Fantasien in der Pipeline |
22.01.2001 00:00 Uhr |
Der kleine kakaobraune Küchentisch quillt über. Pat und Suzie McLaughlin aus Toledo/Ohio (USA) quälen sich durch Belege, Quittungen und Rechnungen. Sie müssen entscheiden, was ihnen ihre Gesundheit wert ist. Fett- und Schmerzkiller, Vitaminpräparate oder lebenswichtige Medikamente für den herzkranken Familienvater: Die McLaughlins sind Teil einer Gesellschaft, die Gesundheit konsumiert und der die Pharmaindustrie enorme Gewinne und fortwährendes Wachstum verdankt.
Auf der anderen Seite des Atlantiks könnte sich Donal Geaney in seinen Sessel zurücklehnen und seine brillanten Bilanzen betrachten. Das von ihm geführte irische Unternehmen Elan gehört zu den Durchstartern der Pharmabranche. Der Name ist Programm. In den vergangenen vier Jahren wuchs Elan um durchschnittlich knapp 50 Prozent. Bei einem Jahresumsatz von zuletzt 1,23 Milliarden US-Dollar betrug der Börsenwert des Dubliner Unternehmens zum Ende des Jahres 2000 trotz der Baisse an den Aktienmärkten mit gut 14 Milliarden Dollar das Zehnfache.
Gestartet in der Pharmatechnik, erkannte Firmenchef Geaney die Zeichen der Zeit und baute das Unternehmen um. Die Analysten waren und sind begeistert. Dem irischen Pharmahersteller traut man den Sprung nach ganz oben zu. Der Pharma-Analyst Jack Gorman erwartet bei Elan langfristig ein Wachstum weit über dem des Gesamtmarktes. In kürzester Zeit will das Biotech-Unternehmen drei Präparate auf den Markt bringen, und zwar für die Indikationen Schmerz, Migräne und Muskelschwund. Dank hoher Marktkapitalisierung sicherten sich die Iren per Übernahme der amerikanischen Dura Pharmaceuticals einen direkten Zugang zum US-Markt.
Das Elan-Management bastelt an einer langfristigen Strategie: Im Wachstumssegment Alzheimer haben die Dubliner eigenen Vorstellungen zufolge die Marktführerschaft im Visier. Und im Trio mit American Home Products (im Clinch um den Warner Lambert-Deal mit Pfizer unterlegen) und Pharmacia sollen aus Fantasien Fakten werden. Geaney: "Diese Firmen haben enorme Möglichkeiten bei Forschung und Entwicklung. Und wir haben das biotechnologische Know-how." Natürlich verliert der Newcomer am internationalen Pharmamarkt kein Wort über die wachsame Konkurrenz.
Wachsam ist zurzeit Manfred Schneider. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass sein Unternehmen, die Bayer AG, Leverkusen, nicht mit anderen in Verbindung gebracht wird. Und dabei könnte sich der Vorstandsvorsitzende ebenso entspannt zurücklehnen wie sein irischer Kollege und den Blick über das riesige Leverkusener Werk schweifen lassen. Doch Schneider weiß, dass er sich auf den brillanten Zahlen der vergangenen Monate und den Verheißungen für die Zukunft nicht ausruhen darf. Schließlich versprechen sich die Börsianer gerade von Pharma und Gesundheit in den kommenden Jahren enorme Zuwächse (Tabelle). Schneider, Bayer und andere werden an Erzeugung und Erfüllung von Angebot, Nachfrage und Fantasien gemessen. Die innovative Kraft der Gen- und Biotechnologie gibt das Tempo vor.
Entwicklung Welt-Pharmamarkt im Vergleich
(in Milliarden US-Dollar)19982002 Deutschland 19 21 Frankreich 18 21 Italien 11 14 Großbritannien 10 14 Spanien 6 9 Europa (Top 5) 64 79 USA 114 162 Japan 43 45 Brasilien 9 18
Quelle: IMS Health Inc.
Strategisch gefüllte und nach den Anforderungen des Marktes sortierte Arzneimittel-Pipelines bestimmen die unternehmerischen Planungen und damit den Pharmamarkt der kommenden Jahre. Nur mit der Fähigkeit zur realistischen Einschätzung der Marktentwicklung und der Umsatzmöglichkeiten eingeführter Präparate werden Pharmakonzerne in Zukunft Aktionäre und die mächtigen Fonds als Investoren gewinnen können.
