Aktuelle Forschungsergebnisse zur Weidenrinde |
24.03.2003 00:00 Uhr |
Analgetika und Antirheumatika sind die am häufigsten verwendeten Arzneimittel überhaupt. In diesem Indikationsgebiet spielen Phytopharmaka bisher nur eine recht geringe Rolle, obwohl pflanzliche Inhaltsstoffe wie Morphin, Codein und Salicylate die moderne analgetische Therapie maßgeblich geprägt haben. Mit der zunehmenden Sorge über unerwünschte Arzneimittelwirkungen nicht steroidaler Antirheumatika wächst das Interesse der Bevölkerung an pflanzlichen Alternativen.
Die wohl bekannteste und älteste analgetische und antirheumatische Arzneidroge Deutschlands ist die Weidenrinde. Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass ihre Wirksamkeit nicht allein durch Salicin und die daraus entstehende Salicylsäure erklärt werden kann. Um beurteilen zu können, welchen Stellenwert Weidenrinde in der pflanzlichen Schmerz- und Rheumatherapie einnehmen kann, muss diese auch mit therapeutischen Alternativen wie Teufelskrallen-Wurzel und Brennnesselkraut verglichen werden. Teufelskrallen-Wurzel ist in den letzten Jahren pharmakologisch und klinisch untersucht worden, während zu Brennnesselkraut bisher keine klinischen Wirksamkeitsstudien vorliegen. Doch dazu später mehr.
Lange Geschichte
Die medizinische Anwendung der Weidenrinde wurde bereits in der Antike von Hippokrates, Plinius, Dioskurides und Galen beschrieben. Der Tübinger Arzt und Professor Leonhardt Fuchs nannte die Weide 1543 in seinem Kräuterbuch und listete die damals bekannten Anwendungen auf. Jedoch findet sich bei der Vielzahl der von Fuchs aufgezählten Indikationen kein Hinweis auf den heute üblichen Einsatz bei Fieber oder rheumatischen Erkrankungen. Erst 1763 berichtete der englische Geistliche Edward Stone von der Wirksamkeit der Weidenrinde bei fiebrigen Erkrankungen (1). 1828 isolierte Buchner das Phenolglykosid Salicin aus Weidenrinde (2). 1831 zeigte er die Wirkung der Reinsubstanz Salicin bei Fieber auf(3).
Maclagan berichtete 1876 über den erfolgreichen Einsatz von Salicin bei akutem Gelenkrheumatismus (4). Piria gelang 1838 die Gewinnung von Salicylsäure aus Salicin. Kolbe synthetisierte 1860 Salicylsäure im Großmaßstab. Mit der Synthese von Acetylsalicylsäure durch Hoffmann im Jahr 1897 begann der Siegeszug des Aspirins®. Die Weidenrinde verlor therapeutisch an Bedeutung. Erst in den letzten Jahren rückte sie im Rahmen der modernen Phytotherapie wieder verstärkt in den Fokus des wissenschaftlichen Interesses.
Medizinische Anwendung
Nach der Monograpie »Weidenrinde – Salicis cortex« des Europäischen Arzneibuches (2002) besteht die Droge aus der »getrockneten Rinde junger Zweige oder aus ganzen, getrockneten Stücken junger Zweige des laufenden Jahrs«. Das Arzneibuch spezifiziert die Weidenarten nur dahingehend, dass ein Mindestgehalt von 1,5 Prozent Gesamt-Salicylsäure-Derivate, berechnet als Salicin und bezogen auf die getrocknete Droge, gefordert wird (Das Deutsche Arzneibuch 1999 fordert lediglich einen Gehalt von 1 Prozent). Beispielhaft werden die Purpurweide (Salix purpurea), die Reifweide (Salix daphnoides) und die Bruchweide (Salix fragilis) genannt.
Die Kommission E des früheren Bundesgesundheitsamtes fasste 1984 in einer Monographie zur Weidenrinde den damaligen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zusammen. Sie empfiehlt Weidenrinde zur Behandlung von »fieberhaften Erkrankungen, rheumatischen Beschwerden und Kopfschmerzen« in einer Tagesdosis entsprechend 60 bis 120 mg Gesamtsalicin. Die Dosierungsempfehlungen der European Scientific Cooperative on Phytotherapy (ESCOP) reichen bis zu 240 mg Gesamtsalicin pro Tag.
Jedes der heute auf dem deutschen Markt erhältlichen Weidenrindenmonopräparate entspricht den Dosierungsempfehlungen der Kommission E (Tabelle 1). Bei den Präparaten Assplant®, Assalix® und Lintia® handelt es sich um nach dem Arzneimittelgesetz zugelassene Arzneimittel, die anderen Präparate befinden sich noch im Nachzulassungsverfahren.
Tabelle 1: Weidenrindenmonopräparate auf dem deutschen Markt (Rote Liste 2002)
PräparatHersteller ExtraktmengeSalicin pro EinheitAuszugs-*) Produktion wurde eingestellt (Firmenauskunft im September 2002)
Die Zulassung und Vermarktung der modernen, relativ hoch dosierten Weidenrindenpräparate hat das wissenschaftliche Interesse an dieser pflanzlichen Droge wieder erstarken lassen. In letzter Zeit wurden Übersichtsartikel zur Weidenrinde von Mitarbeitern der pharmazeutischen Firmen veröffentlicht, die aktiv an Weidenrindenpräparaten forschen (5, 6). Im vorliegenden Beitrag sollen die bisher wichtigsten Studien zur Weidenrinde vorgestellt und kritisch beleuchtet werden. Die Grenzen der heutigen Kenntnisse und der zukünftige Forschungsbedarf werden aufgezeigt.
