Schmerzliches Treiben im Ohr |
21.03.2005 00:00 Uhr |
Bist Du eigentlich taub? In jeder Familie hallen diese Worte wohl mindestens einmal täglich durch die Zimmer. Manchmal sollten Eltern es allerdings verzeihen, wenn sie von ihren Sprösslingen einfach übergangen werden. Ein Erguss hinter dem Trommelfell während oder nach einer akuten Otitis media steht dem Schall im Weg.
In der nasskalten Jahreszeit quellen die Wartezimmer der Pädiater schier über. Besonders die Mittelohrentzündungen treiben besorgte Eltern mit ihren Sprösslingen in die Arztpraxen, denn die Qual im Ohr zählt zu den häufigsten Erkrankungen im Kleinkindalter. Bis zum Ende des ersten Lebensjahres haben mehr als 60 Prozent aller Kinder wenigstens einmal eine akute Mittelohrentzündung durchgemacht; bis zum Ende des dritten Lebensjahres sind es mehr als 90 Prozent. 10.000 Trommelfelle spiegelt ein Pädiater durchschnittlich hier zu Lande pro Jahr (2).
Während kaum ein Kind zwischen einem und sechs Jahren verschont bleibt, trifft es Erwachsene nur selten. Grund sind die unzureichende Reife der kindlichen humoralen Infektabwehr, aber auch die speziellen anatomischen Verhältnisse bei den kleinen Patienten. Denn hier ist die Eustachische Röhre oder Ohrtrompete, die das Hörorgan mit dem Nasen-Rachen-Raum verbindet und für Belüftung sorgt, noch kurz und eng ein Leichtes für Krankheitserreger, sie zu überwinden. Wenn die Tube auch noch zuschwillt und sich Sekret und Eiter hinter dem Trommelfell stauen, können sich aggressive Erreger ungebremst vermehren (14, 16).
Die akute Entzündung, die sich auf einem Raum von 15x10x6 mm abspielt, bietet ein vielfältiges Krankheitsbild (2). Dieses beginnt meist als virale Rhinitis, Nasopharyngitis oder Sinusitis, die dann auf die Schleimhaut im Mittelohr übergreift. Oft gesellen sich nach zwei bis drei Tagen ohrpathogene Bakterien hinzu, die sich zahlreich im Nasen-Rachen-Raum tummeln. Weil die Viren die Mucosabarriere schädigen und so den Bakterien die Adhäsion erleichtern, haben die Mikroben ein leichtes Spiel (15).
Breites Erregerspektrum
Das Erregerspektrum ist bei Kindern und Erwachsenen weitgehend identisch. Der häufigste Keim ist Streptococcus pneumoniae. Daneben treiben auch Hämophilus influenzae, Streptococcus pyogenes, Moraxella catarrhalis und Staphylococcus aureus ihr Unwesen im Hörorgan. Escherichia coli und Pseudomonas aeruginosa sind insbesondere bei Neugeborenen, immundefizienten Kindern und Erwachsenen aktiv. Bei den Viren haben Respiratory-syncytial-(RS)-, Parainfluenza-, Adeno- und Enteroviren die Nase vorn. Manchmal kommt es zur akuten Mittelohrentzündung im Zuge einer echten Virusgrippe, seltener bei Windpocken, Scharlach oder Masern. Daneben können vereinzelt auch allergische Reaktionen das entzündliche Geschehen im Mittelohr auslösen. Eine Tubendysfunktion macht Betroffene ebenfalls anfällig und prädestiniert besonders für einen wiederkehrenden Verlauf (2, 3, 15).
Extrem selten kommt es zu einer akuten Otitis media, weil sich Kinder beim Spielen einen spitzen Gegenstand ins Ohr rammen, der das Trommelfell durchbohrt. Sollte es dennoch passieren, bahnen sich schädliche Keime rasch ihren Weg ins Mittelohr.
