Kostenübernahme bei Therapie mit intravenösem Immunglobulin |
24.03.2003 00:00 Uhr |
Wie wir bereits in der Ausgabe 7/2003 der PZ (nur in der Druckausgabe - Seite 560) berichteten, ist der therapeutische Einsatz von intravenösen Immunglobulinen (IVIg) in der Second-Line-Therapie bei schubförmig remittierender Multipler Sklerose (MS) wissenschaftlich begründet, wenn gut dokumentierte Substanzen der First-Line-Therapie, wie insbesondere Interferone, nicht gegeben werden können.
Vor diesem Hintergrund entschied das Sozialgericht Dresden in einem Urteil (S 4 KR 418/02 vom 12. November 2002), dass auch die gesetzlichen Kostenträger die Therapie eines solchen Off-Label-Einsatzes unter bestimmten Voraussetzungen bezahlen müssen.
Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG, Urteil vom 19. März 2002, B 1 KR 37/00 R) müssen die Kosten außerhalb der zugelassenen Anwendungsgebiete (Off-Label-Use) von den Krankenkassen nur dann übernommen werden, wenn es sich um eine für den Versicherten unverzichtbare und erwiesenermaßen wirksame Therapie handelt.
Eine Kostenübernahme kommt nur ausnahmsweise in Betracht. Auf Grund der Datenlage muss jedoch die begründete Aussicht bestehen, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg kurativ oder palliativ zu erzielen ist. Dazu müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Dies ist der Fall, wenn die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind. Die Studienergebnisse müssen eine klinisch relevante Wirksamkeit bei vertretbaren Risiken belegen.
Daneben können jedoch auch außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene veröffentlichte Erkenntnisse, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen, Grundlage einer Kostenübernahme sein. In den einschlägigen Fachkreisen muss dann jedoch Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen bestehen.
Voraussetzungen gegeben
Das Sozialgericht hielt diese Voraussetzungen unter anderem auf Basis einer Stellungnahme des Zentrums für Arzneimittelinformation und Pharmazeutische Praxis (ZAPP) der ABDA für eine Patientin mit schubförmig remittierender MS für gegeben. Diese Patientin konnte auf Grund von erwiesenen Unverträglichkeiten nicht mehr mit Interferonen und Glatirameracetat behandelt werden. Auf Grund eines bestehenden Kinderwunsches war ferner Azathioprin kontraindiziert.
Da nach einer Stellungnahme des Paul-Ehrlich-Institutes schädigende Wirkungen für den Fötus oder das Neugeborene bei Immunglobulinen nicht bekannt sind und unter anderem durch unsere Stellungnahme die Einnahme von Frauen im gebärfähigen Alter empfohlen werden konnte, sah es das Gericht als erwiesen an, dass die dargelegten klinischen Untersuchungen und der Konsens in den einschlägigen Fachkreisen eine Anwendung in diesem Einzelfall rechtfertigt.
Das Gericht hob ferner hervor, dass in der medizinischen Diskussion Einigkeit darüber bestünde, dass in bestimmten Versorgungsbereichen und bei einzelnen Krankheitsbildern auf einen die Zulassungsgrenzen überschreitenden Einsatz von Medikamenten nicht völlig verzichtet werden kann, wenn dem Patienten eine dem Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung nicht vorenthalten werden soll.
Die beklagte Krankenkasse wurde verurteilt, der Klägerin die seit Mai 2002 entstandenen Kosten für die Behandlung mit IVIg zu erstatten und sie zukünftig von den durch die Therapie entstehenden Kosten freizustellen.
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