Galenische Tricks für die Anwendung am Auge |
05.05.2003 00:00 Uhr |
Die Frage eines Kunden, warum seine „Allergie-Augentropfen“ nach Anbruch nur vier Wochen zu verwenden sind, lässt sich relativ einfach beantworten. Die Erklärung dafür, warum es bei einer chronischen Augenerkrankung notwendig ist, drei- bis viermal täglich nur einen Tropfen zu applizieren, fällt dagegen sicherlich schwerer. Der Grund liegt in den spezifischen biopharmazeutischen Eigenschaften der topischen Applikation am Auge.
Wirkstoffe zur Therapie des Auges können systemisch oder lokal appliziert werden. Mehr als 90 Prozent der verfügbaren Fertigarzneimittel sind allerdings für die lokale Anwendung gedacht. Die wichtigste Darreichungsform sind wässrige Augentropfen, mit weitem Abstand gefolgt von Augensalben und Gelen. Dies ist nicht zuletzt auf die unterschiedliche Akzeptanz der Applikationsformen bei den Patienten zurückzuführen (1). Die lokale Applikation erfolgt typischerweise durch Eintropfen oder Einstreichen in den unteren Bindehautsack (2).
Der Wirkort im Augeninneren ist häufig die vordere Augenkammer (3) (Abbildung 1). Der Weg dorthin führt fast immer durch die Cornea (Hornhaut) hindurch. Allerdings erreichen oft weniger als 5 Prozent der applizierten Arzneistoffmenge den gewünschten Wirkort. Der Rest der verabreichten Dosis wird zum größten Teil (50 bis nahezu 100 Prozent) systemisch verfügbar und kann erhebliche unerwünschte Wirkungen auslösen (4). So ist aus Studien bekannt, dass zum Beispiel unter Timolol-Therapie bei 20 Prozent der Patienten unerwünschte systemische Wirkungen des Betablockers (Bronchokonstriktion und Bradykardie) auftreten.
Abbildung 1: Die meisten Arzneistoffe zur Behandlung von Augenkrankheiten wirken in der vorderen Augenkammer. Dorthin gelangt häufig nur ein kleiner Bruchteil der applizierten Dosis. (Vollbild: Klicken!)
Ziel moderner Ophthalmika ist es, die systemischen Wirkungen zu vermindern und die lokale Wirksamkeit zu optimieren. Hierzu steht eine Reihe anerkannter und innovativer Formulierungsstrategien zur Verfügung.
Geringe Bioverfügbarkeit
Die Hauptursachen für die geringe okulare Verfügbarkeit von Ophthalmika sind zum einen die geringe Permeabilität der Cornea und zum anderen der rasche Wirkstoffverlust im präcornealen Bereich (Tabelle 1). Vergleicht man die Kinetik dieser Prozesse, so stellt man fest, dass bei wässrigen Lösungen die Permeation durch die Cornea um den Faktor 1000 langsamer verläuft als der Abtransport des Wirkstoffs auf anderen Wegen.
Tabelle 1: Einflussfaktoren auf die okulare Verfügbarkeit von lokal applizierten Wirkstoffen
Metabolismus Proteinbindung nicht-corneale Resorption normaler Tränenfluss induzierter Tränenfluss Drainage
Nach der Instillation von Augentropfen (typischerweise 25 bis 50 µl) wird der größte Teil der Arzneistofflösung rasch von der Augenoberfläche über den Tränenkanal zur Nase abgeleitet (maximal 50 µl/min) (5). Danach stellt sich wieder das physiologische Volumen des Tränenfilms (7,5 µl) ein. Im weiteren Verlauf sinkt - bei konstantem Flüssigkeitsvolumen - die Arzneistoffkonzentration in der Tränenflüssigkeit ab. Hierfür ist vor allem der physiologische Tränenfluss (1 µl/min) verantwortlich. Aber auch corneale und nicht-corneale Resorption vermindern stetig die im Tränenfilm vorhandene Wirkstoffmenge. Die Abnahme der Wirkstoffkonzentration verläuft deutlich in zwei Phasen (Abbildung 2 oben). Die erste Phase der raschen Elimination ist dem Abfließen des überflüssigen Volumens zuzuordnen und hat eine Halbwertszeit von etwa 30 Sekunden. Die zweite Phase, in der ein vergleichsweise langsameres Absinken beobachtet wird, ist durch eine Halbwertszeit von etwa fünf Minuten charakterisiert.
