ist es wichtig, den Kunden nicht zu überfordern und ihn da abzuholen, wo er gerade steht. Deshalb können die verschiedenen Punkte, die bei der Abgabe eines Arzneimittels besprochen werden sollten, auch auf mehrere Gespräche verteilt werden. Je besser der Apotheker das Beratungsgespräch geplant hat, desto kompetenter kann er beraten. Die Dokumentation von Ergebnis- und Prozessqualität ist Ausgangspunkt für weitere Beratungen.
Förderung des Selbstmanagements
Je besser der Patient über den Diabetes und dessen Behandlung aufgeklärt und je stärker er in die Entscheidungen miteinbezogen wird, desto eher wird er sich an die Therapie halten. Wichtigste Voraussetzung für eine langfristige Mitarbeit ist, dass Arzt und Diabetiker sich auf eine gemeinsame Problemdefinition einigen und gemeinsam die Therapieziele festlegen. Falsche Vorstellungen von der Erkrankung und deren Behandlung sowie problematische Einstellungen und Verhaltensweisen sind die Hauptgründe für eine mangelnde Motivation des Patienten zum Selbstmanagement. Frau Melitta äußert ihre Vorbehalte:
"Eigentlich ist es doch schädlich, jahrelang Tabletten einzunehmen. Davon wird man abhängig."
Wollen Arzt und Apotheker das Selbstmanagement beeinflussen, müssen sie überprüfen, auf welcher Ebene ein Defizit besteht: auf der Ebene des Wissens, des Könnens oder der Motivation. Diese Defizite lassen sich durch unterschiedliche Maßnahmen beeinflussen. Wissens- und Informationsdefizite können Arzt und Apotheker durch Aufklärung, Beratung und Schulung des Patienten ausgleichen. Fertigkeiten und Kenntnisse, die zum Beispiel zur korrekten Insulinapplikation oder zur Blutglucosemessung erforderlich sind, können durch Übungen und Verhaltenstraining erworben werden.
Die Motivation lässt sich mit viel psychologischem Geschick durch Therapiestrategien aufbauen, die der Patient/Kunde versteht, die ihm einleuchten und für ihn realistisch sind. Auch Gedächtnishilfen wie Informationsmaterial und die Stoffwechselselbstkontrolle fördern die Motivation. Diese aufrecht zu erhalten, ist eine schwierige, aber unerlässliche Aufgabe für Arzt und Apotheker.
Je besser diese beiden Heilberufler untereinander und mit dem Patienten kommunizieren, desto erfolgreicher ist die Motivation zum Selbstmanagement. Langfristig besteht sie nur auf einer vertrauensvollen Arzt-Diabetiker-Apotheker-Beziehung.
Insulin fachgerecht spritzen
Herr Sucker legt in der Apotheke ein Rezept über zwei Insulinpens, die zugehörigen Kanülen und Insuline vor. So ganz traut er dem Pen nicht, den der Arzt ihm in der Praxis schon gezeigt hat, und murmelt beim Apotheker:
"Wie bekomme ich mit diesem Ding das Insulin unter die Haut?"
Früher hat er seinen Diabetes mit Tabletten behandelt. Da die nicht mehr wirken, muss er Insulin spritzen. Ungenauigkeiten und Fehler im Umgang mit dem Insulin und seiner Injektion sind die häufigsten Ursachen unerwarteter Stoffwechselschwankungen. Aufgabe des Apothekers ist es, mit dem Diabetiker die korrekte Handhabung des Pens zu üben. Um die ordnungsgemäße Handhabung von Injektionshilfen zu sichern, ist es wichtig, den Handlungsablauf für den Verkauf einer Injektionshilfe schriftlich zu fixieren.
Auch die Strukturqualität muss der Apotheker definieren, um die Prozesse in der Apotheke durchführen zu können. Dazu gehört die Ausstattung des Beratungsplatzes. Demonstrationsmaterialien wie Pen-Aufbau, Wirkprofile von Insulinzubereitungen, ein Schema zur Spritztechnik, eine Graphik der Spritzareale und ein Spritzplan erleichtern die Beratung.
Da alle zur Insulininjektion erforderlichen Materialien korrekt verordnet wurden, erklärt der Apotheker seinem Kunden jetzt die Bedienung des Pens anhand eines Demonstrationsgerätes. Danach macht der Kunde mit seinem Pen selbst einen Funktionstest.
Unter Anleitung des Apothekers übt er so lange, bis er sicher mit seinem Pen umgehen kann. Anschließend erfährt der Diabetiker, wie er Insulin-Suspensionen durch Homogenisieren zum Spritzen vorbereiten muss. Normal- und Verzögerungsinsuline können nicht gemischt werden. Deshalb benötigt der Diabetiker für jedes Insulin einen gesonderten Pen. Farbige Markierungen am Gerät helfen, Verwechslungen zu vermeiden.
