Therapie nach Maß |
22.04.2002 00:00 Uhr |
"Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre Gene." Nur 20 bis 40 Prozent der Patienten sprechen auf eine Therapie optimal an. Bei den übrigen ist die Wirkung zu gering oder zu heftig; mitunter treten schwere Nebenwirkungen mit bisweilen tödlichem Ausgang auf. Ursache können einzelne Basenänderungen im Erbgut sein. Eröffnen SNPs den Weg zur maßgeschneiderten Therapie?
In Deutschland sterben jährlich etwa 16.000 Patienten an Arzneimittelunverträglichkeiten; sie repräsentieren die vierthäufigste Todesursache. Zwischen 1961 und 1992 mussten 131 zugelassene Medikamente wegen zu starker Nebenwirkungen wieder vom Markt genommen werden. Die Wirksamkeit eines Medikaments wird hauptsächlich von drei Faktoren bestimmt: seinem Transport, dem enzymatischen Abbau und der Ausscheidungsrate. An diesen Prozessen sind Proteine und Enzyme beteiligt, die bei einzelnen Menschen unterschiedlich aktiv sein können. Und genau solche Aktivitätsunterschiede können auf bestimmte SNPs (SNP, single nucleotide polymorphism, Veränderung eines Nukleotids) zurückgeführt werden. In den Genen, die für die am Metabolismus beteiligten Proteine kodieren, sind einzelne Basen ausgetauscht. Dies führt in vielen Fällen zu einer veränderten Aminosäurezusammensetzung und biologischen Wirksamkeit der Proteine.
Solche Änderungen in der Basenfolge sind von Person zu Person und auch zwischen Personengruppen und Ethnien verschieden. Man geht davon aus, dass jede Person über eine einzigartige und individuelle SNP-Kombination verfügt.
Merkmale von SNPs
99,9 Prozent des Genoms sind bei allen Menschen gleich. Die restlichen 0,1 Prozent bestimmen die individuellen Unterschiede, von denen Merkmale wie Augen- oder Haarfarbe am auffälligsten sind. SNPs kommen auf der DNA durchschnittlich alle 300 bis 1000 Basenpaare vor. Die Gesamtzahl der SNPs liegt beim Menschen schätzungsweise zwischen drei und zehn Millionen, wenn man die etwa drei Milliarden Basenpaare des menschlichen Genoms zu Grunde legt.
Genetische Abweichungen, die sich nur auf eine veränderte Base beziehen, werden auch als Punktmutation bezeichnet. In etwa zwei Drittel der Fälle wird Cytosin (C) durch Thymin (T) ersetzt. SNPs sind zufällig im gesamten Genom verteilt und gleichermaßen in Introns und Exons vorhanden. Zwischen den einzelnen Genen sind sie ungleich verteilt, es gibt also Gene mit vielen oder wenigen Basenvariationen. Im Durchschnitt kommen pro Gen 12 SNPs vor. SNPs werden von Generation zu Generation vererbt.
Klinisch bedeutsam
SNPs verändern zahlreiche biologische Vorgänge. Aus medizinisch-pharmazeutischer Sicht ist dies besonders wichtig, wenn die Wirksamkeit, die Ansprechrate und die Verträglichkeit von Medikamenten modifiziert werden. SNPs beeinflussen auch Krankheitsdispositionen; sie fördern die Manifestation bei etwa 10 Prozent aller genetisch bedingten Erkrankungen. Dazu einige Beispiele:
In Zukunft werden sich die Forschungsaktivitäten zu SNPs verstärkt auf Krankheiten wie Krebs, Migräne, Schizophrenie, Diabetes, rheumatoide Arthritis, koronare Herzerkrankungen, Asthma und Depressionen konzentrieren, an deren Entstehung mehrere Dispositionsgene beteiligt sind. Diese werden nicht streng nach den Mendelschen Prinzipien vererbt. Die Krankheiten resultieren aus einer kumulativen Wirkung mehrerer unabhängiger Genloci, von denen keiner die Krankheit alleine auslösen kann. Eine enorme Herausforderung für die DNA-Analytik.