Bei wuchernden Rachenmandeln ereignen sich häufig chronische oder rezidivierende Otitiden oder ein Paukenerguss ohne Entzündungszeichen. Fachleute sprechen von einem Serotympanon (16). Andere prädisponierende Faktoren für chronische oder rezidivierende Erkrankungen im Ohr sind Ziliendysfunktion, immunologische Krankheiten, Atopie und Mukoviszidose. Einem laufenden Ohr (chronische sekretorische Otitis) liegen meist Infektionen mit Pseudomonas aeruginosa zu Grunde (10). Auch ein pathologischer Reflux kann eine rezidivierende Mittelohrentzündung oder einen Paukenerguss unterhalten. Gerade bei Säuglingen, die viel auf dem Rücken liegen, fließt der saure Magensaft leicht über die Eustachische Röhre ins Mittelohr. Dort greift er die Schleimhaut an und macht sie empfänglich für Bakterien. Allerdings ist die Datenlage hierzu eher unsicher (8). Hinter therapieresistenten Ohrenschmerzen ohne manifeste Entzündungszeichen kann sich beim Erwachsenen schlimmstenfalls ein Nasopharynxkarzinom verbergen.
Aus medizinischer Sicht gelten besonders Knaben, die in Ballungsräumen mit hoher Luftverschmutzung oder in großen Familien mit häufig grassierenden Infekten aufwachsen, die von Anfang an die Flasche bekommen oder allergisch veranlagt sind, die schon frühzeitig Atemwegsinfekte erleiden oder sehr jung eine Kindertagesstätte besuchen, als besonders gefährdet (2).
Wenn Eltern ihre Kinder innerhalb der ersten drei Lebensjahre vermehrt dem blauen Dunst aussetzen, schnellt das Risiko besonders für chronische Beschwerden im Ohr hoch. So ergab eine Fall-Kontroll-Studie an 1320 Erstklässlern, von denen 625 bei rauchenden Eltern lebten, dass sich die Inzidenz für eine Otitis media durch regelmäßiges Passivrauchen fast verdoppelte (7).
Gebeutelt durch den Tag
Eine akute Mittelohrentzündung beginnt meist sehr plötzlich. Starke pochende Ohrenschmerzen wecken das Kind jäh aus dem Schlaf. Es wirft den Kopf hin und her und fasst sich ständig an das schmerzende Ohr oder dreht den Kopf konsequent weg. Beantworten die kleinen Patienten einen harmlosen Druck gegen die Ohrmuschel mit einem heftigen Aufschrei, wissen Eltern und Mediziner, dass hier eine Entzündung mit im Spiel ist. Säuglinge und sehr kleine Kinder verhalten sich extrem unruhig, schreien viel und durchdringend, trinken schlecht und wollen nichts essen. Manchmal gesellen sich Durchfall und Fieber, aber auch Kopfschmerzen hinzu.
Auf Grund der unspezifischen Symptomatik übersieht man bei den ganz Kleinen schnell, wenn sich die Schleimhaut im Mittelohr entzündet hat. Erst wenn das Trommelfell platzt und gelbliches Sekret ausströmt, wird klar, was den Winzling plagt. Erfahrungsgemäß sind die Symptome bei Kindern über vier Jahren weniger schlimm ausgeprägt. So steigt bei ihnen die Temperatur bei einer Otitis media kaum.
Fieber und Schmerzen lassen innerhalb von zwei bis vier Tagen nach. Bei acht von zehn Kindern deutet nach einer bis zwei Wochen nichts mehr darauf hin, wie sehr das Kind leiden musste. Bis der Erguss hinter dem Trommelfell abfließt, bleibt für einige Wochen das Hörvermögen eingeschränkt.
Experten raten Eltern dringend, ein Kind bei Verdacht auf eine akute Mittelohrentzündung umgehend einem Pädiater vorzustellen und keine Selbstmedikation zu versuchen. Um eine korrekte Therapie einzuleiten, sollte der Fachmann den Schmerzen im Ohr auf den Grund gehen. Besonders während der ersten Lebensjahre können sie auch auf eine Otitis externa, eine Entzündung der Gehörgangshaut oder der Parotis und nicht zuletzt auf den Durchbruch der Milchzähne hindeuten. Manchmal steckt ein harmloser Erguss ohne Entzündung hinter dem Druck im Mittelohr. Bei Komplikationen, Begleiterkrankungen wie Fieberkrämpfen oder rezidivierenden Mittelohrentzündungen sollten Eltern einen Hals-Nasen-Ohrenarzt konsultieren.