So hat die Schering AG, Berlin, im November 2000 einen langfristigen Unternehmensplan veröffentlicht. Und damit die Konkurrenz unter Druck gesetzt. Die Zahlenspiele der Schering-Manager reichen bis ins Jahr 2007. Die strategischen Aktivitäten zur Füllung der Produkt-Pipeline des Pharmaherstellers werden von den Anlegern kräftig belohnt. In dem äußerst schwierigen Börsenjahr 2000, der Deutsche Aktien-Index DAX verlor zwischen dem 30. Dezember 1999 und dem 29. Dezember 2000 rund 7,5 Prozent, legte Schering kräftig zu. Mit 51,1 Prozent Wertsteigerung wurde die Aktie so positiv bewertet wie keine andere Aktie der 20 größten Pharmakonzerne. Bayer freute sich über eine Wertsteigerung seiner Aktie von rund 19 Prozent. Damit gehörten die beiden Pharmakonzerne zu den wichtigsten Stützen des DAX.
Um mehr als 150 Prozent legte sogar die im M-Dax der Frankfurter Wertpapierbörse notierte Altana-Aktie zu. Nach ersten Schätzungen verbuchte das Bad Homburger Unternehmen, bei dem die Quandt-Erbin Susanne Klatten über 50 Prozent des Aktienstammes hält, im vergangenen Jahr ein Umsatzplus von über 30 Prozent auf mehr als 1,9 Milliarden Euro.
Schneider rechnet für das Jahr 2001 mit einem erneut zweistelligen Wachstum. In einem Interview machte sich der Bayer-Chef dieser Tage keine Sorgen über eine mögliche Marktschwächung in den USA. Seine Begründung klingt einleuchtend: Die Chemiekonzerne, meist Mutterschiffe ihrer Pharma-Töchter, seien international und breit vertreten. Die Gefahr einer nationalen Delle in den Vereinigten Staaten sei nicht wirklich gefährlich. Und schließlich kalkuliert Bayer für das laufende Jahr mit einem stabilen Euro.
Wunschtraum Liberalisierung
In einem durch und durch regulierten System verdient die Industrie hier zu Lande zwar nicht schlecht. Doch träumen die Konzerne von einer Marktliberalisierung à la USA. Eine direkte Kundenansprache oder Werbung für einzelne Präparate ist in Deutschland, auch in anderen Ländern, nur begrenzt, bei verschreibungspflichtigen Präparaten gar nicht möglich. Aber natürlich suchen die Pharmakonzerne nach legalen Möglichkeiten der Produktdarstellung.
Auf dem Weg zum immer besser, aber auch komplexer informierten Patienten, sieht sich die Pharmaindustrie zukünftig direkt gefordert. Sie muss (und will) immer mehr erklären, informieren. Neben den Apothekern und Ärzten als den einzigen Ansprechpartnern in Arzneimittelfragen bilden sich neue Informationsquellen, zum Beispiel das Internet.
Die Industrie hat auch zukünftig ein elementares Interesse am Vertriebs- und Informationsweg Apotheke. Aber die Branche wird gleichwohl stets das Ziel haben, möglichst hohe Erträge und Umsätze zu generieren. Da wurden und werden auch andere Informations- und Vertriebswege ständig hinterfragt.
Wandel via Internet
Wie in der gesamten Gesundheitsbranche hat das Internet bereits in den vergangenen Jahren auch die Industrie erfasst. Das Netz wird bei der Abwicklung von B2B-Geschäften, also denen zwischen zwei Unternehmen (business to business), genutzt. Besonders in Deutschland, aber auch in vielen anderen europäischen Ländern ist das B2C-Geschäft (business to consumer), also die direkte Kundenansprache, staatlichen Vorgaben unterworfen und damit nur bedingt oder gar nicht möglich. Die Industrie baut darauf, das Internet in Zukunft immer stärker nicht nur als Informations-, sondern auch als Vermarktungsplattform einsetzen zu können. Sie setzt auf User, die im Netz auf die Suche nach Gesundheitsinformationen gehen. Als Beispiel hat die Branche dabei die durch und durch liberalisierten Vereinigten Staaten vor Augen.
