Apotheker sollten einen kühlen Kopf bewahren |
01.12.2003 00:00 Uhr |
Das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) belastet OTC-Hersteller und Apotheker gleichermaßen. Panikreaktionen sind dennoch nicht angebracht. Dr. Klaus Kluthe, Geschäftsbereichsleiter Consumer Care bei Bayer Vital, sieht weder für Industrie noch Apotheker Anlass für überstürztes Handeln.
PZ: Wie sehen Sie die Zukunft für Ihr Unternehmen nach dem 1. Januar 2004, wenn das GMG in Kraft tritt?
Kluthe: Wir haben das Gesetz nicht gewollt, aber wir konnten es auch nicht verhindern. Uns bleibt jetzt nichts anderes, als uns darauf vorzubereiten. Ich glaube, Bayer Vital ist gut gerüstet für die Zukunft.
PZ: Was bedeutet die Nichterstattungsfähigkeit der nicht verschreibungspflichtigen aber apothekenpflichtigen Arzneimittel für Bayer?
Kluthe: Die umstrittene Verknüpfung von Erstattungsfähigkeit und Verschreibungspflicht bereitet uns natürlich erst einmal Umsatzeinbußen. Bei Talcid haben wir 10 Prozent Verordnungsanteil, bei Lefax sogar bis zu 50 Prozent.
PZ: Sind Sie der Meinung, dass das Gesetz zu mehr Selbstmedikation führen wird oder eher zu einem Switch zu verschreibungspflichtigen Arzneimitteln?
Kluthe: Wir wissen nicht, in welchem Umfang der Verbraucher auf diese Arzneimittel in Zukunft verzichtet oder der Arzt in seiner Therapie auf verschreibungspflichtige Arzneimittel umsteigt. Ein Teil des Umsatzes wird zunächst sicherlich wegbrechen. Mittelfristig rechnen wir aber mit einem Anstieg der Selbstmedikation.
PZ: Welche Einsparungen wird die Ausgrenzung für die Krankenkassen bringen?
Kluthe: Ich glaube, dass die Erwartungen der Politik unrealistisch hoch sind. Dort werden die Substitutionseffekte deutlich unterschätzt. Eine Prognose ist allerdings schwierig.
PZ: Mit Enzym Lefax Pancreatin in der Therapie der Pankreas-Insuffizienz und Aspirin Protect haben sie zwei Präparate im Portfolio, die den Sprung auf die Ausnahmeliste schaffen könnten. Haben Sie hierbei Kontakt zum gemeinsamen Bundesausschuss?
Kluthe: Nur über den Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller. Wir hören aus dem Bundesausschuss, dass die Liste sich sehr stark an die eingrenzenden Formulierungen des Gesetzes halten wird, allerdings ist wohl anerkannt, dass Aspirin Protect zum Therapiestandard bei schwer wiegenden Erkrankungen gehört und erstattungsfähig bleiben wird.
PZ: Ein anderer Weg wäre die Rückführung in die Verordnungspflicht. Haben Sie dahingehend Pläne?
Kluthe: Das hört sich leichter an als es ist. Die Erfolgsaussichten sind gering. Der Gesetzgeber wollte ja explizit erreichen, dass diese Arzneimittel nicht mehr erstattet werden. Außerdem müssten wir damit argumentieren, dass unsere Arzneimittel doch gefährlicher sind, als wir bislang behauptet haben. Darunter würde unsere Glaubwürdigkeit leiden.
PZ: Einige Unternehmen wollen gegen die Ausgrenzung von OTC-Arzneimitteln klagen. Wollen Sie sich beteiligen?
Kluthe: Das bringt doch nichts. Selbst wenn grundsätzlich eine Aussicht auf Erfolg bestünde, bräuchten die Gerichte einfach zu lange.