Inhaltsstoffe und Pharmakokinetik
Die Inhaltsstoffe von Weidenrinde sind umfassend charakterisiert worden (5, 7). Am bekanntesten ist das Phenolglykosid Salicin. In der Rinde liegt es nicht frei, sondern hauptsächlich in Form der Ester Tremulacin, Salicortin und Acetylsalicortin vor. Der Gesamtsalicingehalt variiert in den verschiedenen Weidenarten stark und macht in der Rinde von Salix purpurea, Salix daphnoides und Salix fragilis einen Anteil von 2 bis 8 Prozent aus. Während der Extraktion der Weidenrinde werden, je nach Extraktionsverfahren, die Salicinester teilweise zu Salicin hydrolysiert. Salicylsäure selbst liegt in Weidenrindenextrakten nur in vernachlässigbarer Konzentration vor. Neben den Phenolglykosiden enthält Weidenrinde Flavonoide und Chalkone, zum Beispiel Narigenin-5-glucosid und Isosalipurposid. Weitere Inhaltsstoffe sind Flavanverbindungen wie (+)-Catechin und kondensierte Gerbstoffe.
Die Pharmakokinetik der aus Salicin entstehenden Salicylate ist durch neuere Untersuchungen gut dokumentiert. Eine entsprechende Probandenstudie unter Einnahme eines Weidenrindenmonopräparates wurde von Schmid durchgeführt (8). Im Abstand von drei Stunden nahmen zehn gesunde Probanden zweimal je 680 mg standardisierten Weidenrindenextrakt entsprechend 2 x 120 mg Salicin in Form von Dragees ein. Als Hauptmetabolit des Salicins wurde im Serum neben geringen Mengen an Salicylursäure (9 Prozent) und Gentisinsäure (4 Prozent) Salicylsäure (86 Prozent der Gesamtsalicylate) nachgewiesen.
Salicin oder Saligenin traten im Serum nicht auf, das heißt, es erfolgte vor oder während der Resorption eine rasche Glykosidspaltung des Salicins und eine Oxidation des entstehenden Saligenins zur Salicylsäure. Die anschließende Metabolisierung und Elimination verlief analog zu synthetischen Salicylaten, das heißt, die Ausscheidung erfolgte renal in Form von Salicylursäure (71 Prozent), Salicylsäure (15 Prozent) und Gentisinsäure (14 Prozent).
Die Bioverfügbarkeit des Salicins in Form von Salicylsäure, berechnet aus der AUC (area under the curve) der Blutspiegel-Zeit-Kurve, lag bei 43,3 Prozent und somit deutlich höher als die von Pentz (9) beobachtete Bioverfügbarkeit von Salicin aus einem Weidenrinden-Colasamen-Kombinationspräparat. Es ist daher wahrscheinlich, dass die Extraktzusammensetzung und die pharmazeutische Formulierung von Weidenrindenpräparaten die Bioverfügbarkeit stark beeinflussen.
Schmid berechnete, dass die AUC der Salicylsäurederivate nach Einnahme von Weidenrindenextrakt (240 mg Salicin) bioäquivalent zur AUC nach Einnahme von 87 mg Acetylsalicylsäure (8) ist. Daher sind die nach Einnahme therapeutischer Dosen Weidenrindenextrakt erhaltenen Salicylatblutspiegel zu niedrig, um eine analgetische Wirkung zu erklären. Dies legt den Schluss nahe, dass die im Weidenrindenextrakt enthaltenen Salicinverbindungen nicht allein für die Wirksamkeit verantwortlich sind. Andere Substanzen könnten zur Wirkung beitragen.
In der Literatur findet sich häufig die Behauptung, dass Salicin vor der Resorption durch die Darmflora hydrolysiert werden müsse. Diese These ist aus Versuchen am Tier beziehungsweise an isolierten Tierorganen abgeleitet und kann auf die Pharmakokinetik beim Menschen nicht ohne weiteres übertragen werden. Unklar ist bis heute, in welchen Organen beziehungsweise Geweben des menschlichen Körpers die Hydrolyse des Salicins und die Oxidation zur Salicylsäure stattfinden.
Unterschiede bei Mensch und Tier
Nach der parenteralen Applikation von Salicin am Hund (10) beziehungsweise an der Ratte (11) und auch nach rektaler Applikation am Menschen (10) wird Salicin weitgehend unverändert renal eliminiert, sodass eine Glykosidspaltung durch Blut- oder Leberenzyme ausgeschlossen werden kann. Durch Mundspeichel oder 0,5-prozentige Salzsäure (»Magensäure«) wird Salicin ebenfalls nicht gespalten (10). Nach Untersuchungen an Ratten (11 - 13) geht man bei diesen Tieren von folgender Biotransformation aus: Salicin wird durch bakterielle Enzyme im Dickdarm in das Aglykon Saligenin (Salicylalkohol) und Glucose gespalten; Saligenin wird resorbiert und rasch zu Salicylsäure oxidiert (Abbildung 2, Seite 24). Im Darm antibiotisch vorbehandelter beziehungsweise keimfreier Ratten fand eine Glykosidspaltung nicht statt (11, 13), was auf die Beteiligung der Darmflora schließen ließ.
Entsprechend der Ergebnisse der geschilderten Experimente sollte die Resorption des Saligenins erst in den unteren Darmabschnitten stattfinden. Daher wäre nach oraler Einnahme von Salicin mit einem verzögerten Anfluten von Salicylsäure im Serum zu rechnen. Tatsächlich fanden Akao (13) und Fötsch (12) bei Ratten erst fünf beziehungsweise sieben Stunden nach oraler Applikation von Salicin maximale Salicylsäurekonzentrationen im Blut.
