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Für und Wider einer Supplementation

28.03.2005  00:00 Uhr
.Betacarotin

Für und Wider einer Supplementation

von Werner Siems, Bad Harzburg, Klaus Krämer, Landau, Olaf Sommerburg, Ulm, und Tilman Grune, Düsseldorf

Carotinoide sind natürliche Pigmente, die Menschen und Tiere mit der Nahrung aufnehmen. Carotinoide und Retinoide wirken als Antioxidantien, beeinflussen Wachstum, Immunfunktionen, den Sehvorgang und modulieren die Genexpression. Wie sinnvoll ist eine Supplementation mit diesen Stoffen?

Epidemiologische Daten verbinden eine hohe Aufnahme und hohe Gewebekonzentrationen von Carotinoiden mit einem niedrigen Risiko für Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Jedoch bringen klinische Interventionsstudien keine einheitlichen und statistisch sicheren Hinweise dafür, dass β-Carotin-Supplementation allein ein solches Risiko senkt. Bei starken Rauchern und Asbestarbeitern erhöhten sich bei hoch dosierter Supplementation sogar die Inzidenz und Mortalität für Bronchialkarzinome. Seit diesen Resultaten denkt man über potenzielle toxische Effekte nach. Diese werden offenbar durch Abbauprodukte von β-Carotin verursacht. Die bisherigen Studiendaten sprechen dafür, dass sie nur bei Hochdosis-Supplementation und bei starken Rauchern sowie Asbestarbeitern, also bei extremem oxidativen Stress möglich sind. Aus In-vitro-Studien geht hervor, dass selbst bei Hochdosierung Toxizität vermieden wird, wenn auch die anderen Komponenten des antioxidativen Netzwerks ausreichend hohe Konzentrationen aufweisen.

Antioxidative Pflanzenstoffe

Freie Radikale und Oxidantien werden in Zellen, Geweben und Organen von verschiedenen Verbindungen beseitigt. Zu den antioxidativen Systemen gehören Enzyme und niedermolekulare Verbindungen. Die niedermolekularen Antioxidantien sind hydrophil oder lipophil und werden entweder im menschlichen Körper synthetisiert oder mit der Nahrung zugeführt. Zu den lipophilen niedermolekularen Stoffen, die nur mit der Nahrung aufgenommen werden, gehören die Carotinoide.

Carotinoide sind natürliche Pigmente, die in Bakterien, Algen, Pilzen und Pflanzen, aber nicht in Tieren synthetisiert werden. Daher sind Tiere und Menschen auf exogene Zufuhr angewiesen. Mittlerweile kennt man 600 bis 700 Carotinoide (12, 29, 32). Etwa 10 Prozent dienen in Säugern als Präkursoren von Vitamin A (Retinol) (35). Obst, Gemüse und andere Pflanzen, die besonders große Mengen an Carotinoiden enthalten, sind für ihre leuchtenden Farben bekannt, die von Gelb, Rot und Orange bis zu Dunkelrot und Dunkelgrün reichen.

Ungefähr 60 Carotinoide sind Bestandteile unserer Nahrung (17, 32). Diese Verbindungen und ihre unmittelbaren Metabolite repräsentieren das Carotinoid-Muster der menschlichen Zellen, Gewebe und Organe. Die quantitativ wichtigsten Verbindungen im Blutplasma des Menschen sind β-Carotin, Lycopin, Lutein, β-Cryptoxanthin und α-Carotin (3). Am wichtigsten davon ist β-Carotin.

Carotinoide kommen als cis- und als trans-Isomere vor, die ineinander umwandelbar sind. Hitzebehandlung fördert die Isomerisierung von der trans- in die cis-Konfiguration. Synthetisches β-Carotin liegt fast vollständig in der trans-Form vor (35). Die stärker lipophilen Carotene, zum Beispiel β- und α-Carotin und Lycopin, werden von den eher hydrophilen Xanthophyllen wie Zeaxanthin, Lutein und Violaxanthin unterschieden. Retinoide sind Derivate des Retinols (Vitamin A).

Carotinoide werden spektrophotometrisch bei 450 nm erfasst (26). Diese einfache Methode wird auch bei der Messung des Abbaus durch stimulierte neutrophile Granulozyten angewendet (50). Für die Bestimmung der Konzentrationen vieler Carotinoide wird die HPLC-Trennung mit der spektrophotometrischen Messung kombiniert.