PZ: Welche Auswirkungen hat Ihrer Meinung nach der Wegfall der Preisbindung im OTC-Bereich? Eine Frankfurter Apothekerin hat ja bereits einen Versuchsballon mit Preissenkungen bei Aspirin und Thomapyrin steigen lassen.
Kluthe: Viele unserer Produkte sind in ihren Indikationen Marktführer. Das führt Apotheker natürlich in Versuchung, diese Produkte in Preisaktionen als Lockvogel zu benutzen. Wir versuchen, die Apotheker davon überzeugen, dass bei den Preisen eine Abwärtsspirale in der Selbstmedikation niemandem nutzt.
Nehmen wir das Beispiel England. Dort wurden im Mai 2001 die Preise in der Selbstmedikation freigegeben. Vor allem die Supermarkt-Apotheken haben versucht, durch massive Preissenkungen Marktanteile zu erobern. Profitiert hat am Ende niemand, da eine nennenswerte Mengenausweitung ausgeblieben ist.
PZ: Wie wird sich Bayer auf diese neue Situation einstellen? Nach Umfragen erwarten Apotheker von der Industrie größere Rabatte für ihre Preisaktionen.
Kluthe: Das war auch in England so. Wir haben den Forderungen aber widerstanden und werden das in Deutschland auch tun.
PZ: Der entscheidende Punkt dürfte das Direktgeschäft sein. Nur hier kann der Apotheker Rabatte bekommen, die ihm Preissenkungen ermöglichen. Würden Sie das Direktgeschäft zurückfahren oder die Rabatte reduzieren, dann könnten Sie Apothekern Preisaktionen erschweren.
Kluthe: Wir werden natürlich nicht aus dem Direktgeschäft herausgehen. Wir werden uns aber überlegen, ob wir unser Rabattsystem modifizieren. Das bedeutet jedoch keine generelle Absenkung. Die Rabatte werden aber nicht mehr ausschließlich mengenabhängig sein.
PZ: Was raten Sie den Apotheken? Wie sollten die Preise im OTC-Bereich gestaltet werden? Soll er sich an die unverbindlichen Preisempfehlungen der Hersteller halten?
Kluthe: Er soll sich in jedem Fall an diese Empfehlungen halten. Der Verbraucher ist an diese Preise gewohnt und wird sie akzeptieren. Ihm ist eine Packung Aspirin 4,40 Euro wert und das wird auch am 1. Januar so sein.
Aus zwei Gründen wäre es auch schädlich für das Image des Apothekers, wenn er die Preise deutlich senkt. Zum einen rückt er das Arzneimittel in die Nähe eines Konsumgutes und zum anderen signalisiert er den Verbrauchern: Ich habe Euch bislang die Arzneimittel immer zu teuer verkauft.
Außerdem darf man eines nicht unterschätzen. Der Gesetzgeber schaut sich auch in Zukunft den Apothekenmarkt genau an. Wenn die Apotheker Selbstmedikationsarzneimittel wie Konsumgüter behandeln, wird die Apothekenpflicht dieser Präparate zur Disposition gestellt. Für Apotheken und auch für uns wäre dies eine große Katastrophe.
PZ: Unabhängig von Ihren Wünschen, womit rechnen Sie am 2. Januar?
Kluthe: Es wird sicher Preissenkungen in den Apotheken geben. Im ersten Quartal werden die Preise bei den Schnelldrehern hier und da nachgeben. Ich glaube aber nicht, dass die Absenkungen dramatisch ausfallen werden. Vielleicht 5 Prozent, vielleicht 7 Prozent. Viel mehr ist nicht drin. Nach einiger Zeit wird sich das ohnehin wieder normalisieren.
Preisänderungen sind aber nicht nur in einer Richtung möglich. Ich kenne viele Apotheker, die im Januar auch Preise für einige Arzneimittel erhöhen wollen.
PZ: Wie beurteilen Sie als Hersteller die Bündelung der Nachfrage in Kooperationen? Planen Sie eine intensivere Zusammenarbeit?