Beim Menschen hingegen stellten Steinegger und Hövel (10) nach Einnahme von Salicin ein viel rascheres Anfluten von Salicylsäure im Serum fest. Auch Pentz (9) und Schmid (8) beobachteten bereits sehr rasch nach oraler Einnahme von Weidenrindenpräparaten Salicylsäure im Blut von Probanden; die maximalen Konzentrationen wurden zwischen ein und drei Stunden nach Einnahme erreicht. Das bedeutet, dass im Menschen die Resorption nicht erst in den unteren Darmabschnitten (die oro-coecale Transitzeit beträgt mindestens drei Stunden), sondern bereits im Magen oder in oberen Dünndarmabschnitten stattfindet. Möglicherweise erfolgt die Salicinspaltung und die Oxidation zur Salicylsäure während der Resorption durch die Darmschleimhaut. Bei der Biotransformation des Salicins sind also vermutlich Unterschiede zwischen Tier und Mensch gegeben.
Wenige in-vitro-Untersuchungen
Zur Pharmakologie von Weidenrinde liegen überraschend wenige In-vitro-Daten vor. Dies liegt sicher zum Teil daran, dass man jahrzehntelang glaubte, mit der Metabolisierung von Salicinderivaten zur Salicylsäure sei der Wirkmechanismus der Weidenrinde vollständig erklärt – ein Irrtum, wie die oben genannten pharmakokinetischen Untersuchungen zeigten.
In einem biologischen Entzündungsmodell, dem »Hen’s Egg Chorioallantoic Membrane Test«, wurde bei Tremulacin, Salicin und Saligenin eine entzündungshemmende Aktivität beobachtet (14). Meier sah bei Salicin und Salicortin in-vitro keine relevante Hemmung der Prostaglandinsynthase oder der Lipoxygenase (14). In-vitro-Untersuchungen mit Weidenrindenextrakt geben Hinweise auf eine Hemmung der COX-1- und COX-2-Aktivität sowie auf eine Hemmung der Freisetzung proinflammatorischer Zytokine (6, 15). Diese Ergebnisse sind jedoch, wie alle In-vitro-Untersuchungen, in ihrer Aussagekraft begrenzt, da sie zum Beispiel Resorptions- und Metabolisierungsvorgänge nicht berücksichtigen können und die physiologischen Bedingungen nur unzureichend simulieren. Die In-vitro-Ergebnisse sollten daher in klinisch-pharmakologischen Untersuchungen nach oraler Einnahme von Weidenrindenextrakt durch Probanden bestätigt werden.
Geringe Magentoxizität
Leslie veröffentlichte 1978 die Ergebnisse umfangreicher Tierversuche mit verschiedenen wässrig-alkoholischen Pflanzenzubereitungen (16). Unter anderem wurde ein Weidenrindenextrakt aus Salix purpurea in entzündungsrelevanten Tiermodellen getestet, es wurden die ED50-Werte (»effective dose 50«) berechnet. Die Aussagekraft der angegebenen ED50-Werte ist jedoch äußerst begrenzt, da weder der Alkoholgehalt des Extraktionsmittels noch das Droge-Extrakt-Verhältnis angegeben ist.
Eine neuere Untersuchung an Mäusen und Ratten im Rahmen einer Dissertation an der Universität Stettin/Polen (17) liefert interessante Daten zur Pharmakologie von Weidenrinde, die jedoch teilweise einer Überprüfung bedürfen. Weidenrindenextrakt und Acetylsalicylsäure wurden in Standard-Tiermodellen auf ihre analgetische, antiphlogistische und antipyretische sowie magenschleimhautschädigende Wirkung hin untersucht. ASS wurde in Dosierungen von 100, 300 und 600 mg/kg Körpergewicht, Weidenrinde in Dosierungen von 60, 100 und 120 mg/kg Körpergewicht verabreicht.
Im »Hot Plate Test« zeigte sich eine signifikante Verlängerung der Zeit bis zur Schmerzreaktion nach Verabreichen von ASS oder Weidenrinde im Vergleich zur Kontrollgruppe, die nur Wasser erhielt. Allerdings fehlt eine klare Dosisabhängigkeit des Effektes. So betrug die Verlängerung der Zeit bis zur Schmerzreaktion für die ASS-Dosierungen (100, 300 und 600 mg/kg Körpergewicht) 15, 12 und 18 Sekunden und für die Weidenrindendosierungen (60, 100 und 120 mg/kg Körpergewicht) 31, 10 und 15 Sekunden. Auffällig ist, dass die Verabreichung von Wasser in der Kontrollgruppe scheinbar zu einer erhöhten Schmerzempfindlichkeit führte. Dieses könnte auf methodische Probleme bei der Versuchsdurchführung hinweisen.
Zur Untersuchung der antipyretischen Wirkung wurde bei Ratten Fieber durch Injektion von Bierhefe erzeugt und 20 Stunden später die Baseline-Körpertemperatur rektal gemessen. Nach Verabreichung der Medikationslösungen wurde die Körpertemperatur weitere viermal in stündlichen Abständen bestimmt. Dabei zeigte sich für ASS eine dosisabhängige antipyretische Wirkung, während für Weidenrinde nur vereinzelte Messungen eine statistisch signifikante Fiebersenkung dokumentierten (eigene Berechnungen aus Messdaten von (17)). Die Ausgangswerte der Kontrollgruppe unterschieden sich auffällig von denen der Weidenrinden- und ASS-Gruppen, sodass der Nachweis signifikanter Wirkungen erleichtert wurde.
Antiphlogistische Effekte wurden am Carrageenin-induzierten Rattenpfotenödem untersucht. In der Dissertation sind die Ausgangsdaten nicht angegeben, sodass Aussagen über eine Veränderung des Ödems nach Weidenrinden- oder ASS-Verabreichung nicht genau nachvollzogen werden können. Eindeutig hingegen sind die Ergebnisse zur Magentoxizität: Mäuse erhielten eine wässrige Lösung Weidenrindenextrakt oder ASS über eine Schlundsonde. Die Magenschleimhaut wurde fünf Stunden später visuell untersucht. An ihr zeigten sich nach Verabreichung von Weidenrindenextrakt in der Dosierung von 60 und 100 mg/kg Körpergewicht keine Veränderungen.
