Union setzt ganz auf Seehofer |
16.09.2002 00:00 Uhr |
CDU/CSU
Horst Seehofer scheint zu wissen, wovon er spricht. Der ehemalige Bundesgesundheitsminister sieht in Budgetierung und fortschreitender Reglementierung alles andere – nur keine Lösung für die Misere im deutschen Gesundheitswesen. Seehofer, von Parteifreunden vergangene Woche scherzhaft zur „Unions-Ikone für das Soziale“ aufgebaut, steht wie kein anderer für die Gesundheitspolitik in einer von der Union geführten Bundesregierung.
Der Bayer hat in diesem Jahr seine Erfahrungen mit der Medizin gemacht. Eine lebensbedrohliche Erkrankung setzte den Spitzenpolitiker monatelang außer Gefecht. Seit seiner Rückkehr hat die Union ein deutlich erkennbares gesundheitspolitisches Konzept. Von seinen persönlichen Erfahrungen im Krankenhaus und in der Obhut seiner Ärzte scheint der Ex-Minister, der im Kompetenzteam von Edmund Stoiber neben Späth und Schäuble die dritte starke Säule darstellt, beseelt.
Seehofer will mit seiner Partei eine breite öffentliche Diskussion über die Zukunft des Gesundheitswesens entfachen. So soll – nach einem möglichen Wahlsieg der Union – bereits wenige Wochen nach der Bundestagswahl ein großer „Gesundheitsgipfel“ stattfinden. Dort sollen alle Beteiligten im Gesundheitswesen gehört werden. Das solle allerdings keine „Plauderstunde“ werden, verhöhnt Seehofer öffentlich die von Ministerin Ulla Schmidt initiierten Runden Tische.
Drei Kernaspekte formuliert die Union innerhalb ihrer Vorstellung einer Umorientierung in der Gesundheitspolitik. So sind neben dem demografischen Wandel in der Bevölkerungsstruktur und dem kostspieligen medizinischen Fortschritt auch die veränderten sozialen Strukturen in eine mögliche Reform einzubeziehen. Konkret weist die Union darauf hin, dass die früher geltenden Lebensvorstellungen heute weitgehend nicht mehr existieren.
Die Christdemokraten sind der Auffassung, dass die veränderten Lebensmodelle – zum Beispiel mehr Freizeit und weniger Arbeit und Einnahmen – in direkte Verbindung mit der insgesamt lädierten Einnahmesituation der sozialen Sicherungssysteme gebracht werden müssen. Soll heißen: CDU/CSU wollen die Einnahmesituation der Gesetzlichen Krankenversicherung in den Griff bekommen. Von einer Deckelung der Leistungserbringer will Seehofer (noch) nichts wissen. Kritik übte er zuletzt aber besonders an den Verwaltungsausgaben der Krankenkassen. Zuvorderst intonieren Seehofer und Stoiber, dass der Schlüssel für höhere Einnahmen die Schaffung neuer Arbeitsplätze sei. Die Arbeitslosigkeit müsse schnell abgebaut werden, um die gesetzliche Krankenversicherung zu entlasten.
Zum einen will die Union die Rolle der Patienten stärken. Neben der freien Arzt- und Krankenhauswahl sollen Versicherte auch Entscheidungsfreiheiten bei der Vertragsgestaltung mit den Krankenkassen bekommen. Dieser so genannte Vertragswettbewerb soll nach Unions-Meinung geeignet sein, um Defizite im System insgesamt zu beseitigen, soll Versorgung wie Wirtschaftlichkeit verbessern. Das soll allerdings, so die Einschränkung, innerhalb definierter sozialpolitischer Spielregeln geschehen.
Den Risikostrukturausgleich (RSA) will die Partei beibehalten, aber modifizieren. Er soll einen „fairen Wettbewerb zwischen den Kassen“ ermöglichen. Außerdem will die CDU die Disease-Management-Programme vom RSA abkoppeln.
Patienten müssten deswegen besser über Leistungen und Kosten informiert sein. Mehr Informationen über die Qualität von Leistungserbringern und über deren Abrechnungen sollen schnell verfügbar gemacht werden. Die Union setzt sich immer stärker für das Modell des freiwilligen Selbstbehalts ein. Der könnte ausgebaut werden, hätte aber eine noch festzulegende Obergrenze. Der Selbstbehalt würde zu einem geringeren Kassenbeitrag führen. Ein solches Konzept müsse „sozial verträglich“ aufgebaut werden.
Die Christdemokraten wollen die Versicherten bewegen, sich stärker um ihre Gesundheit zu bemühen: Stichwort Prävention. Das sei allerdings nicht nur Aufgabe des Einzelnen, sondern auch der Gesellschaft insgesamt. Die Union denkt auch darüber nach, inwieweit das Verhalten der Versicherten von den Krankenkassen „belohnt“ werden kann.
Die Partei hat sich gegen den Versandhandel mit Arzneimitteln ausgesprochen, ist gegen eine Liberalisierung der Vertriebswege um jeden Preis. Das versprach nicht nur Seehofer den Apothekerinnen und Apothekern am 3. Juli 2002 in Berlin bei der Unterschriften-Übergabe im Rahmen der „Initiative Pro Apotheke“. Im Stoiber- und Seehofer-Land Bayern geht die Landesregierung massiv gegen Krankenkassen vor, die für Internetversandhandel werben oder von Versendern belieferte Rezepte erstatten. Deutliche Positionen gibt es hierzu auch aus anderen von der Union geführten Bundesländern. Insgesamt scheint diese Meinung also gefestigt.
Auch bei anderen Punkten, die die rot-grüne Regierung auf den Weg gebracht hat oder bringen will, mischen die Christdemokraten die Karten neu. So dürfte die Entwicklung beim Risikostrukturausgleich, der von den süddeutschen CDU-geführten Bundesländern angegriffen wird, mit Spannung erwartet werden. Und auch bei den damit verbundenen Disease-Management-Programmen sieht Seehofer noch „eine Menge handwerklicher Fehler und Unzulänglichkeiten“. Die aktuelle Aut-idem-Regelung gefällt der Union nicht. Hier dürfte nachgebessert werden. Eine Chance für die Apothekerschaft, Anregungen einzubringen.
Doch Illusionen scheint man sich in der Union nicht hinzugeben. Und so verspricht Seehofer derzeit nicht, dass die Beiträge zur Gesetzlichen Krankenversicherung stabil bleiben. Bis zum Jahresende erwartet er Steigerungen um bis zu 0,5 Prozent.
Fazit: Die Union hält zumindest im Moment wenig vom Versandhandel mit Arzneimitteln. Sie will den Patienten mehr Wahlfreiheiten geben und so deren Verantwortung stärken. Höhere Selbstbehalte könnten helfen, die Einnahmesituation des Gesundheitswesens zu verbessern. Die Entkoppelung vom RSA dürfte das Ende der Disease-Management-Programme sein. Wie das individuelle Verhalten der Versicherten in die Beitragsbemessung einbezogen werden kann, ist unklar.
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