Fischer will Reformkurs halten |
22.11.1999 00:00 Uhr |
GESUNDHEITSPOLITISCHES FORUM
Auch wenn es nach dem Verlust der Bundesratsmehrheit für Andrea Fischer schwerer wird, an der grundsätzlichen Richtung der Gesundheitsreform will sie festhalten.
Den Rat der Apotheker und Ärzte, mehr Geld ins System zu bringen, lehnt die Bundesgesundheitsministerin weiterhin ab. Nach wie vor sei sie zum Dialog mit Ärzten und Apothekern bereit, sagte Fischer während des gesundheitspolitischen Forums der Pharmazeutischen Zeitung und des Deutschen Ärzteblattes während der Medica in Düsseldorf, an der auch der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes, Hermann Stefan Keller, und der Präsident der Bundesärztekammer, Professor Dr. Jörg Dietrich Hoppe, teilnahmen. Auch nach einem Jahr als Ministerin habe sie keine Feindbilder, auch wenn "ich selbst wohl eins geworden bin". Wie fruchtbar solche Diskussionen für die Gegenseite sein könnten, relativierte die Ministerin allerdings direkt wieder: "Im Prinzip ist das Gesetz richtig. Wenn man an etwas festhält, dass man als richtig erkannt hat, dann ist dies kein Starrsinn."
An einer Begrenzung der Ausgaben will sie in jedem Fall festhalten. "Es ergibt keinen Sinn immer mehr Geld in ein System zu pumpen ohne vorher dessen Effizienz verbessert zu haben," sagte sie. Ohne die Zustimmung des Bundesrates werde es zwar kein Globalbudget geben, doch auch in einem nicht zustimmungspflichtigen Gesetz sei die Beitragssatzstabilität oberstes Primat.
Sollte es keine Einigung mit der Opposition geben, dann werde die Regierung ein Reformgesetz am Bundesrat vorbei verabschieden. Fester Bestandteil dieses Gesetzes wäre die Positivliste, kündigte Fischer an. Die Ministerin zeigte sich überzeugt davon, die Medikamentenliste auch ohne Bundesratszustimmung in das Gesetz zu hieven. Als qualitätssicherndes Element im Arzneimittelmarkt sei die Liste unverzichtbar. Sie betonte, dass sie die Positivliste nie als Sparinstrument gesehen habe.
Ein Kompromiss mit der Opposition sei ihr grundsätzlich lieber, so Fischer weiter. Doch gibt sie einer Einigung wenig Chancen, da die Union "Fundamentalopposition" betreibe. Das im Bundesrat zustimmungspflichtige Globalbudget und Änderungen bei der Krankenhausfinanzierung fielen deshalb voraussichtlich aus dem Gesetz heraus.
Im Namen der Heilberufler forderten der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes, Hermann Stefan Keller, und der Präsident der Bundesärztekammer die Ministerin auf, das Gesetz in dieser Form nicht zu verabschieden. Die Regierung habe wesentliche Vorschläge der Apotheker und Ärzte nicht berücksichtigt.
So vermisst Keller eine stärkere Einbindung der Apotheker in Modellversuche. Außerdem würden die Erkenntnisse der Apotheker zur Telematik im Gesundheitswesen ignoriert und von einer Aut-idem-Regelung wolle das Ministerium auch nichts wissen. Ebenfalls auf taube Ohren stieß der Vorschlag, die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel zu senken.
Keller nutzte außerdem die Gelegenheit, den Unmut der Apotheker über das von der Bundesregierung geplante Benchmarking im Arzneimittelsektor an die Ministerin weiterzugeben. Es sei nach wie vor falsch, die regionalen Budgets nach den Arzneimittelausgaben der in diesem Bereich sparsamsten KV-Bezirken zu begrenzen.
Der DAV-Vorsitzende betonte aber auch, dass die Argumentation der Standesvertretung beim Ministerium Spuren hinterlassen habe. "Von den 250 Änderungsanträgen zum Reformgesetz sind Einige auf unsere Arbeit zurückzuführen."