Bei 120 mg/kg Körpergewicht kam es bei einzelnen Tieren zu leichten Irritationen, die sich jedoch auf Hyperämie ohne Petechien, also punktförmige Hautblutungen beschränkten. ASS verursachte hingegen sichtbare Läsionen der Magenschleimhaut einschließlich oberflächlicher Petechien nach 100 mg/kg Körpergewicht, tiefer Petechien und weniger Ulzera nach 300 mg/kg Körpergewicht sowie umfangreicher Ulzerationen nach 600 mg/kg Körpergewicht. Das Auftreten von Schleimhautschäden nach Verabreichung hoher Dosen ASS ist bekannt. Zusammengefasst deuten die beschriebenen Untersuchungen darauf hin, dass Weidenrindenextrakt keine oder eine geringe Magentoxizität aufweist.
In der Dissertationsschrift finden sich keine Angaben zum eingesetzten Weidenrindenextrakt (Weidenarten, Extraktionsmittel, Droge-Extrakt-Verhältnis, Salicingehalt). Die Ergebnisse dieser Arbeit zur Wirksamkeit von Weidenrindenextrakt sollten mit einem gut charakterisierten Extrakt unter genau kontrollierten Bedingungen reproduziert werden.
Keine Thrombozytenaggregation
Auf Grund der chemischen Verwandtschaft des Salicins zur Acetylsalicylsäure ist vielfach die Frage gestellt worden, ob Weidenrinde als »pflanzlicher Thrombozytenaggregationshemmer« eingesetzt werden kann. In einer Studie von Krivoy (18) erhielten 35 Patienten mit akuten Exazerbationen chronischer Rückenschmerzen randomisiert und doppelblind entweder Weidenrindenextrakt entsprechend 240 mg Salicin pro Tag (n = 19) oder Placebo (n = 16). Weitere 16 Patienten, die zur Behandlung einer koronaren Herzerkrankung 100 mg Acetylsalicylsäure (ASS) pro Tag erhielten, wurden als Vergleichsgruppe herangezogen.
Nach 28 Behandlungstagen wurde die Thrombozytenaggregation nach Stimulation mit Arachidonsäure (500 mg/ml) bestimmt. In der Placebogruppe aggregierten 78 Prozent der Thrombozyten, in der Weidenrindengruppe 61 Prozent, in der ASS-Gruppe 13 Prozent. Die Thrombozytenaggregation wurde durch ASS sehr stark gehemmt, durch Weidenrinde jedoch nur wenig. Ob diese geringe Hemmung der Thrombozytenaggregation durch Weidenrinde eine klinisch relevante Nebenwirkung darstellt und zu Wechselwirkungen mit Antikoagulantien oder Thrombozytenaggregationshemmern führen kann, lässt sich derzeit nicht abschließend beantworten, ist aber wenig wahrscheinlich. Ein Einsatz von Weidenrinde als »pflanzlicher Thrombozytenaggregationshemmer« ist hingegen eindeutig nicht möglich.
Wirksamkeit bei Rückenschmerzen
Beginnend mit der historischen Publikation von Stone (1) sind eine Reihe von anekdotischen Berichten über die analgetische und/oder antirheumatische Wirksamkeit von Weidenrinde erschienen, die jedoch die modernen wissenschaftlichen Anforderungen zum Wirksamkeitsnachweis von Arzneimitteln nicht erfüllen und die meist mit ungenügend charakterisierten Weidenrindenpräparaten durchgeführt wurden (19 - 21). Eine 1996 in Großbritannien veröffentlichte Studie benutzte zwar ein modernes klinisches Studiendesign, jedoch war das verwendete Kombinationspräparat ebenfalls ungenügend charakterisiert und zudem deutlich unterdosiert (22).
Die moderne Ära der klinischen Erforschung von Weidenrinde beginnt mit einer von Schaffner durchgeführten randomisierten, doppelblinden Pilotstudie, die Hinweise auf die analgetische Wirksamkeit eines hoch dosierten Weidenrindenpräparates bei Rückenschmerzen gab (23). Im Anschluss an diese Pilotstudie sind zur Wirksamkeit von Weidenrinde bei Rückenschmerzen bisher zwei randomisierte, kontrollierte Studien und eine Anwendungsbeobachtung veröffentlicht worden.
In einer randomisierten, Placebo-kontrollierten, doppelblinden klinischen Studie in Haifa, Israel, untersuchten Chrubasik et al. die Wirksamkeit eines standardisierten Weidenrindenextraktes bei Patienten mit akuten Exazerbationen chronischer Rückenschmerzen (24). 210 Patienten (je 70 pro Behandlungsgruppe) erhielten über vier Wochen entweder Placebo oder niedrig dosierten (entsprechend 120 mg Salicin pro Tag) beziehungsweise hoch dosierten Weidenrindenextrakt (entsprechend 240 mg Salicin pro Tag). Voraussetzung für die Aufnahme in die Studie war eine deutliche Schmerzintensität bei Studienbeginn (mindestens fünf Zentimeter auf einer zehn Zentimeter langen visuellen Analogskala). Bei ungenügender Schmerzlinderung während der Studie durfte zusätzlich Tramadol in Tagesdosen bis zu 400 mg eingenommen werden.