Zu den über 30 Millionen Usern gehören auch die McLaughlins. In der öffentlichen Bibliothek nutzt Suzie PC und Internet, um sich Informationen über Behandlungsmethoden, Arzneimittel und deren Preise zu besorgen. Die Mittfünfzigerin ist zurzeit auf der Suche nach einer besseren Krankenversicherung. "Aber im Netz bestelle ich keine Arzneimittel. Das ist mir zu unsicher."
Konzentrationsprozess verlangsamt
1999 war ein Jahr der Fusionen. Die Pharmabranche stand im Mittelpunkt eines Konzentrationsprozesses. Doch der hat sich deutlich verlangsamt. In einem immer noch reichlich zersplitterten Markt ist zwar zuletzt immer wieder von Fusionen die Rede. So recht traut sich indes niemand. Das mag an der schwierigen und nicht immer durchschaubaren Börsensituation und damit auch an den schwer einzuschätzenden Werten der Unternehmen liegen.
Zudem haben die Großfusionen nicht sofort zum ökonomischen Erfolg der dabei entstandenen Unternehmen geführt. Die Probleme bei Novartis haben über Jahre hinweg deren Bilanz belastet, zu einem Vertrauensverlust bei den Anlegern geführt.
Dass es auch anders gehen kann, zeigt das deutsch-französische Fusionsbeispiel Aventis. Hervorgegangen aus der Fusion der Hoechst AG mit Rhône Poulenc und regiert von Jürgen Dormann, ist Aventis der Darling der Börsianer. Umsatz und Gewinn stimmen, Reibungsverluste aus der Fusion gibt es wenige. Dabei waren die Analysten zu Beginn der Zusammenführung mehr als skeptisch und sahen sich zunächst sogar bestätigt. Aber der Aktienkurs, der in nur zwölf Monaten um rund 50 Prozent zulegte, machte Pessimisten zu Optimisten.
Nach der Fusion zweier Unternehmen und der Nutzung der daraus resultierenden Synergien, macht Aventis eine erste Wandlung durch. Auf dem Weg zum reinen Pharmakonzern trennt sich Dormann wie seinerzeit als Chef der Hoechst AG - Schritt für Schritt von Altlasten, defizitären Unternehmensbereichen oder solchen mit vergleichsweise geringen Gewinnen. Das solide Wachstum der in Frankfurt am Main stationierten Pharmasektion machte Dormann den kurzfristigen Abschied vom so lange propagierten Life-Science-Konzept mehr als leicht. Und damit verlagerte sich die Macht des Unternehmens von Straßburg wieder ins Rhein-Main-Gebiet. Trotzdem unterstreicht der Aventis-Boss immer wieder die Globalität des Konzerns und dessen Sitz in Straßburg.
Dormann ist nicht der einzige, der von den Life Sciences zunächst nichts mehr wissen will. Denn auch die Schweizer Novartis hatte unlängst den Abschied vom Life-Science-Konzept bekannt gegeben. Daniel Vasella, der Vorstandschef des Konzerns, möchte sich wie Konkurrent Dormann auf die Pharmasparte konzentrieren. So wird Novartis in diesem Jahr gleich fünf neue Präparate, davon drei mit Blockbuster-Chancen, auf den Markt werfen.
Partnersuche
Viele Pharmakonzerne haben sich längst auf die Partnersuche in der Gen- und Biotechnologie begeben. Europäische, nationale und regionale Förderprogramme bieten den Start-ups die Chance zum schnellen und professionellen Markteinstieg. Und auf der Suche nach neuen Wirkstoffen, erfolgreichen Unternehmenskonzepten und Partnern wurden bereits einige fündig.