Abbildung 2: Kinetik der Drainage nach Instillation einer Wirkstoffdosis in 25 µl Augentropflösung (oben) und nach Eintropfen der selben Wirkstoffmenge in 10 µl Lösung (unten). (Vollbild: Klicken!)
Mit Mikrotropfeinrichtungen versucht man, die selbe Wirkstoffdosis in einem kleineren Volumen zu applizieren. Dadurch wird deutlich weniger Wirkstoff in der ersten Eliminationsphase durch den Tränenkanal zur Nase abgeleitet. Der Wirkstoffspiegel in der Tränenflüssigkeit bleibt über einen längeren Zeitraum hoch; dies begünstigt die Diffusion durch die Cornea (Abbildung 2 unten).
Permeation durch ein „Sandwich“
Der wichtigste Weg ins Augeninnere führt für die Mehrzahl der Wirkstoffe durch die Cornea. Große hydrophile Moleküle können alternativ über Konjunktiva (Bindehaut) und Sklera (Lederhaut) in das Auge aufgenommen werden. Beide sind im Vergleich zur Cornea leichter permeabel, jedoch erfolgt der Abtransport über die Blutzirkulation häufig schneller als die weitere Diffusion ins Augeninnere.
Die Cornea ist eine ausgeprägte Resorptionsbarriere. Sie ist 0,5 bis 0,7 mm dick und besteht aus fünf Schichten; biophysikalisch wird ihr Aufbau als Sandwich-Struktur bezeichnet (Abbildung 3). Das fünf bis sechs Zellschichten umfassende Epithel ist ungefähr 50 µm dick. In den äußeren Schichten sind die Zellen lang und flach. Diese oberflächlichen Corneazellen sind mit Mikrovilli versehen, die in den präcornealen Tränenfilm eintauchen und mit einer Mucinschicht bedeckt sind. Die darunter liegenden polygonalen Zellen bilden zwei bis drei Zellschichten. Eine regelmäßige Schicht palisadenförmiger Basalzellen bildet den Abschluss zur epithelialen Basalmembran, die 1 bis 3 µm dick ist und der Bowman-Membran aufliegt. Diese umfasst eine wenige Mikrometer dicke zellfreie Region des Stromas, die sich durch die wahllose Orientierung der Kollagenfibrillen von dem darunter liegenden Stroma unterscheiden lässt.
Abbildung 3: Der Aufbau der Cornea wird als Sandwich-Struktur beschrieben. (Vollbild: Klicken!)
Das Stroma umfasst etwa neun Zehntel des gesamten Hornhautquerschnitts. Es wird durch ungefähr 250 bis 300 parallel zur Oberfläche verlaufende Lamellen gebildet. Diese Bindegewebsschichten bestehen hauptsächlich aus Kollagenfibrillen und dazwischen eingelagerter Grundsubstanz. Die wenigen Cornea-Fibroblasten liegen zwischen diesen Lamellen. Die endotheliale Basalmembran (Descemet-Membran) besteht hauptsächlich aus Laminin und Kollagen. Zur vorderen Augenkammer hin befindet sich das einschichtige Endothel, das eine mosaikartige Struktur aufweist. Seine Hauptaufgabe ist es, den Wassergehalt, der bei einer gesunden menschlichen Cornea 78 Prozent beträgt, zu regulieren.
Der Transport eines Wirkstoffs durch die Cornea kann auf unterschiedlichen Wegen erfolgen (6). Im Epithel und Endothel sind neben der parazellulären Route noch zwei transzelluläre Routen möglich. Die parazelluläre Route folgt dem hydrophilen Spalt zwischen den epithelialen beziehungsweise den endothelialen Zellen. Der transzelluläre Transport kann entweder ausschließlich innerhalb der hydrophoben Zellmembranen oder alternierend durch Zellmembran und Cytosol erfolgen. Das weitestgehend zellfreie Stroma bietet ausschließlich eine hydrophile Route durch oder entlang der Kollagenfibrillen und der Proteoglycanmatrix. Die freie Diffusion größerer Moleküle wird beim parazellulären Transport durch Epithel und Endothel durch so genannte „tight junctions“ behindert, sodass zum Beispiel das Epithel für Moleküle mit einer Molmasse über 5000 undurchlässig erscheint.