Hauptzielkriterium war der Anteil schmerzfreier Patienten in der vierten Behandlungswoche definiert als die Zahl der Patienten, die an mindestens fünf Tagen der letzten Behandlungswoche kein Tramadol einnahmen und dabei nach eigenen Angaben schmerzfrei waren. Weiterhin wurde die Zahl der Patienten, die zusätzlich Tramadol einnahmen, erfasst. Darüber hinaus wurde die Veränderung eines modifizierten Arhus-Rückenschmerz-Indexes eines validierten Fragebogens zur Erfassung von Rückenschmerzen bestimmt.
Es wurde eine deutliche, statistisch signifikante dosisabhängige Wirksamkeit des Weidenrindenextraktes in allen drei Zielkriterien berichtet. Das Hauptzielkriterium »Anteil schmerzfreier Patienten« ist zurzeit in der klinischen Forschung kein validiertes Messkriterium zur Erfassung des Therapieerfolgs bei Rückenschmerzen. Dieses kann für die wissenschaftliche Akzeptanz der Studie einen gewissen Nachteil darstellen.
Vergleich mit Rofecoxib
In einer nicht verblindeten, randomisierten, kontrollierten Studie verglichen Chrubasik et al. die Wirksamkeit eines standardisierten Weidenrindenextraktes mit dem COX-2-selektiven Inhibitor Rofecoxib (Vioxx®) bei akuten Exazerbationen chronischer Rückenschmerzen (25). 228 Patienten nahmen über vier Wochen täglich entweder standardisierten Weidenrindenextrakt entsprechend 240 mg Salicin (n = 114) oder Rofecoxib 12,5 mg (n = 114) ein. Hauptzielkriterium war die Veränderung des modifzierten Arhus-Indexes.
An den Patienten der Weidenrindengruppe war eine Verbesserung um 21 Prozent, an denen der Rofecoxib-Gruppe eine Verbesserung um 22 Prozent zu beobachten. Aus dem Fehlen eines statistisch signifikanten Unterschiedes zwischen den beiden Behandlungsgruppen folgerten die Autoren therapeutische Äquivalenz. Das Design und die statistische Auswertung der Studie entsprachen allerdings nicht den Anforderungen der Europäischen Zulassungsbehörde EMEA für Prüfungen auf Äquivalenz beziehungsweise auf »Non-Inferiority« (26).
Die Ergebnisse dieser Studie könnten außerdem durch das offene, nicht verblindete Design beeinflusst worden sein. Im Vergleich zu der oben beschriebenen placebokontrollierten Studie wurde zudem in dieser verumkontrollierten Studie kein Mindestschmerzwert gefordert. Entsprechend war die Schmerzintensität bei Studienbeginn nur halb so groß wie bei der vorhergehenden placebokontrollierten Studie, was das mögliche Auftreten signifikanter Unterschiede erschwerte. Der Vergleich der Wirkstärke von Weidenrinde mit Rofecoxib ist an sich sehr interessant. Schlüsse lassen sich aus diesen Studienergebnissen jedoch nur mit Einschränkungen ziehen.
Ebenfalls zur Indikation »akute Exazerbation chronischer Rückenschmerzen« wurde eine offene, nicht-randomisierte Anwendungsbeobachtung durchgeführt (27). Drei Behandlungsgruppen erhielten entweder Weidenrindenextrakt entsprechend 240 mg Salicin pro Tag (n = 112), Weidenrindenextrakt entsprechend 120 mg Salicin pro Tag (n = 115) oder eine »konventionelle Behandlung« ohne Weidenrinde, die verschiedene Therapiemöglichkeiten umfasste (n = 224). Die Patienten der »konventionellen Therapiegruppe« wurden von Orthopäden in ihrer Praxis rekrutiert, wohingegen die Patienten der Weidenrindengruppen von Hausärzten behandelt wurden. Ein- und Ausschlusskriterien, Behandlungsdauer (vier Wochen) und Zielkriterien waren analog denen in der oben beschriebenen randomisierten Doppelblindstudie. Die Patienten durften während der Studie nach Belieben weitere medikamentöse und nicht-medikamentöse Therapiemaßnahmen durchführen.
27 Prozent der Patienten der höher dosierten und 4 Prozent der Patienten der niedriger dosierten Weidenrindengruppe waren in der vierten Behandlungswoche ohne zusätzliche Therapiemaßnahmen schmerzfrei. In der »konventionellen Therapiegruppe« waren es 18 Prozent (Intention-to-Treat-Analyse, eigene Berechnung). Hauptziel dieser Anwendungsbeobachtung war der Vergleich von Therapiekosten. Die Ergebnisse hierzu sind in der Literatur kontrovers diskutiert worden (28, 29).
Klinische Wirksamkeit bei Arthrose
Von der degenerativen Gelenkerkrankung Arthrose sind sehr viele ältere Patienten betroffen. Sie stellt eine der am weitesten verbreiteten Erkrankungen überhaupt dar. Schmid untersuchte in einer randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudie die analgetische Wirksamkeit eines standardisierten Weidenrindenextraktes bei Patienten mit Hüft- und Kniegelenksarthrose (30). Je 39 stationär aufgenommene Patienten einer Rheumaklinik erhielten über 14 Tage entweder Weidenrindenextrakt entsprechend 240 mg Salicin pro Tag oder Placebo.
Als Messkriterium wurde der WOMAC (Western Ontario and McMaster Universities Osteoarthritis Index), ein international anerkannter und validierter Fragebogen mit insgesamt 24 visuellen Analogskalen (fünf Schmerzfragen, zwei Fragen zur Gelenksteifigkeit, 17 Fragen zur körperlichen Funktionsfähigkeit) eingesetzt. Hauptzielkriterium war die Veränderung der Schmerzdimension laut WOMAC. Die WOMAC-Teilscores zur Gelenksteifigkeit und zur körperlichen Funktionsfähigkeit wurden, ebenso wie die Gesamturteile von Arzt und Patient über den Therapieerfolg, als Nebenzielkriterien ausgewertet.
