Moderater Ausgabenanstieg |
13.11.2000 00:00 Uhr |
Die Gesetzliche Krankenversicherung hat im vergangenen Jahr 36,8 Milliarden DM für Arzneimittel ausgegeben. Damit seien die Ausgaben im Vergleich zu 1998 "moderat" um 2,9 Prozent angestiegen, sagte Professor Dr. Ulrich Schwabe, Herausgeber des Arzneiverordnungs-Reportes, auf einer Pressekonferenz zum Erscheinen des diesjährigen Buches in Berlin. Die Anzahl der Verordnungen ging im gleichen Zeitraum um drei Prozent zurück. Schwabe vertrat die Ansicht, dass weitere 8,2 Milliarden DM (fast ein Viertel der Gesamtausgaben) pro Jahr eingespart werden könnten. Vertreter der Ärzte, Apotheker und der Industrie bezweifelten diese Reserven.
Ein wesentlicher Grund für den im Vergleich zu den Vorjahren mäßigen Anstieg der Kosten sei das "Gemeinsame Aktionsprogramm" gewesen, sagte Schwabe. Kurz nachdem die Arzneimittel-Informationen verteilt worden waren, seien die Ausgaben stark zurückgegangen. Dadurch sei ein Kostenanstieg auf Grund der höheren Mehrwertsteuer und der durch Klagen blockierten Arzneimittelrichtlinien und Festbetragsverfahren aufgefangen worden.
Die Ausgaben für Angiotensin-Antagonisten, Hemmstoffe der Cholesterinsynthese, für Immuntherapeutika gegen Multiple Sklerose und Hepatitis sowie atypische Neuroleptika und selektive Antidepressiva sind im Vergleich zum Vorjahr um 770 Millionen DM gestiegen. Die Ärzte hätten den Patienten also teure moderne Therapien nicht verweigert, sagte Schwabe.
Im Generika-Bereich sieht Schwabe Einsparreserven von drei Milliarden, bei Analogpräparaten (Me-too-Präparate) von 2,2 und bei umstrittenen Arzneimitteln von drei Milliarden DM. "Die Realisierung dieser großen Einsparvolumina wird entscheidend davon abhängen, ob die Vertragsärzte von ihren Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) detailliert informiert werden können", sagte Schwabe.
"Ohne weitere politisch flankierende Maßnahmen geht nichts mehr." Dr. Jürgen Bausch, Vorsitzender der KV Hessen, hält derzeit die Sparmöglichkeiten für ausgeschöpft. Er forderte aktuelle, arztbezogene Verordnungsdaten, eine Negativ- oder Positivliste, eine gültige Festbetragsregelung und rechtliche Bedingungen, die den KVen erlauben, ihre Ärzte über Arzneitherapien zu informieren, ohne mit Klagen rechnen zu müssen. "Das Wettbewerbsrecht blockiert derzeit jede konkrete Informationsmöglichkeit der Körperschaften", sagte Bausch.
Ministerialdirigent Dr. Hermann Schulte-Sasse verwies darauf, dass seit Anfang diesen Jahres Prozesse dieser Art bei den Sozialgerichten verhandelt werden müssen. Auch gebe es im Ministerium Überlegungen, Bewertungen des englischen National Institute of Clinical Excellence (NICE) zu nutzen. Auf der Grundlage solcher Bewertungen, seien die Informationen schwieriger anfechtbar. NICE existiert seit Anfang diesen Jahres. 30 Mitarbeiter werten Studien insbesondere zur Kosten-Nutzen-Relation von Arzneimitteln aus. Entscheidungen über die Vergütung durch das Nationale Gesundheitssystem basieren auf diesen Ergebnissen.
Der Bundesfachverband der ArzneimittelHersteller (BAH) kritisierte in einer Presseerklärung, dass die Zuweisung von Verfahren zu Festbeträgen und Arzneimittelrichtlinien an die Sozialgerichte politisch motiviert sei. Durch Schulte-Sasses Stellungnahme sehe sich der BAH in seiner Kritik bestärkt. Er werde "die bereits vorbereitete formale Kartellbeschwerde gegen diese Rechtswegzuweisung zügig bei der Europäischen Kommission einreichen".
Der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes, Hermann Stefan Keller, bemängelte, dass im Arzneiverordnungs-Report "mit keinem Wort auf Unterversorgungen und Rationierungen infolge der Arzneimittelbudgetierung eingegangen werde. "Unseriös" sei, das Einsparpotenzial innerhalb eines Jahres von 6,9 Milliarden (wie 1998 angegeben) auf 8,2 Milliarden hochzusetzen, ohne wie 1998 geschehen den nötigen Zeitraum für die Erschließung dieser Potenziale anzugeben.
"Völlig aus der Luft gegriffen" sei nach Ansicht von Cornelia Yzer,
Hauptgeschäftsführerin des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) das
genannte Einsparpotenzial. Sie bezeichnete Analogpräparate als Schrittinnovationen, deren
Bedeutung weltweit unstrittig sei. "Die Hälfte der Essential-Drug-List der WHO
besteht aus diesen Produkten." Außerdem trügen diese Innovationen stark zum
Preiswettbewerb bei. Noch bevor das erste Generikum auf den Markt komme, gebe es billigere
Analogpräparate, sagte Patrick Schwartz-Schütte, Vorstandsvorsitzender der Schwarz
Pharma AG in Monheim. "Wir arbeiten an einer Dokumentation um das zu belegen."
© 2000 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de