Vertrieb von Nahrungsergänzungsmitteln darf verboten werden |
27.06.2005 00:00 Uhr |
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden1, dass Deutschland zur Einstufung hoch dosierter Vitamin- und Mineralstoffprodukte als Arzneimittel berechtigt ist, wenn dies im Einklang mit den europarechtlich vorgegebenen Kriterien geschieht.
Dies gelte selbst dann, wenn die betreffenden Produkte in anderen EU-Mitgliedstaaten rechtmäßig als Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel vertrieben werden. Das europäische Recht überlasse nach gegenwärtigem Stand die Entscheidungsbefugnis den nationalen Behörden, was in Grenzfällen unterschiedliche Einstufungen in einzelnen Mitgliedstaaten zur Folge haben könne. Bis zu einer arzneimittelrechtlichen Zulassung sind solche Produkte dann in Deutschland grundsätzlich nicht verkehrsfähig.
Das Oberverwaltungsgericht Münster hatte dem EuGH fünf Verfahren zur Vorabentscheidung vorgelegt, in denen die Kläger jeweils die Erteilung einer Allgemeinverfügung gem. § 47a LMBG für ihre Produkte begehrten. Nach dieser Vorschrift bedürfen Lebensmittel, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig in den Verkehr gebracht werden, aber bestimmten deutschen Normen nicht entsprechen, für ihren Vertrieb in Deutschland einer solchen behördlichen Verfügung. Im Erteilungsverfahren überprüfen die deutschen Behörden die betreffenden Produkte auf mögliche Gesundheitsgefährdungen.
Bei den fraglichen Produkten handelte es sich z.B. um Pulver mit Bakterienextrakt und hoch dosierte Vitamintabletten (mit dem 13- bis 22fachen der empfohlenen Tagesdosis). Die deutschen Behörden lehnten jeweils den Erlass einer Allgemeinverfügung ab. Zur Begründung verwiesen sie darauf, dass die Produkte nicht als Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel, sondern als Arzneimittel einzustufen seien. Dies ergebe sich unter anderem aus der arzneilichen Funktion der Produkte und aus der hohen Dosierung.
Der EuGH konnte aus Kompetenzgründen nicht selbst abschließend über die jeweilige Einstufung der Produkte entscheiden, sondern hat diese Beurteilung dem nationalen Gericht überlassen. Er gibt ihm aber die maßgeblichen Entscheidungskriterien vor. So betont der EuGH, dass in Zweifelsfällen ein Vorrang für das Arzneimittelrecht vor dem Lebensmittelrecht gelte2. Eine Einstufung müsse unter Berücksichtigung aller Merkmale des Produkts erfolgen. Dabei könne dem Kriterium des Ernährungsbedürfnisses der Bevölkerung eine Indizwirkung zugemessen werden. Allerdings rechtfertige das Fehlen eines solchen Bedürfnisses allein kein völliges Verbot des Inverkehrbringens. Weitere produktbezogene Kriterien seien insbesondere die Zusammensetzung, die pharmakologischen Eigenschaften, die Modalitäten des Gebrauchs, der Umfang der Verbreitung, die Bekanntheit bei Verbrauchern und die verwendungsbezogenen Risiken. Mögliche Gesundheitsgefahren seien bei der Einstufung als wichtiger eigenständiger Faktor zu berücksichtigen. Allerdings führt der EuGH auch aus, dass die Dosierung von Vitaminpräparaten (empfohlene Tagesdosis/sichere Höchstmenge) für die Einstufung als Arzneimittel oder Lebensmittel irrelevant ist3. Der EuGH stellt klar, dass Deutschland für Arzneimittel ein Verkehrsverbot aussprechen kann4, solange keine arzneimittelrechtliche Zulassung erteilt wurde. Dem Urteil zufolge müssen nun die deutschen Gerichte den Streit abschließend klären.
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