Es gilt aber nicht nur, Basenveränderungen in Genen für Enzyme oder Proteine zu identifizieren, die am Transport oder dem Abbau von Medikamenten beteiligt sind. Ebenso wichtig ist es, SNPs in genregulierenden DNA-Abschnitten aufzuspüren. Die überhöhte oder verminderte Aktivierung von Genen oder die gestörte Bildung der dazugehörigen Proteine können ebenfalls die Medikamentenwirksamkeit entscheidend beeinflussen. Die Bedeutung genregulierender Signale soll anhand von Asthma verdeutlicht werden. Tragen die Patienten eine bestimmte SNP-Variante im Arachidonsäure-5-Lipoxigenase-(ALOX5)-Genpromotor, sprechen sie auf bestimmte Asthma-Medikamente, die den ALOX5-Stoffwechselweg beeinflussen, nicht mehr an (2).
Die Bestimmung von SNPs ist nicht nur für den pharmazeutisch-medizinischen Bereich wichtig, auch die Forensik, Evolutionsforschung und vergleichende Genetik erwarten völlig neue Erkenntnisse durch diese Analysen.
Firmen und Organisationen
Das Ziel besteht darin, die drei bis zehn Millionen SNPs des Menschen zu identifizieren und zu kartieren. Neue Forschungszweige wie Pharmakogenetik, Pharmakogenomik und Toxikogenomik widmen sich den genetischen Variationen. Diese Forschungsdisziplinen wollen die Biologie der Gene und Proteine vereinen und Genomic (Genomanalyse) und Proteomic (Proteinanalyse) kombinieren (4). Letztendlich will man ausgehend von einer genetischen Konstellation auf die dazugehörigen physiologischen Vorgänge im gesunden wie auch krankhaft veränderten Zustand schließen.
In Anbetracht der enormen pharmazeutisch-medizinischen Relevanz widmen sich weltweit etwa dreißig Institute oder Organisationen der Identifizierung und Charakterisierung von SNPs. In den meisten Fällen sind dies kommerziell orientierte Firmen, die ihre Daten nur selten öffentlich zugänglich machen wollen. Im Gegensatz dazu steht das im April 1999 gegründete SNP-Konsortium TSC, dem 13 bedeutende Pharmafirmen und der "Wellcome Trust", die weltweit größte Stiftung für medizinische Forschung, angehören. Die erklärten Projektziele für das primär auf zwei Jahre begrenzte Programm mit einem Budget von 45 Millionen US-Dollar sind:
Die erarbeiteten Daten und die jeweils aktuelle SNP-Karte sollen frei zugänglich sein. Daten, die sich auf genregulierende Basenunterschiede beziehen, können von einer speziellen Datenbank der Biobase GmbH kostenlos abgefragt werden. Das von der TSC ursprünglich anvisierte Ziel wurde auf Grund der rasanten Technologieentwicklung weit übertroffen, es konnten bereits 1,2 Millionen SNPs kartiert werden. Die stärkste Konkurrenz stellt - wie beim Humangenom-Projekt - die private Firma Celera Genomics dar, die eine eigene SNP-Karte mit sechs Millionen SNP herausbringen will.
Krankheiten auf der Spur
Auf zwei prinzipiell unterschiedlichen Wegen kommt man krankheitsrelevanten SNP-Mustern auf die Spur: mit Hilfe des Zufallsprinzips und auf direktem Weg. Beide Strategien haben Vor- und Nachteile (10).
Beim Zufallsprinzip müssen mindestens 500.000 häufig vorkommende SNPs, die über das gesamte Genom verteilt sind, über Kopplungsungleichgewichtsbestimmungen auf etwaige Krankheitsassoziationen überprüft werden. Der Vorteil dieser Strategie liegt in der umfassenden, das gesamte Genom einbeziehenden Analyse, mit der man Hunderte oder sogar Tausende neuer SNPs entdecken könnte. Nachteilig ist jedoch der gigantische analytische Aufwand. Um statistisch gesicherte Aussagen zu erhalten, müssen 1000 Patienten berücksichtigt und insgesamt 500 Millionen Genotypisierungstests ausgeführt werden. Selbst wenn pro Woche zehn Millionen Tests erfolgen könnten, würde das Projekt inklusive Datenauswertung ein Jahr dauern und zwischen 250 und 500 Millionen US-Dollar kosten.