Die Carotinoid-Biosynthese in Chloroplasten verläuft über viele Stufen. Ausgehend von den Glykolysemetaboliten Glycerinaldehyd-3-phosphat und Pyruvat entsteht letztlich Lycopin, aus dem durch Zyklisierung α- oder β-Carotin gebildet wird. Aus Ersterem entsteht Lutein und aus β-Carotin Zeaxanthin.

Geringe Absorption

Carotinoide werden an der intestinalen Mukosa resorbiert. Dies erfolgt über eine passive Diffusion entsprechend einem Konzentrationsgradienten zwischen den Mizellen und der Zellmembran sowie dem intrazellulären Zytosol (33). Bislang konnte man kein Carotinoid-bindendes Protein nachweisen (35). Beim Menschen und weiteren Säugern wie einigen Menschenaffen, Frettchen und Rindern wird der größte Teil der Carotinoide unverändert in die Mukosazellen (Enterozyten) aufgenommen und dort in Chylomikronen inkorporiert. Es folgt die Aufnahme in die Leber und die Rückgabe in den Kreislauf in VLDL- und schließlich LDL-Partikeln (8).

Retinol, das in den Enterozyten aus den Provitamin-A-Carotinoiden gebildet wird, wird in die Lymph-Chylomikronen in Form von Retinylestern sezerniert, während die Retinsäure (retinoic acid) und andere polare Metaboliten den Darm durch die portale Zirkulation verlassen.

Die Effektivität der Carotinoid-Absorption ist normalerweise recht niedrig und liegt bei durchschnittlich 30 Prozent der oralen Aufnahme. Dieser Wert verringert sich noch bei steigender Zufuhr mit der Nahrung (31).

Welche Faktoren beeinflussen die Absorption? Wichtig ist der Lipidgehalt der Nahrung. Bei hohem Lipidanteil nimmt die Resorption von Carotinoiden über die intestinale Mukosa deutlich zu. Dies beruht auf der Tatsache, dass Carotinoide nur in Gegenwart konjugierter Gallensalze absorbiert werden und Lipide die Sekretion der Gallensalze stimulieren. Ferner gibt es Konkurrenz zwischen verschiedenen Carotinoiden. Das heißt, eine Supplementation mit β-Carotin ist mit einem gewissen Abfall der Lutein-Konzentration im Blutplasma verbunden. Milde Hitzebehandlung der Nahrungscarotinoide steigert deren Bioverfügbarkeit. So erhöht Erhitzen von Tomatensaft den Anteil von cis-Isomeren des Lycopins und die Gesamtabsorption (52).

Intestinale Parasiten verringern die Absorption von Carotinoiden. Auch bei Malabsorptionssyndromen ist diese reduziert, ebenfalls bei erhöhtem pH-Wert des Magensaftes, das heißt bei verringerter Magensäuresekretion.

Transport und Speicherung

Die in der Zirkulation befindlichen Carotinoide werden mit Lipoproteinen transportiert, das heißt, wie Cholesterol und andere Lipide in Eiweiße eingewickelt. Ungefähr drei Viertel werden mit Hilfe von LDL transportiert, der Rest mit VLDL und HDL. Die mehr lipophilen Stoffe wie β- und α-Carotin sowie Lycopin werden überdurchschnittlich stark mit LDL transportiert. Die mehr polaren Verbindungen wie Lutein sind stärker an HDL assoziiert. Durchschnittliche Beladungsgrade wurden abgeschätzt mit vier Carotinoid-Molekülen pro VLDL-Partikel und einem Carotinoid-Molekül pro LDL-Partikel. Etwa 25 von 1000 HDL-Partikeln transportieren jeweils ein Carotenoid-Molekül (36).

Die quantitativ bedeutsamsten Plasma-Carotinoide beim Menschen sind β- und α-Carotin, β-Cryptoxanthin, Lycopin, Zeaxanthin, Lutein und Canthaxanthin (Tabellen 1 und 2). Die höchsten Carotinoid-Konzentrationen, die man bisher im humanen Blutplasma gemessen hat, waren Werte um 6 µmol pro Liter bei Teilnehmern der CARET- und der ATBC-Studien.

