Der lange Weg zum Apothekerinnenberuf |
03.01.2000 00:00 Uhr |
FRAUEN IN DER PHARMAZIE
Drei Viertel der neu Approbierten sind Frauen. In der öffentlichen Apotheke arbeiten mittlerweile mehr Apothekerinnen als Apotheker und prägen so das Bild von der Apothekerschaft in der Öfentlichkeit. Dabei steht der Beruf den Frauen erst seit etwas mehr als hundert Jahren offen. Anlass genug, die Entwicklung des Apothekerberufs von der Männerdomäne zum Frauenberuf nachzuzeichnen, aber auch, die Hintergründe dieser Entwicklung zu beleuchten, die negativen Begleiterscheinungen eines "Frauenberufs" zu thematisieren und Perspektiven für die Zukunft aufzuzeigen.
Im Jahr 1899 wurden Frauen in Deutschland formal zum Pharmaziestudium zugelassen (1). Doch stellt dies keineswegs den Beginn ihrer pharmazeutischen Tätigkeit allgemein dar. Auch vorher waren Frauen vereinzelt als Apothekerinnen tätig. In Frauenklöstern lag die Apothekenführung ganz selbstverständlich in weiblicher Hand. Aber erst am Ende des 19. Jahrhunderts haben sich die Frauen den gleichberechtigten Zutritt zum Beruf erstritten.
Als am 24. April 1899 die Prüfungsordnung für Ärzte, Zahnärzte und Apotheker neu ausgelegt und den Frauen das Studium dieser Fächer als Gasthörerinnen ermöglicht wurde, war dies der Lohn für die unermüdliche Arbeit der Aktivistinnen der Frauenbewegung. Vorher war es Frauen nur im Ausnahmefall nach einem Antrag an das Ministerium möglich, den Status einer Gasthörerin zu erlangen. In mehreren Petitionen hatten Frauen wie Helene Lange oder Minna Cauer Bildungs- und Studienmöglichkeiten für Frauen gefordert (2). "Höhere" Schulbildung für Mädchen war im Deutschen Reich bis dahin nicht vorgesehen. Es gab private höhere Töchterschulen, deren Abschluss aber nicht zum Besuch der Universität berechtigte. Das wissenschaftliche Studium war eine Domäne der Männer. Um die Qualifikation für den Hochschulzugang zu erwerben, mussten viele Frauen den individuellen Weg über ein Lehrerinnenseminar und Privatunterricht wählen.
Für die angehenden Pharmaziestudentinnen war diese Qualifikation die entscheidende Hürde, die 1899 aus dem Weg geräumt wurde. Voraussetzung für die Zulassung zur Pharmazeutischen Prüfung an der Universität war bis dahin die Berechtigung zum "einjährig-freiwilligen" Militärdienst mit Hilfe eines Schulabschlusses, der den Männern das Privileg eines nur ein- statt dreijährigen Militärdienstes gestattete. Dieser war in seiner Logik ein Abschluss für Männer. In der Verordnung vom 24. April 1899 wurden als schulische Voraussetzungen jetzt auch gleichberechtigte Qualifikationen anerkannt. Damit war der Weg für Frauen zum Pharmaziestudium frei.
Jedoch mussten sie sich bei der Bewerbung zum Studium von jedem Professor die Erlaubnis holen, an seinen Lehrveranstaltungen teilnehmen zu dürfen. Als erster deutscher Staat gewährte Baden im Jahr 1900 die volle Immatrikulation. Mecklenburg war 1909 das letzte deutsche Land, das Frauen den Zugang zur Universität gestattete. Im europäischen Ausland verhielt man sich anders: Frauen wurden sehr viel früher an den Universitäten zugelassen. So wurde Zürich der bevorzugte Studienort der ersten deutschen Akademikerinnen (3).