Da für den Kunden die Insulininjektion neu ist, erklärt der Apotheker sie ihm ausführlich. Vor der Injektion sollte sich der Diabetiker gründlich die Hände waschen. Eine Desinfektion der Injektionsstelle ist nicht erforderlich. Insulin wird ins Unterhautfettgewebe gespritzt. Der Diabetiker bildet mit zwei Fingern eine Hautfalte, da das Insulin an Spritzstellen mit wenig Unterhautfettgewebe sonst zu tief in die Muskelschicht gelangen könnte. Das führt zu Unterzuckerung und schwankenden Blutglucosewerten. Er hält die Nadel senkrecht oder im Winkel bis zu 45 Grad, je nach Länge der Nadel und Dicke der Hautfalte. Zehn Sekunden nach der Injektion lässt er die Hautfalte los und zieht die Nadel aus der Spritzstelle.
Gespritzt wird am besten in die Bauchdecke und in die Oberschenkel. Die Oberarme sind für die Injektion ungeeignet. Hier ist es schwierig, mit einer Hand eine Falte des dünnen Unterhautfettgewebes zu bilden und das Insulin zu injizieren. Dadurch ist die Gefahr groß, dass das Insulin in den Muskel gelangt. Durch die Auswahl verschiedener Spritzstellen kann die Insulinverteilung im Körper beschleunigt oder verlangsamt werden. Am schnellsten wirkt das Insulin, wenn es in die Bauchdecke gespritzt wird, langsamer bei Injektion in die Oberschenkel. Daher soll der Diabetiker morgens in die Bauchdecke und abends in die Oberschenkel injizieren.
Je besser der Apotheker die Qualität der Dienstleistung plant, desto kompetenter kann er sie ausführen. Je besser er sie dokumentiert, desto besser kann er den Kunden langfristig betreuen.
Diabetiker-Betreuung lohnt sich
Diabetiker stellen eine besonders kostenintensive Patientengruppe dar. Nach der CODE-2-Studie (Costs of Diabetes Type 2 in Europe) betragen die jährlichen Ausgaben der GKV 5538 DM pro Typ-2-Diabetiker. Hochgerechnet auf alle Typ-2-Diabetiker sind das rund 18,5 Milliarden DM beziehungsweise acht Prozent der GKV-Gesamtkosten. Von dieser Summe zahlt die GKV 27 Prozent für Arzneimittel, das sind 4,99 Milliarden DM. Nur fünf Prozent der Gesamtkosten entstehen durch Insulin und nur zwei Prozent durch orale Antidiabetika. Neun Prozent werden für kardiovaskuläre Arzneimittel und Lipidsenker ausgegeben. Nach der CODE-2-Studie entstehen der GKV pro Typ-2-Diabetiker durchschnittliche Arzneimittelkosten von 1496 DM pro Jahr.
Was für die eine Seite als Kosten zu Buche schlägt, sind für die andere Seite Einnahmen. Anhand einer Modellrechnung, die auf einer Studie des Diabetes-Forschungsinstituts in Düsseldorf basiert, kann der Apotheker kontrollieren, wie sich die Diabetikerbetreuung rechnet. In dieser Studie sind 1994 die Verschreibungen und die Kosten von 30.604 Diabetikern und 17.723 Nichtdiabetikern aus 362 Primärpraxen untersucht worden. In der Studie wurde nicht zwischen Typ-1- und Typ-2-Diabetikern unterschieden, sondern ein Durchschnittspatient kreiert.
Aus den meisten Indikationsgebieten wurden Diabetikern mehr Arzneimittel verschrieben als Nichtdiabetikern. In dieser Studie entfielen 21 Prozent der gesamten jährlichen Verordnungskosten auf Diabetiker. Sie stellten 7,9 Prozent aller Patienten in den an der Untersuchung beteiligten Praxen dar. Die Gesamtkosten pro Patientenjahr lagen bei den Diabetikern im Vergleich zu den Nichtdiabetikern dreimal höher.
Nach Ausschluss der Präparate zur Behandlung des Diabetes, der Alters- und Geschlechtsstandardisierung waren die Verordnungskosten immer noch 1,5 mal höher. In beiden Gruppen entstanden die höchsten Verschreibungskosten pro Patientenjahr in der Altersgruppe der 70- bis 80-jährigen. Von den Gesamtverordnungskosten entfielen 25 Prozent auf Antidiabetika inklusive Diabetikerzubehör, 39 Prozent auf Herz-Kreislauf-Präparate und 36 Prozent auf sonstige Therapeutika. An den Verordnungskosten von 25 Prozent waren Insuline zu 14,4 Prozent beteiligt, orale Antidiabetika zu 6,5 Prozent und Teststreifen mit 3 Prozent.
