Politik
Die bisherigen
Bemühungen, Leistungsbereiche im Gesundheitswesen besser
miteinander zu verzahnen, sind nach Ansicht des
renommierten niedersächsischen Krankenhausexperten Ernst
Bruckenberger nahezu erfolglos geblieben. Die
Leistungserbringung sei insgesamt nicht effizienter
geworden. Vielmehr versuche jeder Bereich zu Lasten
anderer Sektoren zusätzliche Leistungen zu vereinnahmen,
moniert der leitende Ministerialrat im Hannoverschen
Landessozialministerium: Verzahnen heiße gegenwärtig,
"sich zusätzliche Zähne zu besorgen, um ein
größeres Stück vom Verteilungskuchen abbeißen zu
können".
Bruckenberger nennt Beispiele: Krankenhäuser wollten
künftig als Gesundheitszentren neben vollstationären
Behandlungen auch vor- und nachstationäre, ambulante
rehabilitative sowie ambulante und stationäre Leistungen
nach dem Pflegeversicherungsgesetz erbringen. Diese
Leistungen hätten bisher niedergelassene Ärzte sowie
Reha- und Pflegeeinrichtungen übernommen.
* Vertragsärzte operierten vermehrt ambulant, angeblich
mit dem Ziel, die Zahl der Klinikeinweisungen zu senken.
Tatsächlich aber habe sich die enorme Ausweitung der
ambulanten Operationen in den Praxen überhaupt nicht auf
die Nachfrageentwicklung in den Kliniken ausgewirkt.
Gleichzeitig wurden immer mehr Praxiskliniken eröffnet.
* Reha-Einrichtungen drängten mit Hilfe des Begriffs
"Frührehabilitation" verstärkt in
Aufgabenbereiche, die bislang den Krankenhäusern
vorbehalten seien.
* Seit der Verabschiedung des Pflegeversicherungsgesetzes
nehme die Zahl der stationären Pflegeeinrichtungen
mangels einer präventiven Bedarfsprüfung
explosionsartig zu. Angesichts der sich abzeichnenden
Überkapazitäten suchten Heime bereits verstärkt
alternative Aufgabenfelder in der Frührehabilitation,
der Rehabilitation und der Geriatrie.
Ernst Bruckenberger kritisiert darüber hinaus, daß die
Politik seit Jahren den Begriff der
"Kostenexplosion" in den Mittelpunkt der
gesundheitspolitischen Debatte stelle. Tatsächlich aber
sei die Zahl der Ärzte, der Patienten, der gesetzlichen
Regelungen und der verordneten Leistungen zwischen 1974
und 1995 "explodiert".
* Die Zahl der Klinikärzte habe sich um rund 100 Prozent
die Zahl der niedergelassenen Ärzte um rund 70 Prozent
erhöht. Diese Entwicklung sei unter anderem Ergebnis
einer Bildungspolitik, die - ohne Rücksicht auf die
vorhersehbaren Konsequenzen - deutlich über den
tatsächlichen Bedarf hinaus Mediziner produziere. Allein
durch die Aus- und Weiterbildung dieser Ärzte seien
zusätzliche Leistungen und Kosten verursacht worden, die
andernfalls gar nicht angefallen wären.
* Die Zahl der stationären Patienten sei um 50 Prozent
gestiegen. Die gleichzeitige Zunahme der ambulanten
Behandlungsfälle um etwa 65 Prozent habe darauf
offensichtlich keinerlei Einfluß.
* Die Zahl der an Krankenhauspatienten erbrachten
Leistungen habe um etwa 240 Prozent zugenommen. Die
Einwohnerzahl sei aber nur um sieben Prozent gestiegen.
Um dem Ziel, weniger Leistungen wirtschaftlicher und
patientengerechter zu erbringen, näher zu kommen, müsse
die Kooperation zwischen Kostenträgern und
Leistungserbringern auf der Ebene der Stadt- und
Landkreise erheblich verstärkt werden, fordert
Bruckenberger. Der Staat habe dabei die Aufgabe,
Konflikte zwischen den einzelnen Gruppierungen zu
entschärfen: durch hochqualifiziertes, fachliches und
pragmatisches Gestalten. Gefordert sei Professionalität
beim Umsetzen von konkreten kooperativen Konzepten und
nicht Professionalität beim Ankündigen von neuen Mythen
zur Kostendämpfung. Bruckenberger: "Der Mythen sind
genug verkündet."
PZ-Artikel von Hans-Bernhard Henkel, Bonn
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