Gegner und Befürworter des Frauenstudiums
Über die Frage, ob Frauen zum Studium der Pharmazie zugelassen werden sollten und ob sie sich für den Beruf eigneten, wurde innerhalb der Apothekerschaft jahrelang heftig gestritten (4). Besonders vehement wurden die "Frauen im Reiche Aeskulaps" von dem bedeutenden Pharmaziehistoriker Hermann Schelenz (1848 bis 1922) in seiner 1900 erschienenen gleichnamigen Streitschrift diskreditiert und abgelehnt. Er sah seine Zeitgenossinnen als von weiblichen Instinkten getriebene "Wesen". Diese Regungen machten sie in seinen Augen zur idealen Gattin und Mutter, mit der Ausübung eines Berufes, etwa dem der Ärztin oder Apothekerin, waren dieserlei Instinkte jedoch keinesfalls in Einklang zu bringen. Für ihn stand fest: "Es gibt nichts Widerwärtigeres, wie ein die gesteckten Grenzen überschreitendes Mannweib" (5). Darüber hinaus entwarf er das Schreckensbild der giftmordenden Apothekerin (6):
"Wie viel größer muß die Gefahr für das Weib werden, dem offiziell Macht über den Lethetrank gegeben wird, der Verderben und Tod bringt, wenn die Hand, die ihn ergreift, nicht unter der Herrschaft ruhig abwägenden Verstandes steht."
Diesen Verstand billigte er nur männlichen Apothekern zu und zählte unzählige Beispiele von angeblich frauentypischen Giftmorden auf. Daneben prophezeite er auch ein Heer von verzweifelten, weil beruflich völlig überforderten Selbstmörderinnen und war überzeugt, "daß sehr bald die Selbstmordziffer der Zukunfts-Pharmazeutinnen eine erschreckende Höhe erreichen wird"(7).
In der Auseinandersetzung überwogen schnell die Befürworter. Vor allem unter den ländlichen Apothekern mehrten sich die Stimmen, die den in strukturschwachen Gegenden problematischen Gehilfenmangel durch weibliches Personal beheben wollten und damit ganz eigennützige Interessen verfolgten. Manch einer konnte sich eine Frau in der Apotheke nur als Hilfskraft vorstellen. Wenn Partei für die Frauen ergriffen wurde, dann nicht im Sinne der Ausbildung besonderer weiblicher Apotheker, sondern der ausnahmsweisen Gestattung einer Unterstützung, nota bene nicht Vertretung gehilfenloser Landapotheker durch weibliche Familienmitglieder, ein recht gewaltiger Unterschied!"(8).
Die Befürworter des Frauen-Pharmaziestudiums stellten hingegen deren besondere Eignung für diesen Beruf heraus, so Marie Mellien 1896 unter dem Titel Die Frau als Apothekerin" (9):
"Der pharmazeutische Beruf ist ein echt weiblicher, nicht nur wie er in Urmütterzeiten in der Klosterzelle und im Burgfrieden ausgeübt wurde, sondern auch wie er am Rezeptiertisch und im Laboratorium der modernen Apotheke sich gestaltet. Es erfordert keine außergewöhnlichen Geistes- und Körperkräfte, kein überweibliches oder unweibliches Hinaustreten in die "Öffentlichkeit", keine besonders langwierige und kostspielige Lehrzeit; er kommt vielen echt weiblichen Instinkten und Anlagen entgegen, dem Sinn für das Kleine, Einzelne,- der Akkuratesse, Sauberkeit, Handgeschicklichkeit, der Geduld und Aufmerksamkeit, die so vielen Frauen eig[n]en. Er appelliert endlich in seinem Kern-- der helfenden Frau: ihr Mitleid, ihre liebreiche Dienstfertigkeit und Hilfsbereitschaft!"
Selbst Mediziner, die sich Frauen nicht als Ärztin vorstellen konnten, hielten sie für die Tätigkeit als Apothekerin geeignet, denn: "Frauen sind mehr an Reinlichkeit, Ordnung und Genauigkeit im Arbeiten gewöhnt als die Männer; ich halte sie für geeignet zum Dispensieren von Arzneien, während sie für größere Arbeiten in den pharmaceutischen Laboratorien, wozu chemische Kenntnisse gehören, wohl weniger geeignet sind" (10). Die Bandbreite der Vorstellungen über die zukünftigen Apothekerinnen reichten von ihrer völligen Ablehnung bis hin zu der Ansicht, sie seien sogar besser für den Apothekerberuf geeignet als ihre männlichen Kollegen.