Aufschlussreicher Blick ins Ohr
Inspiziert der Mediziner mittels Otoskop das Hörorgan seines kleinen Patienten, erkennt er im Rahmen einer akuten Otitis media zunächst ein hochrotes Trommelfell, denn durch die Entzündung schwillt der Blutstrom in den Gefäßen der sensiblen Membran stark an. Der Lichtreflex erscheint matt oder fehlt ganz. Wölbt sich das Trommelfell vor und ist ein trüber eitriger Erguss zu sehen, kann man davon ausgehen, dass Bakterien die Oberhand gewonnen haben. Zieht sich das hochrote Trommelfell dagegen zurück, deutet der Befund eher auf einen viralen Infekt hin. Dennoch lässt sich besonders zu Beginn der Erkrankung kaum zwischen einem viralen oder bakteriellen Verlauf unterscheiden.
Anatomischer Aufbau des Ohres: Über die Eustachische Röhre (Tuba auditiva, 16) gelangen Keime vom Nasen-Rachen-Raum (Nasopharynx, 11) in die Paukenhöhle (18). Der Sekretstau drückt auf das Trommelfell (Membrana tympani, 3), das sich in den äußeren Gehörgang (2) wölbt.
Grafik: Thomas Beck, Rostock
Um die tatsächlichen Erreger zu identifizieren, benötigt der Arzt eine Probe des Sekrets, das er mittels Trommelfellpunktion gewinnt oder das nach einer Spontanperforation austritt. Besonders bei einem therapieresistenten Verlauf oder bei Komplikationen lohnt es sich, das Erregerspektrum zu inspizieren. Bei Chronifizierung empfiehlt sich ebenfalls ein Antibiogramm, denn hier ist Pseudomonas aeruginosa häufig am Werk.
Eine Otitis media ist eine ernst zu nehmende Erkrankung und erfordert eine differenzierteTherapie, um schwere Komplikationen und Spätschäden zu vermeiden. So kann die Infektion in eine gefährliche Mastoiditis, eine Sinusthrombose oder ein Cholesteatom (chronische Entzündung von Gehörgangs- und Trommelfellepithel) münden, sich aber auch als chronische Otitis media manifestieren. Gefürchtet sind heute seltene schwere Folgeerkrankungen im Gehirn, zum Beispiel extra- oder subduraler Abszess, Meningitis, fokale Enzephalitis oder Hirnabszess bis hin zum Hydrozephalus.
Auf Grund von Schallleitungsstörungen durch einen manifesten Erguss im Mittelohr hören viele Betroffene schlecht. Dauert diese Störung mehrere Monate an, kann sie die geistige Entwicklung des Kindes beeinträchtigen. Zieht die Entzündung Strukturen im Innenohr in Mitleidenschaft, können Hörnerv oder Gehörknöchelchen Schaden nehmen und sich dadurch ein bleibender Hörschaden entwickeln. Eine Spontanperforation des Trommelfells ereignet sich normalerweise erst, wenn die Entzündung schon länger anhält, seltener am Anfang einer Episode (2).
Diskussion um frühe Antibiose
Die Erreger so rasch wie möglich zu eradizieren, die quälenden Symptome zu beherrschen und schlimme Komplikationen zu verhindern, gelten als oberste Behandlungsziele. Während es 40 Jahre lang außer Frage stand, Antibiotika als Routinemedikamente gegen eine Otitis media anzuwenden, setzt heute ein Umdenken ein. Unter Fachleuten ist umstritten, wann antibakterielle Medikamente idealerweise eingesetzt werden sollten.
Experten, die sich für einen sehr frühzeitigen Einsatz aussprechen, wollen das Risiko für gefährliche Komplikationen im Keim ersticken. Es sei nie sicher, ob es bei einer einfachen Mittelohrentzündung bleibt. Selbst bei einem glücklichen Spontanverlauf könnten sich im Rahmen einer bakteriellen Genese unbemerkt eine Mastoiditis, Enzephalitis oder ein Hirnabszess ausprägen. Die Verfechter einer raschen Antibiose warnen daher davor, insbesondere bei Kindern unter zwei Jahren zu lange abzuwarten.
