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Bei Ödemprotektiva auf dem Laufenden

06.05.2002  00:00 Uhr

Veneninsuffizienz

Bei Ödemprotektiva auf dem Laufenden

von Elke Wolf, Rödermark

Von der chronisch venösen Insuffizienz weiß man, dass sie durch die ungünstigen physikalischen Verhältnisse in den Beinen zustande kommt, dass Venenklappen und -muskelpumpen mit zunehmendem Alter und bei wenig Bewegung ihren Dienst versagen und dass die verschiedenen therapeutischen Maßnahmen aus geschwächten Venen keine gesunden mehr machen können. Punkt. Ist das alles?

Die ungünstigen hämodynamischen Bedingungen in den unteren Extremitäten gelten nach wie vor als Grundübel einer chronisch venösen Insuffizienz (CVI) der großen Beinvenen. In der Tat behindern hydrostatisch induzierte Ödeme in Kombination mit nicht aktivierten Venenmuskelpumpen bei langem Sitzen und Stehen die Durchblutung in den Beinen erheblich. Demzufolge kommt man den Beschwerden primär auch mit physikalischen Maßnahmen bei; eine Kompression verspricht Druck gegen Druck. Aber:

"Was ist das Bindeglied zwischen den ungünstigen hydrodynamischen Gegebenheiten in den Beinen und dem Krankheitsbild einer CVI? Warum haben viele Menschen mit stehender und sitzender Lebensweise nie Beschwerden? Wenn es also noch tiefere Gründe für die Entwicklung einer CVI gibt, zäumt man dann bei einer ausschließlich auf die hydrostatischen Ödeme abzielenden Behandlung nicht das Pferd vom Schwanz her auf? Und sind die frühestens beim Stadium I der CVI in Gang gesetzten therapeutischen Bemühungen vielleicht nur deshalb unbefriedigend, weil das Krankheitsgeschehen schon viel früher, und zwar vom Auge unbemerkt, angefangen hat?", fragte Professor Dr. Dr. Stephan Nees, Mediziner und Biochemiker vom Physiologischen Institut der Universität München, auf einer Pressekonferenz.

Neue gefäßphysiologische Erkenntnisse waren für Nees und seine Mitarbeiter der Anlass, die herkömmliche CVI-Pathogenese mit neuem wissenschaftlichen Unterfutter zu versehen. "Neben den ungünstigen physikalischen Vorbedingungen spielen auch aktive zelluläre und biochemische Prozesse eine wichtige Rolle. Sie nehmen in den kleinsten Venen der Beine, den Venulen, ihren Ursprung", erklärte Nees. Diese Venulen sind so winzig (Durchmesser zwischen 20 und 100 µm), dass man sie mit bloßem Auge nicht sehen kann, aber überaus zahlreich. In jedem Bein trägt man etwa eine Milliarde dieser mikrozirkulatorischen Funktionseinheiten mit sich herum. Die Venulen bilden den Ursprung des venösen Systems und speisen das Blut in die immer größer werdenden Venen ein. Bei aller Winzigkeit besitzen die Venulen eine viel größere Kontaktfläche mit dem Blut als alle anderen Venen zusammen - etwa 100 Quadratmeter.

Endothel mit Reißverschlüssen

Alle Blutgefäße, so auch die Venulen, werden von Endothelgewebe ausgekleidet, das ständig dafür sorgt, dass das Blut innerhalb des Kreislaufsystems nicht gerinnt. Speziell das Endothel der kleinsten Venen hat aber noch eine zusätzliche Funktion. Es besteht aus kontraktilem Gewebe, das aktiv die Weite seiner Interzellularspalten steuern kann. Die Kapillaren und Arteriolen der Skelettmuskulatur oder der Haut der Beine sind dagegen mit einem durchgehenden, also sehr dichten Endothelrasen ausgekleidet, informierte Nees.

Die Kontraktiliät ermöglicht den venulären Endothelzellen, sich aktiv an akut entzündlichen Abwehrreaktionen zu beteiligen, konnte Nees in In-vitro-Studien an menschlichen venulären Endothelzellen zeigen. Bei Verletzungen oder Infektionen fischen die Endothelzellen Abwehrzellen aus dem Blutstrom heraus und dirigieren diese über die Venulen dort ins umliegende Gewebe, wo sie gebraucht werden: in den Entzündungsherd. "Dabei helfen ihnen die Interzellularspalten, die Reißverschlüsse, die sie für die Emigration von Abwehrzellen im Bedarfsfall hinreichend öffnen, zur Wahrung der Durchblutung aber sofort danach wieder schließen."