Die ersten Pharmazeutinnen
Zwar wurden Frauen im Jahr 1899 formal zum Pharmaziestudium zugelassen, das bedeutet aber nicht, dass sie ihr Studium tatsächlich auch aufnehmen konnten. Denn im Gegensatz zu anderen Studienfächern musste für das Pharmaziestudium noch eine weitere Hürde überwunden werden: die Lehr- und Gehilfenzeit. Nach dem erforderlichen Schulabschluss - bis 1904 die Obersekundareife - und vor Beginn des Studiums mussten zuerst drei Lehrjahre absolviert werden, die bei Vorliegen des Abiturs auf zwei Jahre verkürzt werden konnten (11). Nach bestandener Gehilfenprüfung folgten drei weitere Jahre praktischer Tätigkeit in einer Apotheke. An diese fünf bis sechs Jahre harter körperlicher Arbeit schloss sich das eigentliche Studium von drei Semestern an. Frühestens im Jahr 1904 konnte also eine Frau das Pharmaziestudium beginnen. Im selben Jahr noch schrieb sich Magdalena Meub an der Technischen Hochschule Karlsruhe ein.
Die Lehr- und Gehilfenzeit bedeutete nicht nur eine zeitliche Hürde, sondern stellte die Frauen auch vor das Problem, einen Lehrapotheker zu finden, der bereit war, einen weiblichen Lehrling aufzunehmen. Außerdem war es für die jungen Mädchen wenig attraktiv, beispielsweise bei einem ledigen Landapotheker eine Lehre zu beginnen. Denn dies bedeutete, im Haus des Lehrherrn zu wohnen, von morgens bis abends inklusive der Wochenenden in der Apotheke zu arbeiten und höchstens zwei Nachmittage die Woche frei zu bekommen (12).
Der handwerkliche Charakter des Apothekerberufs ist sicher einer der Gründe dafür, dass das Pharmaziestudium bei den ersten studierwilligen Frauen nicht sonderlich beliebt war. So studierten im Sommersemester 1911 insgesamt etwa 2500 Frauen an deutschen Universitäten. Davon wählten etwa die Hälfte die Fächer Philologie und Geschichte, 20 Prozent die Medizin und ein beachtlich hoher Anteil von 15 Prozent Mathematik und Naturwissenschaften. Pharmazie wählten dagegen nur 0,3 Prozent der Studentinnen. Den acht studierenden Frauen standen 1012 männliche Pharmaziestudenten gegenüber; der Frauenanteil lag mit 0,8 Prozent unter dem durchschnittlichen Anteil von 3,6 Prozent in allen Studienfächern (13).
Viele angehende Pharmazeutinnen stammten aus Süddeutschland. Dies lag nicht nur an der hohen Toleranz der Eltern und Lehrherrn, sondern auch an dem Wunsch, den Töchtern die Mitarbeit oder gar Weiterführung des elterlichen Betriebs zu ermöglichen. Außerdem waren das Großherzogtum Baden und das Königreich Württemberg ohnehin Vorreiter bei der Neuordnung des Mädchenschulwesens. Ein Fünftel der Studentinnen waren Töchter von Apothekern. Für sie war die Suche nach einem Lehrherrn weniger schwierig (14).
Magdalena Meub (1881 bis 1966) war die erste Frau, die das Phamaziestudium erfolgreich abschloss. Sie hatte das Glück, in Baden zur Welt zu kommen. Hier wurde bereits 1893 in Karlsruhe das erste deutsche Mädchengymnasium eröffnet, wo sie 1899 die Reifeprüfung ablegte. Noch im selben Jahr, in dem den Frauen die Apothekerlaufbahn geöffnet wurde, trat sie die Lehrzeit an. Sie studierte von 1904 bis 1906 an der Technischen Hochschule Karlsruhe. Nach der Heirat mit Apotheker Adolf Neff leitete sie ab 1906 zusammen mit ihrem Mann eine Apotheke in Ehingen/Donau. Noch als Gehilfin gründete sie 1902 die Rundbriefaktion der angehenden Apothekerinnen, später "Bund deutscher Pharmazeutinnen" genannt. 1964 verlieh ihr die ABDA die Lesmüller-Medaille (15).
Im Jahr 1861 war Apothekern jüdischen Glaubens die Leitung einer Apotheke gestattet worden, und die Zahl der jüdischen Apotheker nahm zu. Paula Löwenberg (geboren 1895), Hertha Bukofzer (geboren 1899) und Eva Kobylinski (1905 bis 1987) gehörten zu den ersten jüdischen Apothekerinnen. Diesen dreien gelang zwar rechtzeitig die Flucht vor den Nationalsozialisten, sie konnten aber im Ausland ihren erlernten Beruf nicht weiter ausüben, sondern mussten sich teils völlig berufsfremde Erwerbsmöglichkeiten suchen (16).