Bei der direkten Strategie konzentriert man sich nur auf SNPs in den codierenden DNA-Abschnitten, die so genannten cSNPs. Dies erscheint sinnvoll, weil nur etwa 2 Prozent des gesamten menschlichen Genoms in Proteine übersetzt werden. Man könnte sich primär auf solche SNPs konzentrieren, die mit einer veränderten Aminosäuresequenz und Proteinfunktion sowie genregulatorischen Störungen in Verbindung gebracht werden. Krankheitsbezogene SNPs könnten direkt identifiziert werden. Hierbei müssten nur etwa 200.000 bis 400.000 SNPs analysiert werden; der Aufwand an Zeit und Geld wäre um den Faktor Zehn geringer. Nachteilig ist jedoch, dass solche cSNPs bisher noch nicht eindeutig definiert wurden und bekannt sind. Außerdem könnten "unwichtige", weil in nicht kodierenden Regionen vorkommende SNPs übersehen werden.
SNP beeinflussen Arzneistoffwirkung
Die Identifizierung von SNPs, die mit der Medikamentenwirkung in Beziehung stehen, gestaltet sich einfacher als das Aufspüren krankheitsrelevanter SNP-Muster. Das liegt nicht zuletzt daran, dass in vielen Fällen nur ein definiertes Enzym oder Protein zu berücksichtigen ist, im Vergleich zu der multigenen Situation bei der Krankheitsassoziation.
Zur Identifizierung solcher SNPs muss die DNA von 20 bis 100 Individuen meist unterschiedlicher ethnischer Herkunft verglichen werden. Um herauszufinden, ob DNA-Polymorphismen die Wirksamkeit eines Medikaments beeinflussen, wird die DNA von Probanden mit derjenigen einer Kontrollgruppe verglichen und mit Hilfe statistischer Analysen auf Signifikanz untersucht. Das Ziel besteht darin, unterschiedliche SNP-Muster von Respondern, die auf ein Medikament in gewünschter Weise reagieren, und von Non-Respondern, die eine verminderte Ansprechrate zeigen, zu identifizieren. Die Erkenntnisse aus diesem Vergleich sollen maßgeblich dazu beitragen, klinische Studien gezielter, schneller und kostengünstiger durchzuführen. Probanden von Phase-III-Studien sollten das gleiche SNP-Muster zeigen wie diejenigen Probanden der Phase II, bei denen das potenzielle Medikament gut wirksam war. Die Kosten der klinischen Erprobung könnten dadurch um 25 bis 40 Prozent gesenkt werden (1).
Generell kann gesagt werden, dass die genaue Kenntnis von der Verteilung bestimmter SNP-Kombinationen in der Bevölkerung einerseits die Medikamentenentwicklung zunehmend beeinflussen wird, und die Forscher bei der Wirkstoffentwicklung andererseits vermehrt auf die SNP-Verteilung in der Bevölkerung achten werden.
Schlüsselproteine für Arzneistoffe
Bisher wurde etwa ein Dutzend Proteine und Proteinklassen identifiziert, die die Medikamentenwirkung beeinflussen. Als Schlüsselenzyme gelten die N-Acetyltransferase 2 (NAT2), das Cytochrom P450 und die MDR-Proteine (MDR, multi drug resistance).
Die NAT2 ist an der Metabolisierung beteiligt, sie heftet Acetylreste an Arzneistoffe an. Bisher konnten mehrere Polymorphismen identifiziert werden, die zu unterschiedlichen Erscheinungsformen des Enzyms führen und mit einer verminderten Acetylierungsaktivität und Medikamentenabbaurate in Verbindung stehen. Die vier wichtigsten Basen-Variationen (NAT2*5A, NAT2*6A, NAT2*14A und NAT2*7a/b) können mit einem kommerziell erhältlichen, auf der PCR basierenden Test-Kit der Firma Roche innerhalb von 40 Minuten aus Vollblut detektiert werden (3).