Nach der evidenzbasierten Leitlinie der Universität Witten/Herdecke und mehreren Metaanalysen aus den USA ist eine frühzeitige Antibiose jedoch kaum vertretbar (1). So konnten Studien den Nutzen von Antibiotika nicht eindeutig belegen. Ganz im Gegenteil existiere eine Number needed to treat von 17, das heißt, 16 kleine Patienten schlucken das Antibiotikum umsonst und nur ein einziges Kind profitiert, weil sich seine Leidenszeit um zwei Tage verkürzt ein eher schwacher Nutzen. Gleichzeitig geben Autoren (1, 10) eine Number needed to harm von ebenfalls 17 an. Das bedeutet, dass ein Kind von 17 mit Nebenwirkungen wie Exanthemen, Erbrechen und Übelkeit rechnen muss.
Die hohe Selbstheilungsquote innerhalb von zwei bis vierzehn Tagen bei annähernd 80 Prozent der Patienten (11), insbesondere bei Kindern über zwei Jahren, stellt den Nutzen einer unbedingten Antibiose bei einer akuten Otitis media weiter infrage. Wissenschaftlich ist nicht belegt, dass diese Arzneien Komplikationen verhindern. So kommen schwere Verläufe mit oder ohne Antibiotika vor.
Eine prospektive offene Parallelgruppenstudie verglich bei niedergelassenen Pädiatern und HNO-Ärzten die Wirksamkeit und Verträglichkeit einer primär naturheilkundlichen Therapie mit einem Homöopathikum (Otovowen®) mit einer konventionellen, frühzeitigen Antibiose. Während die Verträglichkeit der naturheilkundlichen Behandlung signifikant besser bewertet wurde, blieben überzeugende Vorteile bei der konventionellen Therapie aus (4).
Die Qual der Wahl
Weil eine große Metaanalyse nach Ablauf von sieben bis vierzehn Tagen keinen eindeutigen Vorteil für einzelne Antibiotika herausarbeiten konnte, existieren in den evidenzbasierten Leitlinien keine Empfehlungen für einen bestimmten Wirkstoff (11). Vielmehr sollte sich die Wahl des Präparates im Wesentlichen darauf stützen, welche Erreger hauptsächlich vorliegen und ob sich bereits lokale Resistenzen entwickeln.
Je nach Allgemein- und Trommelfellbefund kann sich der Arzt nach dem Motto »watchful waiting« 36 bis 48 Stunden lang gedulden auch bei Kindern unter zwei Jahren. Bislang gibt es keine Evidenz dafür, dass es sich bei den ganz Kleinen negativ auswirkt, wenn der Arzt nicht sofort ein Antibiotikum verordnet. Allerdings sollte er diese Patienten besonders engmaschig kontrollieren (11). Während dieser Phase, aber auch begleitend zur Antibiose ist es sinnvoll, die Schmerzen mit Paracetamol oder Ibuprofen zu lindern. Auch abschwellende Nasentropfen entlasten, weil sie die Belüftung im Ohr verbessern.
Entscheidet sich der Arzt für eine kausale Therapie, empfiehlt es sich, bei großen und kleinen Patienten zunächst mit Amoxicillin zu beginnen. Bei Erregern mit erhöhter Betalactamase-Aktivität wie Hämophilus, Streptococcus pneumoniae oder Moraxella muss man mit Clavulansäure kombinieren. Bei Penicillin-Allergie weicht der Arzt meist auf Makrolide aus. Oral-Cephalosporine leisten vor allem als Reservemedikamente gute Dienste.
Dass bei guter Compliance und positivem Verlauf eine zehntägige Antibiose nötig ist, stellen Experten heute infrage. Vielmehr sollte die Medikation je nach Erreger fünf bis maximal sieben Tage dauern. Drei bis vier Wochen später schließt sich eine Nachsorge inklusive Hörtest an. Topische Antibiotika in Ohrentropfen bewerten Experten eher kritisch (16).