Einige Frauen haben nach der Lehrzeit das Studium gar nicht aufgenommen, sondern als Gehilfin (1904 umbenannt in Vorexaminierte) gearbeitet. So zum Beispiel Johanna Krauß (geboren 1882), die selbst Apothekertochter war und später einen Apotheker heiratete (17). Die Berufstätigkeit als Vorexaminierte, der eigentlich nur ein Übergangsstatus und kein eigenständiger Beruf sein sollte, wurde von vielen Frauen ergriffen. Die Vorexaminierten wurden später zum Spielball arbeitsmarkt- und standespolitischer Interessen, da ihre Arbeitsmöglichkeiten als "Halbqualifizierte" je nach Lage begünstigt oder eingeschränkt wurden.
Der Bund deutscher Pharmazeutinnen
Die zahlreichen Hürden, die es zu überwinden galt, veranlassten die ersten studierwilligen Frauen, sich noch während der Lehr- und Gehilfinnenzeit zu einem Bündnis zusammenzuschließen. Im Jahr 1902 starteten Magdalena Meub und Sophie Wißmar eine Rundbriefaktion, der sich bis zum Jahresende noch weitere neun angehende Apothekerinnen anschlossen (18). Das "Apothekerinnenkränzchen", später "Bund deutscher Pharmazeutinnen", verstand sich als Vereinigung zur Pflege der persönlichen Beziehungen und Verteidigung der wirtschaftlichen Interessen seiner Mitglieder. Die Höhe des Gehaltes war ein großes Problem für die Kolleginnen. Viele Apothekenleiter sahen in ihnen billige Hilfskräfte und wollten sie nicht ihren Leistungen gemäß bezahlen. Die männlichen angestellten Apotheker fürchteten die Kolleginnen bei Stellenbesetzungen als kostengünstigere Konkurrenz.
Johanna Bauerle, geborene Krauß, die Vorsitzende des "Bundes deutscher Pharmazeutinnen", forderte 1911 in der Süddeutschen Apothekerzeitung (19):
"Es hat sich gezeigt, daß die Frauen in geistiger und körperlicher Beziehung dem Beruf vollauf gewachsen sind. In Anbetracht derselben Pflichten beziehen darum auch die weiblichen Angestellten dasselbe Gehalt wie die männlichen Fachgenossen."
Die im Bund zusammengeschlossenen Apothekerinnen verpflichteten sich, die Gehaltsforderungen ihrer männlichen Kollegen nicht zu unterbieten. Im Jahr 1915 war der Bund deutscher Pharmazeutinnen bereits auf 85 Mitglieder angewachsen, was immerhin zwei Drittel aller Apothekerinnen entsprach. Danach verlieren sich seine Spuren.
In den folgenden Jahren wuchs die Zahl der Apothekerinnen stetig. Die Zwitterstellung zwischen Handwerk und Wissenschaft, die anfangs ein Hemmnis für die Frauen war, machte die Pharmazie allmählich attraktiv. Zum einen gehörte die Pharmazie in der Universitätshierarchie nicht zu den prestigeträchtigen Studiengängen wie die "ehrwürdigen" Fächer Medizin oder Jura, so dass Frauen der Zugang weniger verwehrt wurde. Zum anderen konnte man als Vorexaminierte bereits Geld verdienen und sich das Studium finanzieren, was bei keiner anderen akademischen Berufslaufbahn gegeben war. Zudem wurde 1904 die Lehr- und Gehilfenzeit auf bis zu drei Jahre verkürzt, und das eigentliche Studium war mit vier Semestern verhältnismäßig kurz. Einige Frauen nahmen deshalb die Pharmazie als Zweitstudium auf, weil sie in ihrem ersten Beruf als Chemikerin oder Lehrerin keine Erwerbsmöglichkeiten fanden. 1932 war der Frauenanteil schon auf knapp dreißig Prozent gestiegen. Die Pharmazie war zu einem der beliebtesten Fächer der studierenden jungen Frauen geworden.
