Die Grünen, die Roten und ein Schwarzer für die Bürgerversicherung |
28.07.2003 00:00 Uhr |
Die Eckpunkte zur Gesundheitsreform sind erst wenige Tage bekannt, da beginnt eine leidenschaftliche Diskussion – auch um die Inhalte der Konsensgespräche, aber vor allem um die Bürgerversicherung.
Eigentlich sollte die Finanzierung der Sozialversicherungssysteme erst Ende August mit den Vorschlägen der Rürup-Kommission auf die Tagesordnung gelangen. Doch so lange wollten die Politiker nicht warten. Eine schwarz-grüne Allianz verschaffte sich Gehör. Die Grünen und CSU-Gesundheitsexperte Horst Seehofer plädieren für einen radikalen Systemwechsel bei der Finanzierung der Gesundheits- und Altersversorgung. Eine Bürgerversicherung sollen die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und auch die Rentenversicherung retten.
Eine Bürgerversicherung, schreiben die Grünen in ihrem Grundsatzprogramm, soll die Beitragsbasis verbreitern und steuerliche Zuschüsse für die Sozialkassen minimieren. Sonderregelungen für Beamte, Besserverdienende und Selbstständige sollen wegfallen. Alle Einkommensarten, also auch Mieteinnahmen oder Zinsen, werden zur Beitragsberechnung herangezogen.
Bei den Grünen besteht weitgehender Konsens über den Systemwechsel. Im Interview mit der „Financial Times Deutschland“ sagte Bundesaußenminister Joschka Fischer er rechne fest damit, dass die Bürgerversicherung kommen wird. Die Koppelung der sozialen Sicherung an die Bruttolöhne sei auf Dauer nicht mehr haltbar. Parteichef Reinhard Bütikofer äußerte sich ebenfalls dahingehend. Beim Koalitions-Seniorpartner sieht es ähnlich aus. SPD-Fraktions-Vize Ludwig Stiegler hält bereits eine Mehrheit in seiner Fraktion für gegeben. Nach einer Umfrage befürworten vier von fünf Befragten eine Einbeziehung aller Bevölkerungskreise und Einkunftsarten in die Beitragspflicht der Sozialversicherungen.
Seehofer allein auf weiter Flur
Anders sieht es bei der Opposition aus. Seehofer hat hier kaum Unterstützung für die Bürgerversicherung. Zu Beginn der Debatte hatte CDU-Chefin Angela Merkel zumindest bei der Rente die Bürgerversicherung als denkbare Alternative bezeichnet, doch die meisten Stimmen aus der Union sind negativ. Die Bürgerversicherung löse nicht die Finanzierungsprobleme der GKV, so die überwiegende Meinung, der sich auch Seehofers Parteigenossin, die bayerische Sozialministerin Christa Stewens anschließt.
Auch die FDP lehnt das Konzept der Grünen ab. Bürgerversicherung sei nur „ein elegantes Wort für eine Monopol- und Einheitsversicherung“, so der Parteivorsitzende Guido Westerwelle. Sie würde in Wahrheit die Strukturfragen wieder nicht beantworten und noch mehr Menschen in ein marodes, bürokratisches System hineinzwingen, ohne die Herausforderung der veränderten Altersstruktur unserer Gesellschaft ernsthaft anzugehen.
Während Ulla Schmidts erster Berater, Professor Dr. Karl Lauterbach, den Gedanken einer Bürgerversicherung unterstützt, zeigte sich der Namensgeber der Expertenkommission, Professor Dr. Bert Rürup, zurückhaltend. Die Debatte sei verfrüht, sie beruhe eher auf Wunschvorstellungen denn auf Fakten. Die Bürgerversicherung habe „auf den ersten Blick viel Charme“, führe aber nicht zu einer konsequenten Abkoppelung der Gesundheitsausgaben von den Arbeitskosten. Zudem gebe es „eine Unsumme nicht gelöster technischer Probleme bei der Umsetzung“.
Eines der größten Probleme dürfte wohl das Schicksal der bislang privat versicherten Bürger sein. Der Wechsel in eine gesetzliche Krankenkasse wäre mit immensen Schwierigkeiten verbunden. Vor allem bei langjährigen Privatversicherten dürfte die Begeisterung der Krankenkassen gering sein.
Koch für Kopfprämie
Parallel zur Diskussion um die Bürgerversicherung wird auch die Art der Beitragsbemessung kontrovers diskutiert. Rürup sowie der hessische Ministerpräsident Roland Koch favorisieren dabei die so genannte Kopfpauschale. Dann würde jeder Erwachsene unabhängig von seinem Einkommen einen festen Betrag für die solidarische Grundabsicherung bezahlen. Im Gespräch sind etwa 200 Euro.
Ein Blick auf die Schweiz zeigt, dass ein System mit allgemeiner Versicherungspflicht auch mit einer Kopfprämie kombiniert werden kann. Jeder Schweizer zahlt für seine Grundversicherung eine Kopfprämie, die sich allerdings von Kasse zu Kasse unterscheidet. Für Kinder gibt es niedrigere Tarife. Menschen, die wirtschaftlich nicht in der Lage sind ihre Prämie zu bezahlen, erhalten aus Steuermitteln eine Unterstützung.
In der Union hat Koch damit wohl mehr Unterstützer als Seehofer. Nach Angaben von CDU-Präsidiumsmitglied Hildegard Müller geht der Trend in der Partei eher in Richtung Kopfprämien. Bei der SPD dürften diese wiederum kaum Chancen haben, da sie eine klare Abkehr vom Solidargedanken bedeuten.
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