So werden beinahe täglich Allianzen zwischen Pharmakonzernen und Biotech-Unternehmen verkündet. Das Kapital und die Maschinerie eines großen Konzerns, kombiniert mit den Vorzügen kreativer Forscher und Entwickler sollen in Erträge umgemünzt werden. Bayer schloss in diesen Tagen eine Allianz mit dem US-Biotech-Unternehmen CuraGen über eine Zusammenarbeit bei der Indikation Stoffwechselkrankheiten und der Nutzung von Genomforschungs-Technologie. Vom zweiten Teil der Vereinbarung erhofft sich Bayer, Substanzen in frühen Entwicklungsphasen auf deren Erfolgsaussichten bewerten zu können. Wie wichtig dem renommierten Konzern solche Kooperationen sind, unterstreicht der Leiter des weltweiten Pharmageschäfts, Dr. David Ebsworth: "Bayer hat die besten Biotechnologie-Unternehmen der Welt als Partner, mit denen wir eine der produktivsten Forschungsplattformen der gesamten Pharmaindustrie aufbauen."
Trotz des insgesamt guten Auftritts gilt Bayer als Mischkonzern und damit die Pharmasparte als geeigneter Übernahmekandidat. Das belegt die trotz aller Dementis fortschreitende öffentliche Diskussion der vergangenen Wochen, und der auf Rekordniveau gestiegene Aktienkurs nach einer ersten Meldung, dass Roche Bayer übernehmen wolle.
Initiiert hatte das Leverkusener Management die mitunter wüsten Spekulationen durch die eigene Ankündigung, ausgerechnet mit Hilfe von Investmentbanken neue Strategien erörtern zu wollen. Denn Investmentbanken machen bekanntlich besonders gute Geschäfte bei Fusionen, deren Vorbereitung und Abwicklung. Neben der Deutschen Bank sollen die Spezialisten von Credit Suisse First Boston das Unternehmen auf Herz und Nieren prüfen. Auch wenn sich die Spekulation um eine feindliche Übernahme der Bayer AG durch den Roche-Konzern als verfrüht erwies, ist das Thema nicht erledigt. Insider rechnen damit, dass die Pharmasparte des Bayer-Konzerns bis Ende des Jahres den Besitzer wechselt.
Insgesamt ist die Stellung der deutschen Pharmaindustrie im weltweiten Vergleich eher bescheiden. So findet sich unter den zehn größten Unternehmen kein deutsches. Lediglich bei Aventis mischt die frühere Hoechst AG mit.
Das wirklich große Geld wird aus Sicht der Konzernlenker ohnehin nicht in Europa, auch nicht in Deutschland verdient. So beträgt der US-Anteil am weltweiten Pharmamarkt nach Angaben des Branchen-Researchers IMS Health satte 43 Prozent. Der europäische Anteil am Kuchen hingegen sinkt zusehends derzeit auf unter 30 Prozent.
In den USA können Anbieter wegen fehlender staatlicher Eingriffe ihre Preise selbst festlegen. Hier reagieren auch im Gesundheitsmarkt Angebot und Nachfrage. Die Margen sind enorm. Nicht nur bei den Umsätzen liegen die USA weltweit an der Spitze. Denn über die Hälfte der erlösten Gewinne fließen aus dem amerikanischen Markt in die Kassen der Unternehmen. Während im Jahr 2001 ein weltweites Wachstum von rund 10 Prozent prognostiziert wird, liegen die USA bei nochmals satten 16 Prozent, Deutschland bei unterproportionalen 4 Prozent Zuwachs.
Auf die Pipeline kommts an
Noch drei Monate, dann fällt der Patentschutz für das derzeit umsatzstärkste Medikament. Das Magen-Darm-Präparat Losec aus dem Fusionsgewächs AstraZeneca, das im Jahr 2000 dem Unternehmen erquickende 7 Milliarden Euro Umsatz beschert haben soll, muss ersetzt werden. Ein immer wiederkehrendes Problem, das viele Pharmaunternehmen umtreibt. Denn eine volle Entwicklungspipeline alleine macht längst keinen Blockbuster aus. Parallele Entwicklungen verschiedener Unternehmen, Probleme bei Markteinführung, Genehmigung und Marketing, staatliche Regulierungen und vieles mehr können statt der erwarteten Milliarden-Einnahmen zu Verlusten führen.
