Zwischen Recht und Moral |
07.05.2001 00:00 Uhr |
STERBEHILFE
Bundesjustizministern Herta Däubler-Gmelin (SPD) wendet sich mit Nachdruck dagegen, dass Deutschland ein Gesetz zur Sterbehilfe nach dem Muster der Niederlande anstrebt. Bei einer Podiumsdiskussion sagte sie in Tübingen: "Es herrscht Rechtsklarheit: Sterbenlassen ist zulässig. Und selbst in Ausnahmefällen, wenn Schmerzmittel nicht mehr helfen, ist mit Strafbarkeit eines Arztes nicht zu rechnen." Der Theologe Professor Dr. Hans Küng betonte aber: "Sterben muss dem Gewissen des Einzelnen überlassen werden, und da ist nichts gesetzlich geregelt."
Küng warf den Kritikern der niederländischen Regelung Arroganz und Heuchelei vor. "Aktive Sterbehilfe geschieht bei uns ständig im Geheimen", sagte der Theologe. Diesen Zustand prangerte vor allem der Tübinger Schriftsteller und Rhetoriker Professor Dr. Walter Jens an: "Wie lange soll das noch dauern mit der Verketzerung der Selbstbestimmung?" Er und Küng forderten das Recht auf einen "Tod auf Verlangen" für unheilbar kranke, qualvoll leidende Menschen.
Professor Dr. Urban Wiesing, in Tübingen Inhaber des bundesweit einzigen Lehrstuhls für Ethik in der Medizin, sieht in dem Problem keine Möglichkeit zum Konsens in einer wertepluralistischen Gesellschaft. Der Staat dürfe sich deshalb nicht anmaßen, "unter verschiedenen Moralen eine als die richtige anzuweisen". Die Frage, wie man sterben wolle, müsse jeder privat für sich klären. Die Aufgabe des Staates sieht Wiesing darin, dem Einzelnen Schutz für seine Entscheidung zu gewähren und Missbrauch zu verhindern.
Missbrauch befürchtet vor allem Däubler-Gmelin. Sie beklagte indirekten Druck auf Schwerkranke und Behinderte. Die Ministerin befürchtet, "dass ihnen die Luft zum Atmen ausgeht". Deshalb müssten die gesetzlichen Grenzen sehr hoch angesetzt sein. Ähnlich äußerte sich der katholische Tübinger Moraltheologe Professor Dr. Dietmar Mieth: "Man muss gut überlegen, ob man über die bisherigen, gut begründeten Ausnahmen beim Grundkonsens Tötungstabu hinausgehen soll."
Den Begriff Tötung wollte Küng allerdings nicht gelten lassen:
"Ich töte mich nicht, ich lasse mich nicht töten - ich nehme
Abschied, gebe das Leben dem zurück, der es mit gegeben hat." Er
wolle selbst entscheiden, wie er die letzte Zeit seines Lebens leben, wann
und wie er sterben möchte.
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