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Regierung peitscht Sparpläne durch den Bundestag

18.11.2002  00:00 Uhr
Vorschaltgesetz

Regierung peitscht Sparpläne durch den Bundestag

von Daniel Rücker, Eschborn

Trotz massiver Kritik von Experten, Berufsverbänden und Opposition hat der Bundestag am Freitag die Eilgesetze zu Rente und Gesundheit beschlossen.

Danach steigt der Rentenbeitrag zum 1. Januar 2003 von 19,1 auf 19,5 Prozent. Für das Gesundheitswesen sieht das Notpaket eine Nullrunde für die Ärzte, Zwangsrabatte für Hersteller, pharmazeutischen Großhandel und Apotheker sowie einen Beitragsstopp für die Krankenkassen vor. Das Sterbegeld wird halbiert und der Wechsel zu einer Privatversicherung erschwert. Gegen die Stimmen von Union und FDP billigten SPD und Grüne am Freitag das Gesetzespaket. Dabei stimmten 303 Abgeordnete dafür und 271 dagegen.

Mit dem Notprogramm will die Koalition die Milliardenlöcher in der Renten- und Krankenversicherung stopfen und so den drohenden Anstieg der Beiträge noch abschwächen. So soll das Paket die Krankenkassen nach Regierungsangaben 2003 um bis zu drei Milliarden Euro entlasten. Die Kassen selbst halten allerdings nur eine Entlastung von einer Milliarde Euro für realistisch und sagen weiter steigende Beiträge voraus.

Der Bundesrat wird sich voraussichtlich am 29. November mit dem Gesetz befassen. Nach Angaben des Sozialministeriums ist es nicht zustimmungspflichtig. Die Länderkammer könne daher das Gesetz nur verzögern, aber nicht blockieren.

Apotheker tragen die Hauptlast

Für die Apotheker bedeutet das Gesetz massive Einkommensverluste. Die gestaffelte Erhöhung des Kassenrabattes auf bis zu 10 Prozent wird die Apotheker nach Berechnungen der ABDA mehr als 400 Millionen Euro vom Rohertrag kosten. Immerhin konnte kurzfristig noch eine Änderung der Rabattstaffelung erreicht werden. Ansonsten hätte sich der zusätzliche Zwangsrabatt auf 500 Millionen Euro addiert. Die von der Bundesregierung avisierte Summe von 350 Millionen Euro wird nach den Berechnungen der ABDA dennoch deutlich übertroffen.

Da alle Fachleute erwarten, dass der Großhandel seinen Zwangsrabatt von 3 Prozent auf den Abgabepreis an die Apotheken weitergeben wird, müssen diese mit zusätzlichen Einbußen von 700 Millionen Euro rechnen. Auch hier wird nach Berechnungen der ABDA das von der Bundesregierung erwartete Einsparvolumen um 100 Millionen Euro übertroffen.

Insgesamt dürften sich die Verluste der Apotheker auf rund 1,1 Milliarden Euro summieren. Sie zahlen damit den weitaus größten Teil der Zeche. Die pharmazeutische Industrie muss den Kassen einen Rabatt von 6 Prozent des Grossopreises einräumen. Ausgenommen sind Arzneimittel unter Festbetrag und solche, die unter die Aut-idem-Regelung fallen. Rund 420 Millionen Euro will die Regierung so bei den Herstellern abschöpfen.

Zusätzlich zum Gewinneinbruch werden die Apotheken dazu verpflichtet, die Herstellerrabatte der Industrie einzutreiben. Die Warnungen der ABDA, diese Regelung werde in den Apotheken zu einem Abrechnungschaos und teilweise erheblichen Liquiditätsproblemen führen, wurde von den Regierungsparteien ignoriert. Der Forderung, den Kassen das Inkasso aufzutragen, kam die rot-grüne Regierung nicht nach. Die Vorgabe, das Gesetz zustimmungsfrei zu halten, war den Parlamentariern wichtiger als seine praktische Umsetzbarkeit.

Nachdem die ABDA gemeinsam mit den anderen im Bündnis für Gesundheit zusammengeschlossenen Verbänden auf einer großen Kundgebung am 12. November in Berlin ihre Kritik am Vorschaltgesetz verdeutlicht hatte, meldeten sich am vergangenen Samstag auch die Apotheken-Angestellten zu Wort. In Hannover demonstrierten mehr als 300 Mitglieder des Bundesverbandes der Angestellten in Apotheken (BVA) für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze.

Mit Plakaten und Flugblättern wurden die Passanten auf die Auswirkungen für Patienten hingewiesen. “Jede fünfte Arbeitsstelle in öffentlichen Apotheken ist akut bedroht”, stellte die BVA-Vorsitzende Monika Oppenkowski fest. Die Kündigungswelle sei schon angelaufen. Die Apothekenkunden würden in Zukunft deutlich zu spüren bekommen, dass angesichts der dünnen Personaldecke kaum noch Zeit für eine persönliche Beratung bleibe.

Neben den Kündigungen erwartet Oppenkowski auch ein Apothekensterben kommen. Die Patienten müssten längere Wege in Kauf nehmen. Außerdem werden viele wohnortnahe Frauenarbeitsplätze vernichtet.

Höhere Beiträge

Ob das Gesetz neben den zahlreichen negativen Effekten überhaupt einen Nutzen hat, bezweifeln Experten. Der Sparknüppel wird nicht zu stabilen Beiträgen führen. So rechnet der Präsident des Bundesversicherungsamts (BVA), Rainer Daubenbüchel, mit einem Anstieg der Beitragssätze um bis zu 0,3 Prozentpunkte. „Der durchschnittliche Beitragssatz muss auf 14,2 oder 14,3 Prozent angehoben werden, das ist unausweichlich“, sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Samstag). Der Sprecher von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), Klaus Vater reagierte darauf in ungewöhnlich scharfer Form: Daubenbüchel und sein Amt seien „gut beraten, sich an das Beitragsstopp-Gesetz zu halten“ und alle von den Kassen eingehenden Anträge auf Erhöhungen der Beiträge „im Sinne des Gesetzes zu prüfen“. Das Ministerium gehe davon aus, dass die am Freitag vom Bundestag beschlossenen Gesetze in dem von der Regierung beabsichtigten Sinne wirken.

Oppositionspolitiker schlugen in dieselbe Kerbe. Der CDU-Sozialexperte Andreas Storm geht von noch höheren Beitragssatzanhebungen aus: „Es droht ein Anstieg auf 14,5 Prozent“, sagte er. Gründe dafür sehe er in den Ausnahmen von den Sparanordnungen für Krankenhäuser, die ein neues Preissystem praktizieren, sowie in den Auswirkungen von Hartz-Reform und Steuerpolitik. Dem pflichtete sein Fraktionskollege Horst Seehofer im Grundsatz bei. Das aktuelle Eilgesetz werde die Sozialbeiträge keineswegs stabil halten, sagte er am vergangenen Freitag in der Schlussdebatte über das Gesetzespaket im Bundestag. Trotz des Sparpakets werde auch der durchschnittliche Krankenkassenbeitrag von 14 auf 14,3 Prozent steigen. Top

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