Die Kunden sind zufrieden mit ihren Apotheken |
26.08.2002 00:00 Uhr |
von Gerhard Riegl, Augsburg
Überflüssig, teuer, durch Versandhandel zu ersetzen – das sind Apotheken aus der Sicht einiger Politiker. Wie beurteilen aber Kunden ihre Apotheken? Was halten sie vom Versandhandel? Die Ergebnisse einer bundesweiten Apotheken-Imageanalyse sind eindeutig.
Die groß angelegte Umfrage liefert in Ergänzung zur Unterschriftenaktion der ABDA „Initiative Pro Apotheke“ Kundenwünsche sowie Qualitätsdaten zur Apotheke und zur Arzneimittelversorgung in Deutschland. Rund 60.000 Kunden aus 1000 Apotheken füllten für das „Große Apotheken Votum 2002“ einen12-seitigen Fragebogen zur Akzeptanz der Apotheken in der Bevölkerung aus. Zusätzlich bezog die Studie, die von den Pharmagroßhändlern Sanacorp und Anzag unterstützt wurde, die Selbsteinschätzung von rund 3000 Pharmazeuten mit ein. Anhand der Ergebnisse lassen sich sieben Thesen zur Akzeptanz und Beliebtheit der Apotheken in der Bevölkerung formulieren.
These 1: Beeindruckendes Image bei den Kunden
Für die Kunden zeichnet vor allem die ”Menschlichkeit" (Durchschnittsnote 1,2 – auf einer Skala von 1 bis 5) und gute ”persönliche pharmazeutische Beratung" (1,3) die deutschen Apotheken aus. Dabei ist die Erreichbarkeit und der nahe Standort der Apotheke ungemein wichtig und wird von den Kunden auch mit einer Note von 1,4 ausgesprochen gut beurteilt.
Eine Art Problemzone des Apothekenimages im Vergleich zu den übrigen sehr guten Noten sind die Preise, wobei selbst das Preis-Leistungs-Verhältnis mit einer 1,9 noch eine relativ gute Note erzielt. Ein weiterer „negativer Ausreißer“ ist die Beurteilung des Selbstbedienungsbereichs, der "nur" mit 1,8 beurteilt wurde. Er wird allerdings von den Apothekenkunden als nicht so wichtig empfunden.
In der Gesamtbeurteilung erhielten die deutschen Apotheken die Note 1,4, mit 95 Prozent zufriedenen Kunden. 65 Prozent waren sogar sehr zufrieden. Angesichts dieser insgesamt hohen Kundenzufriedenheit in den entscheidenden Leistungsbereichen der Apotheke gibt es keinen sachlichen Grund, ihren Versorgungsauftrag in Frage zu stellen oder neue Versorgungsformen wie den Versandhandel zusätzlich einzuführen. Sich verbessern können die Apotheken bei der Akzeptanz ihrer Freiwahlzonen (Auswahl und Ausstellung der Produkte) und bei der Darstellung ihres ausgewogenen Preis-Leistungs-Verhältnisses. Die Kundenzufriedenheit übertrifft in allen Kernkompetenzen die von den Apothekenteams vermuteten Beurteilungen.
These 2: Die Legende vom Kundeninteresse am Versandhandel
Den Versandhandel mit Arzneimitteln und die Modelle von Internetapotheken empfinden Apothekenkunden als eine Spätgeburt der mittlerweile umstrittenen New Economy. 99, 3 Prozent von ihnen sehen beim Versand von Arzneimitteln eher Nachteile als Vorteile auf sich zukommen. Dieses eindeutige Votum gegen den Versandhandel bei Arzneimitteln und gegen die Internetapotheke wird durch Fakten der Nutzergewohnheiten bestärkt: 95 Prozent der Apothekenkunden bestellen nichts oder nicht regelmäßig im Versand. 54 Prozent lehnen den Versandkauf von Konsumgütern völlig ab, Senioren über 60 Jahre sogar zu 71 Prozent.
Ein Großteil der Befragten, nämlich 77 Prozent, benutzen bislang das Internet für private Zwecke überhaupt nicht. Somit sind – rein logistisch betrachtet – der Versandhandel mit Arzneimitteln und Internet-Apotheken nur als zusätzliche Versorgungsform für spezielle Zielgruppen theoretisch denkbar. Dies sind vor allem junge und gesunde Menschen.
