Wir brauchen möglichst bald einen Rahmenvertrag |
19.05.2003 00:00 Uhr |
PZ: Herr Wolf, das
Hausapothekenmodell läuft in Niedersachsen seit einigen Wochen. Wie sind
die ersten Erfahrungen?
Wolf: Wir sind am 1. April 2003 gestartet. Nach fünf Wochen machen
immerhin 750 von 2000 niedersächsischen Apotheken mit.
PZ: Mussten Sie bei den Apotheken
viel Überzeugungsarbeit leisten?
Wolf: Natürlich mussten wir dies tun. Das Projekt ist ja eine
absolute Neuheit. Außerdem muss man dem Vertrag aktiv beitreten, das ist
für viele Kollegen ungewohnt. Wir haben deshalb in Bezirksversammlungen im
Landesausschuss und auf der Mitgliederversammlung flächendeckend für das
Hausapothekenmodell geworben und machen dies auch noch weiter.
PZ: Werden irgendwann alle
Apotheken mitmachen?
Wolf: Nein, es wird einen festen Prozentsatz an Apothekern geben,
die einfach kein Interesse daran haben. Dafür gibt es verschiedene Gründe.
Manche Apotheker haben einfach keine Lust dazu, andere haben eine
Innenstadtlage mit hohem OTC-Anteil und viel Laufkundschaft. Unser Ziel
ist es, eine flächendeckende Versorgung mit Hausapotheken zu erreichen.
PZ: Gibt es bestimmte Kriterien,
wie eine typische Hausapotheke aussieht?
Wolf: Wir können bislang keine einheitlichen Merkmale ausmachen.
Unter den eingeschriebenen Hausapotheken gibt es große und kleine. Auch
einen Unterschied zwischen Stadt und Land können wir bislang nicht
erkennen. Wir werden dies aber noch genau untersuchen.
PZ: Herr Froese, Ihr Konzept ähnelt
dem niedersächsischen Modell. Sie starten aber erst im Juli. Wie sind die
ersten Reaktionen in Schleswig-Holstein?
Froese: Wir müssen natürlich auch viel Überzeugungsarbeit bei den
Kollegen leisten. Das Interesse ist aber sehr groß. Wir haben bis zum
Start ja noch ein wenig Zeit. Ich bin optimistisch, dass wir bis zum 1.
Juli die notwendigen Vorbereitungen abgeschlossen haben und dann zeitnah
einsteigen können.
PZ: Herr Vocke, wie lief es in
Sachsen-Anhalt?
Vocke: Die 102 Apotheken, die sich an unserem Modellprojekt
Diabetes beteiligten, haben insgesamt 23 680 belegte Leistungen wie
Blutzucker-, Cholesterol- oder Blutdruckmessung erbracht. Wichtig für den
Erfolg ist es, dass der Chef bei der Stange bleibt. Wenn er immer wieder
nachhakt, sein Team motiviert, dann bleibt die Apotheke am Ball. Wenn der
Chef die Sache laufen lässt, dann werden deutlich weniger Leistungen
erbracht.
PZ: Wie waren die Reaktionen? Viele
Apotheker befürchten, dass Hausapothekenmodelle die Arbeit übermäßig
anschwellen lassen.
Vocke: Das ist eine Frage der Arbeitsorganisation. Deshalb
unterscheidet sich der Aufwand von Apotheke zu Apotheke. Natürlich muss
man grundsätzlich bereit sein, etwas mehr Leistungen zu erbringen. Wenn
die im Rahmen des Modellprojektes Diabetes erbrachten Leistungen gut
organisiert werden und die Dokumentation direkt anschließend erfolgt, dann
ist der Aufwand überschaubar. Außerdem gibt es für diese Leistung ja auch
ein, wenn auch bescheidenes, zusätzliches Honorar.
Froese: Die Erfahrungen des Modellprojektes in Sachsen Anhalt sind
ja in unsere Verträge eingeflossen. Wir haben den gesamten Vertragsinhalt
so betriebsnah wie möglich gestaltet. Wir wollen ja, dass es auch in der
alltäglichen Praxis klappt.
PZ: Wie viele Leistungen haben die
Apotheken im Durchschnitt erbracht.
Vocke: Die Zahlen variieren so stark, dass ein Durchschnittswert
nicht viel aussagt. Manche Apotheken haben weniger als zehn, anderen mehr
als 450 Belege über erbrachte Leistungen eingereicht. Wichtig war uns bei
dem Modellversuch, den Kassen zu belegen, dass Apotheken Leistungen wie
Blutdruck- und Blutzuckermessung, Erstellung eines Arzneimitteldossiers
und Cholesterolmessung zum Nutzen der Patienten und der Kassen erbringen
können. Das ist uns gelungen, deshalb war das Modellprojekt erfolgreich.
PZ: Wichtig ist aus unserer Sicht,
dass es für Kassen, Apotheken und Patienten zu einer Win-Win-Situation
kommt. Deshalb müsste ja am Ende auch für die Apotheken ein ökonomischer
Nutzen entstehen.
Vocke: Ich denke, dass wir dahin kommen werden. Natürlich müssen
die Honorare im Vergleich zum Modellversuch steigen. Ich halte aber einen
Betrag von 5 Euro für ein Arzneimitteldossier für realistisch. Man darf
aber auch die politische Wirkung nicht unterschätzen. Hausapothekenmodelle
sind als Unterstützung unserer Ziele enorm wichtig.