Als approbierte Apothekerin anerkannt zu werden, war in jenen Jahren nicht leicht. Immer noch waren die Patienten ein tradiertes Erscheinungsbild gewohnt, das den Mann als Apotheker, die Frau allenfalls als Hilfskraft zeigte. Durch Abzeichen in Form einer Brosche, die auf dem Laborkittel getragen werden sollte, versuchten die approbierten Apothekerinnen sich als solche erkennbar zu zeigen und sich von den Hilfskräften zu unterscheiden (20).
Weltwirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit
Die Weltwirtschaftskrise der zwanziger Jahre machte auch vor der Apothekerschaft nicht halt. So war zum Jahreswechsel 1931/32 bereits mehr als ein Viertel aller nichtselbstständigen Apotheker und Apothekerinnen arbeitslos (21). "Da man im Apothekerberuf früher die Arbeitslosigkeit nicht kannte, herrscht immer noch die Meinung vor, daß hauptsächlich diejenigen Kollegen ohne Beschäftigung sind, denen wegen ihrer geringen Leistungen in unserem Beruf die Arbeitsstelle gekündigt worden ist" (22). Zu dieser Ansicht gesellten sich die Zweifel der männlichen Kollegen an den beruflichen Leistungen von Frauen. Diese hatten es doppelt schwer, eine Anstellung zu finden. Aus Sicht der männlichen Kollegen schien die weibliche Arbeitslosigkeit keinen Anlass zur Sorge zu geben. Im Zentralblatt für Pharmazie wies ein Apotheker den Weg aus der Krise (23):
"Unter den stellungslosen Apothekern sind sehr viele Kolleginnen. Gerade diesen hat man beim Eintritt in den Beruf die Aussichten ihres Fortkommens als außerordentlich rosig geschildert. Mit um so größerer Bitterkeit müssen sie sehen, daß trotz aller Helferinnenerlasse in den Apotheken noch sehr häufig Helferinnen die Arbeit versehen, die ihnen eigentlich zusteht. Allerdings sind die Kolleginnen gegenüber den männlichen Angestellten meistens insofern im Vorteil, als sie wieder von ihrer eigenen Familie aufgenommen werden, und dort als Haustochter über die schwere Zeit hinwegkommen. Wenn sie keinen Verdienst haben, so haben sie doch wenigstens Beschäftigung und einen gewissen Lebensinhalt..."
Im Konkurrenzkampf um die wenigen freien Stellen wurde so ideologisch begründet, was die Nationalsozialisten zu ihrer offiziellen Politik machen sollten: "Frauen heim an den Herd!".
Im Nationalsozialismus
Durch die nationalsozialistische Weiblichkeitsideologie erfuhr das Frauenstudium einen empfindlichen Rückschlag. In der neuen völkischen Ordnung sollten Frauen sich wieder ausschließlich als Ehefrauen und Mütter definieren und nicht mit Männern um knappe Arbeitsplätze und politischen Einfluss wetteifern. 1934 erklärte Adolf Hitler auf einem Parteifrauenkongress (24):
"Das Wort von der Frauenemanzipation ist ein vom jüdischen Intellekt erfundenes Wort... ihre Welt ist ihr Mann, ihre Familie, ihre Kinder und ihr Haus..."
Diese Einstellung fand in hohem Maß Zustimmung bei Frauen aus allen Bevölkerungsschichten, auch bei Apothekerinnen. Eine Apothekerin im Amt für Berufserziehung und Betriebsführung der Deutschen Arbeitsfront schilderte 1937, welche Rolle den Apothekerinnen zugedacht war und inwieweit ihre Berufstätigkeit in das nationalsozialistische Weltbild eingefügt werden konnte: Die Apothekerin sei die natürliche Beraterin der Frau auf den Gebieten der Hygiene und Körperpflege, sie habe die nötigen Einblicke, um die rassehygienischen Forderungen des täglichen Lebens der deutschen Frauenwelt nahezubringen. Studium und Pflege der einheimischen Arzneikräuter sowie aller Nutzpflanzen seien immer wichtige Faktoren in der Frauenarbeit gewesen (25).