Die DG Bank AG, Frankfurt, sieht die in jedem europäischen Land unterschiedlichen staatlichen Eingriffe als Gründe für die nachlassende Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Pharmaindustrie. Der Arzneimittelmarkt dürfte nach Ansicht der Branchenkenner trotzdem um rund 7 bis 8 Prozent wachsen. Als Motor gelten hierbei die innovativen Arzneimittel, aber auch Generika und OTC-Produkte werden überdurchschnittliche Wachstumsraten erzielen. Bei letzteren werden die Marketingbudgets eine entscheidende Rolle spielen. Gerade die Generikahersteller freuen sich auf rosige Zeiten, da in den nächsten Jahren zahlreiche Originalpräparate ihr Patent verlieren.
Um drohende Umsatzeinbrüche abzufangen, kaufen kapitalstarke Unternehmen Pharmasparten oder ganze Konzerne mit ihrerseits gefüllten Pipelines oder bereits eingeführten Präparaten zu. Eine weitere, bereits beschriebene Tendenz verspricht durch Allianzen mit innovativen Biotech-Unternehmen Erfolg.
Marketing mit Problemen
Als äußerst schwierig gilt auch in den kommenden Jahren der Aufbau einer echten Marke. Die national geprägten Unterschiede im Gesundheitsmarkt machen auch die europaweite Einführung von Präparaten extrem schwierig. Im Vergleich zu Gütern des täglichen Bedarfs führt dies zu deutlich höheren Ausgaben für Vermarktung und Markteinführung. Zudem gibt es wenige echte Marken, die dem Konsumenten, dem Patienten, wirklich bekannt sind. Eine Marke par excellence ist Aspirin von Bayer. Unangefochten ist der Schmerzkiller aus dem Rheinland das bekannteste Arzneimittel der Welt. Und Bayer feilt fleißig am Ausbau von Image und Produktpalette.
Lediglich bei den so genannten Lifestyle-Medikamenten finden sich Präparate, die es mit Aspirin zumindest ansatz- und zeitweise aufnehmen könnten. Viagra gilt natürlich als Marke. Doch das Interesse der breiten Öffentlichkeit am Präparat gründet sich im wesentlichen auf die bis dato tabuisierte Indikation. Andere Lifestyle-Präparate wie Xenical oder Propecia haben es in Bezug auf die öffentliche Anerkennung ihres Namens als Marke deutlich schwerer. Die Pharmaindustrie wird sich in Zukunft, nicht zuletzt wegen des wachsenden Informationsbedürfnisses des Patienten, immer stärker mit der öffentlichen Penetrierung ihrer Produktnamen befassen.
Die Kosten beim Marketing sind im Vergleich zu den Aufwendungen für Forschung und Entwicklung (F&E) immer noch gering. Die Konzerne stecken Milliarden in ihre Entwicklungsabteilungen. Nur durch die Entwicklung und Einführung neuer Blockbuster stellen die Unternehmen sicher, dass dem Unternehmen und seinen Anteilseignern, den Aktionären, auch weiterhin Erträge zufließen. Die F&E-Aktitivitäten der Branche werden weiter ausgebaut. Fusionen haben daher oft das Ziel, gerade in diesem kostenintensiven Segment die Ausgaben durch die Nutzung von Synergien zu reduzieren. So forschen beim gerade neu entstandenen Glaxo SmithKline 15.000 Wissenschaftler. Durch die Fusion erhofft sich das neue Management bei gleicher Forschungsproduktivität eine Kostenersparnis von 2 Milliarden US-Dollar.
Aktien und Fonds
Die pharmazeutische Industrie hat gegenüber dem Gesamtmarkt, insbesondere im Vergleich mit anderen börsennotierten Unternehmen, einen gewaltigen Vorteil: Sie gilt als defensiv. Bei den immensen Kursverlusten der vergangenen Monate blieb die Pharmabranche weitgehend unbeschadet. Und solange die Märkte immer noch von anhaltender Unsicherheit geprägt sind, werden sich genau diese Werte vorteilhaft entwickeln.
Nach den reinigenden Gewittern der jüngsten Zeit werden auch die Biotech-Werte erneut anziehen. Die zunehmenden Kooperationen zwischen den traditionellen Pharmaherstellern und den Bio- und Gentechfirmen zeugt von der wachsenden Verpflechtung und könnte auf ein noch dynamischeres Wachstum hinweisen. Das gilt auch für die spezialisierten Fonds (Kasten).