 

Tabelle 1: Carotinoide und typische Plasmakonzentrationen beim Menschen

Carotinoid Plasmakonzentration
(µmol/L Blutplasma)
β-Carotin 0,25 bis 0,75 α-Carotin 0,05 bis 0,20 Lycopin 0,25 bis 1,00 Lutein plus Zeaxanthin 0,25 bis 0,85

 

Die Gewebekonzentrationen reflektieren unmittelbar die exogene Zufuhr. Das Fettgewebe und die Leber sind die wichtigsten Speicherorgane. Carotinoide werden aber auch in Lunge, Niere, Gebärmutterhals, Prostata und ­ mit geringerem Anteil ­ in den meisten anderen Geweben gefunden. Besonders hohe Konzentrationen kann man in den Geweben nachweisen, die reich an LDL-Rezeptoren sind, zum Beispiel im Gelbkörper, den Nebennieren und den Hoden. Die Makula der Augen ist reich an Lutein und Zeaxanthin, aber nicht an anderen Carotinoiden (49).

 

Tabelle 2: Hauptquellen der wichtigsten Carotinoide in der Ernährung

CarotinoidQuellen für die Ernährungβ-Carotin grünblättrige Gemüse, Mohrrüben, Kürbis, Tomaten, rote und gelbe Früchte α-Carotin grünblättrige Gemüse, Mohrrüben, Kürbis, grüne Paprika Lycopin Tomaten, Tomatenprodukte Lutein, Zeaxanthin grünblättrige Gemüse, Mohrrüben, Paprika, Mais, Orangen (Zeaxanthin)

 

Die mittlere Verweildauer eines β-Carotin-Moleküls im menschlichen Organismus wurde mittels tracerkinetischer Untersuchungen mit 51 Tagen bestimmt (27).

Stoffwechsel im Menschen

Im menschlichen Körper wird β-Carotin zunächst zu Retinal umgewandelt und dann zu Retinol, dem Vitamin A, reduziert. Der erste Schritt, die symmetrische oder zentrische Spaltung, wird durch die zytosolische β-Carotin-15,15´-Dioxygenase katalysiert, die das Schlüsselenzym des Metabolismus zu Vitamin A ist (11, 28, 30, 57, 58).

Darüber hinaus treten in menschlichen Geweben auch exzentrische Spaltungen des β-Carotin-Moleküls auf, die zur Bildung von Apocarotenol-Intermediaten und weiteren Spaltprodukten führt. Diese wurden vor etwa 15 Jahren vor allem durch die Gruppen von Krinsky und Liebler beschrieben (13, 16, 18, 19, 22, 23, 25, 53, 59). Eine initiale Arbeit über den thermisch initiierten β-Carotin-Abbau gab es sogar schon 1964 (24). Als erste Spaltprodukte entstehen Apocarotenale und Apocarotensäuren. Häufig unterliegen auch die Primärverbindungen weiterer oxidativer Spaltung, sodass der Abbau der Carotinoide zu einer Vielzahl von Verbindungen führt (40).

Hinsichtlich der End- und Ausscheidungsprodukte des β-Carotins beim Menschen bestehen noch erhebliche Erkenntnislücken. Der Abbauprozess für Carotinoide und deren Metaboliten weist große Ähnlichkeiten zum Abbau von Vitamin A und Retinoiden auf. Das Cytochrom P450-System in der Leber ist an der Umwandlung polarer Intermediate beteiligt. Auf Grund der recht uneffektiven Absorption ist klar, dass die meisten mit der Nahrung zugeführten Carotinoide den menschlichen Körper mit den Faeces verlassen.

Biologische Aktivitäten

Maximal 10 Prozent aller bekannten Carotinoide wirken als Vitamin-A-Vorläufer. Vitamin A ist bekanntlich notwendig für den Sehvorgang, die Wachstumsregulation, Zelldifferenzierung, Morphogenese und weitere biologische Prozesse.

Carotinoide sind effektive Quencher von Singulett-Sauerstoff und Fänger von freien Radikalen. Dagegen ist Vitamin A ein schlechtes Antioxidans. Eine weitere biologische Funktion, die ebenfalls dem oxidativen Stress entgegenwirkt, besteht darin, dass Carotinoide die Lipidperoxida-tion hemmen können. Der antioxidative Schutz von LDL wird anteilig auch über Carotinoide gewährleistet. In Tiermodellen wurden sogar antikarzinogene Aktivitäten gezeigt. Möglicherweise hängen solche Wirkungen eher mit einem Einfluss auf die durch gap junctions vermittelte interzelluläre Kommunikation zusammen als mit der antioxidativen Kapazität der Carotinoide (51), da Zell-Zell-Wechselwirkungen eine besonders wichtige Rolle bei der Tumorentstehung spielen. Im Auge spielen die Makulapigmente Lutein und Zeaxanthin eine besondere Rolle.