Dass diese im Detail sehr komplex regulierte Penetration folgenschwer fehlgesteuert werden kann, liegt auf der Hand. Solange die venulären Endothelzellen relaxiert sind, bleiben die Zellfugen der kleinsten Venen geschlossen, und Blut und Interstitium sind durch die Venenwand getrennt. Die Bedingungen ändern sich, wenn die venuläre Endothelbarriere unter dem Einfluss von Thrombin, also der wichtigsten Gerinnungsprotease, spezifische Adhäsionsproteine exprimiert. Dann bleiben sonst vorbeigleitende neutrophile Granulozyten hängen. Kommt es zur Aktivierung dieser Leukozyten, werden aggressive Oxidantien wie hypochlorige Säure und Sauerstoffradikale freigesetzt. Diese induzieren zunächst kleine transendotheliale Löcher, durch die vermehrt Wasser permeieren kann. Die Wasserdurchlässigkeit erhöht sich um etwa 300 Prozent. Die Interzellularspalten des Endothels bleiben in diesem Stadium aber noch geschlossen.

Löcher im Endothelrasen

"Potenziert wird die Lage, wenn Thrombozyten ins Spiel kommen, also Blutbestandteile, die man bislang nur für Blutstillung und Wundheilung zuständig sah." Kooperieren diese mit den aktivierten Granulozyten an der Endotheloberfläche, kontrahiert sich das venuläre Endothel aktiv, und die Interzellularspalten reißen extrem weit auf. Das Endothel wird löchrig. Die Wasserdurchlässigkeit steigt dann um etwa 1600 Prozent. Wird der Zustand chronisch, bleiben neben den schon akut aktivierten Plättchen und neutrophilen Granulozyten auch noch T-Lymphozyten und Monozyten an der Endotheloberfläche haften und werden pathogenetisch wirksam. Wirken diese Substanzen zu lange ein, geht das Endothel zugrunde.

"In unseren Zellkulturen haben wir diese Prozesse an den kleinen Venulen beobachtet. In vivo wird das Prozedere aber auch in den größeren Venen ablaufen, was entzündliche Ödeme und Mikrothromben nach sich zieht", mutmaßte Ness. Das behindere irgendwann auch den Stoffwechsel der Venenklappen bis hin zur Funktionslosigkeit. Das Blut versackt. "Alle Symptome und Stadien einer sich unter Umständen über viele Jahre entwickelnden CVI kann man mit dieser Hypothese erklären", ist Nees von seiner Theorie überzeugt.

 

So läuft die CVI ab

  • Das Anfangsstadium I meldet sich abends mit geschwollenen Knöcheln, Stauungsgefühlen und Kribbeln in den Beinen. Während sich beim Einen am Sprunggelenk bereits bläuliche Äderchen schlängeln und Besenreiser ihren Lauf nehmen, nimmt der Andere äußerlich gar keine Symptome wahr. Der Organismus ist in der Lage, Druck- und Volumenbelastung bis zu rund einem Liter Flüssigkeit zu kompensieren.
  • Im Stadium IIa der CVI sind Stauungsödeme deutlich zu sehen, sie klingen nachts nicht mehr ab. Braune Flecken prägen das Hautbild. Die Hyperpigmentierungen - ein Indiz dafür, dass das Eisen roter Erythrozyten aus den Venen ausgetreten ist - sind mit Ödemprotektiva rückgängig zu machen. Im Stadium IIb kommt es an manchen Stellen zu verhärteten weißen Hautarealen. Diese Dermatosklerose ist irreversibel.
  • Im Stadium III sorgen Ulzerationen für ein offenes Bein, das so genannte Ulcus cruris venosum.

Richtschnur: Sobald die Haut des Patienten verhärtete weiße Stellen aufweist, ist die CVI kein Fall mehr für die Selbstmedikation.

 

Kompression ist mehr als eine Masche

Selbst die Kompressionstherapie, die Basismaßnahme gegen venöse Stauungen schlechthin, ist nicht nur physikalisch betrachtet effektiv. Ihre Wirksamkeit kann man auch mit Aspekten der modernen Mikrozirkulationsforschung erklären. Ihr Geheimnis ist der von außen auf die Venen wirkende, fein dosierte und der individuellen körperlichen Beschaffenheit des Beines exakt angepasste Druck. Er presst nicht nur die erweiterten Gefäße auf ein Fünftel bis ein Drittel ihres Durchmessers zusammen, sondern gibt auch den Muskelpumpen ein festes Widerlager.