Seit kurzem ist für Kinder ab 15 kg neben der Drei-Tage-Behandlung mit Azithromycin die Einmalgabe von 30 mg/kg Körpergewicht zugelassen. Wegen Resistenzproblemen (1) sollte der Arzt das Kurzzeitantibiotikum nicht leichtfertig einsetzen. Versagt die orale Therapie oder bei massiven Complianceproblemen hat sich eine intramuskuläre Kurzzeitbehandlung bewährt, die über ein bis drei Tage einmal täglich Ceftriaxon 50 mg/kg vorsieht.
Sanfte Wege zur Heilung
Zahlreiche Pädiater setzen auf Homöopathie, um einer akuten Otitis media auf sanftem Weg die Stirn zu bieten. Gerade Kinder sprechen im Allgemeinen gut darauf an. Eine Standardmedikation existiert nicht; vielmehr spielen Modalitäten und Auslöser eine wichtige Rolle. In der Regel erhalten die kleinen Patienten die Mittel als Globuli. Dosierung und Behandlungsdauer orientieren sich am Krankheitsbild, ebenso die Häufigkeit der Einnahme. Achtung: Das homöopathische Mittel nicht direkt nach dem Essen anbieten (1, 17). Im Akutstadium bekommt der kranke Sprössling in der Regel fünf Globuli einer Niedrigpotenz alle zwei Stunden, später dreimal am Tag.
Homöopathie bei akuter Mittelohrentzündung; in der Regel mit Globuli oder Tabletten (1, 17)
Symptome, ModalitätHomöopathische BehandlungErstmedikation plötzliche, stechende Ohrenschmerzen und hohes Fieber Aconitum D6 plötzliche, heftig klopfende Ohrenschmerzen, Gesicht und Ohr hochrot Belladonna D6 Folgemedikation Schmerzen, die in Art, Intensität und Sitz wechseln Pulsatilla D2 sehr starke Schmerzen Capsicum D6 brennende, stechende Schmerzen, die durch Kälte besser werden Apis D6 geringes Fieber, leichte Ohrenschmerzen Ferrum phosphoricum D6 Otitis media nach Schwimmbadbesuch, als Folge von Zugluft oder Durchnässung Dulcamara D6 Ohrenschmerzen bei der Zahnung Chamomilla D6
Die fixe Kombination der Urtinkturen aus Echinacea, Sambucus nigra, Sanguinaria canadensis und Chamomilla stimuliert das Immunsystem und soll analgetisch, entzündungshemmend und schleimlösend wirken (Beispiel Otovowen®). Die moderne Taktik des vorsichtigen Abwartens gibt auch der phytotherapeutischen Behandlung neuen Aufwind. Ohrenschmerzen bei verlegter Nasenatmung in Kombination mit vermindertem Hörvermögen, Druckgefühl und Knacken im Ohr sprechen oft gut auf die Kombination aus Eisenkraut, Enzianwurzel, Gartensauerampferkraut, Holunderblüten und Schlüsselblumenblüten an (Beispiel Sinupret®) (12).
Als Hausmittel kann ein warmes Zwiebelpäckchen auf dem Ohr Linderung verschaffen (13). Vermutlich tut in erster Linie die feuchte Applikation von Wärme wohl. Außerdem schreiben Fachleute dem Allicin eine antibakterielle Wirkung zu. Manchmal kommt Rotlicht gegen die Schmerzen an. Manche legen auch einen Alkoholwickel oder eine Wärmflasche aufs Ohr oder probieren mit einem Kopfdampfbad, gegebenenfalls mit Zusatz von Emser Salz oder Kamille, die Begleitrhinitis zu beherrschen (1).
Operation nur selten nötig
Vor der Einführung der Antibiotika war das Durchstechen des Trommelfells (Parazentese) das Mittel der Wahl, um die infizierte oder eitrige Mittelohrflüssigkeit mechanisch zu entleeren und dadurch die Beschwerden zu lindern. Heute hat das Verfahren nur noch bei einem Dauererguss Bedeutung oder wenn sich die Otitis rapide verschlechtert.