Augenpräparate korrekt anwenden
Zusammengefasst ergibt sich folgendes Bild: Hydrophile Wirkstoffe werden durch das lipophile Epithel zurückgehalten, für die Resorption lipophiler Pharmaka wird das hydrophile Stroma zur geschwindigkeitsbestimmenden Barriere. Für die Permeation durch die Cornea spielen neben der Lipophilie eines Arzneistoffs seine Wasserlöslichkeit, Molmasse, Ladung und Ionisationsgrad eine entscheidende Rolle (4). Die nicht-dissoziierte Form kann normalerweise besser permeieren als die dissoziierte. Bei schwachen Säuren und Basen beeinflussen daher der pH-Wert und die Pufferkapazität der instillierten Zubereitung signifikant die okulare Wirkstoffaufnahme.
Biopharmazeutisch optimiert
Ziel der biopharmazeutischen Optimierung von Ophthalmika ist primär eine Verbesserung des Verhältnisses von systemischer zu okularer Wirkstoffaufnahme. Weitere Ziele einer modernen Formulierung sind: Senkung der Applikationsfrequenz, Vermeidung einer Sehbeeinträchtigung sowie Verbesserung der Applizierbarkeit. Hierzu stehen neben pharmakologischen und chemischen Maßnahmen insbesondere zahlreiche galenische Möglichkeiten zur Verfügung.
Eine erste und sehr effektive Maßnahme, die auch dem Patienten zugute kommt, ist die Optimierung der Verträglichkeit. Hierdurch kann die Drainagerate, die bei ungenügender Verträglichkeit über den dadurch induzierten Tränenfluss erhöht ist, optimal niedrig gehalten werden. Dazu trägt die Einstellung eines günstigen pH-Wertes ebenso bei wie die Anpassung der Tonizität an physiologische Verhältnisse (7). Auch die Partikelfreiheit von Augentropfen verbessert die reizlose Verträglichkeit (Tabelle 2).
Tabelle 2: Maßnahmen zur Verbesserung der lokalen Verträglichkeit von Augentropfen
Parameteridealreizarmschmerzfrei pH-Wert 7,4 7,3 bis 9,7 5,6 bis 10,5 Tonizität 285 mosmol/kgkeine
Darüber hinaus beeinflusst die Einstellung des pH-Wertes bei schwachen Säuren und Basen deren undissoziierten Anteil und damit direkt die Permeabilität der Cornea. So ist beispielsweise die Permeabilität (am Kaninchenauge) der schwachen Base Pilocarpin bei pH 7 um den Faktor zwei höher als bei pH 4, da die Substanz mit einem pkA-Wert von 6,8 - nach Henderson-Hasselbalch - bei physiologischem pH-Wert zu etwa 50 Prozent undissoziiert vorliegt. Allerdings kann bei Fertigarzneimitteln der pH-Wert nicht beliebig eingestellt werden, da dieser auch die chemische Stabilität beeinflusst. Bekanntlich nimmt der Gehalt an Pilocarpin durch Öffnung des Lactonrings bei physiologischem pH innerhalb von sechs Monaten deutlich ab. In solchen Fällen können in der Apothekenrezeptur hergestellte Augentropfen, die für den alsbaldigen Gebrauch bestimmt sind, biopharmazeutisch klare Vorteile aufweisen.
Für Fertigarzneimittel bietet sich alternativ ein Zwei-Kammersystem an, wie es beispielsweise für Timpilo® und Timpilo® forte realisiert ist (Abbildung 4) (8). Während der Lagerung sind Arzneistofflösung (pH 3,5) und Pufferlösung getrennt; dies sichert eine lange Haltbarkeit. Vor der ersten Applikation wird das System aktiviert: Durch Drücken auf die Bodenkappe vermischen sich die beiden Lösungen und es resultiert eine auf pH 6,6 gepufferte Arzneistofflösung, die deutlich verbesserte biopharmazeutische Eigenschaften aufweist.