Wenn sich das Muskelsystem des Beins bei Bewegung ausdehnt, so kann der Kompressionsverband oder -strumpf diese Bewegung nur geringfügig mitmachen. Folge: eine starke Kompression. Wenn einige Augenblicke später der Muskel erschlafft, gibt der Verband oder der Strumpf nach, der Druck sinkt auf sehr niedrige Werte. Waren im Augenblick der starken Kompression die Kapillaren abgequetscht, so dass ein Abfluss der interstitiellen Gewebsflüssigkeit nicht möglich war, so werden bei niedrigem Kompressionsdruck die Kapillaren wieder durchgängig. Nur der ständige rhythmische Wechsel zwischen hohem und niedrigem Kompressionsdruck schwemmt das Ödem aus. Ohne Bewegung geht also nichts. Soweit die physikalische Erklärung.

Die Kompression hat jedoch noch ein weiteres Gutes: Der venöse Blutfluss erhöht sich signifikant. Die Strömungsgeschwindigkeit entscheidet darüber, wie lange die Plasmakomponenten Zeit haben, auf das Endothel einzuwirken. Damit sinkt das Risiko, dass aktivierte Granulozyten und Thrombozyten ihre zerstörerische Kraft auf das Endothel ausüben können, führte Nees aus. Zudem bewirkt der gesteigerte Gewebedruck, dass selbst bei entzündlich geöffneten venulären Barrieren Ödeme stark zurückgedrängt werden und damit Plasmakomponenten kaum noch in Kontakt mit extravasal exponierten Gerinnungsfaktoren geraten können. Nees: "Das schränkt die Initiierung von Gerinnungsprozessen ein beziehungsweise verhindert sie."

Der Pferdefuß: Der Strumpf in der Schublade bringt gar nichts. Nach Untersuchungen aus den achtziger Jahren hadern besonders die Betroffenen mit ihrem Strumpf, die ihn prophylaktisch tragen müssten. Einsichtiger zeigen sich dann schon die Patienten, die ein Rezidiv verhindern wollen. Die Compliance ist also abhängig vom Schweregrad der Erkrankung, von der Jahreszeit (Sommer) und der Art der Therapie. Die Deutschen schmieren am liebsten: 77 Prozent hielten die topische Therapie ein (Anmerkung: Angesichts dieser Therapietreue ist es bedauerlich, dass es nur eine gesicherte Indikation für die topische Anwendung von Venenmitteln gibt, nämlich Heparin bei Venenentzündungen). Immerhin 67 Prozent akzeptieren die perorale Medikation, während nur 47 Prozent die Kompressionstherapie dauerhaft ernst nehmen. Hier liegt die Chance für Ödemprotektiva. Man könnte sie gar als Komplizen der Kompression bezeichnen, da beide kombiniert die beste Methode darstellen, der venösen Stauung beizukommen.

Druck von außen und Hilfe von innen

Peroral einzunehmende Venentherapeutika gibt es viele; allerdings nur wenige, die die Bezeichnung rationales Phytopharmakon zu Recht verdienen. Dazu gehören Flavonoid-Derivate aus dem roten Weinlaub und dem japanischen Schnurbaum sowie auf Aescin standardisierte Extrakte aus Rosskastaniensamen. Diese können nicht nur mit In-vitro-Daten, sondern auch mit modernen klinischen Studien aufwarten, in denen Wirksamkeitsparameter wie Ödemreduktion und Besserung subjektiver Symptome mit validierter Messmethodik geprüft wurden. Ansonsten ist die Wirksamkeit entweder nicht belegt, oder die Präparate enthalten zwar wirksame Inhaltsstoffe, diese aber in viel zu geringen Mengen oder in Kombination mit rational nicht nachvollziehbaren Substanzen.

