"Zahlen werden steigen" |
22.01.2001 00:00 Uhr |
Wer hofft, der BSE-Spuk sei in ein paar Monaten vorbei und Meldungen von infizierten Rindern bald nur noch Vergangenheit, wird wahrscheinlich enttäuscht. Dr. Wolfgang Mields vom Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) in Berlin rechnet in Deutschland mit einer ähnlichen Entwicklung wie in Großbritannien. "Die Zahlen werden in den nächsten drei bis vier Jahren steigen", sagte er während einer Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) am 18. Januar in Fulda.
"Wir befinden uns in Deutschland in einer ähnlichen Situation wie Großbritannien gegen Ende der achtziger Jahre", erklärte Mields. 1988 wurde dort das Verfüttern von Tiermehl verboten, nachdem der Zusammenhang zwischen dem infektiösen Material und der Rinderseuche bekannt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war der Höhepunkt der Epidemie noch lange nicht erreicht: Anfang der neunziger Jahre war die Zahl der infizierten Rinder in Großbritannien auf etwa 40 000 pro Jahr gestiegen.
"Die Kurve wird in Deutschland wahrscheinlich flacher ausfallen und eventuell schneller abfallen", sagte Mields. Er ließ aber keine Zweifel daran, dass in 10 bis 15 Jahren mit den ersten neuen Varianten der Creutzfeldt-Jacob-Krankheit zu rechnen sei.
Sein Statement "es wird auch eine Zeit nach BSE geben" war da nur ein schwacher Trost. Aus veterinärmedizinischer Sicht sei BSE relativ leicht zu bekämpfen, so Mields. In Großbritannien seien die Zahlen allein durch das Verbot von Tiermehl - das zudem gegen Ende der achtziger Jahre nicht besonders streng eingehalten worden sei - von etwa 40 000 infizierten Tieren pro Jahr auf derzeit 1200 zurückgegangen.
Einziger Schutz vor BSE sei, das Agens von vornherein aus der Nahrungskette heraus zu halten. Hineingekommen sei es in Deutschland durch den unkontrollierten Handel mit kontaminiertem Tiermehl und dessen illegalen Einsatz bei Wiederkäuern. Die in Deutschland etablierten Verfahren, Tiermehl zu behandeln seien nach wie vor sicher.
Vom Kraftfutter ganz wegzukommen, hält Mields für unwahrscheinlich. Hochleistungsmilchkühe bräuchten das zusätzliche Eiweiß, damit sie nicht unter Kreislaufproblemen leiden. Aber die Futtermittel müssten strenger kontrolliert werden. Daran habe es in den letzten Jahren gefehlt, gab Mields zu. Neben Tiermehl im Kraftfutter nannte der Experte des BgVV auch Milchaustauscher als mögliche Infektionsquelle. Wahrscheinlich wurde hier die Fettfraktion, die dem Milchersatz beigemischt wurde, mit Rückenmarksbestandteilen vermischt. Wenige harte Daten aus Großbritannien lassen auch auf eine BSE-Übertragung von der Mutterkuh auf Kälber schließen, so Mields. Für andere Übertragungswege gibt es bislang keine zuverlässigen Daten.
Zum Schutz der Verbraucher solle zukünftig auf den Schlachthöfen kein Bolzenschussapparat zur Betäubung der Rinder mehr eingesetzt werden. Durch diese Methode könne bislang infektiöses Material ins Blutgefäßsystem gelangen und andere Gewebe kontaminieren. Eine Alternative gebe es jedoch zurzeit noch nicht. Das BgVV fordert auch, von der zurzeit gesetzlich vorgeschriebenen Spaltung der Wirbelsäule abzusehen, um kontaminiertes Nervengewebe nicht zusätzlich zu verbreiten. Zudem sollen spezielle Desinfektionsverfahren eingeführt werden. Wie diese aussehen werden, ist unklar. Denn Mittel, mit denen man Prionen zerstören kann, sind so aggressiv, dass sie im Schlachthofbetrieb kaum eingesetzt werden können.