Am Ende der zweiwöchigen Behandlungsphase wurde in der Weidenrindengruppe eine Verringerung des WOMAC-Schmerzscores um 14 Prozent gegenüber dem Ausgangswert festgestellt. In der Placebogruppe war ein Anstieg um 2 Prozent zu verzeichnen. Der mittels Varianzanalyse geschätzte Unterschied in der Verringerung der WOMAC-Schmerzwerte zwischen den beiden Behandlungsgruppen betrug 6,5 mm (p = 0,047).
Im Gesamturteil der Patienten zeigte sich die Überlegenheit von Weidenrinde gegenüber Placebo in einem geschätzten Therapieunterschied von 1,66 cm auf einer 10 cm langen visuellen Analogskala (p = 0,0002). Die in dieser Studie belegte analgetische Wirksamkeit der Weidenrinde ist statistisch signifikant, allerdings ist der Therapieeffekt nicht sehr groß. Dieses mag auch durch die für Arthrose sehr kurze Therapiedauer von zwei Wochen zu erklären sein. Ungewöhnlich ist das Fehlen eines Placeboeffektes in der Kontrollgruppe, obwohl die Zuverlässigkeit der Verblindung durch eine Kontrollfrage bestätigt wurde. Um diese Ergebnisse zu überprüfen, wurde an der Universität Tübingen eine Folgestudie über eine längere Behandlungsdauer von sechs Wochen mit ambulanten Arthrose-Patienten initiiert. Als Medikation wurde neben Placebo und Weidenrinde (240 mg Salicin) auch Diclofenac (100 mg/Tag) in einer dritten Behandlungsgruppe untersucht. Ergebnisse werden im Laufe des Jahres erwartet.
Allergisches Potenzial
In den oben genannten klinischen Studien (24, 25, 27, 30) wurden insgesamt 520 Patienten mit Weidenrindenextrakt behandelt. Tabelle 2 zeigt die Anzahl der aufgetretenen Nebenwirkungen in den Weidenrinden- und Vergleichsgruppen, wie sie den Publikationen zu entnehmen sind. In allen Studien war die Zahl der Nebenwirkungen unter Weidenrinde geringer als unter der Vergleichstherapie. Die Zahl der dokumentierten Nebenwirkungen in Relation zur Zahl der Studienteilnehmer war bei der stationär durchgeführten Studie (30) erheblich höher als bei den ambulant durchgeführten Studien (24, 25, 27).
Tabelle 2: Anzahl der Nebenwirkungen unter Weidenrindenbehandlung und unter Vergleichstherapie
(in Klammern: Anzahl Patienten unter der jeweiligen Therapie)
Tabelle 3 zeigt das Auftreten von gastrointestinalen Reaktionen und von Hautreaktionen unter Weidenrinden- und unter Vergleichstherapie. Die Einnahme moderner Weidenrindenextraktpräparate scheint nicht mit einem erhöhten Risiko gastrointestinaler Nebenwirkungen verbunden zu sein. Hingegen zeichnet sich ein verstärktes Auftreten von Hautreaktionen unter Weidenrinde ab. Bei 10 von insgesamt 520 Patienten wurde das Auftreten einer Allergie in Zusammenhang mit der Einnahme von Weidenrindenextrakt gebracht. Bei sieben der zehn Patienten wurde die Studienmedikation abgesetzt, bei allen Patienten ging der Ausschlag vollständig zurück.
Tabelle 3: Anzahl der gastrointestinalen Reaktionen und der Hautreaktionen unter Weidenrinde und unter Vergleichstherapie
(in Klammern: Prozentsatz)
Vergleich mit Teufelskralle
Als therapeutische Alternativen zur Weidenrinde in der pflanzlichen Schmerz- und Rheumatherapie gelten Teufelskrallen-Wurzel und Brennnesselkraut. So hat die Kommission E des ehemaligen Bundesgesundheitsamtes den Einsatz von Teufelskrallen-Wurzel als unterstützende Therapie degenerativer Erkrankungen des Bewegungsapparates bei einer Dosierung entsprechend 4,5 g Droge pro Tag empfohlen. Inhaltsstoffe der Teufelskralle sind unter anderem Iridoidglykoside wie Harpagosid, Harpagid und Procumbid. Pharmakologische Ergebnisse aus In-vitro- und In-vivo-Untersuchungen zur Teufelskralle sind unterschiedlich und teilweise widersprüchlich. Als Wirkmechanismus wird unter anderem eine Hemmung der Leukotrienbiosynthese diskutiert (31).
Teufelskrallen-Wurzelextrakt bewirkt in vitro eine Hemmung der Gerinnungs-induzierten Thromboxan-Bildung und der Calciumionophor A23187-induzierten Cysteinyl-Leukotrien-Biosynthese (31). Diese beiden Effekte waren jedoch nach oraler Einnahme des Extraktes im Blut der Probanden nicht mehr nachweisbar (31). Dieses mag auf eine ungenügende Resorption der Wirkstoffe hindeuten. Für eine 50-prozentige Hemmung der Leukotrien- und Thromboxan-Biosynthese in vitro musste reines Harpagosid in einer Konzentration von etwa 40 mmol/l (= 20 mg/ml) eingesetzt werden (31). Nach oraler Einnahme des Extraktes (1800 mg) fanden sich im Serum der Probanden aber nur Konzentrationen von etwa 0,04 mmol/l (= 20 ng/ml) Harpagosid wieder, sprich: eine 1000-fach geringere Konzentration als für die Wirksamkeit erforderlich wäre (31). Es fehlen also noch genaue Kenntnisse zu den Wirkstoffen und Wirkmechanismen von Teufelskralle.
