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Finstere Kostendämpfung

08.09.2003  00:00 Uhr
Gesundheitsreform

Finstere Kostendämpfung

von Thomas Bellartz, Berlin

Nach lauen Sommernächten hat der triste Alltag die Gesundheitspolitik eingefangen. Bei der ersten Lesung zum Reformgesetz im Bundestag blieben Ulla Schmidt und Horst Seehofer beim Gesetz zwar auf Linie. Aber die konsensuale Liebelei hat ihren Herbst erreicht.

Gesundheitsministerin Schmidt (SPD) betonte, der Kompromiss verbessere die Lebenssituation der Leistungserbringer. Das wird Apothekerinnen und Apotheker wundern. Es habe sich gezeigt, dass es in der Gesundheitspolitik nicht ohne Kompromiss gehe. Was in der Konsensrunde erreicht wurde, sei deutlich mehr, als das, was die eine Partei ansonsten gegen die jeweils andere hätte alternativ durchsetzen können.

Eine ministeriale Schelte fing sich lediglich die FDP ein. Die habe „der Versuchung nicht widerstehen können, Klientelpolitik zu betreiben“, sagte Schmidt, dankte all denjenigen, die „zum Kompromiss gestanden haben und weiterhin stehen“.

Die Reform sei ein wichtiger Eckpfeiler für die Agenda 2010 von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Das Reformpapier ist zugleich das erste Gesetz der Agenda, das das Licht der parlamentarischen Öffentlichkeit erblickt. Schmidt legte explizit dar, dass Apotheker, Großhandel und Pharmaindustrie bereits „einen erheblichen Beitrag“ geleistet haben und auch weiterhin leisten werden. Wer eine stärkere Einbeziehung von Leistungserbringern fordere, dürfe nicht vergessen, dass das Gesundheitswesen auch ein erheblicher Wirtschaftsfaktor sei mit mehr als 4,2 Millionen Beschäftigten.

Man vollziehe nicht den Einstieg in den Ausstieg aus der Solidarität, eine Privatisierung von Leistungen oder Risiken finde nicht statt. Laut Ministerin sind die Patienten die Gewinner der Reform. Schmidt: „Sicherheit und Bezahlbarkeit sind auch in Zukunft die entscheidenden Leitplanken in der Gesundheitspolitik.“

Konsens als Einzelfall

Seehofer kündigte an, dass man zukünftig keine Konsensrunden mehr veranstalten, sondern den parlamentarischen Weg mit Bundestag und Bundesrat einhalten werde. Das Gesetz sei nur ein erster Schritt, eine Notlösung. Seehofer: „Wir haben es mit einer Versorgungskrise zu tun. Uns bewegt aber eine Finanzierungskrise.“

Trotz Konsensbereitschaft könne er es „Rot-Grün nicht ersparen, dass Sie die Probleme politisch verantworten müssen“. Ulla Schmidt schaute reichlich versteinert drein, als Seehofer erklärte, das Ganze sei „ein einmaliges Verfahren“ gewesen.

Birgitt Bender, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen: „Diese Gesetz ist einerseits für die Grünen ein gutes Gesetz.“ Aber das Gesetz habe auch ein Defizit. Das von der Regierung im Frühsommer vorgelegte GMG sei zum Beispiel Wettbewerbszielen gefolgt, um die Leistungserbringer „wetteifern zu lassen“. Aber dieser Wettbewerbsgedanke sei in der Konsensrunde „stark reduziert worden“. Der Gedanke sei „nur reduziert, aber nicht eliminiert worden“. Es sei gelungen, in der Arzneimitteldistribution „wichtige Wettbewerbselemente einzuführen.

Dr. Dieter Thomae, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, beklagte die fortlaufenden Interventionen von Rot-Grün seit 1998. „Ich bin nicht so euphorisch wie Sie, Herr Seehofer“, sagte Thomae. Er beklagte eine „Diskriminierung der Leistungserbringer in allen Bereichen“. Der Liberale war erst auf Drängen der Union zur Konsensrunde gestoßen, hatte den Konsens zunächst mitgetragen, aber später aufgekündigt. Bei der FDP-Spitze war man unglücklich darüber, dass man innerhalb der Konsensrunde das Oppositionsprofil verliert. Deswegen der späte Ausstieg.

