Sehr effektives Informationssystem |
11.10.2004 00:00 Uhr |
Das Pharmaunternehmen Merck & Co. hat sich mit seiner Informationspolitik wenig Freunde gemacht. Aber auch die Ärzte, die angeblich zu wenig über die Medikamente wissen, die sie verordnen, stehen in der Kritik. Der Chef der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker, Professor Dr. Volker Dinnendahl, rät zur Besonnenheit.
PZ: Ärzte und Apotheker haben sich darüber geärgert, dass sie aus Wirtschafts- oder Publikumsmedien über den Vioxx-Rückruf informiert wurden. Warum sind diese Quellen manchmal früher informiert als die zuständigen Stellen der Ärzte und Apotheker?
Dinnendahl: Die Apotheker haben zusammen mit dem Phagro ein sehr effektives Schnellinformationssystem aufgebaut. Die Apotheker bekommen normalerweise eine Nachricht, die bei der Arzneimittelkommission eingeht, innerhalb von fünf Stunden. Bei den Ärzten existiert ein solches System nicht. Bei Vioxx gab es einen weltweiten Rückruf, der in New York ausgelöst wurde. Dabei gibt es einige spezifische Schwierigkeiten: Zum einen haben wir die Zeitverschiebung, zum anderen gibt es sprachliche Schwierigkeiten und drittens in vielen Ländern wie den USA aber auch Deutschland ein Gesetz, dass den Unternehmen vorschreibt, die Börsen zuerst zu informieren. So sollen Insider-Geschäfte verhindert werden.
Aus diesen Gründen erhielt die Arzneimittelkommission die Meldung erst am Donnerstag, 30. September, um 19.30 Uhr. Die Meldung wurde am nächsten Morgen sofort in das Schnellinformationssystem eingespeist. Noch am Vormittag war die Nachricht dann in fast allen Apotheken.
PZ: Wie läuft ein Rückruf in der AMK genau ab? Sie können ja sicherlich nicht auf eine dpa-Meldung oder einen Zeitungsartikel reagieren. Woher muss der Auslöser für einen Rückruf kommen?
Dinnendahl: Selbstverständlich können wir nicht nach einem Bericht in einer Tageszeitung einen Rückruf starten. Wir brauchen eine Nachricht von den zuständigen Behörden oder dem betroffenen Hersteller. Diese Nachrichten werden dann bei uns etwas gekürzt und auf ein spezielles Formular übertragen. Der Hersteller bekommt die gekürzte Meldung noch einmal, um sie zu kontrollieren. Das dauert nur ein paar Minuten.
Danach werden von der AMK über die Telefax-Box rund 100 Niederlassungen des pharmazeutischen Großhandels mit dieser Nachricht versorgt. Dort wird die Nachricht kopiert und in alle Sendungen eingelegt. Gleichzeitig unterrichtet die AMK die Landesapothekerkammern per Fax und diese informieren wiederum die Krankenhausapotheken.
PZ: Kann man diesen Prozess noch beschleunigen oder verbessern? Muss die AMK Konsequenzen aus dem Fall Vioxx ziehen?
Dinnendahl: Man kann wahrscheinlich jeden Prozess noch verbessern. In dieser Woche wird sich der Vorstand der Bundesapothekerkammer genau damit beschäftigen.
Ich rechne aber nicht damit, dass wir unser System noch entscheidend optimieren können. Alle Alternativsysteme haben ebenfalls Nachteile.
PZ: Merck & Co. wurde in den letzten Tagen heftig für das Prozedere beim Rückruf kritisiert. Hat das Unternehmen Fehler gemacht?
Dinnendahl: Nein, ich denke nicht. Ich glaube nicht, dass Merck hätte schneller reagieren können. Natürlich ist es nachvollziehbar, wenn sich Apotheker und Ärzte ärgern, dass zuerst die Börsen informiert werden. Doch das ist Vorschrift, die Unternehmen haben keine Möglichkeit, von dieser Regel abzuweichen.
PZ: Der Rückruf hat hohe Wellen geschlagen. Die Arzneimittelkommission der Ärzte fordert Änderungen im Zulassungsverfahren, der Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit, Professor Dr. Peter Sawicki, eine Neuordnung der Ärzteinformation. Halten Sie dies für berechtigt oder wird da jetzt nicht ein wenig über das Ziel hinausgeschossen?
Dinnendahl: Ich denke, die Sache wird schon etwas hochgekocht. Die heute für eine Zulassung notwendigen Studien reichen meiner Meinung nach aus. Wichtig ist, dass ein Arzneimittel auch nach der Zulassung in großen Studien untersucht wird.
Ein Defizit gibt es meiner Meinung nach noch bei der Meldung von unerwarteten Arzneimittelwirkungen durch Ärzte und Apotheker. Es ist aber nicht realistisch, sich vorzustellen, dass es eine absolute Sicherheit geben kann.
PZ: Uns hat der Vorwurf erstaunt, die Ärzte müssten besser über Arzneimittelwirkungen und Nebenwirkungen informiert werden. Sie haben ein Hochschulstudium absolviert, gibt es da nicht auch eine Holschuld?
Dinnendahl: Die Pharmareferenten informieren die Ärzte sicherlich nicht ausreichend. Natürlich geben sie in erster Linie die für ihr Unternehmen vorteilhaften Informationen weiter. Aber sie haben Recht. Die akademischen Heilberufe stehen auch in der Pflicht, sich selbst zu informieren. Ein Arzt sollte zumindest die Fachinformationen der von ihm verordneten Arzneimittel gelesen haben. Man kann sich nicht nur auf Firmenvertreter verlassen.
PZ: Ist es angesichts der Vielzahl neuer Arzneimittel, dem großen wirtschaftlichen Interesse der Unternehmen und dem Wunsch der Patienten nach einer schnellen Therapie überhaupt realistisch, die Datenlage vor der Zulassung zu verbessern oder würde dies nicht letztlich eine Verzögerung bedeuten, die bei manchen Krankheiten wiederum ethische Probleme nach sich zieht.
Dinnendahl: In der Tat. Das Zulassungsverfahren ist ja schon sehr langwierig. Für die Betablocker hat einmal jemand ausgerechnet, dass in den USA auf Grund der späten Zulassung mehrere tausend Menschen gestorben sind, die mit der Therapie hätten gerettet werden können. Da muss man einen Kompromiss finden. Wie bereits gesagt. Ich halte das aktuelle Zulassungsverfahren für im wesentlichen sachgerecht. Dennoch lässt es sich nicht ausschließen, dass sich Fälle wie Vioxx wiederholen werden.
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