Bislang wurden sechs randomisierte, kontrollierte Studien zur Teufelskralle veröffentlicht. Die erste Studie (32) untersuchte als Hauptzielkriterium, ob durch Gabe von Teufelskralle der Bedarf an Schmerzmitteln (Tramadol) gesenkt werden konnte; hierbei ergab sich kein Unterschied zwischen Teufelskralle und Placebo. Zwei weitere Studien sind auf Grund methodischer Mängel nicht interpretierbar (33, 34); so prüften Leblan et al. nicht gegen Placebo, sondern gegen den Wirkstoff Diacerhein, dessen Wirksamkeit in der Rückenschmerztherapie international nicht anerkannt ist. Eine kürzlich veröffentlichte Pilotstudie (35) verglich Teufelskralle mit Rofecoxib und fand keinen signifikanten Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen. Zwei gut konzipierte placebokontrollierte Studien (36, 37) konnten eine analgetische Wirksamkeit von Teufelskralle belegen. Eine der Studien erlaubt einen Vergleich mit Weidenrinde und soll daher im Folgenden kurz vorgestellt werden.
So untersuchten Chrubasik et al. 1996/97 die Wirksamkeit von Teufelskrallen-Extrakt bei Patienten mit akuten Exazerbationen chronischer Rückenschmerzen (37). Diese Studie entspricht in ihrem Design und in den Einschlusskriterien weitgehend der ebenfalls von Chrubasik et al. in Haifa, Israel, durchgeführten, oben bereits genannten Studie mit einem Weidenrindenextrakt (24). 197 Patienten, die bei Studienbeginn einen Mindestschmerzwert größer als fünf Zentimeter auf einer zehn Zentimeter langen visuellen Analogskala aufwiesen, erhielten über vier Wochen täglich entweder 600 mg oder 1200 mg eines standardisierten Harpagophytum-procumbens-Extraktes entsprechend 50 mg beziehungsweise 100 mg Harpagosid beziehungsweise Placebo. Bei ungenügender Schmerzlinderung war die Einnahme von Tramadol (bis zu 400 mg pro Tag) als Rescuemedikation erlaubt.
Hauptzielkriterium war die Zahl derjenigen Patienten, die in der vierten Behandlungswoche mindestens fünf Tage schmerzfrei waren und kein Tramadol benötigten. Als Nebenzielkriterien wurden wiederum die Veränderung des modifizierten Arhus-Rückenschmerz-Indexes und die Tramadol-Einnahme erfasst.
Bei Studienende waren in der höher dosierten Teufelskrallen-Gruppe 15 Prozent der Patienten schmerzfrei, in der niedriger dosierten Gruppe waren es 9, in der Placebogruppe 5 Prozent; der Unterschied war mit einem p-Wert von 0,027 statistisch signifikant. In der Veränderung des Arhus-Indexes zeigte sich kein statistisch signifikanter Unterschied (p = 0,68). Im Tramadolverbrauch war ebenfalls kein statistisch signifikanter Unterschied zu Gunsten der Teufelskralle zu erkennen. Die unter Teufelskralle beobachteten Verbesserungen waren deutlich geringer als die von denselben Autoren zu einem späteren Zeitpunkt beschriebenen Effekte einer Weiderindentherapie . Abgesehen von leichten gastrointestinalen Beschwerden bei einigen Patienten war der Harpagophytum-Extrakt gut verträglich.
Brennnessel und Zitterpappel
Die Kommission E des ehemaligen Bundesgesundheitsamtes hat auch Brennnesselkraut zur unterstützenden Behandlung rheumatischer Beschwerden empfohlen. Publizierte Daten aus randomisierten klinischen Studien zur Wirksamkeit oraler Brennnesselzubereitungen bei rheumatischen Beschwerden liegen jedoch derzeit nicht vor.
Das recht bekannte Präparat Phytodolor® enthält einen wässrig-ethanolischen Frischpflanzenextrakt aus Zitterpappel (Populus tremula), Echtem Goldrutenkraut (Solidago virgaurea) und Eschenrinde (Fraxinus excelsior) in einer fixen Kombination von 3:1:1.
Zur Untersuchung der Wirksamkeit wurden einige randomisierte doppelblinde Studien gegen Placebo oder gegen Vergleichsmedikation durchgeführt. Eine Übersicht geben (38) und (39). Die Originaldaten sind jedoch nur von vier Studien vollständig publiziert (40 - 43). Auf Grund methodischer Mängel (unklare Einschlusskriterien, inhomogene Patientengruppen, einfach blinder Vergleich gegen sehr niedrig dosierte Standardmedikationen) weisen sie nur eine begrenzte Aussagekraft auf.
Synthetische COX-2-Hemmer
Mit der Entwicklung COX-2-selektiver Hemmstoffe schien hinsichtlich der Nebenwirkungen nichtsteroidaler Antirheumatika ein Durchbruch erzielt worden zu sein. Zumindest wurde dieser Eindruck bei der Einführung der neuen Präparate vermittelt. Besteht also überhaupt noch ein Bedarf an nebenwirkungsärmeren Schmerzmitteln?
Zwei große randomisierte klinische Studien mit jeweils circa 8000 Patienten untersuchten das Auftreten gastrointestinaler Nebenwirkungen unter Rofecoxib (Vioxx®) (44) und Celecoxib (Celebrex®) (45). Die Daten der Rofecoxib-Studie deuteten auf eine etwas bessere Magen-Darm-Verträglichkeit von Rofecoxib im Vergleich zu Naproxen hin. Allerdings traten schwere kardiovaskuläre Ereignisse einschließlich Herzinfarkt unter Rofecoxib häufiger auf als unter Naproxen.