Thomae beklagte eine „finstere Kostendämpfung“. Da sei beispielsweise vom fairen Wettbewerb zwischen öffentlicher Apotheke und Versandhandel die Rede. „Wenn Sie schon von Fairness reden, dann sollten sie auch faire Gesetze machen“, so Thomae.

Gegenstimmen in SPD-Fraktion

Nach der Debatte dürfte Schmidt in der SPD-Bundestagsfraktion weiter mit erheblichem Widerstand rechnen müssen. Einen Tag vor der ersten Lesung des Gesetzentwurfs im Bundestag stimmten 17 der insgesamt 251 SPD-Abgeordneten am Montag gegen den zwischen Regierung und Union ausgehandelten Gesetzentwurf, vier enthielten sich der Stimme. SPD-Fraktionschef Franz Müntefering sprach trotz der Gegenstimmen von einem „sehr guten Ergebnis“. Es sei davon auszugehen, dass bei der Abstimmung im Bundestag dann eine eigene Mehrheit erreicht werde.

Die FDP-Bundestagsfraktion setzte beim Ältestenrat des Bundestages eine weitere Anhörung zur Gesundheitsreform durch. Diese soll vor der zweiten und dritten Lesung stattfinden. Die Lesungen wurden auf den 26. September terminiert.

 

Änderung auf den letzten Drücker PZ  Das GKV-Modernisierungsgesetz ist nach einigen Wochen und vielen Gesprächen im Bundestag angekommen. In der aktuellsten Fassung des Gesetzentwurfs sind die wesentlichen von der PZ mehrfach dokumentierten für die Apotheken relevanten Punkte weiterhin enthalten.

Aber die bisherige Formulierung, wonach in Einzelverträgen der für den Versicherten maßgebliche Arzneimittelabgabepreis in der Integrierten Versorgung abweichend von Preisvorschriften auf Grund des Arzneimittelgesetzes hätte vereinbart werden müssen, ist entfallen.

Stattdessen wird nur noch bestimmt, dass in der Integrierten Versorgung alles Weitere über Struktur und Qualität der einzelnen Arzneimittelversorgung für die teilnehmenden Versicherten auch abweichend von der Vorschriften des Sozialgesetzesbuches V vereinbart werden können. Und: Die Geltung der Arzneimittelpreisverordnung wird auch bei der Integrierten Versorgung nicht mehr angetastet.

Die geänderte Begründung des Gesetzentwurfes führt hierzu aus: „In der Integrierten Versorgung können auch abweichend von den Vorschriften für die Regelversorgung mit Apotheken besondere Regelungen zur Qualität und Struktur der Arzneimittelversorgung der an der integrierten Versorgung teilnehmenden Versicherten vereinbart werden. Zur Verbesserung der Qualität der Versorgung können beispielsweise Vereinbarungen zur pharmazeutischen Betreuung durch Vertrags-, insbesondere Hausapotheken getroffen werden. Zur Struktur der Arzneimittelversorgung können beispielsweise Regelungen zur Auswahl preisgünstiger, vergleichbarer Arzneimittel aufgrund ärztlicher Verordnung, auch auf Grund einer Dauerverordnung, vereinbart werden.

Mit dieser expliziten Änderung des Entwurfs ist der ABDA auf den letzten Drück noch ein Erfolg gelungen. Das dürfte als Ertrag der intensiven Argumentationsarbeit gegenüber Opposition und auch Regierung zu werten sein. An den Gesprächen auf höchster Ebene waren ABDA-Vizepräsident Heinz-Günter Wolf und der Präsident der Bundesapothekerkammer, Johannes M. Metzger, maßgeblich beteiligt.

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