Abbildung 4: Zwei-Kammer-System als Primärpackmittel für Augentropfen. (Vollbild: Klicken!)
Makromolekulare Zusätze
Zur Verlängerung der Verweilzeit am Auge kommen häufig makromolekulare Hilfsstoffe wie Hypromellose oder Polyvinylpyrrolidon zum Einsatz. Dabei ist zu beachten, dass sich diese Polymerlösungen am Auge nicht nur im Ruhezustand befinden, sondern bei jedem Lidschlag sehr stark geschert werden (9). Die auftretenden Schergeschwindigkeiten liegen im Bereich von 10.000 bis 40.000 s-1 und entsprechen damit etwa den Verhältnissen beim Einreiben von Salben und Cremes. Deshalb ist das rheologische Verhalten der Polymerlösungen sowohl in Ruhe als auch während des Blinzelns zu betrachten (10).
Abhängig von ihrer Struktur und der Einsatzkonzentration ergeben Polymere in Wasser ideal-viskose Lösungen, pseudoplastische Sole oder plastische Gele (Tabelle 3).
Tabelle 3: Polymere verschiedener rheologischer Klassen
System Eingesetzte Polymere ideal-viskose Lösung Hypromellose
Bei ideal-viskosen Lösungen ist die Viskosität unabhängig von der Scherbeanspruchung immer konstant. Bei ausreichendem Verdickungseffekt ist daher eine Behinderung des Lidschlags zu spüren. Im Gegensatz dazu zeigen pseudoplastische Sole den Effekt der Scherverdünnung; das bedeutet, dass deren Viskosität während des Lidschlags abnimmt und der Lidschlag nicht erschwert wird (Abbildung 5). Gele zeigen im Allgemeinen auch eine Scherverdünnung, allerdings ist dem Fließen eine so genannte Fließgrenze entgegengesetzt. Dies bedeutet, dass eine Mindestkraft notwendig ist, um das Gel beim Lidschlag zum Fließen zu bringen. Dies empfindet man bei Gelen mit hoher Fließgrenze als unangenehmes Fremdkörpergefühl im Auge. Darüber hinaus sind der Verdickung der wässrigen Zubereitungen auch dadurch Grenzen gesetzt, dass der Patient sein Medikament bei zu hoher Viskosität nicht mehr problemlos eintropfen kann.
Abbildung 5: Viskosität und Struktur pseudo-plastischer Polymerlösungen in Ruhe und beim Blinzeln. (Vollbild: Klicken!)
Vom Sol zum Gel
Eine interessante Formulierung sind in situ gelierende Systeme (11). Diese sind bei der Applikation dünnflüssig und werden in der Tränenflüssigkeit zum Gel umgewandelt. Diese Sol-Gel-Umwandlung kann durch eine pH-Veränderung (12), Temperaturerhöhung (13) oder Erhöhung der Elektrolytkonzentration (14, 15) ausgelöst werden. In der Literatur sind im Wesentlichen drei unterschiedliche Systeme beschrieben, die eine in-situ-Gelbildung zeigen (Abbildung 6).
Abbildung 6: Verschiedene Faktoren können die Sol-Gel-Umwandlung auslösen. (Vollbild: Klicken!)
Im deutschsprachigen Raum ist eine Formulierung mit Gelrite®, einem niedrig acetylierten Gellangummi, zugelassen (16). Mit Timolol als Wirkstoff lässt sich hierdurch eine einmal tägliche Gabe realisieren. Dies ist ein klarer Fortschritt im Vergleich zur zweimal täglichen Gabe konventioneller Augentropfen.