Bei Anzeichen schlimmer Ventilationsstörungen, beispielsweise weil sich die Rachenmandeln enorm vergrößern oder die Schleimhaut wegen rezidivierender Infekte ständig zuschwillt und die Eustachische Röhre das Mittelohr nicht mehr ausreichend belüftet, kann der Mediziner ein Paukenröhrchen ins Trommelfell einsetzen. Wuchern die Rachenmandeln zu arg, wird der HNO-Arzt sie operativ entfernen (Adenotomie).
Vorbeugung umstritten
Ob man einer Mittelohrentzündung vorbeugen kann, diskutieren Experten kontrovers. So gibt es Studien, die unterstreichen, dass die Ernährung mit Muttermilch während der ersten Lebensmonate Atemwegsinfektionen weitgehend fern hält; wissenschaftlich griffige Beweise fehlen jedoch.
Finnische Forscher legten eine interessante Studie mit Xylitol vor. 857 Kindergartenkinder erhielten entweder Sirup, Lutschtabletten oder Kaugummi mit Saccharose oder Xylitol. Dabei ereigneten sich in der Xylitolgruppe signifikant weniger Mittelohrentzündungen als in der Saccharosegruppe. Im Experiment hemmen Oligosaccharide Anheftung und Wachstum von Pneumokokken und nicht typisierbaren Hämophilus-Erregern eine mögliche Erklärung für den positiven Effekt des Xylitols. Der Haken: Sehr kleinen Kindern mit einer hohen Prävalenz kommt der Zuckeraustauschstoff nicht zu Gute (2).
Eltern sollten Säuglingen einen Schnuller nur ganz gezielt, beispielsweise zum Schlafen, anbieten. Spätestens mit zwei Jahren sollten die Kleinen jedoch ohne ihn auskommen. Studien haben bewiesen, dass das ständige Nuckeln am Schnuller die Prävalenz für das Leiden im Ohr maßgeblich steigert.
Seit der generellen Einführung der Pneumokokkenimpfung für Kleinkinder in den USA füllen weniger Otitis-media-Patienten die Arztpraxen. Einer Studie zufolge haben die Ergebnisse die Erwartungen sogar übertroffen. So sank die Rate der Arztbesuche wegen einer Otitis media in Tennessee um 118 pro 1000 Kinder, in New York um 430 pro 1000 Kinder (5). Eine ältere finnische Studie mit 1662 Kindern gibt an, dass sich Mittelohrentzündungen jeglicher Genese unter einer heptavalenten Pneumokokken-Vakzine um sechs Prozent verminderten. Die Zahl der Erkrankungen, die gesichert auf das Konto von Pneumokokken ging, reduzierte sich sogar um 37 Prozent (9). Dennoch müssen weitere Untersuchungen den tatsächlichen Nutzen der Impfung noch bestätigen (6). Frühgeborene, die eine Immunisierung mit RSV-Immunglobulinen bekommen hatten, erkrankten später ebenfalls seltener an Mittelohrentzündungen (2).
Jede Mittelohrentzündung ist eine ernste Erkrankung, die Eltern und Ärzte nicht auf die leichte Schulter nehmen dürfen. Schlimmstenfalls folgen dem akuten Leiden schwere Komplikationen, gegebenenfalls mit irreversiblen Folgeschäden. Während Ärzte lange Zeit ohne Zögern ein Antibiotikum verordneten, vertrauen moderne Leitlinien auf die Spontanheilungskraft des Organismus und plädieren für den Weg des »watchfull waiting«. Auch Homöopathie, Phytotherapie und Hausmittel bekommen in der Akuttherapie neuen Aufwind. In jedem Fall fordert eine akute Otitis media enormes Fingerspitzengefühl vom behandelnden Arzt.
Literatur
Interview
Dr. med. Susanne Merget ist Fachäztin für Kinderheilkunde mit Zusatzausbildung Homöopathie und arbeitet als niedergelassene Kinderärztin in München.
PZ: Frau Dr. Merget, wie behandeln Sie eine akute Otitis media in Ihrer Praxis?