PZ: Ist es denn richtig, dass sich
der ökonomische Gewinn der Apotheker sicherlich erst im zweiten oder
dritten Schritt einstellen wird?
Froese: Wir wollen in unseren Verträgen das Prinzip der honorierten
Wirtschaftlichkeit erproben.
PZ: Das hört sich wenig konkret an.
Froese: Ist es aber. Unter honorierter Wirtschaftlichkeit verstehe
ich zum Beispiel, dass der Apotheker, der eine Doppelmedikation in
Rücksprache mit dem Arzt entdeckt, als Honorar die komplette Handelsspanne
des eingesparten Arzneimittels erhält. Das kann sehr schnell zu einem
nennenswerten Gewinn führen. Knut Vocke hat aber auch Recht, wenn er auf
die enorme politische Bedeutung des Hausapothekenmodells hinweist.
Wolf: Das Hausapothekenmodell hat eine wirtschaftliche und eine
strategische Komponente. Meiner Meinung nach wird sich der wirtschaftliche
Erfolg automatisch einstellen, wenn die politische Strategie aufgeht.
PZ: So viel zu den Apotheken. Wie
kommen denn die Versicherten ins Hausapothekenmodell?
Wolf: Der Landesverband und auch die einzelnen
Betriebskrankenkassen haben sich verpflichtet, für die Akquisition der
Patienten zu sorgen. Sie werben in Mailings und über ihre
Mitgliederzeitschrift für die Hausapotheken. Außerdem haben wir in
gemeinsamen Pressekonferenzen auf unser Modell aufmerksam gemacht. Hier
waren auch die Verbraucherzentralen mit im Boot.
PZ: Funktioniert das denn?
Wolf: In der vergangenen Woche sind gleich mehrere meiner
Stammkunden mit einem Schreiben ihrer Kasse in die Apotheke gekommen. Sie
wollten sich bei mir einschreiben.
Vocke: Wichtig ist, dass man dem Patienten den Nutzen der
zusätzlichen Leistungen vermittelt. Er muss seinen Vorteil erleben können.
Nehmen Sie zum Beispiel das Arzneimitteldossier. Eine optimale Medikation
führt zu einer besseren Symptomatik und zu weniger Nebenwirkungen und
Interaktion. Dies merkt der Patient, das schätzt er.
PZ: Er muss dafür natürlich alle
Arzneimittel in derselben Apotheke kaufen.
Vocke: Das kann man einem Patienten gut vermitteln. Natürlich kann
ich ihn nicht zwingen, alle Arzneimittel bei mir zu kaufen. Er merkt in
der Regel aber selbst, dass er davon profitiert.
Froese: Die kommende Gesundheitskarte ist eine wichtige Ergänzung
für die Hausapotheke. Mit ihrer Hilfe können Patienten, die aus
irgendwelchen Gründen ihre Medikamente nicht immer in ihrer Hausapotheke
kaufen, sich dort trotzdem ihr Arzneimitteldossier erstellen lassen.
Wolf: Dazu müsste das Arzneimitteldossier natürlich auf der
Gesundheitskarte gespeichert werden. Das ist auch sinnvoll, weil auf diese
Weise das Arzneimitteldossier vom Hausapotheker zum Hausarzt transportiert
werden kann. Denn nur er kann ja den Vorschlag des Apothekers zur
Therapieoptimierung umsetzen.
Vocke: Die Gesundheitskarte hilft auch bei der Integration von
OTC-Daten in das Arzneimitteldossier. Kunden, die in mehrere Apotheken
gehen, können sich häufig nicht mehr an die Namen aller gekauften
Arzneimittel erinnern. Wenn diese auf der Gesundheitskarte gespeichert
würden, wäre dies eine erhebliche Hilfe.
PZ: Ärzte sind selten begeistert,
wenn Apotheker aufbrechen, um neue Aufgaben zu übernehmen...
Vocke: Wir haben bei unserem Modellversuch Diabetes auch andere
Erfahrungen gemacht. Vor allem der Medikationsbericht stieß bei den Ärzten
auf großes Interesse. Sie benötigen diese Daten dringend für eine gute
Therapie, hatten aber bislang keinen Zugang zur nicht von ihnen selbst
verordneten Medikation. Viele waren richtig dankbar.
Froese: Bei uns waren die Ärzte schon etwas misstrauisch. Man muss
mit ihnen reden und ihnen die Inhalte des Hausapothekenmodells vorstellen.
Primär ist der Vertrag aber ein Vertrag, in dem es in Ausfüllung der
Gesetze um pharmazeutische Fragen geht. Die Erfahrung von Knut Vocke kann
ich ansonsten nur bestätigen. Der Medikationsbericht kommt bei den Ärzten
ziemlich gut an.
PZ: Wie geht es nun weiter? In
Niedersachsen läuft ein Modellversuch mit dem BKK-Landesverband, in
Schleswig-Holstein mit der Innungskrankenkasse. Die Verträge ähneln sich,
es gibt aber auch Unterschiede. Müssen Apotheker möglicherweise in einigen
Jahren ihre Patienten auf der Basis dutzender sich unterscheidender
Verträge behandeln? Das erscheint uns schwierig.
Wolf: Völlig klar. Wir brauchen möglichst bald einen
bundeseinheitlichen Rahmenvertrag zur Hausapotheke. Diesen Vertrag muss
der Deutsche Apothekerverband mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen
aushandeln. Das Hausapothekenmodell wird nur dann ein Erfolg, wenn es im
Kern bundesweit einheitlich läuft.
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