Das Cytochrom P450, das am Abbau von mehr als einem Viertel aller Medikamente beteiligt ist, repräsentiert eine Enzym-Superfamilie, die in 13 Genfamilien mit zahlreichen Unterfamilien eingeteilt wird. Mehr als 70 verschiedene Enzyme sind auf Grund der Basensequenz der Gene oder der Aminosäuresequenz bei verschiedenen Spezies charakterisiert worden. Bei allen handelt es sich biochemisch gesehen um Monooxygenasen, die in der Membran des endoplasmatischen Retikulums lokalisiert sind. Sie sind für die oxidative Biotransformation zuständig, indem sie ein Atom des molekularen Sauerstoffs auf passende Substratmoleküle übertragen, unter anderem auch auf viele Arzneistoffe. Bis heute konnten beim Menschen in den verschiedenen, zum Cytochrom-P450-System gehörenden Genen 49 SNPs identifiziert werden.
MDR-Proteine sind am Transport von Arzneistoffen beteiligt. Mit ihrer Hilfe kann sich eine Zelle vor der Vergiftung durch Fremdsubstanzen schützen. Sobald eine Zelle bemerkt, dass sich nicht-zelleigene Stoffe in ihr befinden, werden diese umgehend durch die in der Zellmembran lokalisierten Transportproteine hinaustransportiert. Dieser biologisch sehr sinnvolle Entgiftungsmechanismus kann jedoch nachteilig sein, wenn die Fremdsubstanz ein Medikament ist, das möglichst lange in der Zelle verbleiben und dort seine Wirkung entfalten soll, zum Beispiel ein Zytostatikum. Der Abtransport aus der Zelle führt dazu, dass immer höhere Medikamentendosen verabreicht werden müssen, um den angestrebten therapeutischen Effekt zu erzielen, was jedoch die Nebenwirkungen verstärkt.
Mehr als 30 Prozent aller bekannten Medikamente werden vorwiegend durch das MDR-1-Gen und das dazugehörige Transportprotein P-Glycoprotein transportiert (1). Bisher wurden 33 DNA-Polymorphismen im MDR-1-Gen identifiziert. Eine bestimmte Variante ist die TT-Form, die bei einem Viertel aller Menschen vorkommt. Sie bewirkt, dass in Darmepithelzellen nur geringfügige Mengen an P-Glycoprotein gebildet werden. Dadurch werden Medikamente weitgehend ungehindert vom Darm in die Blutbahn resorbiert und im Blut übermäßig angereichert. Patienten mit der TT-Variante sollten Arzneimittel daher in geringerer Dosierung aufnehmen.
Stürmisches Wachstum bei der High-Tech-Analytik
Neben der reinen Identifizierung und Kartierung von SNPs besteht ein wichtiges Ziel in der Ausarbeitung von Methoden, um das "SNP-Make-up" einer Person oder eines Patienten möglichst präzise, schnell und kostengünstig zu ermitteln. Etwa dreißig Firmen sind weltweit an der Etablierung und Vermarktung entsprechender Analysensysteme beteiligt.
Mehrere Testsysteme, die auf etwa zehn unterschiedlichen Nachweisprinzipien beruhen, sind bereits auf dem Markt erhältlich. Die meisten Methoden basieren auf der PCR. Mit ihrer Hilfe wird der relevante, SNP-beinhaltende DNA-Abschnitt millionen- bis milliardenfach vervielfältigt. Durch Verwendung von allelspezifischen Primern oder spezifischen Primer-Verlängerungsreaktionen können die gesuchten SNPs bereits während der PCR direkt nachgewiesen werden. In den meisten Fällen wird jedoch eine Post-PCR-Analytik für die eigentliche SNP-Identifizierung angeschlossen. Hierfür sind unterschiedliche Methoden im Einsatz (5, 10): DNA-Sequenzierung nach der Kettenabbruchmethode, DNA-Pyro-Sequenzierung oder Chip-basierte DNA-Sequenzierung durch Hybridisierung, die klassische RFLP-Analyse, Hybridisierung auf DNA-Chips (6, 7), Schmelzpunktanalyse, Sortierung von Mikrokügelchen oder DNA-Spaltung mit DNA-Glycosylase nach dem Einbau modifizierter Nukleotide.
