Ein BPI-Chef namens Sankt Florian |
08.03.2004 00:00 Uhr |
Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) wollte der Öffentlichkeit mitteilen, wie sehr die Pharmaindustrie unter der Gesundheitsreform leidet. Doch während der Pressekonferenz mutierte der BPI-Vorsitzende zum heiligen Florian. Und der zündelte auf Kosten der Apotheken.
Dr. Bernd Wegener ließ sich Zeit, bis er auf den Punkt kam. „Der Rabatt muss ausgesetzt werden“, skandierte der BPI-Vorsitzende herzhaft in die Journalistenrunde. Wegener bezog sich damit nicht nur auf den seit dem 1. Januar geltenden Zwangsrabatt für die Pharmahersteller in Höhe von 16 Prozent, sondern auch auf die bereits im Zuge des Beitragssatzsicherungsgesetzes (BSSichG) geleisteten Zahlungen. Schließlich habe man im vergangenen Jahr die Vorgaben der Bundesregierung übererfüllt. Während das Ministerium von Ulla Schmidt (SPD) 420 Millionen Euro Einnahmen erhofft hatte, habe man 640 Millionen Euro abgeführt, klagte Wegener. Die Zahlen hatte zuvor eine Mitarbeiterin von IMS Health vorgelegt.
Nachdem nun in den ersten Wochen der Arzneimittelumsatz „dramatisch“ zurückgegangen sei, fordere man die Regierung auf, den im vergangenen Jahr zuviel gezahlten Zwangsrabatt mit dem für das Jahr 2004 vorgesehenen Rabatt zu verrechnen.
Das bedeutet faktisch: Wegener will von der in der Gesetzesbegründung genannten einen Milliarde Euro rund 220 Millionen Euro in Abzug bringen. Ergo wolle man in diesem Jahr nur 780 Millionen Euro Rabatt abführen, so Wegener.
Die Rechnung mag aus Sicht des BPI stimmen. Allerdings hat Wegener nicht die Folgen bedacht oder diese absichtlich übersehen. Denn der BPI-Vorsitzende kündigte an, dass man darüber nachdenke, bei Erreichen der Rabattabführung von rund 780 Millionen Euro keine Rabatte mehr an die Krankenkassen zu zahlen. Nach Einschätzung Wegeners werde das etwa im August der Fall sein.
Die Reaktion aus dem Ministerium war noch nicht einmal offiziell und alles andere als wiedergabefähig. Nur so viel: Wegeners Absichten wurde wenig Bedeutung beigemessen. Im Klartext: Im Ministerium sieht man die Sache anders. Schließlich steht im Gesetz nichts von einer Milliarde Euro für das Jahr 2004. Im Gesetz selbst ist von einem Zwangsrabatt von 16 Prozent die Rede.
Apotheken zahlen die Zeche
Viel schlimmer allerdings ist, dass Wegener auch öffentlich billigend in Kauf nimmt, dass in diesem von den Herstellern provozierten Fall nicht die Krankenkassen oder der Gesetzgeber die Zeche zahlen müssen, sondern die nachgeordneten Vertriebsstufen, insbesondere die Apotheken. Auch auf Nachfrage hin blieb sich Wegener treu: Man denke darüber nach, im Sommer nicht mehr weiter den Rabatt zu leisten.
Unbeantwortet blieb die Frage, was dazu die Krankenkassen sagen werden. Denn die holen sich ihr Geld nicht direkt von den Herstellern, sondern haben das Inkasso der Vertriebsstufe, und damit den Apotheken beziehungsweise deren Rechenzentren aufgebürdet. Faktisch kündigt Wegener einen im Sommer startenden fortwährenden Gesetzesverstoß an. Den will er nicht wirklich selbst austragen, sondern lieber den Apotheken aufbürden. Andererseits könne der Gesetzgeber die Forderung des BPI anerkennen. Aber sogar aus der Union kam gestern das Signal, dass dies kaum der Fall sein würde.
Das Feld für seine Forderung hatte der BPI-Chef schon wenige Minuten vorher bereitet. Zum wiederholten Male innerhalb der letzten Wochen hatte sich der BPI zu den steigenden Arzneimittelpreisen im niedrigen Preissegment geäußert. Und erneut sagte Wegener, die gestiegenen Medikamentenpreise gingen nicht von den Herstellern aus. Vielmehr sei das neue Preismodell in den Apotheken daran schuld. Daran verdiene man keinen Cent.
Der BPI-Chef unterließ es freilich, auf die erheblichen Kostensenkungen im hochpreisigen Bereich hinzuweisen. Die machen immerhin und von der Politik mehrfach auch öffentlich betont, rund 500 Millionen Euro Ersparnis für die Krankenkassen aus. Darüber verlor er aber kein Wort.
Rückendeckung aus dem Regierungslager gibt es jedenfalls kaum. So hat der BPI, der immerhin mit dem mächtigen Konkurrenzverband VFA und dem aufstrebenden BAH um die Wette lobbyiert, nach eigenem Bekunden seit mehr als einem Jahr nicht mehr persönlich mit dem Wirtschaftsminister sprechen können. Der Verband wird nur begrenzt wahrgenommen.
Für den Vorsitzenden des Deutschen Apothekerverbandes (DAV), Hermann Stefan Keller sind die jüngsten Äußerungen des BPI unverständlich. „Wir haben uns über das neue Preismodell verständigt. Und ich hatte den Eindruck, man habe den Sinn des Modells verstanden“, sagte Keller. Zudem müsse dem BPI klar sein, dass die finanzielle Last einer möglichen Auseinandersetzung zwischen den Herstellern und der Regierung nicht auf den Schultern von Apotheken und Rechenzentren ausgetragen werden könne. Keller: „Keine Frage, wenn das so sein sollte, werden wir uns wehren.“
Kommentar: Einfach daneben Es gibt Leute, die stehen montags mit dem falschen Fuß auf. Manche haben aber das Pech, und verletzen sich derart heftig dabei, dass sie noch längere Zeit an den Folgeschäden laborieren.
Keine Ahnung, woran es am Montag dieser Woche bei Dr. Bernd Wegener lag. Aber es war schlicht unerklärlich, wie er auf Kosten der Apotheken um einen Befreiungsschlag bemüht war. Anscheinend wollte Wegener auf der Stiftung-Warentest-Welle reiten und hatte alle Hemmungen dabei über Bord geworfen. Anders ist es nicht zu verstehen, warum der BPI-Chef im Sommer einen Streit mit der Regierung vom Zaun brechen will – und das auf Kosten der Apotheken. Hat er sich in Ruhe überlegt, wie widersinnig dieser Vorschlag ist? Die Vertriebsstufe schwächen, um einen Gesetzesbruch medienwirksam zu nutzen? Der Misserfolg Wegeners ist programmiert, und zwar in jeder Beziehung.
Ohne Zweifel ist es richtig, sich gegen handwerklich schlechte Gesetze zu wehren. Aber der BPI sollte sich die Zeit nehmen, um die richtigen Argumente zusammenzutragen.
Es kann und darf nicht sein, dass der BPI-Vorsitzende das Pharma-Image auf Kosten der zurzeit ohnehin Angriffen ausgesetzten Apotheken aufpoliert, nur weil das gerade en vogue ist. Dieser Schuss wird nach hinten los gehen.
Thomas Bellartz
Leiter der Hauptstadtredaktion
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