Zulassungsbeschränkungen, Aufnahmestopps bei der Praktikanteneinstellung und zumindest zeitweise ein geschlechtsspezifischer Numerus clausus sollten den Zugang zum Studium für Frauen erschweren. Einige Jahre später erfolgte die Kehrtwendung. Im Zuge der Kriegsvorbereitungen und besonders während des Zweiten Weltkriegs mangelte es an männlichem Nachwuchs und an Arbeitskräften. Alle Zulassungsbeschränkungen wurden aufgehoben. Jetzt wurden viele Apothekerinnen verpflichtet auszuhelfen und auch verheiratete Kolleginnen aufgefordert, in den Beruf zurückzukehren. Frauen erhielten sogar Auszeichnungen für ihre beruflichen Leistungen. Studentinnen und Vorexaminierte wurden während des Kriegs dienstverpflichtet und mussten Vertretungen in Apotheken leisten. Dies war für die Frauen oft eine lästige Pflicht, eröffnete ihnen aber auch neue Handlungsräume. Die nationalsozialistische Frauenpolitik ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie staatliche Förderung oder Hemmung des Frauenstudiums und ihrer Erwerbstätigkeit letztlich eine Frage des Arbeitsmarktes war und vermutlich immer noch ist.
Nachkriegszeit in der Bundesrepublik
Improvisation, Mut zur Verantwortung und Phantasie waren notwendig, um in den Kriegsjahren eine Apotheke zu leiten. Frauen übernahmen diese Aufgabe selbstverständlich und gaben diese Verantwortung nach Kriegsende ebenso selbstverständlich an ihre heimkehrenden Männer zurück. Eine eigene Apotheke zu erwerben, gelang den wenigsten Frauen, selbst wenn sie es anstrebten. Die Konzession für eine eigene Apotheke erhielt erstmals Hedwig Fink im Jahr 1931. Bis 1947 wurden bei der Vergabe von Konzessionen Apotheker mit vielen Berufsjahren, mit kinderreicher Familie, vielen Kriegsjahren und Kriegsverletzungen bevorzugt.
Nach 1950 stiegen die Chancen für Frauen zusehends. Die raren Studienplätze waren nicht mehr für Kriegsheimkehrer reserviert. Bereits 1953 betrug der Frauenanteil bei den Pharmaziestudierenden über fünfzig Prozent. Die nach 1959 eingeführte Niederlassungsfreiheit ermöglichte auch Apothekerinnen, eine eigene Apotheke zu eröffnen. Die Schaffung eines mittleren pharmazeutischen Berufs, der Pharmazeutisch-technischen Asisstent(in) im Jahr 1968, der hauptsächlich von Frauen ergriffen wurde, ließ die Studentinnenzahlen nicht einbrechen.
Entwicklung in der DDR
Anders verlief die Entwicklung in der DDR. Früher als in der Bundesrepublik wurde das wissenschaftliche Niveau des Pharmaziestudiums angehoben. Das Studium wurde verlängert, neue Ausbildungsinhalte eingeführt und die Abfassung einer Diplomarbeit obligat. Ein mittlerer pharmazeutischer Beruf entstand bereits 1951 mit dem Beruf des Apothekenassistenten. Außerdem wurden Möglichkeiten der Weiterqualifikation für die unteren und mittleren Berufe im Apothekenwesen eingeführt (26).
Die Entwicklung des Frauenanteils auf den unterschiedlichen pharmazeutischen Berufsebenen aufzuzeigen, ist nicht möglich, da in der DDR keine geschlechtsspezifischen Zahlen veröffentlicht wurden. Das Geschlechterverhältnis spielte an sich keine Rolle in den einschlägigen Veröffentlichungen. Bei den Approbierten lag der Frauenanteil jedenfalls bedeutend höher als in der BRD. So waren 1989 in der DDR 72 Prozent der berufstätigen Apotheker weiblich, in der BRD dagegen nur 54 Prozent (27). Dies liegt sicher auch an dem insgesamt höheren Frauenanteil bei den Erwerbstätigen. Dieses Beispiel zeigt einmal mehr, dass der Frauenanteil in bestimmten Berufen weniger mit den Inhalten und der "Wissenschaftlichkeit" eines Studiums zusammenhängt als vielmehr mit der Stellung der Frau und des Berufs in der Gesellschaft allgemein.
Die Situation heute
Heute sind drei Viertel der neu Approbierten Frauen. Der Frauenanteil bei den derzeit berufstätigen Approbierten beträgt 63 Prozent. Doch diese verteilen sich keineswegs durchschnittlich auf alle Tätigkeitsgebiete, die den Approbierten offen stehen. Vielmehr gibt es eine geschlechtsspezifische Verteilung. Wie in anderen Berufen finden sich in der Hierarchie ganz oben mehr Männer, in der Hierarchie nach unten mehr Frauen.
