So liberal wie möglich |
16.09.2002 00:00 Uhr |
FDP
Immer stärker betonte die FDP in den vergangenen Wochen ihre mögliche Kompetenz in der Gesundheitspolitik. Immer wieder kolportierten die Freidemokraten ihr Interesse am Bundesgesundheitsministerium, sofern man an einer Regierung beteiligt werde. Das hat sicherlich auch strategische Gründe. Die FDP hat erkannt, dass das Feld politisch verwaist ist – Gesundheitspolitik als Chance zur Profilierung. Doch nicht nur vor Mikrofonen und laufenden Kameras positionieren sich die Liberalen. Auch das Wahlprogramm zeichnet einen konkreten Weg. Und der führt in die Liberalisierung.
Das Credo der ehemaligen Pünktchenpartei, die ehrgeizige 18 Prozentpunkte bei der Bundestagswahl am 22. September sammeln will: Mehr Qualität für weniger Geld durch mehr Wettbewerb. Die FDP sieht das deutsche Gesundheitswesen „kurz vor dem Zusammenbruch“. Gesundheit ist nach Ansicht der Partei von Theodor Heuss und Friedrich Naumann bald unbezahlbar. Mit einer großen Reform und einem generellen „Umsteuern“ will die Partei nun das Blatt wenden. Man will „mehr Wettbewerb, damit medizinische Qualität zu günstigen Preisen gesichert ist“. Neben einer Stärkung der Patientenrechte setzen die Liberalen aber auch auf mehr Eigenverantwortung beim Patienten selbst. Die Versicherten sollen in Zukunft die Möglichkeit erhalten, Tarife individuell zu gestalten.
Eine der Kernaussagen einer möglichen FDP-Gesundheitspolitik nach der Wahl könnte zur Abkopplung der sozialen Sicherungssysteme und damit insbesondere der Gesetzlichen Krankenversicherung vom Beschäftigungsverhältnis des Versicherten führen. Das würde auch die Position der Partei unterstreichen, die sich gegen eine „übermäßige Reglementierung und Bürokratie“ ausspricht. Der Staat solle nur dort regulierend eingreifen, wo der Markt und die „handelnden Personen“ versagen. Der Gesetzgeber solle zwar den gesetzlichen Rahmen festlegen, aber nicht bis ins kleinste Detail alles regeln. Ein qualitätsorientierter Wettbewerb fördere die Kreativität, versicherten- und patientengerechte Lösungen zu finden.
Die FDP baut auf ein Gesundheitswesen, dass den Menschen die Möglichkeit bietet, den Umfang ihrer Versicherung selbst zu bestimmen. Es müssten Anreize gesetzt werden, damit die Beteiligten mit den Ressourcen möglichst sparsam umgingen. Die freie Arztwahl ist für die FDP ein Muss, gesetzlich vorgegebene Budgets sollen der Vergangenheit angehören. Die gesetzlichen Vorgaben für einheitliche Verhandlungen der Kassen müssten fallen, denn dies führe nur zu Misswirtschaft. Den Risikostrukturausgleich wollen die Liberalen schrittweise abbauen. In der Betriebs- und Verwaltungseffizienz müssten sich die gesetzlichen mit den privaten Krankenkassen vergleichen lassen.
Wenig konkret bleibt die FDP bei ihrer prinzipiellen Forderung nach mehr Wettbewerb. Der wird zwar auf Seiten der Leistungsanbieter grundsätzlich gefordert. In welchen Grenzen, national oder innerhalb der EU, dieser Wettbewerb stattfinden soll, wird nicht geklärt.
Eine Anhebung der Versicherungspflichtgrenze lehnen die Liberalen konsequent ab. Das gilt auch für die Ausweitung der Beitragsbemessungsgrenze auf andere Einkommensbereiche, wie zum Beispiel Zins- und Mieteinkünfte.
Viele Liberale haben sich in der Vergangenheit immer wieder gegen den Versandhandel mit Arzneimitteln ausgesprochen. Bei zahlreichen Veranstaltungen taten dies auch die beiden FDP-Abgeordneten im Gesundheitsausschuss des Bundestages, Dieter Thomae und Detlef Parr. Gefordert wird hingegen die Halbierung des Mehrwertsteuersatzes auf Arzneimittel. Man darf gespannt sein, ob sich ein möglicher FDP-Finanzminister an diese Forderung erinnern wird.
Gespannt sein darf man auch, wie weit die von der FDP geforderte Lockerung des Heilmittelwerbegesetzes gehen würde. Prävention und Vorsorge sind ebenso zentrale Stützpfeiler wie in den Programmen der anderen Parteien. Doch die FDP will die Patienten und insbesondere die Gesunden stärker in die Verantwortung nehmen. Ähnlich dem Aufbau bei den privaten Krankenversicherern, schreiben die Freidemokraten von Selbstbehalten und Selbstbeteiligungen. Stetes Ziel ist die Schaffung neuer Anreize für ein kostenorientiertes Verhalten.
Guido Westerwelle und Kollegen bauen auf eine Einkommensteuer-neutrale Auszahlung des Arbeitgeberanteils als echter Bestandteil des Lohns an den Einzelnen. So soll deutlich werden, was die Krankenversicherung tatsächlich koste. Dabei erhofft man sich bei den politischen Mehrheitsbeschaffern einen Bruch des Automatismus zwischen den steigenden Gesundheitsausgaben und den steigenden Lohnkosten. So könne die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft gestärkt werden.
Fazit: Insgesamt beschäftigt sich die FDP sehr intensiv mit dem Gesundheitswesen. Doch für die wirklich drängenden Fragen schuldet auch diese Partei die Antworten. Das Problem macht die Partei insgesamt bei der viel zu starren staatlichen Einflussnahme, der Funktion der Kassen und der mangelnden Beteiligung der Patienten aus. Deutlich macht das Programm aber auch, dass die Liberalen gegen eine Politik auf dem Rücken der Leistungserbringer sind. Denn aus den Gesundheitsberufen rekrutiert die Oppositionspartei nicht nur zahlreiche Wählerinnen und Wähler, sondern viele ihrer 90.000 Mitglieder.
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