OTC für Apotheken von großer Bedeutung |
21.06.2004 00:00 Uhr |
Einnahmeproblem, GKV-Verschuldung, Demographie und mittendrin die Apotheke: Bei der 12. Apotheker-Informationstagung der Gehe GmbH in Berlin erfuhren Apothekerinnen und Apotheker aus erster Hand, warum die Politik wie entscheidet.
„Wer die Hände jetzt in den Schoß legt, hat aus meiner Sicht keine Zukunft“, sagte Gehe-Geschäftsführer Wolfgang Mähr zur Begrüßung im Hotel Adlon. Der Großhandelsmanager betonte, dass es Grund genug gebe, weiterhin optimistisch zu sein, trotz des Geredes über Versender. Die Apotheke stehe bei der Versorgung der Patientinnen und Patienten und bei der Beratung „ganz weit vorn“. Es sei besser, „die latente Diskussion über die nächste Reform zielgerichtet und sachlich“ zu führen. Seine Botschaft an die Politik, die sich bei der Veranstaltung der Diskussion mit den Pharmazeuten stellte: „Nehmen sie die Leistungsfähigkeit und Kompetenz der Apotheker wahr und nutzen Sie sie.“
Professor Dr. Dieter Benatzky, bei der Gehe für das Referat Gesundheitspolitik zuständig, warnte vor einem „Einstieg in die Systemveränderung“. Er führte durch das zweitägige Programm und kommentierte die Einlassungen der Politik. Die Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Helga Kühn-Mengel, erläuterte ihre Arbeit und die vielen Anfragen, die mit der Einführung des GMG bei ihr und den wenigen Mitarbeitern ihres Teams eingegangen seien. „Wir haben jetzt 7000 von insgesamt 8000 Briefen beantwortet“, erläuterte die Politikerin, die betonte, wie groß der „Bedarf an Information“ bei Versicherten und Patienten sei. „Hier gibt es noch allerhand zu tun für uns“, sagte die SPD-Bundestagsabgeordnete. Die Menschen würden immer kritischer und hinterfragten nicht nur die Politik an sich, sondern auch die Leistungen im System.
Ihr Fraktionskollege Horst Schmidtbauer brillierte einmal mehr mit seinem Wissen vom kanadischen Gesundheitssystem und frohlockte mit der statistischen Erkenntnis, die Apotheken seien die Gewinner der Reform. Denn nach Angaben von IMS Health habe sich ihr Rohertrag um 10 Prozent erhöht. Das neue Modell ermögliche „eine gute Honorierung Ihrer Tätigkeit“. Aus seiner Sicht gehöre das Arzneimittel in die Apotheke und nicht in die Drogerie. Einig waren sich darin auch Anette Widmann-Mauz (CDU) und Biggi Bender (Grüne), jeweils gesundheitspolitische Sprecherinnen ihrer Fraktion. Widmann-Mauz beklagte die Inländerdiskriminierung, die sie im Zusammenhang mit den Vorgängen um DocMorris beobachte. Schließlich halte sich die holländische Apotheke nicht an die Preisverordnung. Sie forderte Apotheken auf, die sich im Gesetz bietenden Chancen zu nutzen und beispielsweise das grüne Rezept gezielt auch für die Interessen der Patienten einzusetzen. An die pünktliche Einführung der Patientenkarte glaubt die CDU-Abgeordnete nicht. „Das wird ein Maut-Debakel hoch drei.“
Grüne wollen Wettbewerb
Bender ließ keinen Zweifel daran, dass sie für mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen stehe, und das gelte im Besonderen für den Arzneimittelmarkt. Die Anbieterdominanz müsse reduziert werden. „Ich bedauere es, dass wir auf die Positivliste haben verzichten müssen“, sagte Bender, die glaubt, dass nur der Wettbewerb eine weitere Finanzierung der GKV ermöglichen werde.
ABDA-Präsident Hans-Günter Friese erläuterte seinen Kolleginnen und Kollegen, welche Vor- und Nachteile sich aus Sicht der Apotheken aus dem GMG ergeben. Er begrüßte die Aussagen von Widmann-Mauz und Bender zur Position und Aufgabe der Apotheken. Insbesondere der OTC-Bereich sei „von größter Bedeutung für die Entscheidungskompetenz der Apotheken“. Die aktuelle Gemengelage sei schwer zu durchschauen, erläuterte der ABDA-Präsident. Dies werde auch durch den jüngsten Brief der Firma Ratiopharm deutlich.
Einen Blick in Vergangenheit und Zukunft der sozialen Sicherungssysteme warf mit Professor Der. Bernd Raffelhüschen, einer der derzeit prominentesten Experten im Berliner Beraterkarussell. Doch der Freiburger Professor ist wegen seiner deutlichen und mitunter regierungs-unfreundlichen Bemerkungen alles andere als beliebt. Wie tiefgründig die tatsächlichen demographischen Probleme hier zu Lande sind, verdeutlichte Raffelhüschen anhand umfangreicher Statistiken. „Die Krankenkasse ist nicht nur leer, sie ist sogar bepumpt“, beschrieb er die bereits marode Ausgangssituation. Und: „Es wird noch schlimmer. Viel schlimmer.“ Die Bürgerversicherung werde dabei keine Abhilfe schaffen können. Es werde zwangsläufig zu Leistungsausgrenzungen und höheren Beiträgen kommen.