Multinational bevorzugt Die Anlagepolitik des Fonds DWS Pharma-Aktien Typ O ist bezeichnend: Man investiert weltweit überwiegend in Pharmawerte, wobei große multinationale Unternehmen bevorzugt werden. Darüber hinaus setzten die Fondsmanager auf innovative Biotechnologiewerte. Bei der Wertentwicklung sind die Währungsschwankungen vom US-Dollar gegenüber dem Euro (insbesondere wegen der enormen Bedeutung des US-Marktes) sowie die Reformmaßnahmen im Gesundheitswesen von größerer Gewichtung.
Die Zukunft
Glaubt man Leo A. Nefiodow, dann stehen wir an der Startlinie zum nächsten, dem 6. Kondratieff. Der Wirtschaftswissenschaftler bezeichnet in seinen Theorien das Wirtschaftswachstum als zyklisch und von verschiedenen Einflüssen geprägt. Nach dem Zyklus der Informationstechnik, dem 5. Kondratieff, werden seinen Analysen folgend - im nächsten Zyklus die Gesundheit und die "soziale Wirtschaft" im Vordergrund stehen.
Nefiodow ist damit nur einer von vielen, die in der Gesundheitsbranche einen echten Wachstumsmotor sehen. Jenseits der Frage nach der Bezahlbarkeit und der Form des gewählten Systems, fördern medizinischer Fortschritt und die demografische Entwicklung die Vorstellungen der Analysten.
Der Pharmaindustrie kommt dabei eine der entscheidenden Rollen zu. Sie ist Garant für den Fortschritt, für die innovative Kraft. Gleichzeitig muss sie die Bedürfnisse der Erkrankten wie Gesunden erkennen und in spezifische Angebote wandeln. Andererseits kann sie auch durch neue Angebote beispielsweise Lifestyle-Präparate einen Nachfragedruck erzeugen. Ökonomisch betrachtet wird die Industrie gerade in Zeiten fortschreitender privater Finanzierung der Gesundheit zusehends die Fäden in der Hand halten. Sie erfüllt die Wünsche nach einer Befriedigung der Bedürfnisse Kranker, gleichzeitig erzeugt sie neue Bedürfnisse bei den Gesunden. Diese Zielgruppe ist heute noch ungleich größer als die demografisch wachsende Zielgruppe der Kranken. Die Industrie erläutert den Gesunden via Marketing schon heute, warum Glatzköpfigkeit ein Übel und dessen kostenpflichtige Behebung notwendig ist. Gleiches gilt für das Schlanksein, das Aussehen insgesamt, die Lust und für vieles mehr.
Der Wettbewerb zwischen den Pharmaunternehmen wird sich zuspitzen. Die Gen- und Informationstechnologien, das ausgeprägte Kostenbewusstsein sowie die von Aktionären und Fondsmanagern geschürten Erwartungen an hohe Erträge fordern fortwährende innovative Kraft. Externe Dienstleister in Vertrieb und Forschung sollen Kostenvorteile optimieren. Doch im Gegensatz zu den großen amerikanischen Konzernen bleiben die europäischen Unternehmen hintan. Der Wettbewerb der Innovationen wird jenseits des Atlantiks entschieden, trotz einer tendenziellen, aber noch weit entfernten Liberalisierung der Märkte in Europa.
Für das Ehepaar aus Toledo sind Wettbewerb und Liberalisierung längst Realität. Pat tippt die Beträge in den Taschenrechner. Erstatten wird ihm seine Krankenversicherung nur einen geringen Teil. Den Rest trägt er selbst. Zum Sparen oder für Aktien bleibt den McLaughlins vorerst nichts. Aber auch an ihrem Konsumverhalten werden Pat und Suzie nichts ändern. Schließlich hat die Gesundheit ihren Preis.
Der Autor
Thomas Bellartz ist seit 1998 Chef vom Dienst der Pharmazeutischen Zeitung und betreut die Sozial- und Wirtschaftspolitik. Seit 1986 arbeitete er für Print und Hörfunk, hospitierte in Deutschland, Großbritannien und den USA. Nach seinem Volontariat bei der Aachener Zeitung entwickelte Bellartz Zeitschriftenformate und betreute die Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen und Verbänden. Zudem unterrichtet er als Dozent angehende Journalisten in Frankfurt und Nürnberg.
Anschrift des Verfassers:
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