Titel
Die Pathophysiologie
des Schlaganfalls als Folge einer Mangelversorgung des
Gehirns ist seit etwa zehn Jahren ansatzweise geklärt.
Eine zu hohe Konzentration von exzitatorischen
Aminosäuren (EAA), die im ZNS als Neurotransmitter
dienen, läßt massiv Nervenzellgewebe absterben. Man
fand eine Vielzahl von Substanzen, die selektiv an
verschiedenen Subtypen der EAA-Rezeptoren angreifen. Eine
Blockade dieser Rezeptoren und damit die Unterdrückung
der neurotoxischen Wirkung der Aminosäuren könnte eine
kausale Therapie des Schlaganfalls ermöglichen. Der
wichtigste Vertreter der EAA-Rezeptoren ist der NMDA -
(N-Methyl-D-Aspartat)-
Rezeptor. Eine Reihe von Antagonisten wurde entwickelt,
die neuroprotektiv wirken und das Schlaganfallvolumen
reduzieren.
Eine Kaskade von hämodynamischen, elektrophysiologischen
und biochemischen Vorgängen führt beim Schlaganfall zur
überschießenden Freisetzung von exzitatorischen
Aminosäuren wie Glutamat und Aspartat, die nach Bindung
an ihre Rezeptoren letztlich zur Kumulation von freiem
Calcium in der Zelle führen. Neben der zytotoxischen
Wirkung des Calcium-Überschusses lösen
Lipidperoxidation, freie Radikale, Proteolyse der
Zellmembran und Schädigung der Mitochondrien den Zelltod
aus. Auf diese Weise sind exzitatorische Aminosäuren an
neurodegenerativen Prozessen beteiligt. Man suchte daher
nach ihren Rezeptoren und schon bald erkannte man, daß
es nicht nur einen Glutamat-Rezeptor gibt. Heute
unterteilt man fünf Klassen je nach ihren selektiven
Liganden: NMDA-, AMPA-, KAIN-, L-AP4- sowie metabotrope
Rezeptoren. Vermutlich steuert der NMDA-Rezeptor
neuronale Prozesse "höherer Ordnung" und hat
Bedeutung für die Entwicklung, das Lernen und das
Gedächtnis.
Der NMDA-Rezeptor besteht aus einem Natrium- und
Calcium-permeablen Ionenkanal, der durch Magnesium
spannungsabhängig blockiert werden kann. Zudem besitzt
er mindestens sechs regulatorische Bindungsstellen: die
Glutamat-, Aspartat- und NMDA-Bindungsstelle, die im
Kanal liegenden Andockstellen für Magnesium und
Arylcyclohexylamine, die Strychnin-unempfindliche
Glycin-Bindungsstelle, eine Zink- und eine oder mehrere
Polyamin-Bindungsstellen. Der Rezeptor besteht aus zwei
etwa 1000 Aminosäuren umfassenden Proteinuntereinheiten
mit vier transmenbranären Segmenten. Es sind zahlreiche
Isoformen der Untereinheiten bekannt.
- Nicht kompetitive
NMDA-Rezeptorantagonisten: (+)-MK-801
(Dizocilpin) war einer der ersten potenten
NMDA-Antagonisten mit In-vivo-Wirksamkeit. Doch
trotz guter neuroprotektiver Eigenschaften bei
Cerebralischämie verhinderte das starke
psychostimulierende und psychomimetische
Potential die Einführung in die Therapie.
Amantadin und Memantine dagegen sind schon
länger zur Behandlung von
Hirnleistungsstörungen und Schädel-Hirn-Traumen
zugelassen.
- Kompetitive NMDA-Rezeptorantagonisten
gehören zur Klasse der Phosphonoaminosäuren.
Sie zeigen deutliche Neuroprotektion nach
Cerebralischämie und sind bei peroraler Gabe vor
einer fokalen Ischämie wirksam.
- Antagonisten am Strychnin-unabhängigen
Glycin-Rezeptor: Eine Reihe von
strukturell sehr unterschiedlichen Verbindungen
blockiert den Glycin-Rezeptor. Die Aminosäure
kann - neben ihrer Funktion als inhibitorischer
Neurotransmitter am Strychnin-unabhängigen
Glycin-Rezeptor - auch NMDA-erzeugte Signale
potenzieren. Sie agiert als echter Co-Agonist:
Für eine Öffnung des NMDA-gesteuerten
Ionenkanals ist eine gleichzeitige Bindung von
Glutamat und Glycin nötig. Die antagonistisch
wirksamen Liganden leiten sich strukturell ab von
Aminosäuren, Kynurensäure und Kynurenin,
2-Carboxyindol, Chinoxalindion sowie 2-Chinolon.
- Polyamin-Rezeptorantagonisten:
Die Bedeutung der Polyamin-Bindungsstelle ist
heute noch nicht eindeutig geklärt. Daher ist
auch der Angriffspunkt des Antagonisten
Ifenprodil noch nicht festlegbar. Arcain und das
Adamantan-Derivat BAHSPM verhindern ebenfalls die
Öffnung des Ionenkanals.
Eine Überstimulation des NMDA-Rezeptors soll bei
vielen ZNS-Erkrankungen beteiligt sein, zum Beispiel bei
Epilepsie, Morbus Alzheimer oder Parkinson. Daher wird
große Hoffnung auf die Antagonisten des NMDA-Rezeptors
gesetzt. Vor kurzem wurde der NMDA-Antagonist Acamprosat
zur Alkoholentwöhnung zugelassen. Er kann die neuronale
Erregbarkeit durch antagonistische Effekte am
NMDA-Rezeptor und agonistische Effekte an GABA-ergen
Neuronen dämpfen.
PZ-Titelbeitrag von Professor Dr. Gerd Dannhardt,
Mainz
© 1997 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de