Kein akademisches Glasperlenspiel |
08.08.2005 00:00 Uhr |
Die aktuelle Diskussion um die Arzneimittelausgaben macht es deutlich: Die ökonomischen Aspekte der Arzneiversorgung werden immer wichtiger. Im Zentrum steht dabei die Nutzenbewertung von Arzneimitteln. Ein von ABDA-Geschäftsführer Dr. Frank Diener moderierter Arbeitskreis auf dem Deutschen Apothekertag widmet sich ausschließlich diesem Thema.
PZ: Der von ihnen moderierte Arbeitskreis auf dem Apothekertag beschäftigt sich mit der Nutzenbewertung von Arzneimitteln. Warum ist das Thema so wichtig?
Diener: Immer mehr geraten die Arzneimittelausgaben in den Fokus des öffentlichen Interesses. Mittlerweile sind unsere trockenen monatlichen Frühinfos zu den GKV-Arzneimittelausgaben gut genug, um sogar zur Hauptsendezeit über die Fernsehbildschirme zu flimmern und in den Tageszeitungen auf Seite eins platziert werden. Bei jeder noch kleinen Ausgabensteigerung werden sofort »Schuldige«, »Verursacher« oder »Profiteure« gesucht. »Gestiegene Arzneimittelausgaben« sind eine mediale Schlechtmeldung und bei zweistelligen Zuwachsraten sogar ein »Schocker«. Genau das lieben die Medien.
Wir taugen zwar mit der neuen preisunabhängigen Vergütung nicht mehr als Bösewichte, doch die Hersteller, die Ärzte und ihre Organisationen stehen gerade in diesen Wochen am Pranger. Jeder Euro, der für Arzneimittel ausgegeben wird, muss gerechtfertigt werden: Ist der Nutzen von Arzneimitteln generell und im Einzelfall größer als die Kosten?
Seit dem GMG gibt es im SGB V einen gesetzlichen Auftrag zur Nutzenbewertung von Arzneimitteln und die Umsetzung dieses Auftrages nimmt jetzt klare Konturen an. Meine zentrale These: Die Nutzenbewertung von Arzneimitteln ist auf eine neue Grundlage gestellt worden und wird die Arzneimittelversorgung verändern. Und das betrifft jede Apothekerin und jeden Apotheker und zwar in allen Tätigkeitsfeldern. Deshalb machen wir beim Deutschen Apothekertag daraus einen ganzen Arbeitskreis.
PZ: Welche Schwerpunkte setzen Sie?
Diener: Wir gliedern das Ganze in drei Blöcke. Der erste ist eher methodisch orientiert: Wer bewertet? Was wird bewertet? Wie wird bewertet? Der zweite Block stellt dann die Frage: Was geschieht mit Nutzenbewertungen bei Arzneimitteln? Welche Auswirkungen auf pharmapolitische Entscheidungsprozesse sind absehbar? Der dritte Block ist dann direkt an uns selbst gerichtet: Wenn der Gesetzgeber die Nutzenbewertung bei Arzneimitteln und ihre Berücksichtigung in der Arzneimittelversorgung erzwingt, dann muss sich der Berufsstand der Frage stellen, wie er es mit der Pharmakoökonomik hält. Die Frage ist nämlich nicht, ob Nutzen und Kosten von Arzneimitteln zusammengebracht werden, sondern von wem.
PZ: Welche Diskutanten werden auf dem Podium sitzen?
Diener: Ohne Übertreibung, wir haben ein echtes Dream-Team zusammen! Beginnen wird Dr. Rainer Hess, der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, mit einem einführenden Impulsreferat. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist das Gremium, an das das mit der Nutzenbewertung beauftragte Institut zur Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) berichtet. Hess ist also der Mann, der die Staffette aus der Wissenschaft in die Selbstverwaltung übernimmt, wo die Nutzenbewertungen in die Versorgungspraxis transformiert werden.
Als Diskutanten haben wir vier ausgewiesene Kenner der Materie gewonnen: Professor Dr. Klaus Mohr ist Leiter der Abteilung Pharmakologie und Toxikologie am Pharmazeutischen Institut der Universität Bonn und maßgeblich an den Kriterien für die Beurteilung von Arzneimittelinnovationen beteiligt, die die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG) in einem Positionspapier dieses Jahr vorgelegt hat.
Dr. Ulf Maywald arbeitet am Institut für Klinische Pharmakologie der TU Dresden unter anderem an dem Projekt »Unabhängige Arzneimittelberatung für Patienten«. Er ist Fachapotheker für Arzneimittelinformation und hat seine Schwerpunkte auf Arzneimittelanwendungsforschung und Pharmaepidemiologie gelegt. Als Mitarbeiter der Netzwerkgruppe Gesundheit des Verbraucherzentralen-Bundesverbandes ist er als Patientenvertreter im Unterausschuss Arzneimittel des Gemeinsamen Bundesausschusses.
Dr. Martin Weiser ist Leiter Gesundheitspolitik bei Boehringer Ingelheim und seit 2001 Sprecher der Fachgruppe Apotheker in Wissenschaft, Industrie und Verwaltung, die er auch im Gesamtvorstand der ABDA vertritt. Er ist in Sachen Arzneimittelinformation und Pharmazeutische Fortbildung einer Reihe weiterer Gremien und Organisationen aktiv.
