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Bundesregierung will Urteil auswerten

31.01.2005  00:00 Uhr
Kammergericht

Bundesregierung will Urteil auswerten

von Daniel Rücker, Eschborn

Das Kammergericht Berlin hat dem DocMorris-Mitbegründer Jaques Waterval verboten, Arzneimittel nach Deutschland zu liefern. Die Reaktionen der Behörden schwanken zwischen Zurückhaltung und Unkenntnis. Der niederländische Versender setzt das Urteil dagegen geschickt für PR in eigener Sache ein.

Hätte Waterval noch Verantwortung bei DocMorris, dann dürften die Niederländer keine Arzneimittel mehr nach Deutschland versenden. Nach dem GMG dürfen nur Apotheken aus denjenigen EU-Staaten nach Deutschland versenden, in denen vergleichbare Rahmenbedingungen gelten. Dies treffe auf die Niederlande nicht zu.

Fehler in dpa-Meldung

Wie die Pressestelle des Kammergerichts auf PZ-Nachfrage jedoch nachdrücklich betonte, gilt das Urteil nicht für das Unternehmen. Medienberichte aus der vergangenen Woche seien nicht korrekt. Dort wurde das Urteil des Kammergerichts als ein Versandverbot für niederländische Versender interpretiert. Die Nachrichtenagentur dpa sei für diesen Fehler verantwortlich. Aus diesem Grund verwundert es nicht, dass auch die Bundesregierung keine Dringlichkeit erkennen kann. Auf eine Anfrage des CDU-Bundestagsabgeordneten Wolf Bauer nach den Konsequenzen aus dem Urteil antwortete Staatssekretärin Marion-Caspers Merk: „Das angesprochene Urteil wurde erst vor kurzem veröffentlicht und wird derzeit ausgewertet. Bei der Bewertung der Regelungen anderer Staaten zum Versandhandel wird dabei im Vordergrund stehen, ob dort das Ziel der in Deutschland geltenden Sicherheitsanforderungen an den Versandhandel, nämlich Arzneimittelsicherheit und Verbraucherschutz zu gewährleisten, unter Berücksichtigung des jeweiligen Rechtssystems erfüllt wird. Nach Kenntnis der Bundesregierung ist das angeführte Urteil noch nicht rechtskräftig.”

Ohne Frage ist die Antwort eine Unverschämtheit gegenüber dem Kammergericht, wird doch dessen Ergebnis bei der Vergleichbarkeit der Rahmenbedingungen ganz offen in Zweifel gezogen. Die Antwort zeigt aber auch, dass die Bundesregierung keinen Grund zur Aufgeregtheit sieht.

DocMorris nutzt das Urteil bereits in eigener Sache. So durfte im "Focus" Geschäftsführer Ralf Däinghaus noch einmal sein Unternehmen anpreisen. In einer Meldung auf der Website von Stiftung Warentest erklärt er noch einmal, wie günstig die Arzneimittel bei DocMorris seien und auch Spiegel-Online gibt dem PR-affinen Däinghaus Gelegenheit, sich schützend vor den „alten Mitstreiter” Waterval zu stellen. Illustriert sind die Beiträge mit DocMorris-Logo und Porträts von Däinghaus.

Aus Sicht der Apotheker ist die Situation mal wieder mehr als unbefriedigend. Auf der einen Seite bestätigt das Kammergericht seit langem geäußerte Befürchtungen, der internationale Versandhandel werde die Sicherheit der Arzneimittelversorgung verschlechtern. Auf der anderen Seite nutzt DocMorris nach bescheidenen Geschäftszahlen im vergangenen Jahr die erneute Aufmerksamkeit, um sein Geschäft anzukurbeln.

Juristisch ist der Fall vorerst geklärt: Das aktuelle Urteil gilt für DocMorris nicht. Politisch bietet es dagegen durchaus Ansatzpunkte. Das Kammergericht hat unmissverständlich festgestellt, dass die niederländischen Gesetze keine angemessene Sicherheit für den Arzneiversand bieten. Folglich dürfte die Bundesregierung das Nachbarland nicht ohne weiteres auf die Liste derjenigen Staaten setzen, aus denen Apotheken nach Deutschland versenden dürfen. Das hat auch CDU-Abgeordneter Bauer in einem Statement gefordert.

