Für die Warentester sind 40 Prozent der OTC-Arzneimittel wenig geeignet |
02.12.2002 00:00 Uhr |
von Thomas Bellartz, Berlin
Das Urteil der Stiftung Warentest war deutlich und besonders in diesen Tagen publikumswirksam. Rund 40 Prozent der apothekenpflichtigen OTC-Präparate sind nach Ansicht der Tester „wenig geeignet“.
Bei der Vorstellung des neu aufgelegten „Handbuchs der Selbstmedikation“ in der Berliner Warentest-Zentrale hatte sich Stiftungsvorstand Werner Brinkmann die Bundessozialministerin an seine grüne Seite geholt. Ulla Schmidt (SPD) nutzte die Gelegenheit, um alt bekannte Statements in Bezug auf die Verwendung von Arzneimitteln und die nötige Beratung anzubringen. Gleichzeitig nutzt sie die Gelegenheit, eine Änderung der Arzneimittelpreisverordnung anzukündigen.
Glaubt man den Verbraucherschützern, dann ist die Wirksamkeit vieler Arzneimittel oft fragwürdig oder ihre Zusammensetzung gar „unsinnig“. In dem Handbuch werden 1500 der aus Sicht von Stiftung Warentest gängigsten nicht verschreibungspflichtigen Medikamente bewertet. Der Vorstand eines betroffenen Pharmaherstellers betonte im Telefonat mit der PZ: „Das Ergebnis hätte ich Ihnen bereits vorab mitteilen können. Aber nicht deswegen, weil Stiftung Warentest Recht hat, sondern weil die ansonsten ihr Buch gar nicht absetzen können. Das schafft man nur mit negativer Kritik.“
Die Ergebnisse der Untersuchungen sind alles andere als positiv: Nur rund 40 Prozent der untersuchten Medikamente wurden als geeignet eingestuft, 20 Prozent wurden nicht bewertet. „Das Ergebnis ist nicht sehr erfreulich“, äußerte sich Brinkmann, während die Ministerin lächelnd im Handbuch blätterte.
Ganz links am Podium hatte sich Professor Dr. Gerd Glaeske platziert. Glaeske, der mit seinem Institut auch für die Gmünder Ersatzkasse tätig ist, und der als ausgewiesener Verfechter des Versandhandels mit Arzneimitteln mit engen Verbindungen zu DocMorris gilt, nannte mehrere Präparate ausdrücklich und beklagte deren mangelnde Wirksamkeit.
Die Stiftung Warentest zählt die Schmerzmittel Thomapyrin und Togal zu den „wenig geeigneten“ Mitteln unter den Selbstmedikationspräparaten. Auch das Grippemittel Wick MediNait und die Halsschmerztablette Frubienzym erhalten schlechte Noten. Beim coffeinhaltigen Thomapyrin, sehen die Autoren die Gefahr von Nierenschäden. Bei Togal wird die Zugabe von Chinin und Lithium als unsinnig bemängelt. Es sei fraglich, ob die Inhaltsstoffe von Wick MediNait gegen grippale Infekte nötig und sinnvoll seien. Die Enzyme von Frubienzym seien nicht geeignet, Erkältungen zu bekämpfen.
Boehringer wehrt sich
Das Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim als Hersteller von Thomapyrin wies die Kritik zurück. Die negative Beurteilung durch die Warentester sei „nicht haltbar“. Die wissenschaftliche Neubewertung von Kombinationspräparaten sei nicht berücksichtigt worden. Die von Glaeske angemahnte Gefahr von Nierenschäden und einem zu hohen Schmerzmittelkonsum seien „nach heutigem Stand der Wissenschaft nicht mehr haltbar“.
Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH), Bonn, bezeichnete die Bewertungen des Handbuchs als „teilweise einseitig und vielfach nicht nachvollziehbar“. Die Arzneimittelpublikationen der Stiftung Warentest seien „ideologisch gefärbt“, Die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erteilten Zulassungen wurden teilweise nicht beachtet, erklärte der Verband kurz nach der Buchvorstellung. Das BfArM sei die einzige für die Beurteilung von Wirksamkeit und Unbedenklichkeit berufene Zulassungsstelle. Dieses Manko lasse „den Nutzen eines grundsätzlich informativen Buches zum Thema Selbstmedikation letztendlich als wenig geeignet bis fragwürdig erscheinen“, so der Verband in seiner Stellungnahme.
Beratung in Apotheken wichtig
Schmidt verwies darauf, dass die Deutschen jährlich rund 4,3 Milliarden Euro für OTC-Arzneimittel ausgeben. Das sind rund 680 Millionen Packungen. Die Ministerin will sicherstellen, „dass Menschen nur jene Arzneien nehmen, die ihnen auch wirklich nützen“. Die Beratung durch Apothekerinnen und Apotheker sei deshalb besonders wichtig, sagte die Ministerin. Die Patienten sollten die Möglichkeit nutzen, die Kompetenz in den Apotheken gezielt abzufragen.
Brinkmann betonte hingegen, es seien gerade die Apotheker, die ein Interesse am Verkauf frei zugänglicher Arzneien hätten. Er beließ es indes bei dieser Feststellung... Das erste „Handbuch Selbstmedikation“ der Stiftung war 1995 in einer Gesamtauflage von 160.000 Exemplaren erschienen. Während es damals kaum Proteste der Hersteller gab, ist die Stiftung nach Erscheinen des „Handbuchs Medikamente“ vor knapp zwei Jahren von den Herstellern verschreibungspflichtiger Arzneien mit 80 Abmahnungen eingedeckt worden. „Wir mussten allerdings keine einzige Bewertung zurücknehmen“, sagte Glaeske. Das Buch ist im Buchhandel erhältlich und kostet 34 Euro.
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