PCR im Parallelansatz
Die Polymerasekettenreaktion (PCR, Polymerase Chain Reaction) ist eine automatisierte Methode zur identischen Vervielfältigung von DNA. Mit konventionellen Geräten kann ein DNA-Stück innerhalb von etwa zwei Stunden eine Milliarde Mal identisch vervielfältigt werden; mit den modernsten Geräten, Thermocycler genannt, dauert dies etwa 20 Minuten. Durch eine aufwändige Methodik können in einem Reaktionsansatz bis zu sieben unterschiedliche DNA-Stücke nebeneinander vermehrt werden (Multiplex PCR).
RFLP analysiert DNA-Stücke
Die RFLP-Methode wird routinemäßig zur Identifizierung von Punktmutationen eingesetzt. Das Kürzel steht für Restriktionsfragment-Längenpolymorphismus. Bei dieser Methode muss die Mutation im Bereich der Schnittstelle eines ausgewählten Restriktionsenzyms liegen. Das bedeutet, dass im Mutationsfall diese Position vom Restriktionsenzym nicht mehr erkannt und geschnitten wird, wohl aber im nicht-mutierten Fall. Dabei entstehen verschieden lange DNA-Stücke (Längenpolymorphismus), die mittels Gelelektrophorese aufgetrennt und anschließend detektiert werden können.
MALDI-TOF: Fliegende Moleküle
DNA-Stücke können an Hand ihres Molekulargewichts genau identifiziert werden. Von den verfügbaren Methoden ist das MALDI-TOF-MS (Matrix-assisted Laser Desorption Ionization Time-of-Flight Mass Spectrometry) die modernste und empfindlichste Technik. Aus dem Probenmaterial werden durch Beschuss mit Laserlicht geladene DNA-Bruchstücke herausgelöst, die dann in einem luftleeren Rohr mittels Ringelektroden beschleunigt werden. Am Ende des 60 Zentimeter bis drei Meter langen Flugrohrs werden die ankommenden DNA-Moleküle detektiert. Die zurückgelegte Flugzeit, die sich im Mikro- bis Millisekundenbereich bewegt, ist proportional zur Quadratwurzel des Molekulargewichts.
Favorisierte Detektionsprinzipien sind die Molekulargewichtsbestimmung mittels MALDI-TOF-Massenspektroskopie und die Fluoreszenz-Analyse, wobei Primer, Nukleotide oder Mikrokügelchen mit fluorochromen Gruppen markiert sind. Vollautomatische Komplettsysteme sind bereits kommerziell erhältlich (8, 9, 12). Eine große Zukunft wird den DNA-Chips vorausgesagt, mit denen bereits heute mehrere Tausend SNP-Analysen pro Chip parallel erfasst werden können (6, 12).
Mit den verfügbaren Methoden können pro Woche bis zu 20.000 Gentypisierungen vorgenommen werden. Die benötigte DNA-Menge liegt bei etwa 0,4 ng DNA, die Probenvolumina bei wenigen Nanolitern, die Zeitdauer pro Analyse bei 4 Sekunden.
Bei der nächsten Analysengeneration, die bereits weitgehend marktreif ist, wird die PCR überflüssig sein; die SNP-Identifizierung erfolgt direkt aus genomischer DNA. In den nächsten zwei Jahren wird ein weiterer Quantensprung erwartet: Pro Tag sollen 50.000 bis 100.000 Bestimmungen möglich sein und die Kosten pro SNP sollen unter 10 US-Cents liegen (5). Auch hierbei lauten die bekannten bioanalytischen Zauberwörter Miniaturisierung, Parallelisierung und Hochdurchsatzanalyse (high throughput analysis). Bereits jetzt bieten einige Firmen individuelle Baukastensysteme an, die es dem Kunden erlauben, auf die eigenen Forschungsprojekte abgestimmte SNP-Analysenformate zu designen und zu etablieren (12).
Neben der pharmakogenetischen SNP-Analyse können die bestehenden Methoden auch dazu eingesetzt werden, bakterielle Erreger in infizierten Personen innerhalb weniger Stunden eindeutig zu typisieren und Resistenz-verursachende Punktmutationen in Erregern zu identifizieren.