Die Hauptfunktionen von Retinol und Retinoiden im Organismus sind die Beteiligung beim Sehvorgang, im Immunsystem sowie bei Wachstums- und Entwicklungsprozessen.

Zunächst zum Sehvorgang: Retinol wird mit dem Kreislauf zur Netzhaut (Retina) transportiert, wo es die retinalen Pigmentepithelzellen erreicht. Dort wird es zu einem Retinylester verestert, der hydrolysiert und isomerisiert wird. Es entsteht 11-cis-Retinol, aus dem durch Oxidation 11-cis-Retinal gebildet wird. Dieses gelangt zu den Stäbchen, wo es an das Protein Opsin bindet und so das Sehpigment Rhodopsin (Sehpurpur) bildet. Die Absorption eines Lichtphotons katalysiert die Isomerisierung von 11-cis- zu all-trans-Retinal und resultiert in seiner Abgabe vom Rhodopsin, sodass wieder Opsin freigesetzt wird.

Die Isomerisierung leitet eine Kaskade von Ereignissen ein, die letztlich zur Bildung eines elektrischen Signals und seiner Weiterleitung an den Sehnerven (Nervus opticus) führt. Der nervale Impuls wird zum Gehirn weitergeleitet, wo er als Sehen oder Sichtigkeit interpretiert werden kann. All-trans-Retinal wird nun zu all-trans-Retinol reduziert. Dieses wird durch die Interphotorezeptor-Matrix zurück zu den retinalen Epithelzellen transportiert und dort reaktiviert.

Zur Rolle bei Immunfunktionen: Vitamin A ist als Anti-Infektionsvitamin bekannt. Zweifelsfrei ist es wichtig für die normale Funktion vieler Anteile des Immunsystems. Die Haut und die mukosalen Zellen, die den Respirations- und den Gastrointestinaltrakt sowie die harnableitenden Wege auskleiden, bilden die erste Verteidigungslinie des Körpers gegen eine Infektion. Retinol und seine Metaboliten sind erforderlich, um die Integrität und Funktion dieser Zellen zu erhalten. Außerdem spielen Vitamin A und Retinsäure (retinoic acid, RA) eine zentrale Rolle in der Entwicklung und Differenzierung weißer Blutzellen wie der Lymphozyten. Die Aktivierung von T-Lymphozyten setzt eine all-trans-Retinsäure-Bindung an die Retinsäure-Rezeptoren (RAR) voraus.

Hinsichtlich des Einflusses auf Wachstum und Entwicklung wird darauf hingewiesen, dass sowohl ein Vitamin-A-Überschuss als auch ein Mangel im Plasma der Mutter zu fetalen Schädigungen und damit zu angeborenen Defekten führen können. Ausreichende Konzentrationen von Retinol und RA sind für eine normale embryonale Entwicklung erforderlich. Außerdem reguliert eine Retinsäure die Expression des Genabschnitts für das Wachstumshormon.

Die Regulation der Genexpression durch Retinsäure-Isomere funktioniert auf folgende Weise: All-trans-RA und 9-cis-RA werden, gebunden an zytoplasmatische RA-bindende Proteine, zum Zellkern transportiert. Dort bindet all-trans-RA an Retinsäure-Rezeptoren (RAR) und 9-cis-RA an Retinoid-Rezeptoren (RXR). RAR und RXR bilden Heterodimere, die an regulatorische Regionen auf Chromosomen, so genannte Retinsäure-aktive Elemente (retinoic acid response elements, RARE), binden. Der RAR-RXR-Komplex reguliert damit die Rate der Genexpression.

Vitamin-A-Mangel macht krank

Erkrankungen, die durch Vitamin-A-Mangel entstehen, lassen erkennen, welche Funktionen dieses Vitamin im menschlichen Körper erfüllt. Vitamin A-Mangel bei Kindern in Entwicklungsländern ist die hauptsächliche vermeidbare Ursache von Erblindung. Der früheste Hinweis darauf ist eine gestörte Dunkel-Adaptation oder Nachtblindheit. Ein moderater Mangel kann zu Veränderungen der Bindehaut führen, vor allem in den Augenwinkeln. Bei einem schweren, lang dauernden Vitamin-A-Mangel kommt es zur Xerophthalmie (trockenes Auge). Diese Störung führt zu Veränderungen der Zellen der Cornea (Hornhaut), zu Hornhaut-Ulzerationen und ebenfalls zur Erblindung.