Eine zusätzliche Verbesserung der Bioverfügbarkeit von Arzneistoffen ist zu erwarten, wenn die verwendeten Polymere mukoadhäsive Eigenschaften aufweisen (17). Mukoadhäsive Polymere wie Carbomer (Polyacrylsäure) oder Hyaluronsäure gehen eine intensive Wechselwirkung mit der Mucinschicht ein, die auf dem Cornea-Epithel haftet. In einem ersten Schritt kommt es zur Adsorption des Gels an den Mucus, gefolgt von einer Interpenetrationsphase, bei der die Makromoleküle des Gels und der Mucinschicht sich gegenseitig durchdringen und intensiv wechselwirken.
Da der Austausch der Mucinschicht etwa 15 bis 20 Stunden dauert, wird ein mukoadhäsives Gel idealerweise auch über diesen Zeitraum an der Augenoberfläche zurückgehalten. Hierdurch ist eine lang anhaltende Abgabe des Wirkstoffs an das Auge möglich. Ein mukoadhäsives Prinzip findet man zum Beispiel bei NyoGel® (Timolol, einmal täglich) oder Ultracortenol® GL, die die Kombination der beiden makromolekularen Hilfsstoffe Polyvinylalkohol und Carbomer enthalten (18, 19).
Gefangen in Cyclodextrinen
Cyclodextrine sind ringförmige Oligomere der Anhydroglucose, die beim enzymatischen Abbau der Stärke durch Mikroorganismen wie Bacillus macerans entstehen. Es werden a-, b- und g-Cyclodextrin unterschieden, je nachdem, ob der Ring aus 6, 7 oder 8 Glucoseeinheiten aufgebaut ist.
Durch die sterische Anordnung der Glucoseeinheiten ergibt sich eine konusförmige Gesamtstruktur des Cyclodextrin-Moleküls. Durch die Stellung der Hydroxylgruppen an den Rändern besteht im Inneren ein hydrophober Hohlraum und außen ein hydrophiler Bereich. Das Molekül ist damit endolipophil und exolipophob beziehungsweise exohydrophil. Hierdurch ist Cyclodextrin wasserlöslich, kann aber in seinen hydrophoben Innenraum lipophile „Gastmoleküle“ aufnehmen. Zur Verbesserung ihrer technologischen Eigenschaften werden Cyclodextrine derivatisiert. Von großem Interesse ist hierbei die Substitution der freien Hydroxylgruppen mit Methoxy- oder Hydroxypropoxy-Gruppen, wodurch - insbesondere beim b-Cyclodextrin - die Wasserlöslichkeit und das Solubilisationsvermögen steigen.
Der Einsatz von Cyclodextrinen in wässrigen Augentropfen bietet verschiedene Vorteile: verbesserte Löslichkeit, Stabilität und Bioverfügbarkeit, Retardierungseffekt sowie Verbesserung der Verträglichkeit (20). Diese gewünschten Effekte sind an den Einschluss des Wirkstoffs in die Cyclodextrin-„Zylinder“ gekoppelt. Die gebildeten Komplexe sind, wie auch die Cyclodextrine alleine, auf Grund ihrer Molmasse und ihrer Hydrophilie jedoch nicht in der Lage, die Cornea zu permeieren. Man geht daher davon aus, dass ausschließlich der im Gleichgewicht mit dem komplexierten Arzneistoff vorliegende freie Anteil in das Cornea-Epithel eindringen kann und der komplexierte Anteil als Reservoir dient.
Obwohl zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen mit Cyclodextrin-haltigen Augentropfen vorliegen, ist in der Apotheke bisher nur ein Präparat mit dem Wirkstoff Diclofenac-Natrium zu finden. Dort ist Hydroxypropyl-g-Cyclodextrin zur Verbesserung der Löslichkeit und Haltbarkeit zugesetzt. Durch die Substitution des bisher notwendigen Polyoxyethylen-35-Rizinusöls, einem nichtionischen Tensid, konnte unter Erhalt der biopharmazeutischen Eigenschaften eine Haltbarkeit bei Raumtemperatur von 36 Monaten realisiert werden, während die alte galenische Form nur 24 Monate bei Kühlschranklagerung stabil ist (21, 22).
