Von einem Topf in den anderen |
24.02.2003 00:00 Uhr |
Streichen, kürzen, senken: Auf diesen Nenner lässt sich das jüngste Sachverständigengutachten bringen. Mit Einsparungen und Umverteilungen von insgesamt 40 Milliarden Euro könnte nach Ansicht der Gesundheitsweisen der durchschnittliche Beitragssatz der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auf bis zu 10,4 Prozent gesenkt werden.
Ulla Schmidt (SPD) war in Berlin am Montag voll des Lobes für das rund 700 Seiten starke Dokument. Die Ministerin sieht sich durch das milliardenschwere Paket aus Streichungen und Einsparungen in ihren Konzepten bestätigt.
Die Wissenschaftler um Professor Dr. Eberhard Wille haben dabei lediglich vieles einfach wieder auf den Tisch gelegt, was bereits vor Jahren und immer wieder vom Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen vorgeschlagen worden war. Doch in diesem Jahr können Experten davon ausgehen, dass viele der Vorschläge in die Tat umgesetzt werden. Allerdings wird die Feinabstimmung zwischen den Papieren aus dem Ministerium, dem Sachverständigenrat, der Rürup-Kommission, aus Koalition und nicht zuletzt der Opposition für erhebliche Reibungsverluste sorgen. Trotzdem: Die Vorschläge der Sachverständigen sind nicht nur weitreichend, sondern auch umsetzbar. Denn die Entscheidungen werden durchaus nicht im Konsens, sondern mit Mehrheiten entschieden – und die wechseln auch innerhalb des Gremiums ständig.
Das spürte man an der öffentlich zur Schau getragenen Aversion mancher Kommissionsmitglieder gegen die exponierte politische Prägung des Kommissionsmitglieds Professor Dr. Karl Lauterbach, der von seinem Kollegen Professor Dr. Peter Scriba wenig charmant zurechtgewiesen wurde. Lauterbach hatte seine eigenen Positionen dargelegt und damit gegen die Regeln des Sachverständigenrats verstoßen. Dort gibt es wenig Sympathie für den Schmidt-Intimus, der sich vergeblich um den Vorsitz in dem Gremium bemüht hatte. Diesen hat der Mannheimer Ökonom Professor Dr. Eberhard Wille inne.
Mehr zahlen, weniger bekommen
Das Gutachten kommt den ersten Äußerungen aus der Rürup-Kommission sehr nahe. Die Sachverständigen schlagen vor, dass Versicherte in der GKV mehr zahlen und weniger Leistungen bekommen. Unfälle beim Sport, im Verkehr und Haushalt sollen komplett aus dem Leistungskatalog der Kassen gestrichen werden. Dies allein soll die Krankenkassen um rund 10 Milliarden Euro entlasten. Die Versicherten sollen allerdings dazu verpflichtet werden, sich privat gegen solche Freizeitunfälle zu versichern. Faktisch wird dies der Unfallversicherung zugute kommen. Ob die dann von den Krankenkassen überhaupt angeboten werden kann, bedarf einer rechtlichen Prüfung. De facto geht es aber nur um eine Umverteilung, die die GKV-Kassen stabilisieren soll. 3,7 Milliarden Euro dürften die Kassen nach dem gleichen Prinzip in Zukunft weniger ausgeben, wenn die Politik den Vorschlag umsetzt, Zahnersatz schrittweise privat zu versichern.
Die beitragsfreie Mitversicherung von Ehegatten soll eingeschränkt werden, Miet- und Zinserträge sollen in die Bemessungsgrundlage aufgenommen werden. In einem zweiten Schritt würden die Sachverständigen auch eine Ausweitung und Neustrukturierung der Selbstbeteiligung für Zahnbehandlung und Arzneimittel empfehlen. Für den Arztbesuch könnte eine „Praxisgebühr“ erhoben werden.
Drastisch sparen wollen die Sachverständigen bei den zuletzt erheblich angestiegenen Fahrtkosten, ambulanten Vorsorgeleistungen in Kur- und Badeorten, Massagen und Brillen sowie kieferorthopädischen Leistungen.
Versicherungsfremde Leistungen wie Sterbegeld und Empfängnisverhütung sollen aus dem Steuertopf finanziert werden. Um 15 Milliarden Euro würde dies die Kassen ent- und die Steuerzahler belasten. Ob der Finanzminister mitspielt, ist mehr als nur fraglich. Schmidt bekräftigte, dass Kinder weiter beitragsfrei mitversichert bleiben sollen. Bei der kostenlosen Mitversicherung von Ehegatten, die keine Kinder betreuen, schloss sie aber für jüngere Generationen Änderungen nicht aus.
Auf ein ungeteilt positives Echo stießen die Vorschläge der Sachverständigen bei Parteien und Krankenkassen. Sowohl CDU/CSU wie auch die Grünen und die FDP lobten die Vorschläge der Sachverständigen. Auch die AOK stellte sich hinter die Vorschläge, die für eine erhebliche Entlastung der Krankenkassen sorgen würden. Gewerkschaften und Ministerin sehen sich durch das Gutachten ebenfalls bestätigt. Es müsse nicht zu einem Systemwechsel kommen, um die GKV zu erhalten. Auch von den Arbeitgebern gab es grünes Licht. Schließlich tragen die Vorschläge zur drastischen Senkung der Lohnnebenkosten bei.
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