Friedemann Schmidt ist Vizepräsident der ABDA, zugleich Präsident der Apothekerkammer Sachsen und führt seit 1990 die Seume-Apotheke in Leipzig. Er leitet unsere Arbeitsgruppe »Hausapotheke und neue Versorgungsformen«, die die Umsetzung der Hausapothekenverträge begleitet und die Aktivitäten rund um das Thema neue Versorgungsformen zwischen Kammern und Verbänden koordiniert.
PZ: Warum ist das Thema für Apotheker wichtig?
Diener: Wer meint, das wären akademische Glasperlenspiele, irrt gewaltig. Nutzenbewertungen werden nämlich nicht ins Museum gestellt, sondern mittelbar oder sogar unmittelbar in konkrete pharmapolitische Maßnahmen einfließen und damit direkte Auswirkungen auf die Arzneimittelversorgung haben, sei es durch neue Festbetragsgruppen für vergleichbare Wirkstoffe oder Arzneimittel mit vergleichbaren Wirkprinzipien, durch Aus- oder Eingrenzungen in den obligaten Arzneimittelrichtlinien oder bei der Ermittlung spezifischer Richtgrößenvorgaben.
PZ: Ist eine objektive Bewertung des Nutzens von Arzneimitteln möglich?
Diener: Um gleich einem Missverständnis entgegenzuwirken: Mit Nutzenbewertungen sind nicht die bilateralen Entscheidungssituationen zwischen Heilberufler und Patient zum adäquaten Arzneimittel gemeint, sondern pharmakoepidemiologische und pharmakoökonomische Analysen, die den Nutzen verschiedener Präparate an Patientenkollektiven statistisch messen. Subjektiver und objektiver Nutzen sind dabei keine Gegensätze, sondern geben an, wie genau gemessen werden kann.
So ist objektiver Nutzen anhand harter Kriterien quantifizierbar subjektiver Nutzen dagegen wird eher an weichen Kriterien festgemacht. Mittlerweile beginnt sich ein Kanon von Methoden zur Nutzenmessung herauszuschälen, die internationalen Standards genügen. Derzeit ist das IQWiG dabei, seine Methoden zusammenzustellen und auch schon offen zu legen. Es wird zwar durch den Gemeinsamen Bundesausschuss finanziert und berichtet an ihn, es ist aber nicht in seiner Arbeit weisungsgebunden.
PZ: Nicht selten wird der Begriff Nutzenbewertung vor allem für geplante Einsparungen herangezogen. Geht es letztlich doch nur darum?
Diener: Das IQWiG ist qua Gesetz auf die bloße Nutzenbewertung beschränkt, doch es ist völlig klar, dass dieser Prozess nicht bei der Nutzenbewertung stehen bleibt, sondern in Kosten-Nutzen-Bewertungen münden wird notfalls in anderen Gremien. Das Thema Einsparungen ist bei der sich verschlimmernden Finanzmisere der Sozialsysteme nicht wegzukriegen.
Dem müssen wir uns stellen und zwar ohne Angst: Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass sich auf der Seite der Kostenträger mancher, der sich jetzt die schnelle Einsparung durch die Nutzenbewertung erhofft, in 10 Jahren gelernt haben wird, dass die Nutzenbewertungen zwar die Spreu vom Weizen trennen, aber für den fein sortierten Weizen dann auch ein unabweisbarer Mittelbedarf da ist.
PZ: Apotheker werden in ihrem Beruf wissenschaftlich und ökonomisch gefordert, bringen also die beiden wichtigsten Voraussetzungen für die Nutzenbewertung mit, dennoch sind sie im Gemeinsamer Bundesausschuss nicht als Organisation mit Sitz und Stimme vertreten. Woran liegt das und sollte sich dies nicht ändern?
Diener: Der Gesetzgeber hat den Gemeinsamen Bundesausschuss, der zuvor alleine von der Gesetzlichen Krankenversicherung und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gebildet wurde, vor zwei Jahren nur um die Deutsche Krankenhausgesellschaft erweitert. Politische Absicht war, im Bundesausschuss ausschließlich die Kostenträger und Leistungsveranlasser, nicht aber die Organisationen der Erbringer veranlasster Leistungen zu berücksichtigen.
Da der Ausschuss nicht auf die Arzneimittelversorgung beschränkt ist, sondern das komplette ambulante und stationäre Leistungsspektrum zu bearbeiten hat, hätte die Berücksichtigung des DAV sofort auch die weiterer Leistungserbringerorganisationen erzwungen. Das wollte die Bundesregierung nicht. Doch was hindert uns daran, uns als Apothekerschaft aktiv und kompetent einzumischen und eine aktive Vorwärtsstrategie einzuschlagen? Niemand zwingt uns zu einem Schweigegelübde. Ich nenne hier nur die Stichworte apothekereigene Statistik unter dem Dach des DAPI oder das Medikationsmanagement in der Hausapothekenversorgung.
Wenn der Arbeitskreis das Ergebnis hat, dass wir uns in die
Nutzenbewertung einbringen und wir uns dabei mit Kompetenz wichtig und
unentbehrlich machen, wäre das ein tolles Ergebnis.
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