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Streit um den Patientenwillen

08.11.2004  00:00 Uhr

Streit um den Patientenwillen

von Thomas Bellartz, Berlin

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) ist für eindeutige Positionen berüchtigt – sogar, wenn sie sich gegen die Ethikkommission des Bundestags stellt. Ein neues Gesetz soll dem Patientenwillen gegen eine künstliche Lebensverlängerung uneingeschränkt Vorrang einräumen. Die Kritik gegen den Entwurf, der vergangenen Freitag in Berlin vorgestellt wurde, ist heftig.

Das so genannte Patienten-Testament soll dem Gesetzentwurf zufolge auch bei Wachkoma- und Demenzpatienten gelten, deren Erkrankung nicht zwangsläufig zum Tod führt. Parteiübergreifend hagelte es massive Kritik an diesem Entwurf, der nach Einschätzungen aus allen Fraktionen nicht in seiner vorgestellten Fassung Gesetz werden wird. Damit unterstreicht Zypries natürlich eine deutliche Patientenorientierung, die sich die rot-grüne Regierung zuletzt auf die Fahnen geschrieben hatte.

Doch sowohl aus den Reihen der SPD als auch der Union mehrten sich nach dem Wochenende die kritischen Stimmen. Wie erwartet gab es Unterstützung für den Entwurf aus dem Justizministerium nur von der FDP. Auch in den eigenen Reihen kann Zypries nicht mit allzu breiter Rückendeckung rechnen. Die grüne Bundestagsabgeordnete Christa Nickels wandte sich gegen den Entwurf: „Da der mutmaßliche Wille des Patienten als Rechtfertigungsgrund für einen Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen herangezogen wird, bedeutet dies die Einführung der direkten Sterbehilfe“, sagte Nickels der „Berliner Zeitung“. Das dürfe nicht zugelassen werden. Nickels, Mitglied der Ethikkommission, kritisierte zudem, dass Zypries das Vormundschaftsgericht seltener als bisher einschalten will. „Damit wird ein Kontrollmechanismus außer Kraft gesetzt.“ Auch der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, äußerte sich besorgt. Er forderte in einer Mitteilung eine ausführliche parlamentarische Beratung. Beck warnte davor, allzu große Freiheit bei der Abfassung der Verfügung könnten dazu führen, „dass im Ergebnis dem Patientenwillen sogar zuwider gehandelt wird“.

Dabei wäre eine zügige rechtliche Regelung wohl im Sinne vieler Betroffener. Beinahe 10 Prozent der Deutschen, mehr als sieben Millionen Menschen, haben Patientenverfügungen verfasst. Diese sollen durch das neue Gesetz, das Anfang 2006 in Kraft treten soll, ein größeres Gewicht bekommen und Angehörigen sowie Ärzten eine größere Rechtssicherheit geben.

Kommission anderer Meinung

Die parteiübergreifende Bundestags-Enquete-Kommission „Ethik und Recht in der modernen Medizin“ hatte sich dafür ausgesprochen, dass die Verfügungen, mit denen sich Kranke etwa gegen eine künstliche Ernährung aussprechen können, nur dann verbindlich sein sollen, wenn die Krankheit unvermeidlich zum Tod führt. Die Justizministerium sieht das anders – und entsprechend fiel ihr Entwurf aus. Denn Zypries ist der Meinung, die von der Kommission geforderte Beschränkung sei „weder praktikabel noch mit dem Grundsatz der Selbstbestimmung des Patienten vereinbar“.

Unter anderem sollen auch Bevollmächtigte den Willen eines todkranken Patienten gegen die Meinung des Arztes durchsetzen können. Zypries stellte klar: „Aktive Sterbehilfe wird es nicht geben.“ Der Bioethik-Experte der SPD-Fraktion, der Mediziner Wolfgang Wodarg, nannte den Gesetzentwurf in der „Berliner Zeitung“ eine „Katastrophe“. Wodarg, Mitglied im Ausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung, zählt wie zahlreiche seiner Berufskollegen, zu den schärfsten Kritikern der nun geplanten Regelung.

Kritik gab es an der geplanten Variante, auch mündliche Verfügungen als bindend anzuerkennen. Der CDU/CSU-Sprecher in der Enquete-Kommission, Thomas Rachel, sagte, im Bürgerlichen Gesetzbuch gebe es selbst für Grundstückskäufe strengere formelle Regeln. Zypries erwiderte, sie wolle einem Schwerkranken ersparen, dass er bei Änderung seiner Meinung eine schriftliche Erklärung schriftlich widerrufen muss.

Der zu Wochenbeginn wiedergewählte Vorsitzende des Klinikärzteverbandes Marburger Bund, Frank Ulrich Montgomery plädierte dafür, dem Wunsch nach Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen (passive Sterbehilfe) dürfe nur dann entsprochen werden, wenn eine Patientenverfügung „aktuell ist und sich eindeutig auf die momentane Behandlungssituation bezieht“. Andernfalls müsse der Arzt die „Entscheidungshoheit“ über den Behandlungsverlauf behalten, die Weiterbehandlung „Vorrang haben.“ Ein Gesetz zur aktiven Sterbehilfe lehnte er grundsätzlich ab. Top

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