Vitamin-A-Mangel wird auch als ernährungsbedingte erworbene Immunschwäche bezeichnet. Selbst Kinder mit nur milden Graden eines Mangels zeigen im Vergleich zu Kindern, die ausreichend Vitamin A aufnehmen, eine erhöhte Inzidenz von respiratorischen Erkrankungen und Diarrhö. Außerdem sterben sie häufiger an Infektionskrankheiten. HIV-infizierte Frauen, die einen Vitamin-A-Mangel aufweisen, haben eine drei- bis vierfach erhöhte Wahrscheinlichkeit, das Virus auf ihr Kind zu übertragen.

Eine Vitamin-A-Therapie ist zur Behandlung folgender Krankheiten indiziert: Retinitis pigmentosa, akute promyeloische Leukämie und Erkrankungen der Haut.

Nutzen einer hohen Zufuhr

Essbare Carotinoide sind in hoher Konzentration in Früchten wie Aprikosen, Pfirsichen, Mangos und Mirabellen, in gelb-rotem Gemüse wie Mohrrüben, Paprika, Tomaten und in grünem Gemüse wie Brokkoli, Spinat, Grünkohl und grünem Paprika enthalten. Tabelle 2 listet die wichtigsten Vertreter der für die menschliche Ernährung erforderlichen Carotinoide und ihre pflanzlichen Hauptquellen auf.

 

 

 

Eine Reihe von epidemiologischen Untersuchungen und Interventionsstudien belegt eindrucksvoll die präventiven Wirkungen einer ausreichenden oder hohen Carotinoid-Zufuhr.

In einer Interventionsstudie mit gemüsereicher Ernährung an 23 gesunden männlichen Nichtrauchern im Alter von 27 bis 40 Jahren untersuchten die Autoren, ob ein hoher Gemüseverzehr eine Schädigung der DNA, insbesondere eine oxidative, verhindern oder einschränken kann (34). Nach einer zweiwöchigen gemüsefreien Ernährung erhielten die Probanden in der dritten und vierten Woche täglich 330 ml Tomatensaft mit 40 mg Lycopin, in der fünften und sechsten Woche täglich 330 ml Möhrensaft mit 22 mg β-Carotin und 16 mg α-Carotin und in der siebten und achten Woche 10 g Spinatpuder, in Wasser oder Milch gelöst, mit 11 mg Lutein. Wöchentlich wurde der Grad der DNA-Schädigung der peripheren Lymphozyten analysiert.

Die definierte Anreicherung der Nahrung mit Tomaten-, Möhren- oder Spinatprodukten führte zu einem signifikanten Abfall der Strangbrüche in der Lymphozyten-DNA. Zusätzlich wurde bei der Möhrensaft-Ernährung eine verringerte oxidative Basenschädigung gemessen. Aus den Beobachtungen wurde gefolgert, dass Carotinoid-haltige Pflanzen über die Prävention einer DNA-Schädigung möglicherweise antikanzerogen wirken können.

Bei einer Untersuchung mit 14-tägiger hoher Zufuhr von Gemüse und Früchten wurden mehrere Marker für einen oxidativen Zellschaden gemessen: 8-Hydroxydeoxyguanosin (8-OHdG) in DNA, die aus peripheren Lymphozyten isoliert wurde, sowie im Urin, Malondialdehyd (MDA) im Urin, das Arachidonsäure-Produkt 8-Isoprostan F2a im Urin sowie die Spiegel verschiedener Carotinoide im Blutplasma (54). Die Früchte und Gemüse wurden in 5,8 bis 12 Portionen pro Tag verabreicht. Schon nach 14 Tagen sanken die Spiegel von 8-OHdG in der Lymphozyten-DNA und im Urin sowie die von 8-Isoprostan F2a im Harn signifikant ab. Die Autoren folgerten, dass eine Ernährung mit signifikant erhöhter Aufnahme von Gemüse und Früchten eine oxidative Schädigung der DNA und der Lipide deutlich reduziert (54).