Besser als sein Ruf
„Auf lange Sicht ist das GMG besser als sein derzeitiger Ruf“, urteilte Dr. Leonhard Hansen, Zweiter Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) aus Köln. Insbesondere in der Reform der Versorgungsstrukturen sieht der KBV-Vertreter Chancen für Ärzte, aber auch Apotheker. Medizinische Versorgungszentren zum Beispiel bewertete der Mediziner als sehr sinnvoll. So können sie im Osten Deutschlands die ärztliche Versorgung garantieren und schaffen eine bessere Kooperation zwischen ambulanten und stationären Ärzten. An einer solchen fachübergreifenden Einrichtung könnten sich zudem Apotheker beteiligen. „Ich sehe darin den Vorläufer für die große integrierte Versorgung“, sagte Hansen. Diese sei mit dem GMG „von jeglichen Beschränkungen entschlackt“ und zudem bestehe bis 2006 eine Anschubfinanzierung, um die Struktur zu etablieren. Hansen nannte es besonders „interessant, wenn der dritte Bereich dazukommt“. Er lud damit die Apotheker ein, aktiv zu sein, da er vor allem im Arzneimittel-Management noch Ressourcen sieht. Dabei dürfe man den Wettbewerb jedoch nicht so konstruieren, dass die öffentliche Apotheke von vornherein keine Chance hat.
Deutlich negativer bewertete Wolfgang Schmeinck, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen, das GMG. So sei seine Hoffnung auf mehr Wettbewerb im Versorgungsmarkt enttäuscht. „Die neuen Vertragsspielräume werden bisher wenig genutzt“, stellte er mit Bedauern fest. „Die integrierte Versorgung wird nicht schwungvoll angeschoben.“ Die Anfangsfinanzierung sei noch zu gering. Für viele Ärzte lohne sich das Konzept nicht, wenn sich nicht ausreichend Patienten beteiligen. Generell müsse die Mauer zwischen stationärer und ambulanter Versorgung endlich fallen.
„Die Apotheker sehe ich eher auf Seiten der Gewinner der Reform, wenn auch nicht jede einzelne Apotheke“, wertete Schmeinck. Denn die Apothekerschaft habe mit der Neuregelung der Preisspannen den Berufsstand gesichert. Das Steuerungspotenzial der Apotheker in der integrierten Versorgung werde aber vermutlich genauso überschätzt wie die integrierte Versorgung selbst. Sie werde wie auch die Versandapotheken eher auf ein Nischendasein beschränkt bleiben, bedauerte der BKK-Chef.
Arzneimittel als Preistreiber
Seiner Meinung nach werden die Kosten im Arzneimittelsektor weiterhin die Preistreiber bleiben. Die bisher gesunkenen Kassenausgaben für diesen Bereich betrachtet Schmeinck noch mit Vorsicht und Skepsis: „Niemand traut sich, auf das ganze Jahr hochzurechnen.“ Alle Kassen würden sich jedoch bemühen, die Beitragssätze um ein paar Zehntel Punkte zu senken. Doch bei den Schulden der GKV von sieben Milliarden Euro, die man noch mit einem Faktor multiplizieren müsste, werde keine deutliche Senkung möglich. „Wenn sie sich nicht trauen, in den OTC-Preiswettbewerb zu gehen, werden auch die Kassen ihre Beitragssätze nicht senken“, gab Schmeinck den Apothekern zu verstehen.
Die Krankenkassen könnten ihre Beitragssätze senken, würden sie verstärkt mit Versandapotheken zusammenarbeiten, sagte der Vorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Versandapotheker (BVDVA), Dr. Thomas Kerckhoff. So sollte die Regelversorgung chronisch Kranker über eine der bisher zehn industriellen Versandapotheken laufen, die öffentliche Apotheke dürfe weiterhin für die Akutversorgung und Notfälle parat stehen. „Warum nicht eine AOK-Diabetesapotheke?“ So liege das Konzept der großen Versandapotheken neben der Zusammenarbeit mit Versicherern wie der Hanseatischen Ersatzkasse in der Spezialisierung, wie den Impfstoffversand, der Versorgung von Diabetikern und ab dem kommenden Monat auch von Patienten mit Multipler Sklerose.
Seiner Meinung nach werden Karstadt und die Drogeriekette dm nicht allein bleiben in ihrem Bemühen, sich am Arzneimittelmarkt zu beteiligen. „Wenn das dm kann, können es auch Rossmann und Schlecker, aber auch Aral“, prophezeite der Versandhändler. Seiner Ansicht nach wird das Fremdbesitzverbot bald fallen, da es „keine plausible Erklärung dafür und nur gute Argumente dagegen gibt“.
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