Für Celecoxib wurden überraschend willkürlich nur die Daten der ersten sechs Monate veröffentlicht, obwohl die Patienten sechs bis 13 Monate behandelt wurden (46). Während die publizierten Daten weniger Ulzera und Ulkuskomplikationen unter Celecoxib im Vergleich zu Diclofenac und Ibuprofen aufzeigten , ließen die auf der FDA-Website veröffentlichten, vollständigen Studiendaten keinen signifikanten Vorteil von Celecoxib mehr erkennen (47, 48). Die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker folgerte angesichts der geschilderten Daten, dass „...das Sicherheitsprofil der COX-2-Inhibitoren bezüglich gastrointestinaler Nebenwirkungen gerade bei Risikopatienten erheblich geringer ist als angenommen“ (49).
Eine erst kürzlich veröffentlichte große retrospektive Kohortenstudie (50) ergab hingegen Hinweise auf eine bessere Magen-Darm-Verträglichkeit von Rofecoxib und Celecoxib im Vergleich zu nicht-selektiven nichtsteroidalen Antirheumatika, wobei unter Celecoxib deutlich weniger gastrointestinale Blutungen auftraten als unter Rofecoxib. Insgesamt wird deutlich, dass für eine abschließende Beurteilung der Sicherheit von COX-2-Hemmern noch weitere klinische Daten notwendig sind. Auch nach der Einführung der COX-2-Hemmer ist das Problem gastrointestinaler Nebenwirkungen keineswegs gelöst. Es besteht ein erheblicher Forschungsbedarf für verträglichere Schmerzmittel.
Fazit
In Anbetracht der unerwünschten Wirkungen synthetischer Schmerzmittel ist seitens der Patienten ein großes Interesse an pflanzlichen Alternativen gegeben. Weidenrindenextrakt weist eine analgetische Wirksamkeit auf, wie mehrere klinische Studien, die die Qualitätsanforderungen der Good Clinical Practice Richtlinie erfüllen, zeigen. Jedoch ist eine Bestätigung dieser Resultate durch weitere Studien, insbesondere auch ein direkter Vergleich mit der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit synthetischer nichtsteroidaler Antirheumatika wünschenswert. Ob Weidenrindenextrakt auch eine antiphlogistische Wirksamkeit aufweist, ist bisher klinisch nicht untersucht worden.
Moderne Weidenrindenextraktpräparate scheinen kaum Magentoxizität aufzuweisen und sind gut verträglich. Jedoch kann die Einnahme von Weidenrindenextrakt bei einem geringen Prozentsatz der Patienten zu allergischen Hautreaktionen führen. Hinsichtlich der Wirkmechanismen und der wirksamen Inhaltsstoffe besteht noch ein erheblicher Forschungsbedarf. Sicher ist, dass Salicylsäure allein die Wirksamkeit von Weidenrindenextrakt nicht erklären kann. Die Isolierung und Identifizierung der Inhaltsstoffe der altbekannten Weidenrinde geht möglicherweise mit der Entdeckung neuer pharmakologischer Wirkmechanismen einher und bietet somit interessante Perspektiven.
Literatur
Die Autoren
Claudia Biegert studierte Pharmazie an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Einen Teil des Praktischen Jahres absolvierte sie im Kreiskrankenhaus Heidenheim. 1997 erhielt sie die Approbation als Apothekerin. Seit März 1999 ist sie Doktorandin im Arbeitskreis von Professor Dr. Lutz Heide am Lehrstuhl für Pharmazeutische Biologie des Pharmazeutischen Institutes, Universität Tübingen. Im Frühjahr 1999 besuchte die Pharmazeutin an der McGill University, Montreal, Kurse mit den Schwerpunkten Epidemiologie und Biostatistik. Im Rahmen ihrer Dissertation im Fach Klinischer Pharmazie beschäftigt sie sich mit der Planung und Durchführung einer klinischen Studie, in der die Wirksamkeit und Verträglichkeit eines Weidenrindenextraktes im Vergleich zu Diclofenac und Placebo in der Behandlung von Hüft- und Kniegelenksarthrosen untersucht wird. Ihre Dissertation steht kurz vor dem Abschluss.
Lutz Heide studierte Pharmazie an der Universität Münster und wurde dort in der Pharmazeutischen Biologie bei Professor E. Leistner promoviert. Heide habilitierte anschließend mit einem Forschungsthema aus der pflanzlichen Biotechnologie an der Universität Bonn. Nach dreijähriger Tätigkeit an der Universität Freiburg übernahm er 1994 den Lehrstuhl für Pharmazeutische Biologie an der Universität Tübingen. Seine Forschungsinteressen umfassen bio- und gentechnologische Untersuchungen zur Herstellung von Antibiotika sowie klinische Studien zu pflanzlichen Arzneimitteln. Heide wurde unter anderem mit dem Egon-Stahl-Preis der Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung, mit einem Heisenberg-Stipendium und mit dem Alfried-Krupp-Förderpreis für junge Hochschullehrer ausgezeichnet.
Irmela Wagner studierte Pharmazie in Tübingen und im Rahmen eines einjährigen Auslandsaufenthaltes in Seattle, Washington, USA. Einen Teil des Praktischen Jahres verbrachte sie in der Klinischen Forschung bei der Bayer Vital GmbH in Leverkusen. Seit Januar 2000 promoviert Wagner bei Professor Dr. Lutz Heide am Lehrstuhl für Pharmazeutische Biologie der Universität Tübingen. In Kursen in Rotterdam und Manchester erwarb die Pharmazeutin spezielle Kenntnisse in der Durchführung und statistischen Auswertung klinischer Studien. Wagner untersucht die klinische Wirksamkeit von Weidenrinde bei Patienten mit Rheumatoider Arthritis und führt ergänzende pharmakologische Untersuchungen durch. Sie wird ihre Dissertation in diesem Sommer abschließen.
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Professor Dr. Lutz Heide
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Pharmazeutische Biologie
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