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Innovationen – notwendig, aber oft unerschwinglich

12.06.2000  00:00 Uhr

-PolitikGovi-Verlag

Innovationen – notwendig,
aber oft unerschwinglich

von Eva Susanne Dietrich, Köln

Der Einsatz von Innovationen wird in Deutschland behindert. Den verschreibenden Ärzten drohen Regressforderungen, da Innovationen nicht generell aus den Regressforderungen ausgenommen sind, obwohl Arzneimittel-Innovationen von herausragender Bedeutung bei der Auseinandersetzung mit den großen medizinischen Herausforderungen unserer Zeit wie Krebs, Aids, Multipler Sklerose oder Morbus Alzheimer sind. Wer aber Forschung und Innovationen will, der muss dafür auch die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen und sollte Innovationen honorieren.

Das Gesetz sieht jedoch lediglich vor, dass für Innovationen keine Festbeträge festgelegt werden dürfen. Deutschland weist infolge dessen gegenüber anderen internationalen Gesundheitssystemen gravierende Schwächen bei der Umsetzung von Ergebnissen aus der medizinischen Forschung in die alltägliche Anwendung auf. Vor dem Hintergrund staatlich festgelegter Budgets und einer Budgetüberschreitung von nahezu 2 Milliarden DM 1999 (trotz massiver Regressbedrohung und intensiven Bemühungen der Ärzteschaft, wirtschaftlich zu verordnen) scheint die Versorgung mit innovativen Arzneimitteln in der GKV zunehmend unmöglich.

Patienten sind Leidtragende des Spardiktats

Leidtragende sind sowohl kurz- als auch langfristig die Patienten. Kurzfristig, da die Ärzte durch die ungenügende Anerkennung der Innovationskomponente zunehmend in rechtliche und finanzielle Schwierigkeiten geraten und sich vielfach gegen die Verordnung therapeutisch vorteilhafter, jedoch teurer Innovationen wehren müssen. Langfristig, weil die reine Kostensenkungspolitik keinen Anreiz für die Pharmaindustrie darstellt, Forschung zu betreiben. Statt dessen setzt sie verstärkt auf das Angebot sogenannter Schrittinnovationen (Me-Too-Präparate).

Innovationen sind jedoch von entscheidender Bedeutung, wenn der Gesundheitsstatus der Bevölkerung weiterhin verbessert werden soll. Selbst wenn der Status quo der Gesundheitsversorgung in Deutschland gut ist, so bleibt die Notwendigkeit, sich den medizinischen Herausforderungen der unheilbaren oder schwer zu beherrschenden Krankheiten zu stellen. Was nützt eine Gesetzgebung zu Orphan Drugs, wenn im klinischen Alltag das Medikament aus Kostengründen nicht verordnet werden kann?

Einen umfassenden Überblick über die zu erwartende Marktentwicklung im Jahre 2000 bei Innovationen und innovativen Therapiekonzepten hat derzeit niemand. Eine Analyse der Neuzulassungen im Jahre 1999 liefert jedoch Anhaltspunkte: Unter den 29 neu zugelassenen Wirkstoffen befinden sich nach Auswertungen von Professor Fricke/Köln elf echte Innovationen, das heißt Präparate mit innovativer Struktur des Wirkstoffes oder mit neuartigem Wirkprinzip mit therapeutischer Relevanz. Sechs Stoffe zeigen eine Verbesserung pharmakodynamischer oder pharmakokinetischer Eigenschaften bereits bekannter Wirkprinzipien auf. 16 sind reine Me-Too-Präparate (Mehrfacheinordnung möglich).

Nach einer alternativen Einteilung von Morck, Liekfeld und Schneider (aus: Offizin und Praxis; Band III; 1987) fallen acht Stoffe unter die "echten" Innovationen. Hierzu gehören Leflunomid, Rofecoxib, Palivizumab und Zanamivir. Vier sind den "teilweise echten" Innovationen zuzuordnen: Interferon alfacon-I, Eptifibatid, Temozolomid und Mifepriston. Acht sind "nicht gesicherte" Innovationen: Sibutramin, Efavirenz, Abacavir, Moxifloxacin, Moroctocog alfa, Tibolon, Zaleplon und Oxaliplatin. Neun sind klar keine Innovationen: Dexketoprofen, Lornoxicam, Insulin-aspartat, Telmisartan, Imidapril, Dalizumab, Emedastin, Rimexolon, Amisulprid.

Angesichts der extremen Hochpreisigkeit innovativer Präparate und der Vielzahl potentieller Versorgungsfälle resultiert zwangsläufig ein Ausgabenschub von mehreren Prozentpunkten, selbst wenn nur die echten Innovationen in den Verordnungen berücksichtigt werden.

Beispiel, wie Innovationen zu Buche schlagen

Eine Beispielrechnung für 1998 belegt dies. Allein die Verordnung von Arzneimittelgruppen mit echten Innovationen (Angiotensinrezeptor-Antagonisten, Cholesterinsenker (Statine), Ulkustherapeutika (Protonenpumpenhemmer) und neue selektive Antidepressiva) hat nach Angaben von VdAK/AEV im vergangenen Jahr in der gesetzlichen Krankenversicherung zu Mehrausgaben in Höhe von 900 Millionen DM geführt. Es ist daher dringend erforderlich, dass die Innovationskomponente quantifiziert und bei der Festlegung von Budgets und Richtgrößen berücksichtigt wird. Erste Studien hierzu wurden bereits durchgeführt. Für die Jahre seit 1990 wurde eine Innovationskomponente von zwischen 3 und 4 Prozent pro Jahr errechnet.