Besonders bei den Flavonoid-haltigen Ödemprotektiva hat man in jüngster Zeit Wissensdefizite aufgeholt. Das gilt in erster Linie für den Extrakt des roten Weinlaubs (zum Beispiel Antistax®) und des japanischen Schnurbaums (zum Beispiel Venoruton®), besser bekannt unter dem Namen Oxerutin oder b-Hydroxyethylrutosid. Letzteres muss erst halbsynthetisch abgewandelt werden, damit es bei peroraler Einnahme resorbiert werden kann. Über den dritten, vierten und fünften Wirkstoff im Bunde der Flavonoide existieren dagegen nur spärliche Daten: einerseits das Troxerutin (zum Beispiel Troxeven®), ein Gemisch aus Tri- und Tetrahydroxyethylrutin, und das Hesperidin, ein natürliches Flavonoid, das meist in Form des teilsynthetisch abgewandelten Trimethylhesperidinchalkon (zum Beispiel Essaven® N Kapseln) zum Einsatz kommt, und andererseits Diosmin, das ohne Aufarbeitung verwendet wird (zum Beispiel Tovene®).

Flavonoide als Kesselflicker

Nees und sein Team haben im Labor verfolgt, was der Flavonoid-Extrakt des roten Weinlaubs und Oxerutin den subjektiv wahrgenommenen CVI-Beschwerden objektiv in den Venen entgegenzusetzen haben. Beide reduzieren die Expression endothelialer Leukozyten-Adhäsionsmoleküle und damit die Kontaktmöglichkeit aggressiver Zellen mit dem Endothel. Mehr noch: Die Flavonoid-Extrakte verhindern nicht nur den Angriff der neutrophilen Granulozyten und der Thrombozyten, sondern reparieren bereits geschädigtes Endothel. Sie stopfen die Interzellularspalten, so dass wieder ein zusammenhängender Endothelrasen entsteht. "Die Flavonoid-Verbindungen inhibieren also die Kontraktilität venulärer Endothelzellen. Ödemprotektiva dichten damit den Blutraum gegenüber dem Interstitium ab", folgerte der Mediziner.

Weitere Wirkkomponente: Oxerutin und der Flavonoid-Extrakt des roten Weinlaubs lagern sich nach peroraler Gabe selektiv im Endothel an (10). Sie besitzen ein leicht oxidierbares Flavinringsystem; Oxidantien aus Entzündungszellen können quasi durch anwesende Flavonoide verbraucht werden. Das Endothel wird so geschützt und kann weiterhin seine antithrombogenen Aufgaben wahrnehmen.

Diese Erkenntnisse werden durch randomisierte, placebokontrollierte, doppelblinde Studien unterstützt, so zum Beispiel durch die Kiesewetter-Studie (6) aus dem vorletzten Jahr. Dabei testeten 257 Patienten mit einer CVI des Stadiums I oder II über zwölf Wochen den Extrakt des roten Weinlaubs AS 195 (Antistax®). Alle Patienten erhielten zunächst über zwei Wochen Placebo. Anschließend nahmen sie einmal täglich über drei Monate entweder weiterhin Placebo, 360 mg oder 720 mg des Weinlaub-Extrakts. Danach folgte für alle Studienteilnehmer nochmals eine zweiwöchige Placebogabe. Damit wollten die Wissenschaftler prüfen, ob die Therapie anschlägt und wie lange die Wirkung anhält. Als primären Endpunkt legte man die Volumenänderung des unteren Beines gegenüber dem Ausgangswert nach zwölf Wochen fest.

Nach der Behandlungsphase mit dem 360-mg-Extrakt sank das Unterschenkelvolumen um durchschnittlich 42,2 ml, bei der Therapie mit 720-mg-Extrakt um 66,2 ml. Dagegen vergrößerte sich das Volumen unter Placebo. Die Werte waren statistisch signifikant und klinisch relevant. Nachdem das Verum abgesetzt wurde, nahmen die Beinödeme langsam wieder zu - und zwar umso langsamer, je höhere Dosen des Verums die Patienten eingenommen hatten. Vielleicht ein Beweis dafür, dass sich der Extrakt im Endothel anreichert, mutmaßte Nees. Auch die subjektiven Symptome verbesserten sich in den Verumgruppen signifikant, während sich unter Placebo der Zustand nicht änderte.