Kluthe: Wenn wir oder unsere Mitbewerber mit Kooperationen sprechen, dann hören wir alle immer: „Sie sind der Einzige, der bei uns noch nicht mitmacht.“ Hier werden doch recht vordergründige Interessen verfolgt. Man will uns mit solchen Aussagen unter Zugzwang setzen.
Wir sehen uns zurzeit alle Kooperationen an. Mit einigen reden wir sogar. Entscheidungen treffen wir aber noch nicht. Wir warten erst einmal ab, auch über den 1. Januar hinaus. Das würde ich übrigens auch den Apothekern empfehlen. Manche Kooperationen machen Versprechungen, die sie nicht halten werden können. Die Apotheker sollten hier, genau wie bei ihrer Preisstrategie einen kühlen Kopf bewahren.
PZ: Einige Kooperationen denken auch über eigene Handelsmarken nach. Das kann doch nicht in Ihrem Sinn sein.
Kluthe: Ich sehe das sehr kritisch. Die Handelsmarken vermitteln wie die Dachmarken den Eindruck einer Kette. Ich glaube sogar, dass der Gesetzgeber die Situation genau beobachtet und hier den Hebel für eine weitere Liberalisierung des Apothekenmarktes ansetzen könnte.
PZ: Die Berufsverbände setzen statt auf Kooperationen auf das Hausapothekenmodell. Was halten Sie davon?
Kluthe: Das ist sicherlich ein sinnvoller Weg. Das Hausapothekenmodell stärkt natürlich die Bedeutung der Individualapotheke und deckt sich so mit unseren Interessen. Es zeigt auch die Kompetenz des Apothekers. Wir werden diese Initiative der Apotheker unterstützen, haben intern aber noch nicht geklärt, in welcher Form. Generell befürworten wir das Hausapothekenmodell.
PZ: Bayer hat sich bisher stets als Partner der Apotheken bezeichnet. Wie wird die zukünftige Zusammenarbeit mit den Apothekern aussehen?
Kluthe: Mit unseren starken Marken geben wir den Apothekern grundsätzlich die Chance, Kundenwünsche zu akzeptablen Preisen zu erfüllen. In Fortbildungsveranstaltungen vermitteln wir den Apothekern die Bedeutung der Marken in der Selbstmedikation. Dazu gehören natürlich auch wissenschaftlich fundierte Informationen über die Indikationen, in denen die Produkte eingesetzt werden sowie eine Unterstützung bei deren Vermarktung.
PZ: Sie haben als bislang einziges Unternehmen Anwendungsbeobachtungen in der Apotheke gemacht. Damit haben Sie auch den Nutzen ihrer Produkte weiter wissenschaftlich untermauert. Wollen Sie diesen Weg weiter gehen?
Kluthe: Ja wir werden diese Form der Anwendungsbeobachtungen ausbauen. Die Gelder stehen schon bereit.
PZ: Zum Apothekertag haben die Apotheker das Grüne Rezept vorgestellt, auf dem Ärzte in Zukunft nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel verordnen sollen. Was halten Sie davon?
Kluthe: Ich finde das gut. Nach der Ausgrenzung besteht die Gefahr, dass der Verbraucher den tatsächlich Wert der OTC-Produkte nicht mehr erkennt. Das wäre fatal, denn es gibt bei der Zulassung ja keine unterschiedlichen Anforderungen für OTC-Produkte und verschreibungspflichtige Arzneimittel.
Das Grüne Rezept kann möglicherweise dem Eindruck entgegenwirken, dass
es sich bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln um Medikamente
zweiter Wahl handelt. Es ist gut, dass es weiter ein Rezept gibt, auf dem
der Arzt als für die Gesamttherapie zuständige Person diese Produkte
aufschreiben kann. Zudem bietet es dem Patienten eine Gewähr, dass er ein
sinnvolles Produkt erhält.
© 2003 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de