Schließlich sollen Resultate der Bruneck-Studie zitiert werden. Hier ging es um die Beziehung zwischen den Plasmakonzentrationen wichtiger Carotinoide (α- und β-Carotin, Lutein, Lycopin, Zeaxanthin, β-Cryptoxanthin) sowie der Vitamine A und E und dem Grad der Atherosklerose in der Arteria carotis und Arteria femoralis (6). 392 Männer und Frauen im Alter von 45 bis 65 Jahren wurden untersucht. Die α- und β-Carotin-Plasmaspiegel korrelierten hochsignifikant invers mit der Prävalenz der Atherosklerose in beiden Arterien sowie signifikant invers mit der Fünfjahres-Inzidenz atherosklerotischer Läsionen in den Carotiden. Das Atherosklerose-Risiko verringerte sich graduell mit steigenden Konzentrationen an α- und β-Carotin. Assoziationen zwischen den Plasmaspiegeln von Vitamin A und E und dem Grad der Atherosklerose wurden nicht gefunden. Nach Ansicht der Autoren lieferte die Studie einen weiteren eindeutigen Beweis für die protektive antiatherosklerotische Rolle hoher Carotinoid-Plasmaspiegel in der frühen Atherosklerose.

Es gibt eine Reihe weiterer epidemiologischer Hinweise, dass entweder hohe Carotinoid-Aufnahmen oder erhöhte zirkulierende Konzentrationen mit einem verminderten Risiko für verschiedene bösartige Tumoren, kardiovaskuläre Erkrankungen, Katarakte (grauer Star) und die altersabhängige Makuladegeneration verbunden sind.

Supplemente nicht ohne Risiko

Millionen Menschen in den westlichen Ländern nehmen Carotinoid-haltige Supplemente ein. Das wichtigste Ziel besteht darin, die Schutzfunktion der Carotinoide gegen die Makuladegeneration, kardiovaskuläre Erkrankungen, strahlenbedingte Alterung der Haut und bösartige Tumoren zu nutzen.

Die Supplemente sind entweder Kombinationspräparate oder enthalten einzelne Verbindungen. Angegeben wird jeweils, wie viel Prozent der empfohlenen Tagesdosis eine Tablette oder Kapsel deckt. Im Allgemeinen wird dies auf 100 Prozent der empfohlenen Tagesdosis ausgerichtet. Aller Wahrscheinlichkeit nach nehmen die Menschen die Supplemente mit Gewinn für die eigene Gesundheit ein.

Dennoch: Wissenschaftler und auch die Öffentlichkeit wurden aufgerüttelt, als in der ATBC-Studie (The Alpha-Tocopherol Beta-carotene Cancer Prevention Study, Finnland) und der CARET-Studie (The Beta-carotene and Retinol Efficacy Trial, USA) eine erhöhte Sterblichkeit und Inzidenz an Bronchialkarzinomen auftraten. In der ATBC-Studie hatten 29.133 männliche Raucher, in der CARET-Studie 18.314 männliche Raucher und Asbestarbeiter Supplemente mit dem Ziel erhalten, einem Bronchialkarzinom vorzubeugen. Die erhöhte Sterblichkeit und Inzidenz traten bei einer Hochdosisgabe auf. In der ATBC-Studie wurden viermal täglich 20 mg β-Carotin, in der CARET-Studie ebenfalls viermal täglich 15 bis 30 mg β-Carotin plus 25.000 Internationale Einheiten Retinol täglich eingenommen. Welche Erklärungen gibt es für den fehlenden Nutzen und für das in diesen Studien aufgetretene höhere Krebsrisiko?

Potenziell toxische Abbauprodukte

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass β-Carotin und andere Carotinoide nicht nur enzymatischen Umwandlungen unterliegen, sondern auch nicht-enzymatisch oxidativ abgebaut werden. Das heißt: Immer wenn ein Carotinoid-Molekül erfolgreich antioxidativ wirksam war, ist ein Abbauprodukt entstanden. In vivo entsteht eine hohe Zahl verschiedener Abbauprodukte, unter anderem Apocarotenale (13, 16, 18, 19, 22, 23, 25, 53, 59).

Ohne Zweifel sind viele Abbauprodukte Carbonyle und Epoxide, die selbst wieder hoch reaktiv sind (23, 40, 43, 53). Die von Handelmann beschriebene Bildung oxidativer Abbauprodukte in Gegenwart von Hypochlorit entspricht der Situation in inflammatorischen Regionen (13). Wir haben einige neue β-Carotin-Abbauprodukte für den Hypochlorit-induzierten Abbau gefunden (50). In In-vitro-Studien waren humane neutrophile Granulozyten ebenfalls in der Lage, β-Carotin zu spalten, nachdem sie mit Phorbolmyristat stimuliert worden sind.