Ähnlich durchschlagende antiödematöse Effekte schreiben diverse klinische Studien dem Oxerutin zu (15); die dazu notwendige Tagesdosis liegt bei 2-mal 500 mg. Weiterhin ist belegt, dass durch die Kombination von Oxerutin und Kompression ein additiver antiödematöser Effekt zu erzielen ist. Das beweist beispielsweise eine doppelblinde, randomisierte, multizentrische Studie mit 133 weiblichen Patienten (4), die an einer CVI mit Schweregrad II litten. Über einen Zeitraum von zwölf Wochen, gefolgt von einer sechswöchigen Nachbeobachtungsphase, bekam die Verumgruppe täglich 1000 mg Oxerutin (Venoruton®). Alle Patienten erhielten als Basistherapie Kompressionsstrümpfe der Klasse II. Auch hier erfolgte zur Initialentstauung eine Diuretikagabe. Die mittlere Ödemreduktion nach zwölf Wochen Behandlung betrug minus 63,9 ml in der Kombinationsgruppe und minus 32,9 ml für die Patienten, die Kompressionsstrümpfe und Placebo erhielten. In der Gruppe, die Oxerutin erhielt, hielt die Wirksamkeit in der Nachbehandlungsphase länger an. Auch das ein Hinweis für die Anreicherung des Flavonoids im Endothel.

Aescin, schon lange ein Renner

Eine Vorreiterrolle in Sachen gut dokumentierte Ödemprotektiva hat der Rosskastaniensamen-Extrakt (RKSE) übernommen. Über ihn existieren bereits seit geraumer Zeit valide Studien. Aescin, der Hauptwirkstoff, ist ein Saponingemisch vom Triterpenglykosidtyp. Voraussetzung für seine antiexsudative und ödemprotektive Wirkung ist die zweimal tägliche Dosis von 50 mg Aescin in retardierter Darreichungsform, so die aktuelle RKSE-Monographie. Das entspricht 250 bis 300 mg standardisiertem Extrakt. Die Wirkungen des Gesamtextraktes übertreffen die von Aescin, weil außer Aescin wohl noch andere Koeffektoren die Wirkung vermitteln. Als Saponin kann Aescin den Magen reizen; deshalb empfiehlt sich die retardierte Variante (zum Beispiel Venalot® novo Depot, Venoplant®, Venostasin® retard).

Aescin verringert die bei CVI-Patienten bis zu 120 Prozent erhöhte Konzentration lysosomaler Enzyme um etwa dreißig bis sechzig Prozent, was den Abbau von Gerüstsubstanz im Kollagen der Venenwände hemmt. Dadurch sinkt die Gefäßpermeabilität, und die Filtration von kleinmolekularen Proteinen, Elektrolyten und Wasser in das Interstitium wird behindert. Aescin inhibiert die Enzymfreisetzung, indem es die Lysosomenmembran stabilisiert. In gleicher Weise erhöht es die Resistenz von Kapillarwänden: Aescin komplexiert das an den Grenzflächen von zellulären und lysosomalen Membranen häufig vorkommende Cholesterol. Die Lipophilie erhöht sich, der Durchtritt für hydrophile Stoffe wie Wasser und Proteine wird erschwert.

In-vitro-Untersuchungen der Neesschen Arbeitsgruppe an venulären Endothelzellen haben zudem zu Tage gebracht, dass auch der RKSE in der Lage ist, die geöffneten Reißverschlüsse des Endothels konzentrationsabhängig wieder zuzuziehen. Mit einer Besonderheit: Dieser Nachweis ließ sich nur führen, wenn die Inkubationslösung das Gemisch der Serumproteine enthält (letztere allein verhindern die aktive Öffnung des Endothelbarriere nicht). Diese Beobachtung lässt darauf schließen, dass Aescin eine starke Proteinbindung besitzt. Möglicherweise lagert es sich - wie die Flavonoide - in das Plasmalemma von Endothelzellen ein. Somit erscheint auch das Argument gegen die Wirksamkeit, dass Aescin nach peroraler Gabe (100 mg/d) nur in geringster Konzentration (5 ng/ml) im Plasma nachweisbar ist, wenig stichhaltig.

Außerdem bescheinigen klinische Studien dem RKSE, dass er bei Patienten mit CVI im Stadium I Ödeme ebenso zurückbildet wie eine Kompressionstherapie mit Strümpfen der Klasse II. Beispielhaft sei die Studie von Diehm (2) genannt, die 1996 in Lancet veröffentlicht wurde - eine Rarität, da Untersuchungen über Phytopharmaka in diesen wissenschaftlichen Magazinen nur selten zu finden sind. 240 Patienten wurden über zwölf Wochen placebokontrolliert und doppelblind (Kompressionsarm teilverblindet) beobachtet. Um den Effekt zu optimieren, erhielten die Patienten vor Anpassen der Strümpfe ein Diuretikum zur Entstauung. In der RKSE-Gruppe (2-mal 50 mg/d) nahm das Volumen um durchschnittlich 43,8 ml ab, unter Kompression um 46,7 ml, während es in der Placebogruppe um fast 10 ml zunahm. Die Unterschiede zwischen Verum und Placebo waren signifikant.

