Streit um Einigung |
02.04.2001 00:00 Uhr |
STRUKTURAUSGLEICH
"Es ist geschafft" - und dennoch gibt es Krach: Wider Erwarten haben sich die Spitzenverbände der Krankenkassen auf eine Reform des Risikostrukturausgleichs geeinigt. Dabei hat Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt harten Druck ausgeübt. Und schon will der BKK-Bundesverband seine Unterschrift zurückziehen. Begründung: Das Ministerium hat uns getäuscht und den vereinbarten Text im Detail geändert.
Zwei Tage mussten die Vertreter der Krankenkassen in Berlin verhandeln. Am ersten Tag unter der Leitung von Staatssekretär Karl Theo Schröder auf dem Berliner Flughafen. Der Misserfolg: Die Kassenverbände kämpften jeder gegen jeden. Einige wollten bereits den Rückflug buchen. Am nächsten Tag dann schlug Ministerin Ulla Schmidt härtere Töne an. Und siehe da: Die Einigung war erst einmal perfekt.
Die Details der Reform
Der RSA wird vom 1. Januar 2002 bis zum 31. Dezember 2004 auf ein "Grundlastenkonzept" umgestellt. Als Grundlage dient ein fixierter Beitragssatz von 12,5 Prozent. Das könnte die Wirkung eines Mindestbeitragssatz haben.
Die Bedeutung der Einigung: Alle Krankenkassen mit einem Beitragssatz unterhalb der Fixierung müssen den finanziellen Unterschied in den RSA zahlen, die Krankenkassen mit darüber liegenden Beitragssätzen erhalten das Geld.
Neu ist, dass ab 1. Januar 2003 ein Risiko-Pool eingeführt wird. Er wird einen Schwellenwert von 40.000 DM erhalten, die Krankenkasse muss einen Eigenanteil von 40 Prozent tragen. Durch diesen Pool werden alle Krankheiten eines Patienten ausgeglichen, die jährlich mehr als 40.000 DM kosten.
Weiter wird es ab Anfang 2003 einen Pool für chronisch Kranke geben, die sich bei einem Disease-Management-Programm ihrer Krankenkasse akkreditieren lassen. Bei einigen Krankenkassen ist das bereits ab Anfang 2002 erlaubt. Hierfür ist kein Schwellenwert vorgesehen, der Eigenanteil der Krankenkasse liegt bei 30 Prozent. Sieben Indikationen - möglicherweise Diabetes, koronare Herzerkrankungen, Herzinsuffizienz, Asthma, Schlaganfall, Hypertonie, Brustkrebs - werden berücksichtigt. Krankenkassen erhalten aus dem RSA-Topf Gelder, wenn sie ein Disease-Management-Programm (DMP) mit akkreditierten Versicherten haben. Damit wird die Betreuung chronisch Kranker belohnt.
Mit ihrem Disease-Management-Programm werden die Krankenkassen massiv in Diagnose und Therapie bei Patienten eingreifen können. Der Chef der Barmer Ersatzkasse drückt das so aus: "Der Patient soll in die Lage versetzt werden, dem eigennützigen Leistungsanbieter "Nein" sagen zu können.
"Spätestens im Jahre 2007, bei einigen Krankenkassen bereits ab 2006, soll der gesamte Risikostrukturausgleich auf Morbiditätskriterien aller Versicherten umgestellt werden. Der Risiko-Pool wird gleichzeitig in einen Hochrisiko-Pool umgewandelt. Er könnte einen Schwellenwert von etwa 100. 000 DM erhalten.
Um den Wettbewerb um den einzelnen Versicherten zu erhöhen, wird der Stichtag zum 30. September, zu der jeder Versicherte seinen Kassenwechsel anmelden muss, aufgehoben. Künftig kann er monatlich seine Kasse wechseln mit einer Kündigungsfrist von sechs Wochen. Dafür muss der Versicherte sich mindestens 18 Monate an seine neue Krankenkasse binden.
Konflikt schwelt weiter
Nur kurze Zeit später, kaum die Tinte unter der Unterschrift dieser Vereinbarung getrocknet, droht der BKK-Bundesverband, die Vereinbarung wieder zurückzuziehen. Schuld daran ist ein Text der Eckpunkte, die das Ministerium verbreitet hat. Darin gibt es eine kleine, aber bedeutungsvolle Veränderung. Vereinbart war, dass die Mittel aus den Beitragssatzanhebungen auf 12,5 Prozent bei den Landesverbänden der Kassen zu belassen, die zahlen müssen. Damit sollten diese Disease-Management-Programme aufbauen. Im Text des Ministeriums ist nicht mehr davon die Rede, dass die Landesverbände das Geld erhalten. Die Betriebskrankenkassen dazu: "Wird dieser Sachverhalt nicht geklärt, kann von einer Verständigung nicht mehr die Rede sein." Die Oppositionsparteien sehen den Kompromiss beim Risikostrukturausgleich mit Skepsis. Vor allem der Mindestbeitrag stößt auf Kritik. Die Union will Schmidts Plänen deshalb im Bundesrat nicht zustimmen. Dies sagte ihr Sozialexperte Horst Seehofer (CSU) in einem dpa-Gespräch. Die Vorschläge seien "verbraucherfeindlich".
Der FDP-Gesundheitspolitiker Dieter Thomae warf Schmidt vor, Wettbewerb und Pluralität nicht mehr zu wollen. Den angestrebten Mindestbeitrag in der gesetzlichen Krankenversicherung nannte er einen Aprilscherz. Auch der Wirtschaftsweise Bert Rürup verurteilte die Reformpläne. "Von einem Mindestbeitragssatz gehen keine Anreize für einen effizienten Kassenwettbewerb aus", sagte er dem Magazin "Focus".
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