Als "wichtigsten Schritt für den Verbraucherschutz" bezeichnete Mields, Risikomaterialien wie Gehirn, Rückenmark, Darm, Tonsillen, Augen und Lymphknoten zu entfernen und zu verbrennen - wie seit Oktober 2000 vorgeschrieben. Zuvor sollen allerdings Proben für BSE-Schnelltests entnommen werden und die Schlachtkörper erst nach den Ergebnissen der Tests freigegeben werden. Bei einem positiven Befund müssen alle danach geschlachteten Tiere wegen der Kontaminationsgefahr vernichtet werden. Seit Dezember vorigen Jahres darf kein Separatorenfleisch mehr verarbeitet werden. Allerdings müssten alle diese Bestimmungen noch stärker überwacht werden. Die Kontrollen wurden bislang vernachlässigt, räumte Mields ein.
BSE in Milchprodukten? Milch und Milchprodukte gelten heute hinsichtlich des Risikos einer BSE-Übertragung als unbedenklich, erklärte Dr. Paul Teufel, Direktor der Bundesanstalt für Milchforschung. Für die fachliche Bewertung seien unter anderem folgende Befunde ausschlaggebend: 193 Kälber wurden in 80 Herden von 106 an BSE erkrankten Kühen gesäugt (Ammenhaltung). Diese Tiere wurden so lange gehalten, dass nach möglicher Infektion eine Erkrankung hätte ausbrechen können. Alle so aufgezogenen Tier blieben jedoch gesund.
Die in den letzten Tagen geäußerten Zweifel an der Sicherheit von Milch gründen sich auf Überlegungen, dass Prionen über das Eutergewebe in die Milch gelangen. Zudem wurde die Nachweisempfindlichkeit von Versuchen an Mäusen in Frage gestellt, die Mitte der 90er Jahr im Vereinigten Königreich die Sicherheit von Milch und Milchprodukten klären sollten. Solange allerdings keine neueren Ergebnisse vorliegen, sei davon auszugehen, dass Milch mit sehr großer Wahrscheinlichkeit unbedenklich ist, so Teufel.
Unabhängig davon sollten die fünf Jahre alten Ergebnisse überprüft werden. Auf die Ergebnisse muss der Verbraucher wegen der langen Inkubationszeit der Prionen allerdings drei bis fünf Jahre warten.
Was soll man nun essen? Auch dazu äußerte sich Mields. Die sicherste Maßnahme, sich vor BSE zu schützen, sei vegetarische Kost mit Milch und Eiern. Auch Muskelfleisch gelte weiterhin als unbedenklich. Zudem verwies er auf Fleisch aus Ökobetrieben oder mit Gütesiegel. Hier sei der Verbraucher gefordert, das Fleisch sorgfältig nach Kennzeichnung auszuwählen. Absolute Sicherheit böten diese Kennzeichnungen jedoch nicht. Eine andere Möglichkeit biete Fleisch aus BSE-freien Ländern wie Argentinien, Brasilien, Australien und Neuseeland. Dass BSE dort auftritt, sei unwahrscheinlich, da die Tiere dort in Weidemast gehalten würden. Oder man solle auf andere Tierarten ausweichen wie Fisch, Geflügel, Schwein, Schaf (aus deutschen Betrieben mit Weidehaltung) und Wild.
Fische seien auf spongiforme Enzephalopathien bislang noch nicht untersucht. Keine Untersuchung habe bisher eine BSE-ähnliche Erkrankung bei Geflügel nachgewiesen. Schweine, die mit hohen Dosen von Prionen gefüttert wurden, erkrankten nicht. Erst wenn man den Tieren das Risikomaterial zusätzlich sowohl ins Hirn injizierte als auch intravenös und in die Bauchhöhle applizierte, erkrankten die Tiere nach fünf Jahren. "So wie Schweine bei uns gehalten werden, gibt es keinen Anhaltspunkt, dass sie Überträger für spongiforme Enzephalopathien sind", sagte Mields.
Vor Schaffleisch würde in letzter Zeit gewarnt, obwohl Scrapie seit Jahrhunderten bekannt ist und es bislang keinen Hinweis auf eine Übertragung auf den Menschen gibt. Der Grund: Schafe könnten ebenfalls mit Tiermehl in Kontakt gekommen sein. Am wahrscheinlichsten sei dies jedoch bei britischen Schafen.
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