Titel
Makrolide und
Tetracycline gehören neben Betalactamantiobiotika zu den
am häufigsten verordneten Antibiotika in der ambulanten
Praxis. Aufgrund ihres ähnlichen Wirkungsspektrums und
ihrer Wirksamkeit gegen atypische Erreger stellen beide
Substanzgruppen bei vielen Indikationen eine gegenseitige
Alternative dar. Die lokale Resistenzsituation, das Alter
und die Compliance des Patienten, das Nebenwirkungsprofil
und die Therapiekosten sind häufig die ausschlaggebenden
Argumente für die Auswahl eines bestimmten Präparates.
Makrolide sind strukturell durch einen 12- bis
16-gliedrigen makrocylischen Lactonring mit einem
glykosidisch gebundenen Aminozucker gekennzeichnet. Zu
den 14-gliedrigen Verbindungen zählt die Leitsubstanz
der Gruppe , das Erythromycin, und auch die beiden neuen,
halbsynthetisch gewonnenen Makrolide, das Clarithromycin
und das Roxithromycin. Azithromycin, das dritte neue
Makrolid, hat ein 15-gliedriges Grundgerüst und wird
auch als Azalid bezeichnet. Die zusätzliche zweite
basische Gruppe der Verbindung ist für die veränderten
pharmakokinetischen Eigenschaften der Substanz
verantwortlich.
Die orale Bioverfügbarkeit der Makrolide ganz allgemein
ist mittelmäßig. Im Gegensatz zu den neueren Makroliden
schwankt sie beim Erythromycin und seinen Derivaten stark
in Abhängigkeit von der Nahrungsaufnahme und von der
jeweils eingesetzten Verbindung. Aufgrund der guten
Gewebegängigkeit und der Fähigkeit, sich intrazellulär
anzureichern, haben Makrolide relativ niedrige
Plasmaspiegel. Die verlängerten Plasmahalbwertszeiten
erlauben die Einmaldosierung beim Roxithromycin und beim
Azithromycin. Die Gewebehalbwertszeit des Azithromycins
beträgt 2 bis 4 Tage und ermöglicht bei vielen
Indikationen eine Kurzzeittherapie von 3 Tagen. Besonders
in den verbesserten pharmakokinetischen Eigenschaften und
der verringerten Einnahmehäufigkeit sind die Vorteile
der neueren Makrolide zu sehen.
Bei den Tetracyclinen, die durch ein
Naphthacen-Ringsystem gekennzeichnet sind, unterscheidet
man zwischen den hydrophilen Derivaten, dem Tetracyclin
und dem Oxytetracyclin, und den lipophileren,
halbsynthetischen Verbindungen, dem Doxycyclin und dem
Minocyclin. Aufgrund seiner überlegenen
pharmakokinetischen Eigenschaften, seiner geringeren
Dosierung und seiner relativ guten Verträglichkeit ist
Doxycyclin das am häufigsten verordnete
Tetracyclinpräparat.
Makrolide und Tetracycline sind bakteriostatisch wirksame
Antibiotika, sie hemmen auf unterschiedliche Weise die
bakterielle Proteinsynthese. Die Wirkspektren von
Makroliden und Tetracyclinen ähneln sich und umfassen
viele grampositive und gramnegative Erreger, einige
Anaerobier und auch sogenannte atypische Mikroorganismen
wie Legionellen, Mykoplasmen und Chlamydien. Im
Unterschied zu den Makroliden sind aber die
Resistenzraten einiger Erreger wie Haemophilus
influenzae, E.coli und Pneumokokken in manchen Regionen
gegenüber Tetracyclinen sehr hoch.
Entsprechend dem Wirkungsspektrum werden Makrolide im
wesentlichen zur Therapie von Infektionen der oberen und
der unteren Atemwege eingesetzt, bei Infektionen des
Urogenitaltraktes, der Haut und des Weichteilgewebes.
Aufgrund der Resistenzsituation sind die Indikationen
für Tetracycline heute begrenzt. Zu den
Haupteinsatzgebieten insbesondere für Doxycyclin zählen
chlamydienbedingte Infektionen des Urogenitaltraktes,
atypische Pneumonien, Akne und selten vorkommende
Infektionskrankheiten.
Makrolidantibiotika sind in der Regel gut verträglich.
Die gastrointestinalen Nebenwirkungen sind bei den
neueren Substanzen weniger ausgeprägt als beim
Erythromycin. Die Interaktionen mit anderen
Arzneistoffen, die häufig durch eine Hemmung der
Isoenzyme des Cytochrom P 450 Systems in der Leber
bedingt sind, sind bei den neueren Substanzen von
geringerer klinischer Relevanz. Bei den Tetracyclinen
gehören gastrointestinale Beschwerden und
Schleimhautentzündungen zu den häufigsten
Nebenwirkungen. Wegen irreversibler
Zahnschmelzverfärbungen und möglicher
Knochenwachstumsverzögerungen sind Tetracycline bei
Kindern unter 9 Jahren und in der Schwangerschaft
kontraindiziert. An belichteten Körperstellen können
Photodermatosen auftreten.
Da Makrolide und Tetracycline vor allem in der ambulanten
Praxis zur kalkulierten Antibiotikatherapie eingesetzt
werden, spielt die Resistenzsituation bei der Auswahl
eine wichtige Rolle. Wegen lokal sehr hoher
Resistenzraten verschiedener Erreger gegenüber
Tetracyclinen ist den Makroliden unter dem Aspekt der
Wirksamkeit bei vielen Indikationen der Vorzug zu geben.
Die Möglichkeit der Einmalgabe, die bessere
Verträglichkeit und die dadurch zu erwartende bessere
Compliance können die höheren Behandlungskosten der
neuen Makrolide rechtfertigen.
PZ-Titelbeitrag von Marion Stützle, Ludwigshafen
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