Unter den Carotinoid-Abbauprodukten befindet sich eine Reihe von Aldehyden (40, 44, 50), die zu schnellen Reaktionen mit Biomolekülen befähigt sind. Die Interaktionen an den Proteinen finden an Histidin-, Cystein- und Lysin-Resten statt. Andere sowie auch unsere Forschungsgruppe haben solche Aldehyd-Protein-Interaktionen in Studien zum aldehydischen Lipidperoxidationsprodukt 4-Hydroxynonenal (HNE) untersucht (2, 4, 5, 7, 9, 10, 14, 15, 20, 21, 37 bis 41, 46, 55, 56, 60).

Oxidative Abbauprodukte von Carotinoiden zeigen ähnliche Wirkungen wie HNE und hemmen in vitro rasch die Na+-K+-ATPase-Aktivität (43). Die Mischung der Abbauprodukte aus 10 µM β-Carotin wirkt genauso stark wie 100 µM HNE. Das heißt, die Carotinoid-Abbauprodukte sind um ein Vielfaches wirksamer als die sehr toxische und hochgradig biologisch aktive Verbindung HNE. Zudem aktivieren sie die NADPH-Oxidase humaner neutrophiler Granulozyten (43, 48). Damit beeinflussen sie den respiratorischen Burst der Granulozyten und induzieren die spontane Apoptose dieser Zellen.

Kürzlich wurden genotoxische Effekte von β-Carotin-Abbauprodukten nachgewiesen (1). In In-vitro-Experimenten mit Rattenleber-Mitochondrien wurden die Atmungsparameter verglichen. Alle untersuchten Abbauprodukte hemmten bereits im unteren mikromolaren Konzentrationsbereich die ADP-stimulierte Atmung der Mitochondrien (45). Dieser Bereich wird im Organismus nur unter Bedingungen eines massiven oxidativen Stresses erreicht.

Vorsicht bei starkem Stress

Aus den Ergebnissen wurde der hypothetische Schluss gezogen, dass bei massivem oxidativen Stress ­ so bei starken Rauchern und Asbestarbeitern ­ und einer hoch dosierten Supplementation mit β-Carotin (so hoch wie in der CARET- und der ATBC-Studie) das Risiko einer toxischen Wirkung der Abbauprodukte besteht (45). Dagegen spricht bei mildem oxidativen Stress nichts gegen eine Supplementation. Unter normalen Bedingungen dürften selbst bei hoher Dosierung nur geringe Konzentrationen von Carotinoid-Abbauprodukten auftreten, die deutlich unter den toxischen Werten liegen. Wichtig: Die Bildung von β-Carotin-Abbauprodukten durch neutrophile Granulozyten und die mitochondriotoxische Aktivität der Abbauprodukte können deutlich eingeschränkt oder sogar völlig verhindert werden, wenn die Konzentration von Antioxidantien wie Vitamin E und C ausreichend hoch ist.

Alles in allem spricht vieles für die ausreichende Zufuhr von Carotinoiden und nur wenig gegen eine hoch dosierte Supplementation. Ohnehin spricht nichts gegen eine normale Zufuhr und gegen eine zusätzliche Einnahme geringer und mittlerer Dosen.

Synthetisch oder natürlich

Carotinoide in Präparaten zur Nahrungsergänzung oder zur Anreicherung von Lebensmitteln sind synthetisch hergestellt oder stammen aus natürlichen Quellen wie Algen oder Palmöl. Von synthetischen Produkten unterscheiden sie sich hauptsächlich in ihrer Zusammensetzung: Carotinoide aus Algen oder Palmöl enthalten meist weitere Verbindungen wie α-Carotin. Obwohl man mit der Nahrung sowohl trans- als auch cis-β-Carotin aufnimmt, findet man nur all-trans-β-Carotin im Blutserum, da der 9-cis-Anteil im Darm zu all-trans-Carotin umgewandelt wird. In der Regel kann der Körper synthetisches β-Carotin besser aufnehmen als die aus Naturstoffen stammende Kombination.

Ist der Organismus gut mit β-Carotin versorgt, kann er daraus einen wesentlichen Teil seines Vitamin-A-Bedarfs decken. Als Vitamin-A-Quelle ist synthetisches β-Carotin einem Gemisch auf natürlicher Basis überlegen. In ihrer Wirksamkeit als Antioxidans unterscheiden sich die beiden Formen kaum; β-Carotin ist im Vergleich mit α-Carotin jedoch der stärkere Radikalfänger.