Der bevorzugte Arbeitsplatz ist die öffentliche Apotheke. Hier arbeiten 87 Prozent der etwa 52.000 berufstätigen Approbierten, davon 63 Prozent Frauen. 42 Prozent der Apothekenleiter sind Frauen, dagegen 82 Prozent der Angestellten. Hiervon gehen wiederum 60 Prozent einer Teilzeitbeschäftigung nach (28). In Industrie oder Wissenschaft ist der Frauenanteil im Schnitt ohnehin geringer als in der öffentlichen Apotheke. Frauen in Führungspositionen findet man dort kaum. So ist beispielsweise ein Drittel der Promovierten weiblich, doch Professorinnen finden sich nur vereinzelt an den Universitäten. Auch in den standespolitischen Organen der Apothekerschaft sind Frauen kaum präsent. Dagegen sind beim mittleren pharmazeutischen Personal und in den Hilfsberufen die Frauen fast unter sich. Bei den PTA und Helferinnen/PKA beträgt der Frauenanteil 97 Prozent.
Apothekerberuf als Frauenberuf: Gefahr oder Chance?
Die Entwicklung des Apothekerberufs zum Frauenberuf wird innerhalb der Apothekerschaft weniger mit Freude als mit Sorge wahrgenommen. Zum Ausdruck kommt hierbei die Erkenntnis moderner Geschlechterforschung, dass Berufe ein Geschlecht haben, eine Geschlechterhierarchie besteht und innerhalb dieser Hierarchie Frauenberufe unten und Männerberufe oben angesiedelt sind (29). Die Feminisierung des Apothekerberufs wird mitunter als Gefahr für den Berufsstand angesehen. Doch diese Sichtweise greift zu kurz.
Betrachtet man den steigenden Frauenanteil unter dem Blickwinkel professionssoziologischer Modelle, ist der Frauenanteil weniger Ursache als Folge eines tiefgreifenden Wandels im Berufsbild des Apothekers in den letzten Jahren. Die Apotheker können sich heute zu den Professionen zählen, das heißt: Durch akademische Ausbildung, berufsethische Grundsätze, Expertentum, Autonomie in Berufsangelegenheiten und hohen sozialen Status heben sie sich von anderen Berufen ab. Doch der Professionalisierungsprozess ist dynamisch. Durch Verlust bestimmter Berufsaufgaben kann es zum Statusverlust kommen. Statusunsicherheit und Identitätskrise sind Schlagwörter, die die Apotheker in den letzten Jahrzehnten bewegten. Auf der Suche nach neuen Berufsfeldern haben sie sich mit der "Information und Beratung" erfolgreich eine neue berufliche Identität geschaffen (30), die den Frauen entgegenkommt.
Die Nachteile eines "Frauenberufs" liegen auf der Hand: wenig Prestige, kaum Karrieremöglichkeiten, schlechte Arbeitsbedingungen und Bezahlung, hohe Teilzeitquote. Doch bietet sich durch den hohen Frauenanteil auch die Möglichkeit, neue Berufsfelder zu erschließen (31). Frauen tragen mit bei zur Neukonstruktion von Berufsinhalten: "doing gender" in der Pharmazie. Zur Umsetzung des Berufsfeldes Information und Beratung haben die Apothekerinnen entscheidend beigetragen. Qualifikationen wie der sensible Umgang mit noch sensibleren Kunden oder Teamfähigkeit sind Schlüsselqualifikationen moderner Dienstleistungsberufe. Arbeitsverhältnisse, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen, tragen zu einer gerechteren Verteilung von Arbeit und Familienaufgaben bei und sind nicht zuletzt dafür verantwortlich, dass die Arbeitslosigkeit unter den Approbierten relativ gering ist. In diesem Sinne ist die Eingangsfrage schon beantwortet: Frauen sind eine Chance für den Berufsstand, dem Apothekerinnenberuf gehört die Zukunft.
Literatur:
Für die Verfasserinnen:
Dr. Gabriele Beisswanger,
Abteilung für Geschichte der Naturwissenschaften
mit Schwerpunkt Pharmaziegeschichte,
Technische Universität Braunschweig,
Pockelsstraße 14,
38023 Braunschweig
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