Kaum Chancen für Innovationen
Die aktuelle galenische Forschung beschäftigt sich darüber hinaus intensiv mit mikro- und nanopartikulären Systemen, Liposomen, Mikroemulsionen, tensidfreien Nanoemulsionen sowie invers mizellaren Lösungen. Vorrangiges Ziel dieser Arbeiten ist eine Verlängerung der Retentionszeit am Auge sowie eine Verbesserung der cornealen Permeabilität. Letztere ist vor allem bei den Mikroemulsionen denkbar (23). Allerdings darf dieser biopharmazeutische Vorteil nicht zu Lasten der Verträglichkeit gehen. Daher ist bei den Mikroemulsionen, die häufig einen relativ hohen Gehalt an Tensiden und Co-Tensiden aufweisen, der Nachweis der Membranunbedenklichkeit auch in der Langzeitanwendung wichtig. Obwohl bereits zahlreiche positive Befunde für Mikroemulsionen vorliegen, scheinen diese trotz intensiver Forschungsaktivitäten noch nicht unmittelbar vor der Markteinführung zu stehen.
Ähnlich ist die Situation bei den okularen Freigabesystemen (24). Auch hier konnten weltweit mit unterschiedlichen Systemen gute therapeutische Erfolge verzeichnet werden. Prominentester Vertreter dieser Gruppe ist sicherlich das therapeutische System Ocusert®, das eine konstante Abgabe des Wirkstoffs Pilocarpin über eine Woche garantiert. Allerdings erfordert die Handhabung dieser Inserte manuelles Geschick und ist gerade für ältere Patienten nicht problemlos. Außerdem können die Inserte teilweise unbemerkt verloren gehen oder im Auge wandern. Dies führte letztendlich dazu, dass das System wegen des fehlenden wirtschaftlichen Erfolgs in Deutschland seit mehreren Jahren nicht mehr im Handel ist.
Alternativ zu den unlöslichen Inserten befinden sich noch bioabbaubare oder lösliche okulare Freigabesysteme wie das NODS® (New Ophthalmic Delivery System) in der klinischen Prüfung. Allerdings ist der Optimismus bezüglich des Marktpotenzials derartiger Darreichungsformen ziemlich geschwunden. Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich solche Systeme in Zukunft etablieren können.
Optimierte Galenik hilft Patienten
Die biopharmazeutischen Eigenschaften des Auges als Applikationsort sind gut untersucht. Auch die Umstände, die zu einer unbefriedigenden Verfügbarkeit nach lokaler Anwendung führen, sind hinreichend verstanden. Dennoch ist die Situation für die Patienten oft nicht optimal. Eine wesentliche Verbesserung ist bei vorgegebenem Arzneistoff nur über eine Optimierung der Galenik zu erreichen. Durch systematische Weiterentwicklung klassischer Formen wurden bereits mehrfach deutliche Erfolge erzielt. Dennoch suchen zahlreiche Wissenschaftler nach innovativen Systemen und neuartigen Formulierungskonzepten. Doch der Markt ist eng. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist nicht abzusehen, wann diese Innovationen zur Zulassungsreife gelangen und ob sie dann aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus tatsächlich vermarktet werden.
Literatur
Der Autor
Rolf Daniels studierte Pharmazie in Regensburg und wurde 1985 promoviert. Anschließend arbeitete er zwei Jahre als Laborleiter in der pharmazeutischen Entwicklungsabteilung einer Pharma-Firma. Nach mehrjähriger Tätigkeit als Akademischer Rat am Institut für Pharmazie der Universität Regensburg habilitierte sich Daniels im Juli 1994 und erhielt die Lehrbefugnis für das Fach Pharmazeutische Technologie. Im Oktober 1994 folgte er dem Ruf auf die C3-Professur für Pharmazeutische Technologie an die TU Braunschweig. Seine Hauptforschungsgebiete umfassen die Entwicklung und Charakterisierung von Tensid-freien Emulsionssystemen als Arzneiträger, die Optimierung von Repellents, die Stabilitätsvorhersage halbfester Zubereitungen und die Mikroverkapselung von Wirkstoffen, vor allem mit dem Koazervationsverfahren.
Anschrift des Verfassers:
Professor Dr. Rolf Daniels
Institut für Pharmazeutische Technologie
Technische Universität Braunschweig
Mendelssohnstraße 1
38106 Braunschweig
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