Mäusedornwurzelstock macht Boden gut

Bislang hätte man fast meinen können, der Mäusedornwurzelstock bliebe im Flaschenhals der Forschung stecken. Doch das könnte sich jetzt ändern - gerade recht, da doch der Mäusedorn vom Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde an der Universität Würzburg zur Arzneipflanze des Jahres 2002 gekürt worden ist.

Die Positivmonographie der Kommission E des ehemaligen Bundesgesundheitsamtes schreibt dem Extrakt aus Ruscus aculeatus (standardisiert auf 7 bis 11 mg Gesamtruscogenin) nur eine "unterstützende Therapie von CVI-Beschwerden" zu. Eine placebokontrollierte Doppelblindstudie (8) mit 148 CVI-Patientinnen des Stadiums I oder II gibt dem Mäusedornwurzelstock bessere Noten; danach erfüllt der Extrakt den Status einer eigenständigen Therapie und zieht beispielsweise mit der Effektivität von rotem Weinlaub gleich. Auf dem Prüfstand stand eine monographiekonforme, auf Ruscogenine standardisierte Trockenextraktzubereitung aus Ruscus aculeatus-Rhizom (Fagorutin® Ruscus-Kapseln). Bei Einnahme von zwei Kapseln (entsprechend > 9 mg Ruscogenine) über zwölf Wochen nahm das Fuß- und Unterschenkelvolumen im Vergleich zu Placebo signifikant um 31 ml ab. Auch die subjektiven Symptome des venösen Beinleidens wie müde und schwere Beine, Spannungsgefühl oder Kribbeln besserten sich unter der Therapie deutlich.

Der Wirkmechanismus ist dagegen noch nicht so umfassend untersucht wie beispielsweise der von Aescin. Man glaubt, dass die Ruscogenine auf zweierlei Weise gefäßaktiv sind. Im Gespräch ist zum einen ein venentonisierender Effekt, zum anderen scheinen die Inhaltsstoffe die Kapillaren abdichten zu können. Dazu hemmen sie Enzyme, die die Stützfaser Elastin angeht.

Quintessenz: So effektiv eine medikamentöse oder Kompressionstherapie ist, sie können aus Krampfadern keine gesunden Venen machen. Organisch fixierte Gefäßveränderungen sind nicht voll rückbildungsfähig. Deshalb ist die vorbeugende und konservierende Behandlung so wichtig. Tatsache ist: Werden Ödemprotektiva und Kompression rechtzeitig eingesetzt, können sie funktionelle Störungen und damit die Symptome deutlich lindern. Der progrediente Krankheitsverlauf wird eingedämmt beziehungsweise verlangsamt. Bestätigt sich die ursächlich eingreifende Wirkung der Ödemprotektiva, könnte ihr Einsatz bereits sinnvoll sein, wenn allein eine genetische Disposition vorliegt.

 

Mit fitten Füßen die Fliege machen Wer die Veranlagung zu venösen Beinleiden in die Wiege gelegt bekommen hat, wird diese Mitgift auf Reisen mit längeren Anfahrtswegen bein(n)ah zu spüren bekommen. Doch sind es nicht geschwollene Knöchel und schmerzende Waden, sondern Meldungen über eine erhöhte Thrombosegefahr durch Langstreckenflüge, die so manchen Reiselustigen verunsichern. Dabei ist der Zustand der Venen ein wichtiger Marker, mit dem man Thromboserisikopatienten ausfindig machen kann.

Die tatsächliche Gefahr, eine Reisethrombose in Flieger, Bus oder Bahn zu bekommen, ist jedoch alles andere als groß. Schätzungen gehen davon aus, dass nur etwa 1000 von 42 Millionen Flugreisenden betroffen sind. Allerdings ist die statistische Erfassung recht schwierig, da eine Thrombose in den seltensten Fällen während oder kurz nach dem Flug auftritt; meist erst bis zu fünf Tagen danach. Die Gefahr steigt mit zunehmender Reisedauer, und zwar ab einer Flugdauer zwischen 6 und 9,5 Stunden, haben Untersuchungen ergeben.