Die Studienergebnisse zeigen, dass die Apothekenkunden weder in der Lage noch Willens sind, den Versandhandel mit Arzneimitteln oder Internetapotheken zu nutzen. Im Gegenteil: 73 Prozent der Verbraucher befürchten, dass der Versandhandel ihre gegenwärtige Versorgung in der Präsenzapotheke verschlechtert. Die Befragten befürchten eine Krise für die Apotheken am Ort und damit einen Wegfall ihrer Rundum-Versorgung bei Arzneimitteln. Nach den Wünschen der Verbraucher, die mit ihrer bisherigen Versorgungsform durch die Präsenzapotheke überaus zufrieden sind und den Versand offen ablehnen, besteht keine Notwendigkeit, die als riskant empfundene Versandapotheke einzuführen.
These 3: Apotheken bieten kaum zu übertreffenden Lieferservice
91 Prozent aller Kunden sind mit der logistischen Kernfähigkeit der Apotheke "Vorrätigkeit von Arzneimitteln und Lieferbereitschaft " zufrieden, 63 Prozent sogar "sehr zufrieden". Diese außerordentlich hohe Zufriedenheit der Kunden mit der Lieferbereitschaft der heutigen Apotheke sowie den bereits in Ausnahmefällen praktizierten und zulässigen Hauslieferungen macht es überflüssig, einen Versand von Arzneimitteln mit all den damit verbundenen Risiken aufzubauen.
Die chronisch Kranken, die für den Arzneiversand angeblich prädestiniert seien, sind in diesem Punkt sogar noch zufriedener als der Durchschnitt der Kunden: 66 Prozent von ihnen gaben die Note „sehr gut“. Insgesamt 64 Prozent der Befragten halten ihre Präsenzapotheke unter anderem deshalb für unverzichtbar, weil sie ihnen schnell die ausgefallensten Arzneimittel besorgt. Dies ist auch ein wichtiges Argument für 67 Prozent der Chroniker und für 71 Prozent der „Besorger“, die hauptsächlich für andere Personen Medikamente abholen.
Für einen noch verbesserten Service würde ein Teil der Befragten sogar zahlen: Wenn die Hauslieferung durch pharmazeutisches Personal der Apotheke künftig als Dienstleistung angeboten würde, ist ein Drittel der Kunden (32 Prozent) auch zu einer Eigenbeteiligung bereit.
These 4: Kunden bevorzugen schnellstmögliches Abholen in der nahe gelegenen Apotheke
Zum bequemen und zweckmäßigen Beschaffen von Medikamenten ist die nahe gelegene Apotheke die beliebteste Alternative: Für rund 76 Prozent der Befragten ist der Gang in die Offizin der schnellste und einfachste Weg, Arzneimittel zu besorgen.
Außerdem schätzen 77 Prozent der Kunden die Möglichkeit, nicht vorrätige Arzneimittel in der Apotheke zu bestellen und innerhalb weniger Stunden abzuholen. Nur 15 Prozent wünschen sich ein schnelleres Abholen durch Vorbestellen der Medikamente in der Apotheke per Telefon, Fax oder E-Mail. Diese Option hatte das Apothekenpersonal deutlich zu hoch bewertet: Es schätzte, dass 64 Prozent sich diese Möglichkeit wünschen. Nur 4 Prozent der Befragten – hauptsächlich Menschen unter 30 Jahren und Gesunde – wünschen einen Versand von Arzneimitteln. Rund 53 Prozent sehen die Hauslieferungen in begründeten Fällen durch Apothekenpersonal als sichere und effiziente Option an.
45 Prozent aller Kunden halten eine Abstimmung der vorrätigen Arzneimittel zwischen Ärzten und Apotheken in Praxisnähe für wichtig und wünschenswert. Diese Kundenwünsche und die große Zufriedenheit bestätigen den Zuspruch zum bewährten Versorgungsmodell, der Abgabe und Lieferbereitschaft von Arzneimitteln aus der Präsenzapotheke.