Nach dieser Studie ergab sich 1994 pro Durchschnittsdiabetiker ein Verordnungsvolumen von 1260 DM. Das entspricht einem Nettoumsatz von 1040 DM. Der um Mehrwertsteuer und Krankenkassenrabatt bereinigte Rohgewinn betrug damit 270 DM (25,7 Prozent). Werden die Zahlen aus dem Jahr 1994 unter Berücksichtigung der Umsatzzuwächse und der Mehrwertsteuererhöhung auf das Jahr 1999 hochgerechnet, so ergibt sich für einen Durchschnittsdiabetiker pro Jahr ein Verordnungsvolumen von 1525 DM. Das entspricht einem Nettoumsatz von 1250 DM. Der um Mehrwertsteuer und Krankenkassenrabatt bereinigte Rohgewinn beträgt nach dieser Rechnung 320 DM (25,7 Prozent).
Bezüglich der Teststreifen zur Stoffwechselselbstkontrolle besteht ein gravierender Unterschied zwischen Ist- und Soll-Zustand. Errechnet aus den Verordnungskosten für Teststreifen, betrug in dieser Studie 1994 der tatsächliche Verbrauch pro Durchschnittsdiabetiker und Jahr 36,5 Teststreifen. Laut Absatzstatistik von 1997 verbrauchte der Durchschnittsdiabetiker pro Jahr tatsächlich 216 Teststreifen. Davon wurden 36 Prozent über Apotheken verkauft.
Legt man die Empfehlungen zur Häufigkeit der Stoffwechselselbstkontrolle zugrunde, wurden 1997 nur 38 Prozent der empfohlenen Kontrollen durchgeführt. Bei Einhaltung der Empfehlungen würde der Durchschnittsdiabetiker 565 Teststreifen pro Jahr oder rund elf Packungen verbrauchen. Die Gründe für die große Diskrepanz zwischen Ist und Soll sind keineswegs allein beim Patienten zu suchen. Viele würden gerne häufiger messen, wenn ihnen die Teststreifen verordnet würden.
Um den Gesamtumsatz pro Durchschnittsdiabetiker in einem Jahr ausrechnen zu können, werden zum Verordnungsvolumen die Pro-Kopf-Ausgaben für die Selbstmedikation und für das Ergänzungssortiment gezählt. Für die Selbstmedikation konnte 1999 im Durchschnitt ein Pro-Kopf-Umsatz von 85 DM mit einem Rohgewinn von 28 DM (38,3 Prozent) angesetzt werden, wobei die Zahlen in den alten und neuen Bundesländern stark differieren. Im Ergänzungssortiment betrug der Pro-Kopf-Umsatz 30 DM mit einem Rohgewinn von 10 DM (38,3 Prozent).
Aus dieser Modellrechnung sieht man, welche Umsatz- und Gewinnchancen Diabetiker dem Apotheker auf Grund des hohen Arzneimittelbedarfs bieten. Will er den Gesamtgewinn mit den Diabetikern seiner Apotheke ermitteln, sind die Kosten rund um die Dienstleistungen zu berücksichtigen. Im Zusammenhang mit Laboruntersuchungen oder Blutdruckmessungen entstehen zum Beispiel Kosten für Test-, Demonstrations- und Informationsmaterial. Die Personalkosten für alle Dienstleistungen inklusive der pharmazeutischen Betreuung sind nach Zeitaufwand in Rechnung zu stellen. Zu berücksichtigen sind weiterhin die Kosten für Fortbildungen und Beratungsprogramme in diesem Bereich.
Diabetikerbetreuung lohnt sich. Denn Qualität zahlt sich immer aus, materiell und immateriell. Das indikationsbezogene Qualitätsmanagement bietet Apothekern die Chance, die Qualität der Beratung und Betreuung zu erhöhen und den Zeitbedarf pro Beratungs- und Betreuungsgespräch zu verringern. Die Leistungen werden effektiver und effizienter. Der zu Beginn erforderliche Aufwand ist eine Investition in die Zukunftssicherung der Apotheke. Die Qualitätsspirale zeigt anschaulich, wohin die Qualitätsentwicklung führt: zu immer besserer Qualität und damit zu immer mehr Kompetenz. Das bindet Kunden und schafft Wettbewerbsvorteile.
Literatur:
© 2000 GOVI-Verlag
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