Echte und scheinbare Innovationen

Statt diesen konstruktiven Forschungsansatz in gemeinsamen Projekten aller Betroffenen weiter zu verfolgen und eine konsentierte Liste echter Innovationen zu entwickeln, wurde die Studie jedoch heftig kritisiert. Die Definition des Begriffes "Innovation" sei falsch gewählt. Der Anteil der echten Innovationen, deren Einsatz zum Wohl des Patienten gefördert werden sollte, sei in realiter nicht bestimmt worden. Es wird weiterhin argumentiert, dass auch der Lebenszyklus eines Arzneimittels bei der Bestimmung einer Innovationskomponente berücksichtigt werden muss. So werde in der Markteinführungsphase im Regelfall zunächst eine Umsatzsteigerung erreicht. In einer späteren Phase des Lebenszyklus einer Innovation werde die innovative Leistung jedoch nicht nur durch das Original und Me-Too-Präparate, sondern auch durch Generika erbracht. In dieser Phase könne die Innovationskomponente durchaus negativ ausfallen.

Den Worten und Überlegungen folgen jedoch keine Taten. Dabei ließen sich durchaus Lösungen finden, stünde statt der politisch motivierten Diskussion der Patient und die finanzielle Machbarkeit im Mittelpunkt.

Sozialgesetzbuch V lässt Preiskorrekturen zu

Das SGB V (§ 84 Abs. 1) lässt vier Möglichkeiten der Preiskorrektur zu. Eine davon ist die Innovation. Nach dem Gesetz muss bei der Anpassung des Arzneimittelbudgets neben

  • Veränderungen der Zahl und der Altersstruktur der Versicherten,
  • Veränderungen der Preise der Arznei-, Verband- und Heilmittel,
  • Veränderungen der gesetzlichen Leistungspflicht der Krankenkassen
  • und Wirtschaftlichkeitsreserven

auch die Innovation berücksichtigt werden. Hohe Innovationsraten könnten damit als Argument zur Ausgabenverteilung im Bereich der Arzneimittelausgaben der GKV eingesetzt werden.

Um die relevanten Bewertungsdimensionen offenzulegen, müssen möglichst konkrete und allgemein akzeptierte Innovationskriterien zugrunde gelegt werden.

Ebenso wie der zentrale Begriff "wirtschaftlich" wird auch der Begriff "Innovation" im Gesetz nicht definiert. Einen Hinweis, was man unter dem Begriff "neuartige Wirkstoffe" subsumieren kann, gibt § 35 Abs. 1 des SGB V (Festbeträge). Dort werden patentgeschützte Wirkstoffe, deren Wirkungsweise neuartig ist und die eine therapeutische Verbesserung – auch wegen geringerer Nebenwirkungen - bedeuten, von den Festbetragsfestsetzungen explizit ausgenommen. Als neuartig gilt dabei ein Wirkstoff, so lange derjenige Wirkstoff, der als erster dieser Gruppe in Verkehr gebracht worden ist, unter Patentschutz steht.

Oft bringen Neueinführungen im Sinne des Patentrechtes jedoch keinen therapeutischen Fortschritt. Nämlich dann, wenn sie von bereits bekannten Wirkstoffen nur geringfügig abweichen und keinen Zusatznutzen bringen. Fricke und Klaus haben daher eine Klassifizierung für neue Medikamente entwickelt, die bei KVen und Krankenkassen gleichermaßen akzeptiert ist. Sie unterscheidet zwischen Arzneimitteln mit neuartigem Wirkstoff oder Wirkstoffprinzip (Kategorie A), der Verbesserung der pharmakologischen Qualität bereits bekannter Wirkprinzipien (B), Analogpräparaten mit marginalen Unterschieden zu eingeführten Wirkstoffen (C) und Neueinführungen ohne ausreichend gesichertes Wirkprinzip (D).

Bei Anwendung dieser Kriterien wäre es also durchaus möglich, die Budgets und Richtgrößen in vernünftigem Ausmaß an die Innovationskomponente anzupassen und den "straffreien" Einsatz von innovativen Medikamenten zu ermöglichen.

Eine Anpassung des Arzneimittelbudgets und der Richtgrößen kann jedoch nur eine Übergangslösung sein. Auf die Dauer müssen Kriterien der "Evidence based medicine" sowie Kosten-Effektivitätsbewertungen schon bei der Zulassung von Medikamenten und Festlegung der Preise berücksichtigt werden, so wie es in anderen Ländern bereits heute der Fall ist. Die Ratio, das heißt die Evidence based medicine, und die Transparenz müssen über das reine Kostensenkungsprinzip siegen.

Die Ärzte müssen durch unabhängige, qualifizierte Informationsmedien über den Nutzen der einzelnen Innovationen aufgeklärt werden und nicht durch die Hochglanzbroschüren der Pharmaindustrie. Die Ärzte müssen über EBM aufgeklärt werden, um die vielfach bestehenden Berührungsängste mit diesem neuen Begriff abzubauen. Es müssen ihnen einfache Instrumente zur Bewertung von Innovationen an die Hand gegeben werden.

Kosten-Effektivitätsanalysen müssen verstärkt zum Einsatz kommen. Die Kostenbetrachtung darf sich nicht auf den Einkaufspreis und die Verordnungshäufigkeit beschränken. Statt dessen müssen die Folgekosten einer Therapie berücksichtigt werden. Auf der Basis der Kosteneffektivität und nicht auf Basis einer Richtgröße muss entschieden werden, ob der Einsatz einer Innovation wirtschaftlich ist.

Das Gebot der Stunde sollte nicht lauten "Sparen an Arzneimitteln", sondern "Sparen mit Arzneimitteln".Top

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