Aktuelle Zufuhrempfehlungen

Internationale Experten sowie der wissenschaftliche Lebensmittelausschuss der Europäischen Union halten derzeit die Nahrungsaufnahme von 10 mg β-Carotin pro Tag für alle Personen für vollkommen sicher ­ auch für Raucher. Bei den in Deutschland üblichen Ernährungsgewohnheiten liegt die tägliche Zufuhr bei etwa 2 mg, bei sehr hohem Obst- und Gemüseverzehr erreicht man bis zu 4 mg. Angereicherte Lebensmittel wie ACE-Säfte sind in Maßen (ein Glas pro Tag) auch für Raucher sicher. Das Etikett gibt Auskunft über den β-Carotin-Gehalt.

Bei der Supplementation sollte eine Dosis von 6 mg β-Carotin pro Tag nicht überschritten werden. Niedrigere Mengen werden als sicher beurteilt.

Die Angaben zur Unbedenklichkeit ­ Supplementation bis zu 6 mg, Gesamtzufuhr bis zu 10 mg β-Carotin pro Tag ­ haben für viele Verbraucher Klarheit geschaffen. Dies war dringend erforderlich für die weitere Nutzung der antioxidativen und weiteren günstigen Wirkungen von β-Carotin und anderen Carotinoiden.

 

Literatur bei den Verfassern

 

Die Autoren

Werner Siems habilitierte sich nach dem Studium der Medizin und der Promotion an der Humboldt-Universität Berlin 1987 für das Fachgebiet Biochemie. Seit 1992 arbeitet er an der Herzog-Julius-Klinik für Orthopädie und Rheumatologie in Bad Harzburg. Seine Forschungsgebiete umfassen die Bildung und Wirkung freier Radikale, insbesondere bei Reoxigenierung und Reperfusion, den Metabolismus aldehydischer Lipidperoxidationsprodukte sowie den Stoffwechsel von Antioxidantien. Seit 2003 ist Dr. Siems Ärztlicher Direktor der Loges-Schule Bad Harzburg, einer Fachschule für Physiotherapie.

Tilman Grune war nach dem Medizinstudium in Moskau mehrere Jahre am Institut für Biochemie der Medizinischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin beschäftigt. Nach der Promotion 1992 ging er als Post-doc nach Albany, New York. Von 1994 bis 2003 leitete er die Forschungsabteilung der Klinik für Physikalische Medizin und Rehabilitation der Charité. 1998 habilitierte sich Dr. Grune. Seit 2003 ist er im Bereich Molekulare Altersforschung des Instituts für umweltmedizinische Forschung an der Universität Düsseldorf tätig. Seine Forschungsschwerpunkte sind radikalisch initiierte Gewebeschäden, der Metabolismus oxidierter Proteine sowie die molekularen Grundlagen der Alterung, insbesondere von Haut und Gehirn.

Klaus Krämer studierte Ernährungswissenschaften in Gießen und wurde 1991 promoviert. Zunächst als Produktmanager für Vitamine und Mineralstoffe in der Pharmaindustrie tätig, wechselte er 1995 in die chemische Industrie, wo er sich unter anderem der Evaluierung von Vitaminen, Carotinoiden und anderen Health Ingredients für die menschliche Ernährung widmete. Er ist Mitglied mehrerer Fachgesellschaften, Autor oder Co-Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen und Mitherausgeber von Büchern über Nutraceuticals, Vitamine C und E sowie Carotinoide und Retinoide.

Olaf Sommerburg hat Medicobiologie und Biochemie in Moskau und Humanmedizin an der Humboldt-Universität Berlin studiert und wurde 1995 promoviert. Nach einem Forschungsaufenthalt in den USA war er in der kindernephrologischen Abteilung der Charité und der Universitätskinderklinik Heidelberg tätig. Seit Sommer 2000 arbeitet Dr. Sommerburg an der Universitätskinderklinik Ulm (Ambulanz für Pulmonologie, Allergologie, Mukoviszidose und Stoffwechsel) und erhielt 2002 den Facharzttitel für Kinderheilkunde und Jugendmedizin. Im November 2004 hat er seine Habilitationsschrift zum Thema Supplementation mit β-Carotin eingereicht.

 

Für die Verfasser:
Privatdozent Dr. Werner Siems
Loges-Schule für Physiotherapie
Papenbergstraße 12
38667 Bad Harzburg
werner.siems@loges-schule.de
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