Aus Sicht der Ärzte ist das Reformgesetz nur noch Flickwerk. Nachdem die Veränderungen bei der Krankenhausfinanzierung im Bundesrat zustimmungspflichtig wären, falle ein wesentlicher Teil der Reform weg, stellte Hoppe fest. Sein Ratschlag an die Ministerin: "Das Gesetz, so wie Sie es planen, schafft Verwirrung und Rechtsunsicherheit. Es muss zurückgezogen werden."
Der Gesetzentwurf sei allein auf eine Begrenzung der Ausgaben, kritisierten Keller und Hoppe unisono. Nach ihrer Ansicht bleiben dabei medizinischer Fortschritt und demographische Entwicklung unberücksichtigt. Sie forderten deshalb die Ministerin auf, über neue Einnahmequellen für das Gesundheitswesen nachzudenken.
Rückenwind erhalten die Standesvertreter von eine Studie der parteiübergreifenden Kommission "Soziale Marktwirtschaft". In dem vor einer Woche vorgestellten Papier fordern 14 Politiker verschiedener Parteien eine solidarisch finanzierte Grundversorgung, die zusätzlich eigenverantwortliche ergänzt werden soll. (Siehe PZ 46/99, Seite 17)
Ministerin Fischer lehnte solche Überlegungen kategorisch ab. "Eine Grundabsicherung unter dem heutigen Niveau ist nicht machbar." Dafür gebe es keinen gesellschaftlichen Konsens. Auch die CDU habe während ihrer Regierungszeit den Plan verworfen, den Leistungskatalog der Krankenkassen in Regel- und Wahlleistungen einzuteilen. Das Dilemma aus Fischers Sicht: "Entweder nehmen wir nur Kinkerlitzchen aus der Grundversorgung heraus, das bringt finanziell nichts. Oder wir verzichten auf elementare Bestandteile der Versorgung."
Da in der gesetzlichen Krankenversicherung eine höhere Eigenbeteiligung ebensowenig mehrheitsfähig sei wie steigende Krankenkassenbeiträge oder steuerfinanzierte Leistungen, sieht die Ministerin keine Alternative zum strikten Sparkurs. Die Höhe der Abgaben sei in Deutschland allgemein an der Schmerzgrenze. "Es trifft nicht zu, dass überall Finanztöpfe herumstehen und ich nur zu blöd bin, sie zu öffnen."
Möglicherweise wird die Zuzahlungsregelung für Arzneimittel dennoch verändert. Fischer nannte die proportional niedrige Selbstbeteiligung bei N3-Packungen "ein falsches Signal, dass das Ministerium erkannt hat". Konkrete Pläne gibt es wohl noch nicht.
Andeutungsweise räumte die Ministerin aber auch ein, dass langfristig die Kosten im Gesundheitswesen stärker steigen könnte als die Lohnsumme. Ein Indiz dafür ist auch die neu eingesetzte Kommission der Krankenkassen und Kassenärzte. Das Gremium soll medizinische Innovationen sichten und bewerten. Die Erkenntnisse sollen dem Gesundheitsausschuss zur Verfügung gestellt werden, damit dieser den Finanzbedarf der gesetzlichen Krankenversicherung beurteilen kann. Sollte sich daraus ergeben, dass das Geld für notwendige Behandlungen nicht mehr reicht, müsse die Gesellschaft diskutieren, woher die benötigten Mittel kommen sollen, sagte Fischer.
Ohnehin erwartet die Ministerin nicht, dass die aktuelle Reform eine längere Halbwertszeit hat als ihre Vorläufer. "Das Gesetz ist nicht das Ende aller Tage". Ein komplexes System wie das Gesundheitswesen müsse kontinuierlich weiterentwickelt werden.
Die Reaktion auf die Gesundheitsreform 2000 seien ohnehin übertrieben. Diesem Gesetz
werde ein nächstes folgen, dies bringe die Dynamik des Systems mit sich. Ärzte und
Apotheker überschätzen nach ihrer Ansicht die Auswirkungen des Gesetzes. Fischer:
"Mit der heftigen Kritik tun sie dem Gesetz zu viel Ehre an."
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