These 5: Verbraucher sind von unabhängigen mittelständischen Präsenzapotheken überzeugt
Laut den Umfrageergebnissen wünschen 94 Prozent der Befragten den Erhalt ihrer Apotheke, da sie von ihrem Mehrwert überzeugt sind. Die am häufigsten genannten Gründe, warum Kunden das bewährte Versorgungssystem befürworten, waren (bei Mehrfachnennungen), dass die Apotheke schnell auch ausgefallene Arzneimittel besorgt (64 Prozent) und dass die Apotheke besonders vertrauenswürdig ist (60 Prozent). Als weitere Pluspunkte der Apotheken sehen viele Befragte den menschlichen Kontakt und die Möglichkeit zu Gesprächen (55 Prozent) sowie die kompetente Beratung zu den verschiedenen Arzneimitteln (55 Prozent) in der Offizin an.
Rund 24 Prozent der Kunden gaben an, dass ihre Apotheke ihnen "Hilfen bietet, die mehr wert sind, als man im Einzelfall bezahlen könnte", zum Beispiel wenn man nur eine Kleinigkeit bei Nacht oder am Wochenende kauft, aber kompetente Hilfe eines ausgebildeten Pharmazeuten braucht. Genau diese speziellen Leistungen der Apotheker sind zum Beispiel bei einem Ausgliedern der Arzneimittelversorgung von Chronikern gefährdet, was die Verbraucher erkannt haben.
Die Umfrageergebnisse zeigen: Die Kunden wissen, warum sie ihre Apotheke bei Krankheit und gesundheitlichen Anliegen brauchen. Der Erhalt der Apotheken ist kein Selbstzweck oder Privileg für Pharmazeuten, sondern ein konkreter und begründeter Wunsch der Verbraucher.
These 6: Nachteile von Versandapotheken überwiegen
Zu den Nachteilen eines künftigen Versandhandels mit Arzneimitteln gefragt, nennen die Kunden im Durchschnitt fünf Negativfolgen. Die häufigste Befürchtung der Befragten war, dass sie hierdurch weniger Beratung zu Arzneimitteln, weniger Informationen und Ratschläge erhalten könnten (76 Prozent). Außerdem fürchteten 72 Prozent von ihnen eine Krise für die Apotheken am Ort und deshalb den Wegfall der Rundum-Versorgung. Produktfälschungen aus dem Ausland sahen 71 Prozent als eine mögliche Gefahr des Arzneiversandhandels. Als weitere Negativfolgen wurden genannt: Verwechslungen, Übermittlungsfehler, unvollständige Teillieferungen (69 Prozent) sowie längeres Warten auf Arzneimittel oder weitere Wege zur nächsten, dann noch bestehenden Apotheke (67 Prozent). Nur ein Anteil von 0,6 Prozent der Kunden gibt an, "der Versand von Arzneimitteln bringt persönlich überwiegend Vorteile".
Diesen Ergebnissen zufolge widerspricht der Versand von Arzneimitteln deutlich den Wünschen von Apothekenkunden sowie dem bewährten Verbraucherschutz und der Kundenorientierung. Selbst die „Besorger“, denen der Versand Erleichterungen bringen könnte, beurteilen diesen Vertriebsweg bei allen Kriterien durchgängig noch kritischer als der Durchschnitt der Kunden.
These 7: Die Arzneimittel-Wunschversorgung
Bei Einführung von Versandhandel würden Versandapotheken mit den bisher bekannten Präsenzapotheken in einen Verdrängungs-Wettbewerb treten. Vor die imaginäre „Entweder-oder-Wahl“ gestellt, votierten die Befragten deutlich: 90,8 Prozent sprachen sich für das bestehende System aus. Nur 0,3 Prozent akzeptierten den Versand bei Auflösung der bestehenden Apothekenstruktur. 0,9 Prozent antworteten mit „egal“ und 8 Prozent machten keinerlei Angaben.
Den Ergebnissen dieser „Abstimmung“ zufolge ist die Versandapotheke nicht als Wunschversorgung der Bevölkerung erkennbar. Sie ist mehr das Wunschkind der zum Sparen verpflichteten Gesundheitspolitik und vor allem eine kommerzielle Überlegung von Gesundheitsökonomen.
Insgesamt zeigen die Ergebnisse des Großen Apotheken Votums 2002 wie sehr sich die Kunden bewusst sind, dass man die umfassenden menschlichen, sozialen, kommunikativen und fachkompetenten Leistungen einer echten Apotheke einfach nicht versenden kann.
Professor Dr. Gerhard Riegl
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