Gleichzeitig läuft das Verfahren des Berliner Verbandes sozialer Wettbewerb gegen DocMorris. Mit einem Urteil wird allerdings erst in der zweiten Jahreshälfte zu rechnen sein. In den nächsten Monaten wird es deshalb darauf ankommen, die Chancen, die aus dem Urteil erwachsen, auszuloten und die Politik für die neuen Erkenntnisse aus dem Kammergerichtsurteil zu sensibilisieren. Es ist gut, wenn dies nicht im Fokus der Medien geschieht.

 

Kommentar: Im falschen Kino Die DAZ glaubt sich im falschen Film. Vielleicht ist sie das. Das liegt aber nicht am Film, sondern an ihr selbst. Einfach noch einmal aufstehen, den Sitzplatz mit der Kinokarte abgleichen und ­ schwups ­ hat auch der unerfahrenste Cineast begriffen, dass nicht jeder Film von Rufmord und Totschlag handelt. Klar, dass die Action-Fans der DAZ enttäuscht sind, wenn ein Film die leiseren Töne wählt, anstelle tumber Ballerei. Und ein bisschen versteh‘ ich sie sogar...

Nun bleibt die DAZ aber hocken auf dem einmal eingenommenen Platz, weil sie nicht weiß, wohin. Sie ist sitzen geblieben, auf dem Stühlchen, von dem manche meinen, es sei ein Thron. Und befeuert von dort mit dem Hausjuristen Dr. Christian Rotta ein Thema, das zwar nicht unwichtig ist, aber bei nüchterner Abwägung der Tatsachen weniger hoch aufgehängt gehört.

Es gibt ein Urteil, über das man sich freuen kann. Die DAZ freute sich nach Kräften und - Chapeau!- als erstes Fachblatt öffentlich. Seitdem sorgt das Urteil zweimal wöchentlich für Furore in der DAZ. Für Aufsehen sorgt das Urteil ­ wenn überhaupt ­ nicht wegen des Urteils an sich, sondern wegen der ätzenden Gülle, die die Autoren über die ABDA, deren Juristen und ­ natürlich ­ den Konkurrenten PZ abladen.

Herausgeber und Geschäftsführer der DAZ wähnen sich als Filmhelden in dem Roadmovie Stuttgart ­ Eschborn ­ Berlin. Und so nimmt man das eigenwillige Redaktionsmarketing der DAZ zuweilen erstaunt zur Kenntnis. Brauer und Rotta bekommen zwar nicht den exklusiven Kino-Kuschelsessel, aber wenigstens die offensichtlich ebenso beliebte Stammtischhoheit.

Die DAZ bleibt sich treu und wiederholt Ausgabe für Ausgabe die selbst gestrickten Interpretationen des Urteils. Tiefenrecherche: Fehlanzeige. Die DAZ brüskiert wie üblich die PZ für deren Recherche und Meinung. Man vermittelt der Basis das Gefühl, DocMorris sei am Ende. Auch wir würden es gern glauben. Können es aber nicht.

Schauen wir also in den richtigen Kinosaal: Das zuständige Gericht antwortete detailliert und mehrfach auf PZ-Nachfragen und machte klar, dass das Urteil für DocMorris aktuell keine Bedeutung hat. Das hatten auch die Recherchen bei ABDA, der Berliner Kammer und anderen Experten ergeben. Selbst die Geschäftsführerin des klagenden Wettbewerbsvereins sieht dies so und hat deshalb eine neue Klage gegen Däinghaus und DocMorris nachgeschoben. Doch diese Darsteller passen nicht in den DAZ-Film. Vielleicht ist es deshalb der falsche.

Filmkritiker Brauer lässt Leserinnen und Leser im Stil eines waidwunden Feuilletonisten über den tatsächlichen Verlauf des Films im Unklaren. Nur die eigene Interpretation zählt. Das Thema wird aufgeblasen, bis alles ganz groß und spannend und ungeheuer klingt. Jenseits realer Ansätze suchen Rotta und Brauer eine Möglichkeit, der ABDA Missmanagement vorwerfen zu können. Dabei steht nur Meinung gegen Meinung. Dass Rotta denkt, er habe Recht, sei ihm gelassen zugestanden.