Der weltweite Umsatz auf dem SNP-Analytikmarkt wird nach vorläufigen Schätzungen im Jahr 2005 bei etwa 1 Milliarde US-Dollar liegen, der gesamte DNA-Diagnostikmarkt bei 3,5 Milliarden US-Dollar. Seit 1999 ist der SNP-Markt jährlich um durchschnittlich 38 Prozent gewachsen (11, 12).
Die maßgeschneiderte Therapie
Die patientenspezifische Therapie ist in einigen Bereichen bereits Wirklichkeit. Bei etwa 25 Prozent aller Brustkrebspatientinnen ist das Her2-Gen, das für den EGF-Rezeptor codiert, in den Tumorzellen überaktiv. Der epidermale Wachstumsfaktor EGF (epidermal growth factor) steuert das kontrollierte Wachstum von Zellen. Auf den Brustkrebszellen ist der EGF-Rezeptor 1000 bis 10.000 Mal häufiger vorhanden als auf normalen Zellen. Entsprechend viel Wachstumsfaktor wird von den Zellen gebunden, was zu deren Überaktivierung und einer überschießenden Zellteilung führt.
Trastuzumab, ein therapeutischer Antikörper gegen den EGF-Rezeptor, mit dem Handelsnamen Herceptinâ hat eine doppelte therapeutische Wirkung. Zum einen blockiert er den Rezeptor und verhindert dadurch die übermäßige Bindung des EGF und die überschießende Zellaktivierung. Auf der anderen Seite löst er eine immunologische Zerstörung der Krebszellen aus. Bevor eine Patientin eine Herceptin-Therapie bekommt, wird ihre individuelle HER2-Situation mit serologischen (ELISA) und molekularbiologischen Methoden (mRNA-Analyse, Genanalyse) überprüft. Nur bei Überexpression des EGF-Rezeptors ist die Gabe des Antikörpers sinnvoll.
Ethisch bedenklich?
An dieser Stelle muss klar hervorgehoben werden, dass die Bestimmung von SNP-bedingten Veränderungen im Genom nicht dazu dient, "Krankheitsgene" zu identifizieren. Dies könnte zum Missbrauch führen, beispielsweise bei Versicherungen, Krankenkassen, der Jobsuche oder Einstellungen. In der Pharmakogenetik will man mit Hilfe der SNP-Analytik vielmehr genetische Variationen identifizieren, die die Wirksamkeit von Medikamenten im Körper beeinflussen. Die genaue Kenntnis der biologischen Bedeutung und des Auftretens von SNPs erlaubt eine maßgeschneiderte Therapie für den einzelnen Patienten. Das Wissen um die Verteilung und Wirkung von SNPs wird die Entwicklung von Medikamenten in Zukunft nachhaltig beeinflussen. Das Fernziel ist die Entwicklung von maßgeschneiderten Medikamenten, die im Sinne einer optimalen und möglichst nebenwirkungsfreien Therapie auf das genetische Profil des Patienten abgestimmt sind.
Literatur
Der Autor
Diethard Baron hat sich nach dem Biologiestudium und der Promotion in Biochemie von 1974 bis 1976 an der Harvard University in Boston mit der Charakterisierung von Antigenen des Epstein-Barr-Virus beschäftigt. 1982 habilitierte er sich im Fach Immunologie und wurde 1989 zum außerplanmäßigen Professor an der Universität Tübingen ernannt. Bis 1994 war Baron in den Zweigwerken Tutzing und Penzberg der Boehringer Mannheim GmbH unter anderem für die Herstellung monoklonaler Antikörper und rekombinanter therapeutischer Proteine zuständig. Seit Herbst 1994 unterrichtet er an der Fachhochschule Weihenstephan die Fächer Biochemie, Gentechnologie, Immunologie und Englisch. Für die PZ hat er zahlreiche spannende Titelbeiträge, unter anderem zur Genom- und Proteomforschung verfasst.
Anschrift des Verfassers:
Professor Dr. habil. Diethard Baron
Fachhochschule Weihenstephan
Fachbereich Biotechnologie
Am Hofgarten 10
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diethard.baron@fh-weihenstephan.de
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