Nicht viele scheinen also wirklich eine Thrombose zu entwickeln, aber es gibt viele Risikogruppen. So sind prinzipiell ältere Menschen ab 60 Jahren stärker gefährdet. Auch wer Übergewicht mit sich herumträgt, schwanger ist, orale Kontrazeptiva oder Hormonersatzpräparate einnimmt, gerade eine Operation an den Extremitäten überstanden hat oder an malignen Erkrankungen leidet, hat ein erhöhtes Thromboserisiko.

Zur Prävention eignen sich einerseits Fußgymnastik (zum Beispiel mit dem aufblasbaren Kissen Airogym®), andererseits machen die Beine mit Kompressionsstrümpfen der Klasse I eine gute Figur. Es gibt auch Reisekniestrümpfe für Venengesunde (mediven® travel), die ohne Verordnung über Apotheken zu beziehen sind und die ihre Schutzwirkung gegen Thrombosen in einer randomisierten Studie (14) mit 231 Flugreisenden unter Beweis gestellt haben. Kniestrümpfe reichen, da Beinvenenthrombosen meist im Unterschenkel beginnen. Dennoch schränkte Margret Wilmhoff, Orthopädietechnikerin aus Darmstadt, auf einem Seminar der Europäischen Herstellervereinigung für Kompressionstherapie ihr Urteil über den Reisestrumpf ein: "Der Reisestrumpf ist nicht generell zu empfehlen. Da er in Serie angefertigt wird, berücksichtigt er nicht die individuellen Gegebenheiten des Reisenden. So kann die Kompressionsklasse I für manche, die eigentlich gar keine Beschwerden haben und nur aus Furcht vor einer Thrombose den Strumpf überstreifen, zu stark sein."

Und was ist mit Ödemprotektiva? In ausreichend hoher Dosierung haben diese pflanzlichen Arzneimittel ihren Stellenwert bei chronisch venöser Insuffizienz, da sie abschwellend und gefäßabdichtend wirken. Wer verhindern will, dass er mit dicken Knöcheln aus Flieger, Bus oder Bahn steigt, kann einen Versuch mit Ödemprotektiva etwa eine Woche vor Reisebeginn starten. Wie lange die Phytopharmaka vorher eingenommen werden sollten, können auch die Herstellerfirmen nicht exakt sagen. "Es ist fast unmöglich, die Fluggesellschaften für klinische Studien zu gewinnen", erklärte Dr. Jean-Michel Vix, Boehringer Ingelheim, im Gespräch mit der Pharmazeutischen Zeitung. Eines darf allerdings nicht außer Acht gelassen werden: Ödemprotektiva wirken nicht Thrombose-prophylaktisch!

Wie Experten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz das Thromboserisiko einschätzen und welche Prophylaxemaßnahmen sie empfehlen, zeigt die Tabelle.

 

Tabelle: Thromboserisiko und Prophylaxe bei mehrstündigen Reisen (nach 7)

Risikogruppe Definition Prophylaxe Niedriges Risiko  Bei jeder mehrstündigen Reisedauer in vorwiegend sitzender Position  Bewegungsübungen, zum Beispiel Fußwippen, isometrische Übungen mit aufblasbarem Kissen; bei Autofahrten wiederholte Pausen und einige Schritte gehen 

Flüssigkeitszufuhr von mindestens einem Viertel Liter pro Stunde. Zurückhaltung mit Alkohol, Sedativa und Hypnotika Mittleres Risiko  für Schwangere oder Frauen nach der Geburt

bei mindestens zwei dieser Faktoren: 

  • Alter über 60 Jahre, 
  • klinisch relevante Herzerkrankung, 
  • größere Varizen und chronisch venöse Insuffizienz, 
  • nachgewiesene Thrombophilie oder familiäre Thromboseneigung, 
  • Ovulationshemmer, 
  • Hormonersatztherapie, 
  • Adipositas mit BMI über 30 
Wadenstrümpfe im Druckbereich der Kompressionsklasse I, bei venöser Insuffizienz medizinische Kompressionsstrümpfe je nach Indikation 

Bei Schwangeren oder bei Thrombophilie-Patienten kann niedermolekulares Heparin (zum Beispiel Clexane®) indiziert sein.

