Politik

Sind Produktqualität und Tradition ausreichende Erfolgsgaranten für die
Zukunft der Apotheke?, fragte Professor Dr. Peter Oberender, Institut für
angewandte Gesundheitsökonomie an der Universität Bayreuth. Er meint
nein. Die Unzufriedenheit der Kunden wachse unaufhörlich und habe sich in
der deutschen Servicewüste zu einem Frust über Handel, Handwerker und
freie Berufe entwickelt. Die Gesellschaft habe Angst vor einem sozialen
Absturz, was letztlich nicht als Marktversagen gedeutet werden dürfe,
sondern als Zeiterscheinung, der die in Mißkredit geratenen Branchen
begegnen müssen.
Die Leitthemen der Zukunft werden deshalb beherrscht von der Beseitigung der
Arbeitslosigkeit, dem Erhalt des Lebensstandards, der Sicherung der Renten sowie
der Preisstabilität. Durch den gesellschaftlichen Wandel vergreist die Bevölkerung
immer mehr, wodurch die Politik in eine Demokratiefalle gerät: Parteien müssen im
Wettbewerb um den Wähler immer stärker Sozialleistungen als politische Güter
einsetzen. Gesundheit werde mehr denn je ein Konsumgut und damit ein
Wachstumsmarkt. Darauf müßten sich die Apotheker einstellen. Ihnen böten sich
vielfache Marktchancen. Sie dürften das Feld nicht den Konkurrenten überlassen.
In der Arbeitswelt werde sich zunehmend eine Symbiose von Leistung und
Lebensgenuß vollziehen. Es findet nach Oberenders Einschätzung eine Entwicklung
von der Industriegesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft und von der Arbeits- zur
Freizeitgesellschaft statt.
Das Gesundheitsbewußtsein der Bevölkerung wird zunehmen, so daß die
Menschen, indem sie mehr Eigenverantwortung übernehmen auch mehr Beratung
brauchen. Hier sieht Oberender eine Chance für Apotheker. Wie die übrigen
Konsummärkte werde sich auch der Gesundheitskonsum in den Versorgungs- und
Erlebniskonsum teilen. Der reine Versorgungskonsum könnte sich nach Vorstellung
des Referenten in wenigen kleinen Sektoren des Arzneimittelmarktes etablieren.
Wesentlich stärkere Bedeutung als heute werde aber der Erlebniskonsum in den
Apotheken erhalten. Mit anderen Worten: Kunde und Patient suchen nach dem
Erlebnis, für sich etwas Gutes zu tun, sich etwas zu leisten und das in einem positiv
erlebten Umfeld. Folglich werde sich die Maxime ausbreiten, daß Zeit Leben und
nicht mehr nur Geld ist. Die Bereitschaft, für Gesundheit mehr Geld auszugeben,
könne auch aus dem veränderten Sparverhalten der Bevölkerung abgelesen werden.
Während die Sparquote 1975 noch bei 15,6 Prozent lag, sei sie 1997 auf 11,9
Prozent gesunken.
Viele Apotheker müßten endlich begreifen, daß ihr eigentlicher Arbeitgeber der
Kunde ist. Insofern müßte es zum Beispiel möglich werden, daß Apotheker mobil
werden und zu ihren Kunden gehen und ihre Dienstleistungen über das bisherige
Maß hinaus entwickeln. Der Berufsstand müsse neben der Beratung noch stärker in
Pharmaceutical Care, Konzepte für chronisch Kranke, prä- und poststationäre
Versorgung in Abstimmung mit Krankenhäusern, Ärzten und Pflegediensten oder im
Bereich der Labordiagnosen für eine gesunde Umwelt und gesundes Wohnen
einsteigen.
Was Oberender aus den Reihen der Apothekerschaft vermißt, sind langfristige
Strategiekonzepte, die über die Tagespolitik hinausgehen. Neue Herausforderungen
erforderten neue Konzepte. Einen Bestandsschutz gebe es nicht. Auch wenn die
Ökonomie immer mehr an Bedeutung gewinne, sollten sie nicht in einen
Preiswettbewerb treten. Sie sollten vielmehr ihre Stärken in Beratung und Qualität
herausstreichen und sich dem Kunden widmen. Aber nicht nach dem Motto: "Alle
Kunden sind gleich - mir jedenfalls". Bis zur Bundestagswahl im September dieses
Jahres seien politisch keine schwerwiegenden Entscheidungen mehr zu erwarten.
Diese Zeit müsse für die Erarbeitung zukunftsorientierter Konzepte genutzt werden.
PZ-Artikel von Gisela Stieve, Frankfurt



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