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Kampf um die Beratungshoheit

15.08.2005  00:00 Uhr
Arzneimittelausgaben

Kampf um die Beratungshoheit

von Daniel Rücker, Eschborn

In der Diskussion um steigende Arzneiausgaben stehen öffentliche Schuldzuweisungen mindestens so hoch im Kurs wie die Suche nach Lösungen. Die Kassen machen die Ärzte verantwortlich, die Ärzte beklagen sich über Industrie und Krankenkassen. Gleichzeitig geht es aber auch darum, wer die Kompetenz der Ärzte steigern darf.

Für die Krankenkassen steht fest, dass Ärzte auch auf Grund ihrer Unkenntnis die Arzneimittelausgaben in die Höhe treiben. Nach der Überzeugung des BKK-Landesverbandes Nordrhein ließe sich ein nicht unerheblicher Betrag einsparen, wenn die Ärzte bei der Arzneimittelverordnung besser beraten würden.

Dabei stützt sich der Landesverband auf eine gemeinsame Untersuchung mit der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, an der auch die Apothekerkammer Nordrhein beteiligt war. Danach konnten die 247 teilnehmenden Ärzte ihr Verordnungsvolumen für ein Jahr um 1,1 Millionen Euro drücken. Beratungsärzte und Apotheker hatten das Arzneimittelwissen der Allgemeinmediziner und Internisten aus Nordrhein aufgefrischt. Das Projekt soll nun auf das ganze KV-Gebiet ausgeweitet werden.

Da die Einsparungen mit rund 4000 Euro pro Arzt und Jahr zwar schön, aber doch eher moderat sind, hält sich der BKK-Landesverband nicht lang mit den Ergebnissen auf, sondern postuliert Einsparpotenziale für »weit überdurchschnittlich verordnende Ärzte«. Dabei kommen Zahlen heraus, die die Kassenherzen schon höher schlagen lassen. Verordne ein solcher Arzt immer das günstigste Arzneimittel einer Festbetragsgruppe könne er locker 400 Euro pro Quartal sparen, glaubt der BKK-Verband. Weiter 1400 Euro pro Quartal ließen sich mit den Verzicht von Analogpräparaten einsparen ­ macht pro Jahr und Arzt schon mehr als 20.000 Euro.

Auch der AOK-Bundesverband lässt nicht locker, den Kassenärzten Versagen bei der Steuerung der Arzneimittelausgaben vorzuwerfen. 60 Prozent der Mehrausgaben im ersten Halbjahr 2005 gingen auf das Konto der Ärzte, sagt Norbert Schleert, bei den Ortskrankenkassen zuständig für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel. Dabei bezieht er sich auf die Zahlen der ABDA, nach denen 450 Millionen Euro Mehrausgaben auf eine Mengenausweitung und 630 Millionen Euro auf den Trend zu teureren Medikamenten und größeren Packungen entfallen. Dass die Zunahme der verordneten Packungen im Vergleich zu 2004 zumindest teilweise aus dem Verordnungseinbruch zum Beginn des Vergleichsjahres resultiert wird dabei allerdings unterschlagen.

Die ärztlichen Defizite im Verordnungsverhalten ließen sich auch nach Ansicht der AOK über einen Erkenntniszuwachs der Mediziner in den Griff kriegen. Der Bundesverband setzt dabei auf die von seinem wissenschaftlichen Institut entwickelten Programme pharmPro und GAmSi. Damit ließen sich die Arzneiausgaben effektiv steuern.

BKK und AOK widersprechen damit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, die die niedergelassenen Ärzte vor allem als Spielball einer übermächtigen Pharmaindustrie sieht. Mit direkt an die Patienten gerichteten Marketingstrategien versuchten die Unternehmen die Marktchancen ihrer Produkte zu verbessern, stellt der stellvertretende Vorsitzende der KV-Nordrhein, Dr. Klaus Enderer fest. Wie KBV-Chef Ulrich Weigeldt wirft er den Kassen vor, sich der Steuerung der Arzneimittelausgaben zu entziehen. Zudem versäumten es die Kassen, ihre Versicherten ausreichend zu informieren.

Ohnehin sehen die niedergelassenen Ärzte nur wenig Möglichkeiten für drastische Einsparungen bei der Verschreibung. »Es ist nicht so, dass 120.000 Ärzte in jedem Fall optimal verordnen«, sagte der Sprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Roland Stahl, am Donnerstag in Berlin. Jedoch ließen sich durch gezielte Beratung kaum Milliarden sparen.

Auch der Ärzteverband Hartmannbund wies Vorwürfe der Kassen zurück, dass die Mediziner wegen zu vieler und zu teurer Verordnungen dafür verantwortlich seien. Die Ausgaben seien im Vergleichszeitraum 2004 sehr niedrig gewesen, sagte der Vorsitzende Hans-Jürgen Thomas im RBB-Inforadio. Viele neue, aber auch teurere Medikamente hätten zudem deutlich weniger Nebenwirkungen, was im Interesse der Patienten sei.

Eigene Informationssysteme

Grundsätzlich haben auch die Kassenärzte nichts gegen Arzneimittelinformationssysteme, die ihnen das Verordnen von Arzneimitteln erleichtern. Die KBV sieht dabei die Kassen jedoch in der Rolle als Datenlieferant für die KVen. In einer Pressemeldung fordert Weigeldt die Kassen auf, den Ärzteverbänden endlich arztindividuelle Daten zur Verfügung zu stellen. Für die Beratung der Ärzte verweist Weigeldt auf KBV-eigene Angebote wie die Internetplattform »Arzneimittel im Fokus« (AmFo) oder Berater der KVen.

Auch die KV Nordrhein tut sich schwer, ihre Beratungshoheit öffentlich mit anderen zu teilen. In einer Pressemeldung zur Pharmakotherapieberatung, die sich auf das gemeinsame Projekt mit dem BKK-Landesverband bezieht, wird dieser mit keinem Wort erwähnt. Die Apothekerkammer Nordrhein selbstredend auch nicht. Top

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