Die DAZ wird es uns verzeihen, dass wir der Meinung der von uns befragten Juristen ­ nämlich des Kammergerichts selbst, der ABDA und der Berliner Apothekerkammer - Gehör und Aufmerksamkeit schenken. So verstehen wir unsere journalistische Sorgfaltspflicht. Überall hören wir, jenseits der klaren Position des Kammergerichts, dass das Urteil genau geprüft werden müsse. Das ist gut so: Im Gegensatz zur DAZ und deren Herausgeber haben andere aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und treiben das Thema DocMorris nicht schon wieder durch die Medien.

Schließlich hat erst die fortwährende Auseinandersetzung den Niederländern ein Übermaß an Publizität gebracht. Und diese Öffentlichkeit hat nicht zu einer breiten Ablehnung, sondern zu einer wachsenden Akzeptanz des Versandhandels geführt.

Nur um an dieser Stelle Fehlinterpretationen durch die DAZ-Kollegen auszuschließen: Es geht nicht um die Frage, ob Versandhandel gut ist oder schlecht, wer ihn woher betreibt und zu wessen Nutzen. Die DAZ schreibt von »fundamentalen Positionen und Interessen der Apotheker«, die angeblich von PZ und den ABDA-Juristen geopfert werden. Sonst noch was?

Es geht um selbstgefällige PR in eigener Sache, aus eigenem Antrieb und auf Kosten Dritter: Davon profitieren die DAZ und leider auch DocMorris. Wollen uns die Stuttgarter allen Ernstes verkaufen, ihr medialer Bannstrahl führe zu einer Verzwergung des Versandhändlers? Das Gegenteil ist der Fall: DocMorris, deren vergangenes Geschäftsjahr schlechter gelaufen ist als geplant, ist dankbar über so viel mediale Zuneigung. So war es. Und so bleibt es.

Da brüstet sich die DAZ, sie habe den bedeutenden Medien des Landes Presseinfos zukommen lassen. Mit welchem Inhalt? Einige haben berichtet: Ein Millionenpublikum sieht beispielsweise wieder ein Däinghaus-Bild und erfährt als einzig echte Nachricht: Versandhändler DocMorris von Urteil unbeeinträchtigt. Überraschung! Wessen Sieg wird dort gefeiert? Vielleicht Rottas, weil der mit einem Zitat auftaucht. Was bringt das der Apothekenbasis?

Die DAZ kritisiert die Informationspolitik der ABDA. Man mag unterschiedlicher Ansicht sein, ob deren Funktionalität. Dabei sitzt die DAZ im Glashaus und wirft mit Steinen, dass es nur so scheppert. Denn sie versäumt es, die publizistische Wirkung ihrer Hau-drauf-und-Schluss-Taktik zu hinterfragen. Und so publiziert sie beispielsweise munter die jüngsten Zahlen des Versenders ohne deren Stichhaltigkeit und Aussagekraft zu überprüfen. Rotta besorgt mit der persönlichen Positionierung DocMorris kostenlose PR.

Was sind die Folgen der tollen DAZ-Kampagne: Ist der Versandhandel neuerdings wieder verboten? Stoppen die Niederländer alle Lieferungen an Rhein und Ruhr? Nehmen Krankenkassen von Verträgen mit DocMorris Abstand? Werden Ministerium, Politik, Bevölkerung und Medien wie eine Eins hinter der Offizinapotheke stehen? Nein. Sie tun es nicht und werden es leider nicht tun. Das ist kein Fatalismus, sondern die Erkenntnis, die wir alle beispielsweise aus den unsäglichen Aktionen der Gmünder Ersatzkasse gewonnen haben. Da haben wir alle im falschen Film gesessen. Manch einer sitzt immer noch drin.

Es wäre smart gewesen, das Urteil zu prüfen, den Nutzwert herauszuziehen und daran weiter zu arbeiten ­ im Stillen. Und nicht die Niederländer auf ein eventuell drohendes Ungemach permanent lautstark hinzuweisen.

Jetzt kann DocMorris an sich arbeiten. Rotta und Brauer sei Dank. Die beiden werden es uns allen weiterhin anders verkaufen. Dabei ist DocMorris in Medien und Politik der Platzhalter für eine Liberalismus-Diskussion. Die wird jetzt sicherlich erneut angeheizt. DAZ sei Dank.

Manchmal bleiben die Falsch-Sitzer im Kino auch deswegen so lange auf dem Platz, weil sie denken, alle anderen säßen falsch. Das ändert aber nichts am Film.

Thomas Bellartz
Leiter der Hauptstadtredaktion

 

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