Der Einsatz von Acetylsalicylsäure wird diskutiert. Hohes Risiko  kurz zurückliegender operativer Eingriff mit hohem Thromboserisiko

anamnestisch bekannte, auch länger zurückliegende venöse Thromboembolie

manifeste maligne oder sonstige schwere Erkrankung

Gelenk übergreifende Ruhigstellung einer unteren Extremität niedermolekulares Heparin kurz vor Reiseantritt subkutan injizieren, bei Rundreisen eventuell einmal täglich, sowie Hochrisikodosierung in Analogie zur Prophylaxe bei internistischen Risikopatienten

 

Literatur

  1. Diehm, C., The role of oedema protective drugs in the treatment of CVI: a review of evidence based on placebo-controlled clinical trials with regard to efficacy and tolerance. Phlebology 11 (1996) 23 - 29.
  2. Diehm, C., et al., Comparison of leg compression stocking an oral horse-chestnut seed extract therapy in patients with chronic venous insufficiency. Lancet 347 (1996) 292 - 294.
  3. Greeske, K., Rationale Venentherapie mit pflanzlichen Arzneimitteln. Pharm. Ztg Nr. 21 (1994) 9 - 13.
  4. Großmann, K., Vergleich der Wirksamkeit einer kombinierten Therapie mit Kompressionsstrümpfen und Oxerutin versus Kompressionsstrümpfe und Placebo bei Patienten mit CVI. Phlebology 26 (1997) 105 - 110.
  5. Jäger, K., et al., Pharmacodynamic effects of ruscus extract on superficial and deep veins in patients with primary varicose veins. Clin. Pharmacol. 17 (1999) 265 - 273.
  6. Kiesewetter, H., et al., Efficacy of orally administered extract of red Vine Leaf AS 195 in chronic venous insufficiency. Arzneim.-Forsch/Drug Res 50 (I), 2 (2000) 109 - 117.
  7. Konsensuspapier Thromboserisiko und Prophylaxe bei mehrstündigen Reisen. Deutschsprachige Gesellschaften für Phlebologie und Angiologie. Phlebologie 30 (2001) 101.
  8. Lücker, P., Efficacy and safety of Ruscus aculeatus extract compared to placebo in patients suffering from CVI. Vorgestellt auf dem 3. Internationalen Kongress für Phytomedizin, München, 11. bis 13. Oktober 2000. Studie erscheint im Frühjahr 2002 in Arzneim.-Forschung/Drug Research.
  9. Marshall, M., Dormandy, J. A., Oedema of long distant flights. Phlebology 2 (1987) 123 - 124.
  10. Nees, S., et al., Neue Aspekte zur Pathogenese und Therapie chronischer peripherer Venenleiden. Aus: Fortschritt und Fortbildung in der Medizin. Hrsg. Bundesärztekammer. Band 24, 2000/2001.
  11. Pressekonferenz: Antistax® - Wirkung eines Ödemprotektivums erstmals an lebenden menschlichen Zellverbänden belegt. Pharmaton GmbH, Ingelheim, 19. April 2002.
  12. Presseseminar: Wellness für die Venen. Europäische Herstellervereinigung für Kompressionstherapie. Baden-Baden, 8. bis 10. Juni 2001.
  13. Rehn, D., et al., Comparative clinical efficacy and tolerability of oxerutins and horse chestnut extract in patients with CVI. Arzneim.-Forsch/Drug Res 46 (1996) 483 - 487.
  14. Scurr, J., Efficacy of antithrombotic knie legs on of long distant flights. Lancet 357 (2001) 1461.
  15. Unkauf, M., et al., Investigation of the efficacy of oxerutins compared to placebo in patients with CVI treated with compression stockings. Arzneim.-Forsch/Drug Res. 46 (1996) 478 - 482.
  16. Venenleiden: ein BDA-Manual für Hausärzte. Emsdetten 1996.
  17. Venenleiden. Therapie & Erfolg, Sonderheft. G-Braun Fachverlage, Karlsruhe 1/1997.

 

Die Autorin

Elke Wolf studierte Pharmazie in Frankfurt. Die Approbation als Apothekerin erfolgte 1995 im Anschluss an das praktische Jahr in der Apotheke Esser in Rödermark/Hessen und in der pharmazeutischen Industrie bei der damaligen Sandoz AG in Nürnberg. Nach einem Praktikum während des Studiums und einem Volontariat bei der Pharmazeutischen Zeitung schreibt sie seit 1997 als freie Journalistin für Fach- und Publikumsmedien sowie für die Industrie. Die PZ-Leser kennen Frau Wolf seither als Autorin zahlreicher spannender Titelbeiträge.

 

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