Merget: Zunächst empfehle ich, den Schmerz mit Paracetamol oder Ibuprofen zu bekämpfen und zusätzlich adrenerge Nasentropfen zu verwenden. Sie schwellen die Schleimhaut der Nase und der Eustachischen Röhre ab und entlasten das Trommelfell. Wenn die Luft wieder richtig zirkulieren kann, baut sich auch der Unterdruck in der Paukenhöhle ab. Äußern Eltern Bedenken gegenüber abschwellenden Nasentropfen, leidet das Kind unter Nasenbluten oder therapiere ich streng homöopathisch, kann man die Ventilation mit Kochsalzlösung oder Meersalz auf osmotischem Weg wiederherstellen.
PZ: Wann verabreichen Sie Antibiotika?
Merget: Eher selten. In praxi braucht nur etwa jedes fünfte Kind ein Antibiotikum; im Grunde nur dann, wenn sich erwiesenermaßen Bakterien hinter dem Trommelfell breit gemacht haben. Meist zieht sich die Infektion schon länger hin, Fieberzäpfchen senken die hohe Temperatur oft kaum und ich erkenne einen eindeutigen eitrigen Erguss hinter dem Trommelfell. Geht die Mittelohrentzündung allerdings auf eine klare bakterielle Ursache zurück, so bei einem gleichzeitigen Scharlach, verordne ich sofort ein Antibiotikum.
PZ: Was kann die Selbstmedikation leisten?
Merget: Abgesehen davon, dass ein Kind mit Verdacht auf eine Mittelohrentzündung prinzipiell in die Hand eines Pädiaters gehört, kann der Apotheker den Eltern zunächst Nasentropfen und ein Schmerzmittel mitgeben. Warnen möchte ich vor Ohrentropfen. Die Wirkstoffe dringen kaum bis ins Mittelohr vor, sondern bleiben im äußeren Gehörgang, wo höchstens der Schmalz aufquillt. Dann ist weder das Trommelfell noch eine Perforation erkennbar und eine Diagnose praktisch unmöglich.
PZ: Was halten Sie von Hausmitteln?
Merget: Es gibt die abenteuerlichsten Empfehlungen, beispielsweise Olivenöl oder Zitronensaft in den Gehörgang zu träufeln. Davor kann ich nur warnen. Auch hier besteht die Gefahr, dass Ohrenschmalz aufquillt und die Diagnostik behindert. Außerdem kann es immer sein, dass das Trommelfell bereits perforiert ist und Olivenöl und Zitronensaft ins Mittelohr fließen. Möglich sind Zwiebelwickel, eventuell zusammen mit ein paar Tropfen Lavendelöl. Das Öl beruhigt und neutralisiert den strengen Geruch der Zwiebel. Aber bitte nur für Kinder, die akzeptieren, dass man ihnen etwas Warmes auf das Ohr legt.
PZ: Wie sieht eine homöopathische Behandlung einer akuten Otitis media aus?
Merget: Meistens enthält bereits der Spontanbericht der Eltern wichtige Informationen zur Anamnese. Zunächst interessiert mich, ob das Leiden links oder rechts begann, ob Kälte oder Wärme Linderung bieten, ob es im Ohr anfallsweise sticht oder ein ständiger Schmerz quält, ob das Kind am Tag zuvor ohne Mütze Eislaufen war oder lange durch Pfützen watete. Ein weinerliches und anhängliches Kind behandle ich anders als einen Giftzwerg, der um sich schlägt und brüllt. Die häufigsten Akutmittel sind Belladonna, Apis, Chamomilla und Ferrum phosphoricum. Häufig spricht auch Pulsatilla an.
Die Autorin
Sabine Schellerer studierte in München Pharmazie und erhielt 1993 ihre Approbation. Von 1994 bis 2000 arbeitete sie am Institut für Rechtsmedizin der Universität München an ihrer Promotion und war während dieser Zeit auch in öffentlichen Apotheken tätig. Anschließend absolvierte sie eine Ausbildung zur Fachzeitschriftenredakteurin sowie Praktika in mehreren Verlagen. Seit Mittel 2002 ist Dr. Schellerer freiberuflich als Wissenschafts- und Medizinjournalistin tätig.
Anschrift der Verfasserin:
Dr. Sabine Schellerer
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